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➺ 25.✍︎


𝙴𝙸𝙽 𝓚𝚄𝚂𝚂 𝙸𝙼 𝓢𝙲𝙷𝙰𝚃𝚃𝙴𝙽
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„🄷alt still, Chéri."
Evelle zupfte unzufrieden an meinen Haaren, die sie mir aufwändig mit etlichen Nadeln und Haarspray in glänzende Wasserwellen an den Kopf legte.

„Es ziept aber...", jammerte ich und kassierte einen bitterbösen Blick, der meine Lippen sofort versiegelte. Die Schneiderfee führte einen Krieg mit meiner Frisur und was sie dabei gar nicht gebrauchen konnte, war meine nichtige Quengelei. Eben noch hatte ich ausgesehen wie ein Alien mit Kopfhaut aus Metall, so viele Wasserreiter — eine gewisse Art Klammer, wie mir beigebracht worden war — in meinem Haar gesteckt hatten. Nun löste die Fee eine nach der anderen, kontrollierte skeptisch die entstandenen Wellen und korrigierte und fixierte sie mit der Dose Haarspray, die die Luft um mich herum mit jedem Atemzug zu einem Erlebnis für die Lunge machte.

Ich hatte aufgehört zu zählen, wie viele kleine Haarnadeln in meinen Strähnen verschwanden. Jede Flughafen-Kontrolle würde wohl lauter Quieken als ein aufgewühltes Ferkel, wenn ich hindurchtrat. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Frisur saß und Eve sie mit zwei perlenbesetzten Spangen finierte, harmonisch zu der langen, doppelt gelegten Perlenkette um meinen Hals.

Nachdem ich endlich aufstehen durfte, zupfte ich das knappe Kleid mit der tiefen Taille zurecht, das über und über mit Pailletten und Fransen verziert war. Evelle hatte mich in ein Flapper Girl der Zwanziger Jahre verwandelt, passend zu unserem nächsten Reiseziel, das Atticus am Morgen nach dem Besuch bei seinem Dealer für uns gebucht hatte. Die seidig transparente Strumpfhose zwickte etwas an den Beinen, aber sobald ich mich bewegte, ging es.

„So, Chéri. Sehr schön", kommentierte Evelle ihre Arbeit, als sie mich vor den Spiegel stellte und mir einen langen Mantel mit bauschigem Fellkragen und Armstücken überzog. Wie sooft, wenn die Schneiderfee mit mir fertig war, erkannte ich mich kaum wieder. Ich hätte glatt in einer zeitgenössischen Drama Serie mitspielen können. Meine rot bepinselten Lippen hatten nie gefährlicher ausgesehen und ich war froh, dass Flapper Girls sich damals für Schuhe mit recht niedrigen Absätzen entschieden hatten. Auf denen würde ich laufen können.

„Seid ihr endlich fertig?", lehnte sich Atticus zum wiederholten Male ungeduldig in den Türrahmen, zuletzt vor der Ewigkeit, vor der Evelle mit meinem Haar begonnen hatte.
Auch meinen Partner hatte Evelle an den Stil der Zwanziger angepasst. Modern und im Trend wäre ein schicker Smoking gewesen, doch da wir so wenig wie möglich angesprochen werden wollten, hatte die Schneiderfee sich für einen reservierten und konservativen Frack entschieden. Darunter ein weißes Hemd und eine weiße Weste aus Baumwolle-Piquet, eine weiße Fliege und ebenso weiße Handschuhe. Sehr schlicht, sehr unnahbar. Ich hingegen fand, dass er mit seiner schlanken, hochgewachsenen Statur darin immer noch eine verboten gute Figur machte.

„Sind wir", konnte ich ihm diesmal die gewünschte Antwort geben und zupfte erneut etwas unbequem an meiner Strumpfhose. Mein Kleid mochte moderner sein als Atticus' Aufzug, Pailletten und Fransen besitzen, doch im Vergleich zu vielen Damen der Zwanziger Jahre, für die galt: je ausgefallener und auffälliger desto besser, war es eher schlicht. Es war gräulich schwarz, Evelle hatte auf ein federbesetztes Stirnband verzichtet und auch die langen Handschuhe um meine Unterarme, die meinen Portkey verdeckten, waren dunkel. Ich sollte gerade genug mit der Zeit gehen, um präsentabel zu sein, doch im Kern zu meiner konservativen Begleitung im Frack passen. Ich fand, es war Evelle gelungen.

„Na dann los", triezte Atticus mich Richtung Portal, den ich inzwischen glücklicherweise wieder anschauen konnte, ohne innerlich zu platzen. Das Gespräch mit Evelle hatte geholfen. Hatte mein Inneres sortiert und aus dem Chaos die Luft herausgelassen. Ich machte mir vor, meine Nervosität unter Kontrolle zu haben und es half.

In der Bibliothek hatte Ozias alles vorbereitet. Auf dem Pult lag der Große Gatsby, das Ziel unserer heutigen Mission. Und das Ziel eines Haufens feierwütiger Metawesen. Bisher hatte ich von diesen Halbrealen nur gehört, richtigen Kontakt würde ich heute zum ersten Mal bekommen. Ich war gespannt, gleichzeitig hatte ich Respekt vor der vom Orden verfolgten Rasse.

