➺ 24.✍︎
𝓒𝙷𝚁𝙾𝙽𝚈𝙰
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🅅erwirrtes Blinzeln war alles, was zurückblieb, als Lorien an ihm vorbeihechtete. Das Nervenbündel einer Partnerin verschwand schneller in ihrem Zimmer, als er gucken konnte und Atticus fragte sich, was heute nur los war. Schon während des Abendessens war die Stimmung zwischen ihnen merkwürdig gewesen. Sie hatten sich gemieden und Atticus musste sich widerwillig eingestehen, dass er auch seinen Teil dazu beigetragen hatte. Die Panik der letzten Nacht hatte ihm vor Augen geführt, wieviel sie ihm doch inzwischen bedeutete. Seine heftige Reaktion gestern hatte ihn selbst völlig unerwartet getroffen, ihm in jenem Moment den klaren Verstand geraubt. Er war fast noch wütender mit sich selbst gewesen, als er ihren Zustand nach der Mission gesehen hatte. Und wie fremdgesteuert hatte er sich danach in ihrer Nähe wiedergefunden.
Natürlich sorgst du dich, sie ist deine Partnerin und Silvius' heilige Hazy, schoss es ihm abwehrend durch den Kopf, Er hätte dich umgebracht, hättest du sie verloren.
Dass es ihn auch ohne das Nachhelfen seines Magisters umgebracht hätte, sie zu verlieren, ignorierte er.
Atticus schickte der kleinen Hazy seinen Spürsinn nach und fand sie im Bett. Vermutlich brauchte sie wirklich einfach etwas Ruhe. Kopfschüttelnd riss er sich von ihr los, band sich im Gehen die Fliege um den Hals, für die er eben noch einen Abstecher in sein Zimmer unternommen hatte, und steuerte in die Bibliothek. Ein wenig Abstand täte ihnen gut. Bald würden die Spuren der letzten Nacht wieder abklingen.
Außerdem wartete Laz mit Sicherheit schon. Mithilfe des besonderen Nexus, dem kleinen Lederbüchlein, hatten sie sich für heute verabredet. Atticus brauchte neuen Stoff, doch das hätte noch zwei, drei Tage warten können. Eleazar war derjenige gewesen, der ihr Treffen hatte vorziehen wollen und Atticus brannte darauf, zu erfahren, wieso. Hatte er etwas herausgefunden? Ging es um seine Augen?
Eilig legte der Hüter den Nexus auf das Pult, aktivierte das Portal, und trat seine Reise an.
Im Emporium, dem größten zwischenweltlichen Gasthaus und ihrem Standart-Treffpunkt, war an diesem Abend besonders viel los. Die Geräuschkulisse war laut und ausgelassen, es wurde getrunken, gespielt und gelacht und es war ein Leichtes, in der Menge unterzutauchen. Atticus manövrierte sich an einer Gruppe aus Hornträgern, Feenwesen und Koboltstämmigen vorbei, die ihr Glück in den Karten von Blunder's Eye suchten und drängte zu einer der Bartheken am hinteren Ende des Saals.
Traya, Eleazars langjährige Lebensgefährtin und eine der hiesigen Entertainer, stand heute nicht auf der Bühne. Anstelle ihrer eleganten Silhouette zeichnete sich die klobige Gestalt eines krötenähnlichen Wesens hinter dem Mikrofon ab, das seine rauchige Stimme durch die Kuppel rollte.
Atticus interessierte sich nicht für die Musik. Seine Schritte führten ihn streng geradeaus, sein Ziel genau im Blick. Der dunkelviolette Hinterkopf seines alten Freundes warf die einzelnen, langen Strähnen seinen Rücken hinab, den ein silbrig schwarzer Stoff kleidete.
„Laz", sprach der Hüter ihn an, als er ihn erreichte und wollte sich bereits neben ihn setzen, da stand besagtes Metawesen auf, packte ihn am Arm und hielt ihn davon ab.
„Nicht hier", huschten gesenkte Worte über sein blasses Gesicht, das von einem ungewöhnlich ernsten Ausdruck belegt wurde. Kurz glitt sein fliederfarbener Blick über den Raum, dann zog er Atticus zu einem abgeschiedenen Ecktisch, wo sie sich auf die von weinrotem Samt überzogenen Bänke niederließen.
