𝟙𝟛. 𝔼𝕟𝕥𝕝𝕚𝕖𝕓𝕦𝕟𝕘𝕤𝕡𝕝𝕒𝕟
Ich hoffe, sie wird nicht zu verärgert sein, schrieb ich Michi. Wir hatten telefoniert und dabei den Entliebungsplan für July ausgeheckt.
Genau das ist der Plan, antwortete Michi.
Aber dann mache ich vielleicht die Freundschaft kaputt.
Das wird nicht passieren. Wir kennen July beide.
Ich seufzte, dann legte ich mein Handy weg und wartete, bis July eintraf.
»Bereit für die Überraschung?«, fragte ich.
Wir hatten uns vor einer Woche das letzte Mal gesehen und dazwischen immer nur kurz telefoniert.
»Hallo erst mal.«
July grinste mich an und warf ihr langes Haar über die Schulter. Ich beobachtete fasziniert, wie es durch die Luft schwang und verkniff mir, ihr ein Kompliment zu machen. Heute wollte ich einen gegenteiligen Plan durchführen. Ich wollte, dass was zwischen uns war, egal, ob von meiner oder ihrer Seite aus, ein für alle Mal beenden. Dafür wollte ich July verängstigen. Um ehrlich zu sein, schickte ich sie durch eine kleine Hölle und setzte damit ihr Vertrauen aufs Spiel, doch ich spürte, dass es auf lange Sicht richtig für mich war, um nicht zu verzweifeln.
»Hi. Hier ist dein Helm.«
Ich bin da, schrieb Michi. Dann konnte es losgehen. Ich setzte mich auf mein Moped und machte den Motor an. July rutschte hinter mir auf den Sitz. Ich kannte das schon, da ich sie fast täglich zur Schule mitgenommen hatte, seit ich mit dem Moped zur Schule fuhr. Sie legte ihre Arme um meine Taille, ich spürte ihre Nähe und schon düste ich los. Sie musste irgendwann im Laufe der Fahrt merken, dass ich die Schule anstrebte, immerhin kannte sie die Strecke.
Ich parkte auf dem Parkplatz und wir stiegen ab. Die Sonne war schon untergegangen, sodass niemand uns bemerkte, als wir zur Schule schlichen.
Michi hatte mir geholfen. Ich hatte ihm erzählt, wovor July sich fürchtete und er war auf die Idee gekommen. Als er gestern July besucht hatte, hatte er außerdem ein paar Vorbereitungen getroffen. Er hatte sich heimlich einen Schlüssel von Mister Smith ausgeliehen, mit dem er eine verborgene Hintertür aufschließen konnte. Das hatte er erfolgreich getan, wie ich feststellte. Ich war froh, dass mein bester Freund zu Streichen nicht Nein sagte.
»Was wollen wir hier?«, flüsterte July. »Und warum hat jemand die Tür offen gelassen?«
»Das wirst du sehen«, antwortete ich.
Um unentdeckt zu bleiben, schalteten wir kein Licht an, sondern wagten uns im Dunkeln vor. Ich führte July in den Gang und dann eine Treppe, die in den Keller führte, hinab. Da sowieso niemand in die Kellerräume ging, wurden die für gewöhnlich nicht abgeschlossen. Ich hatte Glück. Ich stieß die Tür auf, die gruselig quietsche, und schob mich in den Raum. July wurde langsamer.
»Ähm, Levi, was soll das?«, fragte July.
»Ich dachte, wir könnten uns diese Räume mal ansehen. Hier soll es Akten oder so was geben«, sagte ich.
»Können wir das nicht lieber wann anders machen? Wenn es hell ist, vielleicht?«
»Dann könnte uns doch jemand sehen.«
Ich schaltete eine Taschenlampe an, deren Lichtstrahl nicht weit reichte und die schon flackerte. Dann leuchtete ich in den Raum hinein.
»Was ist das hier?«, fragte July und deutete auf ein Regal, das an der Wand stand.
Neugierig traten wir näher und inspizierten alte Bücher, auf denen eine dicke Staubschicht lag.
Ich nahm eins aus dem Regal und schlug es auf. »Oh schau mal, da sind Witze und Sprüche von und über unsere Lehrer drin«, sagte ich, als ich die erste Seite überflogen hatte. »Hier steht etwas zu Herr Becke und da, Mister Smith.« Ich reichte ihr das Büchlein und zeigte ihr die Seite mit den Sprüchen und Witzen über Herr Becke.
»Oh ja, das hört sich nach ihm an«, meinte July. »Ich habe diesen Lehrer gehasst.«
»Zum Glück gehen wir ja nicht mehr in die Schule, sonst wären wir den heute noch nicht los«, sagte ich.