„Sobald wir auf der Party sind, sind wir Metawesen. Wir verhalten uns unauffällig, passen uns an und wenn du angesprochen wirst, lehnst du klar und deutlich ab. Du bist in Begleitung und ich bin besitzergreifend, verstanden?"
Normalerweise hätte ich zu Ehren aller Frauen ein ungeniertes Schnauben ausgestoßen, ganz gleich, ob es sich um eine geschauspielerte Rolle handelte, doch irgendetwas in mir wehrte sich deutlich zu wenig gegen seine Anmaßung.
„Lila?", schnippte Atticus vor meinen Augen die Finger, ein ungeduldiger Ausdruck im Gesicht.
„Ja, verstanden", maskierte ich meine Gedanken mit meinem altbewährten Trotz und wandte mich demonstrativ dem Portal zu. Den ganzen Abend lang ein Paar zu spielen würde mir einiges abverlangen.

Der Hüter ließ das Portal aktivieren und ich sah hinab in den schimmernden Strudel.
„Und denkt daran: wir brauchen nur Informationen. Metawesen sind nicht besonders gut auf Hüter zu sprechen, also keine vermeidbaren Risiken", instruierte uns der Bibliothekar ein letztes Mal, dann schritten wir gemeinsam in den künstlichen Weltensturm, hinein in die Fiktion.

Der Strudel spuckte uns in einer schlecht beleuchteten Seitengasse aus. Meine Absätze holperten auf der gepflasterten Straße und irgendwo in der Ferne läutete ein Kirchturm zur vollen Stunde. Die Lichter eines vorbeifahrenden, alten Automobils blendeten mich, ehe ich die wenigen Leute sah, die zu der Zeit noch unterwegs waren. Ein Mann mit Zylinder und Gehstock geleitete eine elegante Dame an der Hauptstraße an uns vorbei, als Atticus' Bewegung meine Aufmerksamkeit einfing. Aus seiner Innentasche zog er eine mysteriöse, goldverzierte Einladungskarte, die auf schwarzer Pappe ein seltsam verschlungenes Symbol zeigte. Ein Nexus, wie er mir erklärt hatte, nachdem er sie heute Morgen von seinem Dealer abgeholt hatte. Damit hätten wir zwar auf direktem Wege aus der Detektei zur Feier reisen können, doch Atticus wollte sich zuvor mit seinem alten Freund treffen. Gemeinsam mit ihm sollten wir weniger auffallen.

Eine Bewegung im Schatten lenkte meinen Blick über die Schulter meines Partners. Instinktiv trat ich ein Stück hinter ihn und lugte argwöhnisch in die Dunkelheit der Gasse. Schritt für Schritt trat daraus eine männliche Gestalt hervor. Seine Haut war blass, noch blasser als die meines Partners, fast schon unnatürlich. Sein dunkles Haar hatte einen violetten Schimmer und einen kurzen, ungewöhnlichen Schnitt. Über seine Schulter fiel eine lange, mit silbernem Schmuck zusammengehaltene Strähne aus seinem Nacken heraus und in gleichem Silber funkelten die Ringe an seinen Händen. Seine langen, schlanken Finger lagen um die Hüfte seiner wohlproportionierten Begleitung, einer Dame mit geflochtenem Haar bis hinab zu ihrer Hüfte, spitzen Ohren und krallenartigen Nägeln. Ihr Kleid funkelte in träumerischem Lila, ebenso der Kummerbund ihrer Begleitung, der unter dem Smoking und dem pompösen Mantel hervorstach. Das Paar war ein absoluter Hingucker und glänzte neben uns wie eine mystische Vollmondnacht über dunkler Heide.

„Guten Abend, mein Freund", begrüßte der Herr uns in einem Akzent, den ich noch nie gehört hatte, während Atticus zuerst der Dame die Hand küsste, ehe er der Begrüßung des Metawesens nachkam. Er schien sie beide gut zu kennen, die Dame lächelte warmherzig bei seinem Anblick.

„Eleazar, das ist meine neue Partnerin", stellte er uns einander vor und ich versuchte verhalten die Freude auf meine Lippen zu pressen, „Lorien, das ist Eleazar."
Das Metawesen schien aufrichtig überrascht, dass Atticus ihm eine neue Partnerin vorstellte, überspielte die Verwirrung jedoch tunlichst, als er sich höflich vor mir verbeugte. „Es ist mir eine Ehre, Miss."

Der darauffolgende Seitenblick an den aschblonden Hüter verriet einen stillen Vorwurf, den Atticus geflissentlich ignorierte. Stattdessen wartete er geduldig ab, bis die exotische Schönheit sich mir als Traya vorgestellt hatte, dann holte er die Maske hervor, die ein Ebenbild der meinen war, und zog sie sich über die Augenpartie. Ich tat es ihm gleich, so auch unser Doppel-Date. Dann herrschte erwartungsvolles Schweigen.

„Viel mehr, als euch hineinbringen, kann ich nicht. Sie ist recht wählerisch mit ihren Vertrauten, vor allem hinsichtlich der Konkurrenz. Ich hoffe, das wird reichen", wurde es schließlich von Eleazar gebrochen und ich fragte mich, von wem er sprach. Atticus war relativ vage geblieben, hatte nur gesagt, sein Dealer würde uns eine Möglichkeit verschaffen, Informationen zu gewinnen. Er selbst schien allerdings genau zu wissen, um wen es ging, denn er erwiderte: „Wird es müssen."

Mit den Worten nahm er meinen Arm und beide Parteien aktivierten die Nexus auf den Einladungen. Ich spürte den Sog der Reise, den tosenden Sturm um meinen Körper, dann ließ er uns vor einem pompösen, alten Herrenhaus frei. Ein breiter, knarzender Kieselweg löste das Pflaster unter meinen Schuhen ab und führte zu dem belebten Gebäude, vor dessen Eingang sich etliche Besucher tummelten. Lichter strömten aus den Fenstern gemeinsam mit lauter Musik und den Geräuschen der feiernden Nacht.
Neben uns tauchten weitere Gäste auf, manche so extravagant wie ein Troll im Anzug, andere wiederum wirkten überraschend menschlich. Ich bestaunte das Theater an bunten Gestalten, während Atticus mich mit Eleazar und Traya zum Eingang führte.