„Was ist los?", wollte der Hüter den Grund für seine übermäßige Geheimniskrämerei wissen und Eleazar atmete einmal tief durch.
„Ich habe Neuigkeiten."
Spannung baute sich in Atts Magengegend auf. Eigentlich war er kein Freund von falscher Hoffnung und im folgenden Moment wurde er bitter daran erinnert, wieso.
„Es geht um ein Metawesen."
Sofort zog sein Bauch sich zusammen und der Hüter musste mit einem die verkrampften Muskeln lockernden Hüsteln über die Enttäuschung hinwegblenden.
„Ein Metawesen?"
„Du wolltest doch wissen, wenn ich etwas zu dem spurenvertauschten Fremdkörper herausbekomme, richtig?"
Atticus presste seine Finger für einen Moment gegen die Schläfe, dann erwiderte er: „Richtig."
„Nun, ich denke, ich habe gefunden, nach wem du suchst", fuhr Eleazar fort und begann, sich eindringlich vorzulehnen. „Zuletzt besuchte ich einen Stammkunden von mir, um ihm seine übliche Lieferung zu bringen. Dieses Mal jedoch, lehnte er meine Dienste plötzlich ab. Meinte, er hätte die Wahre bereits woanders bekommen, in Kombination mit einem lukrativen Job."
Atticus' enttäuschte Hoffnungen krochen zurück in seine Tiefen und der Fokus auf sein Handwerk kletterte hervor. Seine Augen verengten sich argwöhnisch und ein ahnungsvolles Funkeln blitzte auf. Wenn es stimmte, was Laz sagte, dann trieb sich tatsächlich ein neuer Magus um. Es konnte Zufall sein, dass gerade jetzt in Laz' Kreisen Konkurrenz auftrat, doch dafür waren Magi zu selten. Bisher war Eleazar das einzige Exemplar gewesen, das ihm in seinem ganzen Leben und Laufbahn als DEF je untergekommen war. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es sich bei Laz' Magus und der 'Hexe mit den roten Augen' um ein und dasselbe Metawesen handelte. Dass Laz nicht selbst hinter den aktuellen Vorkommnissen der Fiktion steckte, hatte Atticus gewusst. Beweisen konnte er es, seit er von den roten Augen des eigentlichen Unruhestifters gehört hatte. Eleazars Brandmal waren seine fliederfarbenen Iriden. Egal, was er an sich veränderte, diese Iriden würden immer gleichbleiben. Wenn das gesuchte Metawesen also tatsächlich rote Augen hatte, konnte Eleazar kategorisch ausgeschlossen werden.
„Hast du es schonmal gesehen?", hakte der Hüter nach und Laz nickte.
„Flüchtig."
„Hat es zufällig Augen wie Blut?"
Die Brauen des Kräuterhändlers wanderten erstaunt in die Höhe. „Allerdings. Woher..?"
„Wir sind vor kurzem während einer Mission auf so ein Metawesen gestoßen. Es wurde mit blutroten Augen beschrieben. Außerdem weiblich."
„Ihr Name ist Chronya. Viel konnte ich nicht über sie erfahren, ich kam bisher nicht besonders nahe an sie heran, doch es kursieren Gerüchte, sie heuere für irgendjemanden Leute an."
„Sie heuert Leute an?"
„Es wird erzählt, sie verspricht eine endlose Energiereserve und eine neue, freie Welt."
Eine endlose Energiereserve? Das klang gefährlich nach dem Zweck dieser spurenverstümmelnden Geräte, die sie in der Fiktion an arme Laborratten verteilte. Was die neue, freie Welt betraf... das kam Silvius' Verschwörungstheorien fürchterlich nahe. Zu nahe, für seinen Geschmack.
„Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Att. Da braut sich etwas zusammen", vertieften sich die Furchen auf Eleazars Stirn. „Der Orden muss doch davon mitkriegen..."
„Silvius sagt, er stecke mit drin. Seit Jahren, Jahrzehnten. Er sagt, die Anhänger des Schattenschreibers existieren noch und bereiten sich auf Krieg vor", erwiderte der Hüter gezwungen. „Ich habe ihm bisher nicht geglaubt. Ein Teil von mir will ihm noch immer nicht glauben."