»Ja, ich habe Mitleid mit allen Schülern, die bei ihm Unterricht haben.«
July legte das Buch zurück und holte ein anderes hervor.
»Schau mal, da sind Fotos drin.« Sie blätterte durch das Buch. »Ich glaube, das ist ein Jahrbuch«, stellte sie fest.
»Echt? Aus welchem Jahr?«
»1999«, sagte July.
»Wow, echt cool. Ich bin total begeistert.«
»Ich habe eins von 2007. Waren Michis Eltern nicht auch auf der Schule? Vielleicht finden wir ja alte Fotos von denen!«
»Bestimmt nicht. Das ist doch schon ewig her«, widersprach July. Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, alle Jahrbücher durchzuschauen. Ich entdeckte mehrere alte Bücher aus dem letzten Jahrhundert.
»Das könnte ihr Jahrgang sein«, meinte July. Sie klang überrascht, dass diese Bücher existieren. Wir schauten uns die Bilder genau an und ich las mir die Namen durch.
»Da! Lena Lustig.«
»Hat Lorenzo nicht Lenas Namen angenommen?«, fragte July.
»Ja. Und warte, Lorenzo war gar nicht auf der Schule, oder doch?«
»Sie haben sich auf jeden Fall anders kennengelernt.«
»Ja, auf einer Heißluftballonfahrt.«
»Ja! Schau mal, wie jung und hübsch sie aussieht.« Wir betrachteten das schwarz-weiße Foto genau. Lena stand zwischen einem Mädchen und einem Jungen und wirkte glücklich auf diesem Foto.
»Das müssen wir Michi unbedingt irgendwann einmal erzählen.«
Wir schauten noch andere Bücher durch und plötzlich fiel mir eins aus dem vorletzten Jahr in die Hände.
»Schau dir das an!« Voller Freude zeigte ich July das Buch.
»Das sieht so neu aus.«
»Es ist aus dem vorletzten Jahr.«
Ich begann, die Seiten zu überfliegen. Bei einem Foto hielt ich plötzlich inne. Es zeigte einen Lockenkopf, besser gesagt meinen Lockenkopf. Dieses Foto war vermutlich in einem Moment entstanden, in dem Maike komplett in Gedanken versunken war. Sie wusste bestimmt nichts davon. Jemand hatte sie etwas seitlich abgelichtet. Maike hatte den Kopf schiefgelegt und die Augen geschlossen.
»Levi?«
»Was?« Ich schreckte auf. »Was ist los?«
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja. Bei mir ist alles super.«
»Worüber hast du nachgedacht?«
»Ach, über nichts. Schau mal, hier ist Maike zu sehen.«
»Oh ja. Das ist doch ihr Jahrgang, oder nicht?«
»Ja.«
Ich wandte mich etwas von July ab und suchte nach weiteren Bildern von Maike. Ich fand sie immer dann, wenn ich genau hinschaute. Sie verbarg sich im Hintergrund und bei Selfies mit Freunden stand sie oft an der Seite.
Ein Bild zeigte Maike und einen Jungen, wie sie entschlossen und kampflustig in die Kamera blickten. Am liebsten hätte ich dieses Bild ausgeschnitten und mitgenommen. Erstens wollte ich Maike fragen, wer dieser Junge war und zweitens fand ich, dass dieses Bild Maike perfekt ohne Worte beschrieb.
Ich drehte mich zu July und reichte ihr das Jahrbuch. »Da sind ein paar Leute auf den Fotos, die könntest du vom Sehen her kennen.«
July hatte die Neugier gepackt und sie entdeckte ein paar bekannte Gesichter. Als wir zufrieden auch die letzten Bücher zurücklegten, stampfte ich einmal mit dem Fuß auf. Der eigentliche Plan konnte nun beginnen. Ich leuchtete mit der Taschenlampe in den Raum hinein und an die Decke.
July stieß einen kurzen Schrei aus, als sie sah, wie sich direkt über ihr eine Spinne abseilte. Sie stolperte ein paar Schritte zurück. Dann hörten wir Schritte und ein Kratzen an den Wänden. July zuckte zusammen und wich noch weiter nach hinten.
Kurz darauf hörten wir einen Schrei und in dem Moment rannte July los. Ich hastete ihr hinterher und vertraute darauf, dass Michi selbst aus der Schule kam, abschloss und den Schlüssel zurückbrachte. Michi war einfach nicht zu ersetzen.
July und ich rannten aus der Schule und bis zu meinem Moped, dann hielten wir an. July atmete schwer und auch ich keuchte.
»Das war eine blöde Idee«, sagte ich.