Zwei mächtige Wachmänner — humanoide Reptile — waren vor den geöffneten Eichentüren postiert und die Männer präsentierten ihnen nonchalant unsere Einladungen. Unlesbaren Blickes wurden wir hineingewunken und drinnen empfing uns eine Feier, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Allein im Eingangsbereich stand ein Turm aus Champagnergläsern, über den kontinuierlich eine Gold-glänzende Flüssigkeit hinab in einen Brunnen plätscherte. Einige Feierwütige hingen hemmungslos ihre Köpfe hinein und schlürften den zweifellos berauschenden Liquor wie Wasser. An den Treppen räkelten sich aufreizend gekleidete Wesen, unterhielten sich angeregt oder rauchten irgendein seltsames Kraut. Es wimmelte nur so von Masken, kurzen Kleidern und ausgelassenen Stimmen und in der Luft hing die scharfe Note Alkohols.

Atticus machte sich neben mir bemerkbar und senkte den Kopf seitlich an mein Ohr.
„Du bleibst die ganze Zeit in meiner Nähe. Ich bin deine Tarnung und du bist meine", raunte er mir zu und hätte mir eine Gänsehaut verpasst, hätte er nicht sogleich hinzufügt: „Wenn du mir noch einmal verloren gehst, köpft Silvius mich."
Mit den Worten spürte ich seine Hand um meine Hüfte wandern und mich mit festem Griff bei sich fixieren. Fast hätte ich laut aufgeatmet, doch ich zwang mich zur Beherrschung und richtete meine Augen konzentriert nach vorn, das Kinn selbstbewusst empor gereckt.

Wir folgten Eleazar durch die Menge und gelangten in einen weitläufigen Saal, an dessen Hinterwand eine Bühne mit Live Band aufgebaut worden war. Am Mikrofon räkelte sich eine kleine Dame in weißen Satinhandschuhen und kurzem Paillettenkleid zu ihrer whiskeyweichen Stimme, die den Tanzenden auf der mittigen Fläche ein rhythmisches Lied vorgab. Gegenüber der Bühne, am anderen Ende des Saals, verstreuten sich runde Sitzbänke, die alle zu einem breiten Bereich mit eleganten Couches zuliefen, in der sich eine Gruppe Metawesen niedergelassen hatte, die gewisse Exklusivität ausstrahlte, fast wie die VIP-Lounge eines Clubs.

Ich wurde von einem tanzenden Paar angerempelt, das ihre Körper ein wenig zu freizügig miteinander bewegte und verzog angewidert das Gesicht, als ich sah, wie die horntragende Teufelin der engelsgleichen Dame wild die Zunge in den Hals steckte.

Froh darüber, durch Eleazar zu den Tischen geführt zu werden, suchte der Heiler uns einen Platz ganz an der Seite aus, der Abgeschiedenheit und zugleich einen guten Blick über den gesamten Saal bot. Gegenüber ließen wir uns auf die gepolsterten Sitzbänke nieder, beziehungsweise, ich begann zu zögern, als ich sah, wie Traya sich wie selbstverständlich seitlich auf Eleazars Schoß platzierte. Die meisten Paare hingen hier dicht aufeinander und mein Körper fing an, nervös zu kribbeln.

Oh Gott, Blackout.
Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen oder tun sollte, bis Atticus scharf die Luft aufsog, mich packte und in dieselbe Position wie Traya zog.
„Jetzt zier dich nicht so", zischte er unwirsch dabei, „das ist eine Tarnung."

Tarnung, Qual — für mich gab es da keinen Unterschied. Stocksteif hockte ich auf Atticus' Oberschenkeln, räusperte mich verhalten und rutschte unsicher hin und her, um eine Pose zu finden, in der ich ihm am wenigsten von meinem Gewicht in die Beine drückte.

„Was soll das werden?", knurrte der Hüter mir ins Ohr. Die Begeisterung über mein Gehampel hielt sich in Grenzen.
„Ich versuche nur...—", fand ich keine Worte für meine angespannte Intention und gestikulierte stattdessen hilflos in der Luft.
„Lass das."
Atticus fasste zum wiederholten Male an diesem Abend um meine Hüfte und legte einen Arm um mich. Was von außen nach einer intimen Geste aussah, hatte zu viel Kraft für Zärtlichkeit und war lediglich dazu gedacht, mich ruhig zu halten.

Traya kicherte leise und auch über Eleazars Gesicht huschte feines Amüsement.
„Ihr seid noch nicht lange Partner?", stellte er fest und Atticus erwiderte ein knappes 'Nein'.
„Du hast mir nie erzählt, dass du eine neue Partnerin hast", schwang der Vorwurf zurück in seine Stimme, doch der Hüter wusste ihn entschieden abzutun: „Ich hatte meine Gründe."

Ich bekam ihr Gespräch kaum mit, hatte alle Mühe, meine verkrampften Glieder zu beruhigen. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Armen und scheute mich davor, sie an Atticus' Körper zu legen. Unbeholfen verweilten sie letztendlich in meinem Schoß und ich versuchte, mit einer Frage von mir abzulenken: „Wieso genau treffen wir uns eigentlich hier?"

Eleazar war derjenige, der mir antwortete und dabei vielsagend auf den exklusiven Sitzbereich am Saalende deutete: „Weil ich wusste, sie würde auch hier sein."

