➺ 33.✍︎
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🄰tticus Hand verweilte wie versteinert an seinem Auge, während er mich anstarrte, als wäre ich ein Geist.
Im Hintergrund riss man die Tür zum Nebenflur auf, dann gingen an den Wänden die Leuchten an und Silvius pendelte erschrocken zwischen unseren auseinandergestobenen Figuren. Vor allem an Atticus blieb er hängen, an seinen freien Augen, seiner freien Gravur.
„Ich fasse es nicht... Die Verbindung hat den Fluch gebrochen...?", konnte der Magister kaum glauben, was er sah, wusste offensichtlich mehr als wir.
Atticus' wirrer Blick senkte sich auf seinen Unterarm, dann stand er langsam auf und drehte sich zu Silvius.
„Was ist das...?", holperte seine Stimme vollkommen perplex aus seinem Hals, während sich seine Augen wie entgleist in sein Gesicht bohrten.
„Atticus, bitte bleib jetzt ruhig... Ich wollte längst mit dir darüber reden, aber die letzten Tage gab es einfach keinen passenden Moment—...", hob Silvius langsam die Hände, als näherte er sich einem gefährlichen Raubtier, doch Atticus wiederholte sich deutlich: „Was ist das?"
Diesmal klang es fast wie eine Drohung.
Ich sah zwischen beiden hin und her, merkte, wie es ungemütlich im Raum knisterte. Voller finsterer Erwartung starrte Atticus seinen Magister nieder, bis jener letztlich zugab, was er ihm verheimlicht hatte: „Du bist nicht ohne Grund eine Waise, Atticus. Und auch dein Fluch war kein Unfall. Es ging immer um dein Wappen. Deinen Familiennamen."
„Meinen Namen...?", konnte Atticus nicht fassen, was Silvius ihm sagen wollte.
„Als Hawtrey bist du der Erbe des zweiten Gründergeschlechts."
Stille. Schockschwere, erdrückende Stille.
„Hawtrey und Hazy. Eure Vorfahren waren die Gründer unseres Ordens, die ersten Hüter."
Atticus blinzelte benommen und auch ich fühlte mich wie zerschlagen.
„Eure Wappen sind verbunden. Zusammen bilden sie den Drachen-Ouroboros", fuhr Silvius fort und was er dann sagte, flößte mir eine merkwürdige, trübe Schwere in den Körper, „und die Verbundenheit eurer Wappen hat euch von Beginn an zueinander hingezogen, wollten eure Kräfte vereinen. Deswegen war ich mir sicher, wenn ich dich losschicken würde, um Lorien zu holen, würdet ihr euch finden. Würden eure Wappen sich finden."
Mit einem Schlag wurde mir etwas bitter bewusst und mein Herz verkrampfte sich unter meinen Rippen, die sich mir wie Dornen in die Brust bohrten.
Deswegen zog es mich zu ihm hin.
Deswegen wollte er mich.
Natürlich war es nicht das kleine, nervige Gör, das ihn reizte, es war mein Wappen. Unsere Erben, die uns verbanden.
Es war nicht echt.
Tausend Messer zerstachen mein Innerstes und ich hätte am liebsten geschrien. Wenn es nicht echt war, warum tat es dann nur so weh?
Atticus kam selbst mit dem Chaos seiner Gedanken nicht zurecht, das sah man ihm an, doch als er ein Ventil suchte, fiel ihm etwas wie Schuppen von den Augen: „Hast du mich deswegen aufgenommen? Weil ich eine Rolle in deinem Revolutionswahnsinn spielen soll?" Er klang heiser, aber auch zunehmend zorniger.
„Atticus, wir wollten nur das Beste für dich. Ray und ich, wir—..."
„Ray?", platzte es ungläubig aus dem Hüter heraus, als Silvius seinen früheren Ausbilder beim Spitznamen nannte wie einen alten Freund, „Wie in: mein Kumpel Ray? Raymond Asher, Ray? Ist an dem ganzen Dienstunfähigkeits-Gerede überhaupt etwas dran?!"
„Nein."
Silvius klare Antwort traf Atticus wie eine Kugel in die Brust. Seine Augen waren vor Schock geweitet, während der Magister sie tiefer in sein Fleisch jagte: „Natürlich hättest du nach deinem Unfall noch bei den DEFs dienen können. Du warst einer seiner besten Schüler. Aber sie hätten nicht aufgehört, Atticus. Sie hätten dich umgebracht."
„Hast du Ray dazu gebracht, mich zu versetzen?"
„Nein. Er war es, der mich darum gebeten hat, dich aufzunehmen."
Mit schweren Atemzügen wandte Atticus sich ab, hob die Hand an seinen Kopf und schluckte zerrüttet, als ihm klar wurde, dass man hinter seinem Rücken sein ganzes Leben für ihn entschieden hatte.
„Wieso mich dann überhaupt ausbilden?!", fuhr er dann plötzlich herum, laut und unendlich wütend. „Wieso die Mühe, wenn euch klar war, dass ihr mich absägt?! Habe ich bei meinem Schicksal auch noch ein Mitspracherecht?!"