July entgegnete nichts. Stattdessen kam sie näher und lehnte sich an mich.
»Das war schrecklich«, flüsterte sie. »Was war das?«
»Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete ich.
»Glaubst du, da war jemand? Müssen wir zurück und dem helfen?«
»Wir sollten nach Hause. Vielleicht haben wir uns nur etwas Dummes eingebildet oder es ist nur so etwas wie ein Schreckalarm, der Leute fernhalten soll, falls es so etwas gibt«, redete ich ihr ein. July zitterte in meinen Armen.
»Ich bin froh, dass ich nicht alleine da drin war. Können wir zu dir fahren? Bitte?«
»Ja, klar. Geht es dir gut?«
»Ich bin nur erschreckt, sonst geht es.«
July ließ langsam von mir ab und mit ihr verschwand auch ihr süßlicher Geruch, der mich umhüllt hatte. Ich verdrängte alle Gedanken und konzentrierte mich nur auf die Straße, während wir nach Hause fuhren.
Nachdem ich das Moped in den Schuppen neben mein Fahrrad gestellt hatte, begegneten wir Tara, die gerade nach Hause kam. Es war wie ein Déjà-vu. Doch diesmal hatte sie keine Bierflasche oder Handtasche in der Hand, nein. Ihre Hand fuhr gerade durch die Haare eines Mannes, während sie sich sehr nah standen. Ich sah nur Taras Rücken. Küssten die sich oder sah es nur so aus?
Jetzt bildete ich mir wahrscheinlich wirklich etwas ein.
»Komm, lass uns reingehen«, sagte ich und zog July davon.
»Willst du nicht mit Tara reden?«, fragte July.
»Warum?« Ich kramte meinen Schlüssel hervor und schloss die Tür auf.
»Weil sie gerade mit einem Typen rummacht, der nicht dein Dad ist.«
»Nein, sie standen nur ganz nah beieinander. Die haben nichts miteinander«, behauptete ich und versuchte, selbst daran zu glauben.
»Doch, die haben definitiv etwas.«
Ich stellte meine Schuhe ordentlich in das Schuhregal, July ließ ihre davor stehen.
»Und wenn schon, dann würde Tara es Dad selbst erzählen. Wahrscheinlich wird sie ihm das morgen erzählen, sie werden darüber reden und es wird nicht wieder vorkommen. Außerdem ist Tara betrunken. Da tut man manchmal dumme Sachen. Wir haben uns ja auch geküsst.«
»Das soll aber nicht heißen, dass du unseren Kuss dumm fandest, oder?«, fragte July.
Verdammt, irgendetwas ging gewaltig schief. Ich wollte mich doch von ihr entfernen und meine Gefühle für sie vergessen.
»Können wir bitte über etwas anderes sprechen?«
»Also weder über unseren Kuss noch darüber, dass dein Dad soeben betrogen wurde?«
»Ja, genau. Willst du bei mir übernachten? Es ist schon ziemlich spät und ich will nicht, dass du jetzt noch nach Hause gehst.«
»Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich hier schlafe.«
»Früher warst du noch jünger.«
July ging voran in mein Zimmer. Kaum zu fassen, wie diese starke Frau vorhin so verängstigt war. Doch jeder hatte Schwächen. Plötzlich fiel mir ein, dass ich die Spinne, die letztens in einer Zimmerecke ein Spinnennetz gewebt hatte, noch nicht eingefangen und rausgeschmissen hatte, doch July war schon in meinem Zimmer. Ich schaltete das Licht ein und schaute in die Ecke. Das Netz war noch da, die Spinne nicht. Sie war weg.
»Willst du einen Film schauen?«, fragte ich.
»Oh ja, gerne.«
»Gut. Du suchst den Film aus und ich ziehe mich schnell um.«
Ich schnappte mir meinen karierten Schlafanzug und nahm ihn mit ins Bad. Auch wenn July und ich uns seit Ewigkeiten kannten und sie meine beste Freundin war, traute ich mich nicht, mich vor ihr umzuziehen. Das war irgendwie zu intim. Plötzlich kam mir Maike in den Sinn. Aus irgendeinem Grund traute ich es mich in ihrer Anwesenheit. Was hatte sie an sich, dass ich ihr so sehr vertraute und mich so wohlfühlte? Vielleicht war es die Tatsache, dass ich nie in sie verliebt gewesen war und deshalb nicht so viel Angst hatte, mich zu blamieren.
July hatte sich indes einen Schlafanzug, den sie mir zum Spaß zu Weihnachten geschenkt hatte, gefunden und angezogen.
»Ich wusste gar nicht, dass du den aufgehoben hast«, meinte sie.