Ich folgte seiner Geste und inspizierte die Gruppe an Metawesen, die es sich dort hochtrabend bequem gemacht hatten und wusste instinktiv, auf wen er anspielte. Sie stach heraus. Ihre dürre Figur und die etwas zu breiten Schultern steckten in einem blutroten Kleid, das mit ihren gleichfarbigen Augen um die Wette leuchtete. Der Kontrast zu ihrer fahlen Haut war beträchtlich, auch ihr schneeweißes Haar trug dazu bei. Über ihren freizügig präsentierten Körper zogen sich zudem grobe Narben, die mit ihren dicken Nähten aussahen wie eine zusammengeflickte Stoffpuppe. Wenn sie grinste — und das tat sie ständig — entblößte sie eine Reihe rasiermesserscharfer Zähne, ein Gebiss wie das eines weißen Hais.

In meinem Kopf spukte nur ein Gedanke: Die Hexe mit den Augen wie Blut.
Das musste sie sein. Das Metawesen, das die Geräte verteilte. Der zweite Magus. Der verstümmelnde Todesengel.

„Ihr Name ist Chronya", brachte Atticus mich mit gesenkter Stimme auf den neusten Stand. „Sie wirbt Metawesen mit Versprechungen nach endloser Energiereserve und einer neuen, freien Welt an."
„Die Geräte...", murmelte ich, als es Klick machte und Atticus nickte.
„Eine neue, freie Welt?", fuhr ich ängstlich fort und drehte den Blick auf meinen Partner. „Hat Silvius doch Recht..?"

Ich musste zugeben, dass ich Silvius' Verschwörungen nie so ablehnend gegenüberstand wie Atticus, doch seine harten Zweifel hatten mir Rückhalt gegeben und die Angst daran gehindert, mich zu überwältigen. Nun sah ich in bitter resignierte Augen und bekam ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Atticus presste deprimiert die Lippen zusammen.
Irgendetwas wird dran sein. Wir werden herausfinden, wieviel."

Ich nickte schwach und schluckte leise, während mein Blick zurück zur rotäugigen Hexe wanderte und sich gegen die Dunkelheit wehrte, die von ihr ausging. Meine Hände begannen nervös an meiner Kette zu spielen. Rastlos und fahrig klackerten sie mit den Perlen, bekamen sich gar nicht mehr unter Kontrolle, bis ich spürte, wie Atticus nach meiner Hand griff. Langsam verschränkte er seine Finger mit meinen und hinderte sie am Zittern. Er bot mir subtil einen rettenden Halt und neben Dankbarkeit verspürte ich eine Wärme, die die dunkle Aura der Hexe vertrieb.

Plötzlich riss mich eine raue, spitzbübische Stimme aus der Träumerei. Sie klang fremd, kratzte in meinem Ohr. Ein junger Halbrealer war vor unserem Tisch aufgetaucht und starrte mich dreist an, als er fragte: „Darf ich mir dein hübsches Ding mal ausleihen?"

Vor Schock gefror ich zu Eis und hörte Atticus neben mir strikt ablehnen: „Nein."
Das Metawesen schien vor den Kopf gestoßen, trotzdem ließ er sich nicht so leicht abwimmeln.
„Ich verspreche, ich gehe gut mir ihr um und bringe sie heile zurück."
Ein passiv aggressives Lächeln formte sich um die Lippen meines Partners, als er scharf erwiderte: „Ich teile nicht gern."

„Komm schon, du benutzt sie doch gar nicht!", wurde der Kerl pampig, der mit seinem langen, braunen Haar einen aufreißerischen Eindruck machte. Am Nebentisch lugten verstohlene Blicke in unsere Richtung. Ich spürte, dass Atticus nicht die Stimme erheben und eine Szene machen wollte. Ganz gleich, welche Frechheit das Spitzohr sich herausnahm. Allerdings fand er eine andere Lösung, dem Kerl zu zeigen, dass er hier überflüssig war. Ehe ich verstand, was er vorhatte, wandte er sich mir zu.
Sanft legten sich seine Finger um mein Kinn, dann zogen sie mich zu ihm hinab.

Meine Gedanken überschlugen sich. Ein Teil von mir wollte schreiend weglaufen, der andere sich wie betrunken auf seine Lippen stürzen. Von beiden zerrissen war ich wie paralysiert, konnte nur passiv folgen, was Atticus in unserem Schauspiel vorgab. Den Kopf sacht auf die rechte Seite gewogen, zog er mich in den Kuss, der dem Halbrealen unsere Intimität heucheln sollte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde zeichnete sich die Überraschung auf meinem Gesicht ab, dann schloss ich die Augen und gab mich der Wärme seiner Lippen hin. Komisch, warum hatte ich sie mir immer kalt ausgemalt?

Mein Herz brannte in meiner Brust, mein Bauch kribbelte wie verrückt. Es war ein Gefühl wie Funken sprühendes Feuerwerk. Laut und unerträglich, bunt und wunderschön.
Es war ein langer Kuss und der Beste, den ich je bekommen hatte.

Ich wollte nicht aufhören und so senkte ich, als wir uns voneinander trennten, meine Lippen wieder hinab und stellte überrascht fest, dass sie sich auf halbem Wege begierig mit den seinen trafen. Das zarte, scheinheilige Küssen des Anfangs wurde inniger. Intuitiv glitt meine Hand um seinen Nacken und ich spürte seine Finger von meinem Kinn hinab zu meiner Hüfte wandern. Die unbefriedigte Hitze meines sündhaften Traumes erfuhr Erleichterung und mein ganzer Körper ging darin auf.