„Du musstest dich zur Wehr setzen können. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass sie dich noch in der Ausbildung angreifen", entgegnete Silvius fest, ehe seine nächsten Worte einen Hauch von Reue durchsickern ließen. „Wir konnten dich nicht einweihen. Die Schatten des Ordens mussten glauben, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Dass du keine Gefahr mehr darstellst. Es musste echt sein, Atticus."
Mit bitterer Fassungslosigkeit zuckten die Muskeln um seinen Kiefer, als Atticus leidig erwiderte: „Dann bin ich froh, dass ich es ihnen so authentisch zeigen konnte."
Silvius Augen flackerten wehleidig, doch er stand zu dem, was er getan hatte und würde jederzeit beteuern, dass es zu Atticus' Besten gewesen war, das wusste ich. Ich glaubte es ihm auch, doch das machte das alles nicht weniger grausam. Jeder hatte verdient zu wissen, worauf er sein Leben aufbaute und warum es von jetzt auf gleich unter den Füßen zerbrach. Jeder hatte verdient, selbst über sein Leben zu entscheiden, egal wie schwer es war. Ich konnte nachempfinden, wie er sich fühlte. In gewisser Weise war auch mir die Entscheidung genommen worden. Mein Erbe hatte für mich entschieden. Silvius und Raymond Asher waren hingegen so skrupellos gewesen, diese Rolle für Atticus zu spielen.
Auf einmal trat Atticus an den Kamin, holte unter einem Versteck im Inneren eine Waffe heraus, entsicherte sie und richtete sie mit eisenhartem Blick auf Silvius. Erschrocken hob der Magister die Hände noch höher in die Luft und ich japste bestürzt auf.
„Bist du verrückt geworden?!", herrschte ich ihn an, traute mich allerdings nicht, näherzukommen.
„Ich will jetzt wissen, wieso du so viel über die Gründer weißt", befahl Atticus und brachte den Magister zum stammeln: „Atticus..!"
„Nein. Dein ständiges Gerede über den Schattenschreiber, dein Gefasel über die Gründer — Wissen, das seit über einem Jahrhundert unter Verschluss gehalten wird. Woher weißt du das alles, wenn du kein Teil der Schatten bist?"
Jetzt dämmerte mir, worauf er hinauswollte, und wehrte mich gegen diese Annahme. Das ist doch verrückt, wollte ich schreien, doch dann erinnerte ich mich an eines unserer ersten, tiefen Gespräche als ich neu hier angekommen war und an das, was er mir gezeigt hatte.
„Sein Portkey...", mischte ich mich verunsichert ein und tauschte einen kurzen Blick mit Atticus. Mein Partner zuckte mit der Waffe und zwang den Magister, uns seinen Unterarm zu zeigen. Silvius gehorchte nur widerwillig, wusste genau, wie das Ganze aussehen würde, doch er hatte keine Wahl und schob langsam den Ärmel seines Hemdes nach oben.
Tinte. Dunkle, ölige Tinte tropfte aus seinem entschlüsselten Portkey und ich hielt entsetzt den Atem an, obwohl ich gewusst hatte, was mich erwartete. Doch nun sah ich ihn das erste Mal mit der Erfahrung, die ich bisher über die Schatten gesammelt hatte, und die Bilder von Caspians finsteren Gravuren zuckten durch meine aufgewühlten Gedanken.
„Ich weiß, wie das aussieht, aber es ist nicht so, wie du denkst...", versuchte Silvius, seinen Hüter zu beruhigen, der nach allem, was er gerade hinter sich hatte, nicht gerade freundlich oder gar geduldig aufgelegt war.
„Ach nein?", zischte Atticus und kam mit der Waffe bedrohlich einen Schritt näher, ließ Silvius reflexartig zurücktaumeln.
„Mein Vorfahre war einst ein Schattenritter. Ein hoher noch dazu. Aber er war der Schattenritter, der seinen Meister an die Gründer verraten und ihren Sieg gesichert hat. Die Familie Whitlock ist seither von seiner Tinte gezeichnet... Aber unser Erbe ist der Dienst an die Gründer...! So habe ich Clare, Lorys Mutter, damals kennengelernt! Ich schwöre es!"
„Du willst, dass ich deinen wilden Geschichten nach allem einfach blind vertraue?", knurrte Atticus unversöhnlich und ließ den Magister seinen Rücken gegen die Wand pressen.
„Hör zu, der Schattenschreiber ist ein Hawtrey. Alles, was er braucht, ist eine Hazy. Wenn ich Teil der Schatten wäre, wieso hätte ich dich am Leben lassen sollen? Dich hier verstecken sollen?", suchte Silvius verzweifelt nach Argumenten seiner Version und ließ Atticus die Augen zu Schlitzen verengen.
„Das Vertrauen von Lorien hast du dir mit deiner rührseligen Masche als abtrünniger Magister erhascht, vielleicht wäre ja als Bonus noch ein Hawtrey herausgesprungen. Schaden kann eine größtmögliche Armee schließlich nie, richtig?"