»Du hast ihn mir doch geschenkt.« Deine Geschenke bedeuteten mir mehr als die von anderen. »Außerdem war er doch für spontane Übernachtungen gedacht. Du hast extra vorgesorgt.« Ich grinste sie an.
»Ja, ich bin so schlau.«
»Das würde ich nicht behaupten«, sagte ich und kassierte dabei einen versuchten Schlag, dem ich gerade noch so auswich.
»Hier, wir sehen uns Der Glöckner von Notre Dame an.« Sir reichte mir die DVD. Dann schrie sie plötzlich auf. Die Spinne aus der Ecke, die ich nicht gefunden hatte, seilte sich gerade über uns von der Decke ab. July sprang in meine Arme. Ich drehte sie weg und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.
»Pscht, alles ist gut. Mein Dad schläft schon. Wir sollten leiser machen.«
»Da ist – da ist eine Spinne.« July keuchte.
»Ja, ich weiß. Ich mache sie weg, wenn du mich loslässt.«
»Kann nicht.«
July klammerte sich nur noch fester an mich. Sie zitterte am ganzen Körper, also drückte ich sie näher an mich.
»Ich bringe dich jetzt aus meinem Zimmer.«
Ich setzte July im Bad ab und zwang sie, mich loszulassen.
»Sobald die Spinne weg ist, hole ich dich wieder.«
Ich machte in meinem Zimmer das Fenster auf, packte den Faden und beeilte mich, die Spinne auf die Fensterbank zu lassen. Kurz darauf stand July wieder in meinem Zimmer.
»Die Spinne ist weg.«
»Der Abend war sehr anstrengend für mich, es tut mir leid.«
»Es tut mir leid. Immerhin habe ich uns in diese Schule gebracht.« Mit voller Absicht. Für den Plan.
July nickte zum Bett. Wir kuschelten uns unter die Decke und starteten den Film. July lehnte sich an mich, sodass mein Arm nach einer Weile wehtat und ich ein paar dunkle Strähnen Haar in meinem Gesicht spürte. Unauffällig pustete ich sie weg. July begann, mit ihren Fingern über meinen Arm zu streichen, was ich sehr beruhigend fand. Wir schauten das Musical und entspannten uns dabei. Keine Spinnen, keine Dunkelheit, keinen Schrecken mehr.
Ich fragte Michi, ob er schon zu Hause war.
Ja, bei mir ist alles gut gegangen. Hat unser Plan funktioniert?
Nicht so, wie er sollte, schrieb ich zurück.
Julys Finger wanderten zu meine Kinn.
»Wir sollten langsam schlafen gehen. Ich bin müde«, meinte ich und machte die kleine Lampe auf meinem Nachttisch aus.
»Natürlich«, sagte July, doch an dem Ton in ihrer Unterstimme erkannte ich, dass sie es nicht so meinte. Schon spürte ich, wie ihre Finger wieder mein Gesicht suchten. Diesmal näherte sich auch ihr Gesicht. Ihre Lippen wanderten über mein Kinn und meine Bartstoppeln.
Wollte sie mich küssen? Nein, das durfte nicht passieren. Das würde mich nur noch mehr durcheinanderbringen! Plötzlich war es so weit. Ihre Lippen berührten meine für einen kurzen Moment, doch ich drehte mich weg.
»Du wirst mir das Herz brechen«, flüsterte ich entschuldigend. Dann kuschelte ich mich in die Decke ein und wartete darauf, dass der Schlaf mich übermannte. »Du wirst mich nie so lieben, wie ich dich liebe«, sagte ich.
»Das weißt du nicht. Was schadet es denn, wenn wir es versuchen?«, murmelte July.
»Wurde dein Herz jemals gebrochen?« Wurde ihr Herz jemals so oft gebrochen wie meins? Ich schwörte der Liebe nicht unbewusst ab. Sie tat mir nicht gut. Egal, wie sehr sie versuchte, mich einzulullen und mir süße Versprechen gab. Sie tat mir nicht gut.
»Nicht wirklich.«
»Dann verstehst du mich nicht.« Ich versuchte, möglichst leise zu atmen, um auf ihre Atemzüge zu achten. Sie atmete unregelmäßig.
»Es tut mir leid, Levje.«
»Du kannst nichts daran ändern«, sagte ich. Damit meinte ich aber auch, dass sie nichts besser machen konnte.
Sie sagte nichts mehr und das war auch gut so. Ich wusste nicht, ob mein Herz das verkraftete. Würde ich jemals echte Liebe erfahren, die für immer hielt oder war das nur ein Märchen?
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Shippt ihr Levi und July?
Könnt ihr dieses Chaos in Levis Innerem nachvollziehen?
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