Gefühlvoll verwanden sich unsere Münder, wieder und immer wieder, ließen mich meine Finger sinnlich im Ansatz seines blassen Haars vergraben und entlockten mir beinahe ein zufriedenes Seufzen, als sich Atticus' Griff in meiner Taille vertiefte. Der Hormoncocktail, den er mir durch die Adern jagte, beschleunigte jede Frequenz meines Körpers. Mein Herz drohte zu platzen.

Doch die bittere Erlösung kam, als er sich langsam zurückzog und mich ansah. Platzendes Herz hin oder her, ich hätte mich am liebsten wieder auf ihn gestürzt und meine Lippen auf seine gepresst, als bräuchte ich sie zum Atmen. Alleingelassen fühlten sie sich kalt und einsam an.
Ich sah, wie sich der verführerische Mund meines Partners bewegte, doch ich hörte nichts, schwebte in rosa Trance.

Lorien."
Ich blinzelte, als sein verdeutlichter Tonfall durch die Wolken meines Hirns hallte. Erst jetzt realisierte ich, dass ich ihn wie ein entjungfertes Schulmädchen angestarrt hatte. Mein Herz wurde zu einem überpumpten Ballon, aus dem man die Luft herausließ. Schrill und quietschend wirbelte er durch meine Brust und prügelte gegen die Lungen, die sich vor Scham zusammenzogen.
„Hm?"

„Er ist weg", wiederholte er seine Worte und riss mich in die nüchterne Realität. Er klang, als wäre nichts gewesen und ich schluckte die Enttäuschung darüber, dass ich ein Requisit gewesen war, mühselig hinunter. Ich prügelte mir in Erinnerung, dass wir lediglich eine Tarnung aufrechterhielten. Trotzdem wusste ich, dass mich dieser Kuss verfolgen würde.

Ich musste mich aktiv davon abhalten, auf seine Lippen zu starren und gegen die Sehnsucht ankämpfen, sie wieder an mich zu ziehen. Ich ertappte mich in dem Wunsch, ein weiteres Metawesen käme vorbei und fordere mich zum Tanz auf, doch es kam keines.

Ich beteuerte, dass es gut war, dass der Kerl sich verzogen hatte und richtete mich mit einem bemüht unbekümmerten Blick zu Eleazar und Traya, übersah so das verwirrte Flackern seiner Iriden, als Atticus sich von mir abwandte.

Unsere beiden Begleiter hatten sich etwas zu trinken bestellt. Der Kräuterdealer kommentierte mit einem neckischen Funkeln in den fliederfarbenen Augen: „Nette Schau."

„Halt die Luft an und sag mir lieber, wie ich an die spitzzähnige Hexe herankomme", verpasste Atticus ihm sofort einen Dämpfer und sein Freund trommelte nachdenklich mit den Ringen gegen sein hohes Glas.
„Ich hörte, sie sei auch heute auf der Suche nach wertvollen Rekruten", machte er einen indirekten Vorschlag, der meinem Partner zu gefallen schien. Ich sah es hinter seinen Augen rattern und den Entschluss, den er fasste, einrasten. Ich rutschte von seinem Schoß, als er aufstand und den Frack richtete.
„Du bleibst bei Laz", befahl er mir und ehe ich Gelegenheit bekam, zu widersprechen, tauchte er in die Menge ab und floss mit ihr in Richtung Chronya.
Ich blieb mit den Metawesen zurück und fasste unruhig an meine Kette.

Das Prickeln auf meinen Lippen war unerträglich. Ich hielt es nicht mehr aus, schnappte dreist nach Eleazars Glas und nahm einen großen Schluck, um es abzuwaschen, hinabzuspülen.
Uff.
Was auch immer das für ein diabolischer Drink war, er brannte wie Feuer in meinem Hals. Mein Gesicht entgleiste mir, dann folgte ein Husten. Das Glas landete dumpf zurück auf der Tischplatte zwischen uns und der beklaute Kräuterhändler flötete: „Langsam, meine Liebe."

Von der geradezu ätzenden Flüssigkeit kräftig wachgerüttelt, blinzelte ich und presste stoßartig die Luft aus meinen Lungen. Das hatte ich gebraucht.

„Wie wäre es, wenn wir uns etwas ablenken? Lasst uns tanzen", schlug Traya heiter vor und stand schon auf, ihren Partner an der Hand.

Ich wollte nicht tanzen. Meine Gefühle fuhren Achterbahn und ich starrte ständig hinüber zu Chronya. Sie war eindeutig gefährlich. Ich wollte so weit wie möglich weg von ihr, gleichzeitig wollte ich wissen, in welche Machenschaften sie verstrickt war. Dass Atticus sich ihr allein stellte, gefiel mir gar nicht. Ich wusste, ich hatte auf unserer letzten Mission nicht gerade geglänzt, trotzdem fühlte ich mich seltsam in der Ecke abgestellt.

Mit einem erzwungenen Lächeln lehnte ich ab, klammerte mich lieber weiter an meine lange Perlenkette, während Traya und Eleazar in der Nähe des Tisches zu tanzen begannen. Die Musik um mich herum wurde lauter, das Gelächter dröhnte in meinen Ohren und klirrende Gläser wurden zu quälendem Kreischen. Meine Umgebung wurde mir zu viel, erfasste mich wie ein Wirbelsturm, bis ich plötzlich in seinem Auge ankam.