Silvius schüttelte gequält den Kopf, sah seinem Hüter tief in die verletzten Augen und versicherte ihm mit allem, was er hatte: „Nein! Atticus, ich habe dich aufgenommen, weil Ray mich darum bat. Er wusste, man plante, dich umzubringen. Und als ich dich das erste Mal traf, wusste ich es auch. Vor mir stand ein junger Mann ohne Lebenswillen, traumatisiert und ohne Vertrauen in den Orden. Du warst genauso aussätzig wie ich es war. Ich sah einen Gleichgesinnten, einen Verbündeten. Jemanden, der wie ich den Dreck, die Verkommenheit in unseren Reihen erlebt hatte. Ich habe dich nichts über die Gründer gelehrt, weil du Zeit brauchtest, zurück ins Leben zu finden, Atticus. Dein Wappen war vom Fluch verkrüppelt. Ich wusste, es funktionierte nicht mehr richtig. Ich wusste, der Fluch hatte dir die Mächte deines Erbes geraubt. Und für den Fall, dass nie eine Hazy Nachfahrin bei uns auftauchen würde... wollte ich dich in Frieden lassen. Nicht noch mehr zerstörte Zukunft auf dich abladen. Ich wusste nicht, dass Loriens Wappen deine Heilung ist. Ich wusste es nicht."
Atticus' Kiefer zuckte unliebsam, seine Augen wankten unschlüssig und seine Hand verstärkte für einen Moment ihren Griff um die Waffe. Dann, letztlich, ließ er sie langsam sinken und der Magister atmete im Gleichklang mit mir auf. Zwar hatte mein mangelndes Urteilsvermögen hinsichtlich Caspian das Vertrauen in mein Bauchgefühl geschwächt, doch Silvius' Energie wirkte klar und ehrlich auf mich. Vor allem jetzt, wo er aus dem Auge des eisigen Laufs der Waffe befreit war.
Was ich über all das denken sollte, wusste ich nicht. Atticus gehörte zum zweiten Gründergeschlecht? Unsere Wappen waren verbunden? Obwohl es sich nicht leugnen ließ, vor allem nicht im Anblick unserer Gravuren, war ich überrumpelt und wurde die zermürbende Schwere auf meinem Herzen nicht los.
Dass wir in der Zwischenzeit unverhofften Besuch bekommen hatten, bemerkten wir hingegen erst, als sie ihren Weg vom Portal zu uns in den Wohnbereich fanden. Auf einmal erschienen dunkle Gestalten im Türrahmen und als sie sich in voller Größe vor uns aufbauten, erkannte ich die blasse, komplett in Schwarz gehüllte Erscheinung Raymond Ashers. Der berüchtigte Leiter der DEFs stand höchstpersönlich mit einigen seiner Männer vor uns, verschränkte die Arme vor der Brust und zeigte seine Bereitschaft, auf Silvius Ruf zu kommen und zu helfen. Als Silvius, noch etwas geschafft, zu ihnen trat und sie begrüßte, wurde es mir bewusst, bewusst, dass sie unsere Artillerie waren. Dass wir nicht alleine waren.
„Ich habe gehört, wir errichten eine Festung und gehen diesen Bastarden an den Kragen?", hallte seine vigilante, raue Stimme durch den Raum und besaß eine dieser besonderen Farben, die ihn in ihrer Eigenart komplett einnahm. Als er auf Atticus' Augen traf, zuckten seine Brauen überrascht, doch als sie hinab auf seinen neugebrannten Portkey blickten, schien er zu ahnen, was passiert war.
Hinter ihnen im Türrahmen erschien der Rest der verschlafenen Bewohner der Detektei, wunderte sich, was hier los war und mischte sich unter die Anwesenden.
Für einen Moment herrschte eine schwere, erwartungsvolle Stille im Wohnzimmer und jeder wusste, dass sie ein Wendepunkt für uns alle war. Ich spürte, dass der Spaß vorüber war und nun der Ernst beginnen würde.
Ich hatte mich einst gefragt, was mein Erbe mir bedeutete. Und beantworten konnte ich das noch immer nicht. Doch inzwischen war mir klar, was es für mich bedeutete.
Angst. Unsicherheit. Dunkle Feinde und eine viel zu schwere Verantwortung.
Die Schattenseiten der Fiktion wogen schwer auf meinen Schultern. Aber jedes Mal, wenn sie mich zu erdrücken versuchten, war da auch die helle Hoffnung. Hoffnung und loyale Freunde, die mir unerschütterlich die Hand reichen und mir aufhelfen würden. Bunte, eigenartige Freunde, die ich über alles lieben gelernt hatte. Mehr, als Familie.
Ich sah in all ihre Gesichter, auch in die, die neu hinzugestoßen waren, um uns zu unterstützen.
Es mochte ein dunkler Krieg bevorstehen, doch es machte mir Mut, zu wissen, dass ich ihn nicht allein bestehen musste.
Und von Mut konnte ich so viel gebrauchen, wie ich kriegen konnte. Jeder Tropfen zählte. Jeder Funke, so klein er auch sein mochte.
Denn dieser Krieg fing gerade erst an...
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