Auf einmal wurde es still. Gespenstisch still. Ich kannte das Gefühl aus meinen Träumen. Suchend sah ich mich um und verfing mich in einem Augenpaar, dass mir unheimlich bekannt vorkam. Mit der Anziehung eines Magneten schimmerten sie hinter einer dunklen Maske hervor, die das ganze Gesicht ihres Trägers verbarg. Sein Anblick gruselte mich, gleichzeitig überkam mein Körper das Bedürfnis, ihm in die Menge zu folgen.

Ich erinnerte mich an den Starbucks vor Pauli, an das Gefühl, meine Glieder zerrten mich in den Laden, das Verlangen meiner Muskeln, dem ich ohne große Willenskraft nicht entkam. Es war ein verwandtes Gefühl. Nicht so stark, doch die Ähnlichkeit war unverwechselbar.

Langsam stand ich auf und entschlüpfte dem wachenden Blick meiner tanzenden Betreuer. Die Gestalt, von der ich sicher war, ich kannte sie aus dem Nebel meiner Träume, drehte sich um und verschwamm in der Menge. Eilig setzte ich ihr nach, quetschte mich zwischen die Feierwütigen und fand mich bald verloren in ihrer See. Meine Augen drehten sich erratisch im Kreis, erfassten zuckende Beine, schwingende Arme und bebende Körper, doch von dem Fremden fehlte jede Spur.

Dann war da eine Stimme in meinem Nacken. Bei seinen Worten stellten sich mir die Haare auf.
Endlich kommst du zu mir, Lorien. Ich warte schon so lange auf dich."

Ich fuhr herum und erschrak vor der Nähe zu dem maskierten Gesicht, dass mich aus leuchtenden Augen ansah.
Haben dir die Schatten gefallen, die ich dir geschickt habe?"

Reflexartig stolperte ich zurück. Der Schock saß tief. Mein Kopf schwebte, fühlte sich wie Watte an. Das Säuseln der feinen Stimme drang durch meine Haut und jagte mir Schauer über den Rücken.
Keine Angst, meine Retterin."

„Wer bist du?", keuchte ich ratternden Atems und fürchtete mich vor der Antwort.

Wir sind verbunden, du und ich. Wir gehören zueinander", schmolz seine Stimme dahin, klang fragil und zugleich nach lebenserfahrener Stärke. „Gemeinsam, können wir eine neue Welt erschaffen. Die Fiktion von ihren Mauern befreien."

„Wieso sollte ich das wollen?"

Du könntest leben, wie du willst. Frei von Pflichten, frei von den Ketten deines Erbes. Alles wird möglich sein, alles und nichts. Was auch immer du begehrst."

Ich war klug genug, mich nicht auf ihn einzulassen.
„Nein!", wies ich ihn harsch zurück, drehte mich um und wollte fliehen, da tauchte er plötzlich wieder vor mir auf.

Spürst du sie nicht, die Verbindung unserer Wappen?", hauchte er mir entgegen. „Wie sie unsere Schicksale vereint?"

Panik klemmte mir in der Brust. Ich erinnerte mich, wie Silvius erzählte, der Schattenschreiber wäre ein Erbe der Gründer gewesen. Entweder aus meiner eigenen Blutlinie oder der ihres Pendants.
Zog es mich deswegen zu ihm?
Hatte er Recht, waren wir verbunden?
Die stockfinstere, steinschwere Masse in meinem Leib zermalmte die Befürchtung wie eine Lawine aus Teer. Nein. Selbst, wenn wir verwandt waren, war ich noch lange nicht wie er.

„Ich bestimme mein Schicksal selbst", behauptete ich mich fest und schoss ihm einen düsteren Blick entgegen.

Der Fremde trat einen Schritt auf mich zu, legte den Kopf zur Seite und brachte mich mit einer einfachen Frage ins Wanken: „Tust du das wirklich?"

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Festen Schrittes bahnte Atticus sich seinen Weg durch die tanzende Menge. Das Gewusel um ihn herum dröhnte in seinen Ohren und sein Inneres war mindestens genauso chaotisch wie dieser Saal voller feiernder Metawesen. In seiner Brust brannte ein merkwürdiges Gefühl, sein Magen war unruhig. Sich von Lorien zu entfernen war erleichternd, gleichzeitig begann er es zu bereuen, sie allein bei Laz gelassen zu haben. Was war über ihn gekommen? Die erst beste Chance auf eine Flucht hatte er ergriffen, dabei hatte er sich geschworen, sie diesmal dicht bei sich zu lassen.

Die Situation mit dem penetranten Halbrealen hatte für seinen inneren Tumult gesorgt. Was zur Hölle hatte er sich dabei gedacht? Es hätte auch andere Lösungen gegeben, als sie zu küssen. Viel zu lange zu küssen.
Effektiv war es gewesen, das stand fest, doch er kam nicht um die mulmige Ahnung herum, dass er auch hier auf die erst beste Chance aufgesprungen war.

Hatte er es gewollt?
Nein. Lächerlich. Das war Lila. Das kleine, nervige Gör, das ihm wider seinen Willen an den Hals gehängt worden war.
Doch er hatte sich kaum zügeln können, hatte sich regelrecht zwingen müssen, aufzuhören.

Ihm kreiste der Kopf, wie betrunken von ihren Lippen.
Seine Kehle war plötzlich staubtrocken, ihm war warm und er musste genervt die Fliege um seinen Hals lockern.

Konzentrier dich, ermahnte er sich selbst, blinzelte kräftig und versuchte, seine Partnerin aus seinen Gedanken zu verdrängen. Nach ihrem Kuss hatte Atticus sich einen Moment lang eingebildet, ihr hätte es gefallen, doch im Anschluss war der Umschwung zur Gleichgültigkeit so schnell gewesen, dass er gleich wieder daran gezweifelt hatte. In ihm herrschte nichts als Unverständnis, dass er sich überhaupt darüber den Kopf zerbrach.

Mehr aus Zwang als aus eigener Kraft drängte Atticus die Gedanken zurück, als er den Bereich der exklusiven Gäste erreichte und sein Blick auf die Hexe mit den Augen wie Blut fiel. Chronya. Sollte sie tatsächlich für einen Schattenritter oder gar den Schattenschreiber selbst arbeiten, war es vielleicht besser, dass Lorien bei Laz geblieben war. Wenn sie von ihr erfuhr, stand ihr Leben auf dem Spiel.

Entschlossen trat Atticus vor, gelangte an zwei muskelbepackten Schwergewichten vorbei, bis ein Dritter ihn kurz vor Chronyas Couch abfing.
„Du hast hier nichts verloren, Freundchen. Verzieh dich", murrte das zerklüftete Gesicht seines Gegenübers und markierte mit seiner Hand die Grenze vor Atts Brust. Hartnäckig funkelte der Hüter ihm entgegen. „Ich suche nach Chronya. Ich bin geschäftlich hier."

Das offenbar als Wächter abgestellte Metawesen wollte ihm bereits den Marsch blasen, da schnippte seine Herrin ihn zurück. Mit finsterem Blick musste das Muskelpaket sich zurückziehen und ohne seine massige Gestalt war dort nichts mehr, das zwischen dem Hüter und der tückischen Magus stand. Ihre blutroten Augen trafen ihn wie zwei glühende Sonnen, brannten in ihn hinein und verengten sich, ehe sie ein breites Grinsen wieder auflockerte.
Ihre knochigen Finger boten ihm an, Platz zu nehmen. Atticus nahm an, ging um die Couch herum und ließ sich ihr gegenüber nieder.

„Geschäftlich, hm?", wiederholte sie seine Wortwahl in einer kratzigen, süffisanten Stimme, die einem gleich nicht geheuer war. Das schulterlange, weiße Haar schien keinen einheitlichen Schnitt zu besitzen. Manche Strähnen waren länger, manche wieder kürzer und manche ragten aus ihrem Kopf wie spitze Dornen. Es war ein wirrer Anblick, so wirr wie die Tiefen ihrer Pupillen. Aus unerfindlichen Gründen wiegte sich ihr Kopf amüsiert zur Seite, als Atticus meinte: „Ich hörte, Ihr heuert Leute an. Ich bin interessiert."

Sie schien für einen Moment abzuwägen, was sie erwidern sollte, ging dann jedoch darauf ein: „Das sind so einige. Was kannst du mir bieten?"

Atticus hatte sich schon gedacht, sie könnte so etwas fragen und hatte sich etwas ausgesucht, das er im Zweifelsfall demonstrieren konnte: „Ich kann Waffen energetisch verstärken."

Dass es sein Wappen brauchte, um jene Waffen zu führen, ließ er tunlichst aus. Er wollte sie nur aushorchen. Zu tatsächlicher Arbeit für sie würde es nicht kommen.

„Das klingt tatsächlich nützlich", räumte die Hexe ein, griff nach ihrem Glas, in dem eine giftgrüne Flüssigkeit schwamm, und nahm einen großzügigen Schluck. Nachdem sie theatralisch ausgeatmet und ihr Getränk zurück auf den Tisch gestellt hatte, fügte sie reißerisch hinzu: „Da gibt es nur ein Problem."

„Ach ja?", gab sich der Hüter unbeeindruckt, ahnte innerlich hingegen Böses. Und seine Bauchgefühl lag goldrichtig. Das wusste er schon, als sich dieses gehässige, breite Grinsen um ihre Lippen riss.
„Mein Meister macht keine Geschäfte mit Deinesgleichen."

Atticus' Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie wusste es. Sie wusste, dass er ein Hüter war. Die ganze Zeit hatte sie es gewusst und sein Spielchen nur aus perfidem Vergnügen mitgespielt. Angriffslust blitzte in ihren roten Augen und sie lehnte sich vor, um ihre nächsten Worte zu intensivieren.
„Ich freue mich schon darauf, dich auszuweiden, sobald er dich nicht mehr braucht, Hawtrey."

Da war mehr. Etwas stimmte nicht. Ihn als Hüter zu erkennen war eine Sache, seinen Namen und Identität zu wissen eine andere. Was ging hier vor sich? Es war schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren.
„Wer ist er?", zischte Atticus, begegnete ihrem dreisten Blick mit Härte. „Wofür braucht er mich?"

Die Halbreale grinste diabolisch, ließ ihre Krallen spielen und sah den Hüter für einen quälenden Moment nur wissend an. Dann, endlich, rückte sie mit der Sprache heraus und Atticus blieb das Herz stehen.

„Du bewachst seine kleine, wertvolle Hazy."

Es war, als hätte sie eine Bombe gezündet. Ihre Worte klingelten in seinen Ohren. All der Aufwand, Loriens Leben geheim zu halten, war vergebene Mühe gewesen. Für wen auch immer Chronya arbeitete: Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass eine Nachfahrin der Gründer existierte.

Ups, wo ist sie hin?", spielte die Hexe belustigt mit seiner Angst. „Ich hoffe, dem süßen Ding stößt nichts zu."

Sein Blick raste zum Tisch von Traya und Laz. Er sah die beiden in der Nähe tanzen, doch von Lorien fehlte jede Spur. Neben ihm stieß das rotäugige Metawesen ein teuflisches Lachen aus. Sofort sprang er auf, ließ die Hexe hinter sich und hastete zu seinem tanzenden Freund. Sie mussten hier weg. Ein ganz übles Gefühl rumorte in seiner Brust.

„Wo ist Lorien?", packte Atticus den blassen Magus barsch an der Schulter, als er ihn erreichte und riss ihn dabei von Traya weg. Während seine Begleitung erschrocken dreinschaute, wanderte Laz' Blick fassungslos umher. Der Hüter erkannte die aufrichtige Verwirrung in seinen Augen, als er meinte, sie wäre eben noch hier gewesen, doch die brachte ihm auch nichts.

„Du solltest auf sie Acht geben, Laz!", fuhr er ihn an und der Kräuterhändler schlug betroffen die Hände über dem Kopf zusammen.
„Sie saß gerade noch neben uns!"

Atticus hatte keine Zeit dafür. Ohne weitere Unschweife, ließ er Laz und Traya stehen und stürzte sich suchend in die Menge. Das konnte nicht wahr sein.
Nicht schon wieder.

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Tust du das wirklich?

Die Worte des Mannes aus den Schatten hallten in meinem Schädel wie ein schauriges, tiefes Echo.
Nein. Eigentlich hatte ich in letzter Zeit gar nichts selbst bestimmt. Vor allem nicht mein Schicksal. Mein Erbe, mein Wappen, hatten es mir vorgegeben und ich war hilflos in eine Welt gerutscht, die mir an den Kragen wollte. Die eigene Wohnung in Köln schien inzwischen ein Ding der Unmöglichkeit. Das Vorhaben, mein Wappen zu vervollständigen und Kontrolle zu erlangen, um dann wieder abzuhauen, ebenso. Gar lächerlich.

Nicht nur die Bewohner der Detektei waren mir ans Herz gewachsen, ich war mir auch sicher, dass, egal wohin ich flüchten würde, ich meinem Erbe niemals entkommen würde. Nicht physisch und auch nicht psychisch. Ich war mir nicht mal mehr sicher, ob ich das überhaupt noch wollte.

„Lila!"
Eine ferne Stimme zog mich aus meinen Gedanken. Der hassgeliebte Spitzname für mich konnte nur zu einer Person gehören und ich horchte auf. Ich sah, wie sich die aschblonde, hochgewachsene Gestalt meines Partners durch die Menge zwängte, ein gehetzter Ausdruck im Gesicht. Mein Blick flog zurück zu dem Unbekannten, doch er war verschwunden. Ich meinte noch einen Bruchteil seines Rückens auszumachen, als er im Meer der tanzenden Körper untertauchte, dann wurde ich mit Kraft an der Schulter gepackt.

„Wir müssen hier weg", schwang eine Mischung aus Beunruhigung und Bedrängnis in Atticus' Tonfall mit, die ich so von ihm nicht kannte. Er begann mich aus der Masse zu ziehen, unterdessen sprudelte es hektisch aus mir heraus: „Er ist hier, Atticus!"
„Später, Lila", tat er mich ab, schien mir gar nicht richtig zugehört zu haben.
„Er ist hier! Er war gerade noch hier! Er wollte, dass ich ihm helfe, irgendwelche Mauern der Fiktion niederzureißen!"
Der Hüter hielt abrupt inne, starrte mich an. „Was?"

„Der Schattenschreiber, Silvius hatte Recht! Er wollte, dass ich ihm helfe, genau wie in meinen Träumen, und—..."
„In deinen Träumen?", unterbrach er mich perplex. „Was soll das heißen, in deinen Träumen?"
Ich zögerte einen Moment, doch es brachte nichts, es länger für mich zu behalten.
„Da war so eine Gestalt in den Schatten meiner Träume... Ständig rief sie nach mir, wollte meine Hilfe..."
„Warum hast du das niemandem erzählt?!"
„Ich wusste nicht, wer oder was es war! Ich dachte, es wäre Teil meines Erbes! Meine Ahnen oder sowas!"

Atticus schloss angespannt die Augen, seine Lippen formten eine verpresste Linie. Ich wusste, wir waren in der Lage, uns lange darüber zu streiten, aber der Hüter schluckte die Vorwürfe hinunter und brach es ab.
„Wir sprechen später darüber. Hier ist es nicht sicher, wir müssen hier weg", orderte er, packte mich wieder am Oberarm und zog mich weiter.
„Was ist bei Chronya passiert?", ahnte ich, dass etwas schiefgelaufen war.

„Sie wusste alles."
„Alles?"
„Wer du bist, wer ich bin... wir waren naiv", zischte er angestrengt, presste uns in eine abgeschiedene Ecke des Saals und sprang in einer unbeobachteten Sekunde in den Sog zurück zum Portal. Die beklommene Angst kroch in ihren altbewährten Sitz in meiner Brust. Silvius' Plan war fehlgeschlagen. Meine Existenz war von vornherein kein Geheimnis gewesen.

Der Sturm um uns herum tobte düster. Er kam mir gewaltsamer vor als sonst, lauter. Ich wagte kaum, mich zu bewegen.

Auf einmal war da eine Hand. Eine, die nicht zu meinem Partner gehörte. Sie streckte sich nach mir aus, wie schon in meinen Träumen, und ich wusste sofort, zu wem sie gehörte.
Lorien..."

Vor Schreck stieß ich gegen Atticus, der verzweifelt versuchte, mich noch irgendwie zu umklammern, damit er mich nicht im Sturm verlor. Er schaffte es im letzten Moment. Doch der Preis war die rechte Bahn zum Portal.

Gemeinsam rissen wir aus dem Sog, verloren sein greifbares Ziel und stürzten in unberechenbare Dunkelheit.

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