Atticus war im Orden groß geworden. Hatte sein Leben, seine Ausbildung und seine Dienste seinen Idealen gewidmet und hatte geglaubt, Teil einer stolzen und ehrenhaften Institution zu sein. Dann kam der Tag, als sie ihn fallenließen wie invalider Ballast und obwohl er an diesem Tag zu zweifeln und zu hassen begann, hatte er sich nie ganz von ihm freimachen können.
„Schattenschreiber...", hauchte Laz und sein Blick entglitt für einen Moment ins Nichts. Im Hintergrund grölte das Gasthaus, doch zwischen ihnen breitete sich eine Stille aus, die erst brach, als der Kräuterhändler zur Besinnung kam. „Der Orden hat damals viel im Krieg gegen ihn verloren. Vielleicht zu viel."
„Du hast den sagenumwobenen Krieg gegen dieses Phantom miterlebt? Die Schauermärchen sind wahr?", reagierte Atticus völlig überrumpelt.
„Ich bin alt, mein Freund. Älter, als ich meist zugeben will."
„Du hast mir nie davon erzählt."
„Es kam nie auf. Außerdem liegt es weit in der Vergangenheit. In all den Jahren bin ich selten noch einem Nachfahren der Schattenritter begegnet. Ich hätte nie gedacht, dass...", schüttelte Eleazar den Kopf und schnaubte ungläubig.
„Was weißt du von den Gründern?", bohrte der Hüter nach und hatte für Silvius' Geschichten ein vollkommen neues Interesse entdeckt. Wie heiße Glut begann es in ihm zu brennen, schürte Misstrauen und Skepsis gegenüber allem, was er bisher vom Orden gelernt hatte. Silvius hatte die Zweifel über lange Zeit in ihm gesät, mit Laz' Untermauerung begannen sie endlich zu keimen. Für wen oder was hatte er als DEF eigentlich gearbeitet? Warum wurde der Schattenschreiber als Mythos abgetan? Und wieso lehrte man die Geschichten der Gründer nicht mehr?
„Die Anfänge des Ordens liegen selbst außerhalb meiner Lebensspanne. Doch ich weiß, dass es sich um die zwei mächtigsten Blutlinien handelt, die die Hüterwelt je kannte", begann Eleazar zu erzählen. „Vor der Zeit des Schattenschreibers hatte ich wenig mit dem Orden zutun. Wenig mit Hütern oder gar den Gründern. Metawesen waren freie Geschöpfe, solange sie kein Unheil anrichteten. Die aktive Verfolgung begann erst Jahre nach dem großen Krieg. Auf einmal wurde die Hüterwelt paranoid. Sie sperrte alles weg, was ihr potentiell gefährlich werden konnte, selbst ihre eigenen Gründer. Seither sind Informationen über die zwei Urgeschlechter streng limitiert. Aber man sagt, die Mächte ihrer Wappen wären vereint unbezwingbar. Sie wollen zueinander, sie gehören zusammen. Gemeinsam bildeten sie das Fundament von allem, was den Orden ausmacht. Bis sie verschwanden."
Atticus' Faust wanderte an seine Lippen, stützte sein Kinn und seinen ungewöhnlich schweren Kopf. Eleazar fügte grämlich hinzu: „Was auch immer sich in euren Reihen und der Fiktion zusammenbraut, der Orden ist im Kampf dagegen nicht gut aufgestellt."
Genau, was sich seine Gegner wünschen würden. Genau, worauf sie abzielen würden, bereiteten sie etwas vor.
Herrgott, er klang ja bereits wie Silvius. Nach Eleazars Geschichten, wurde es immer schwieriger, alles abzustreiten.
Was hast du damals als DEF für den Orden getan, Atticus? Wofür haben sie ihre besten Jäger eingesetzt? Und was verbreitet nun mit seinen Fähigkeiten eine spurenverändernde Technologie in der Fiktion?
Silvius Stimme waberte durch seinen Kopf wie unheilvoller Nebel im Moor.
Er hatte fast sein ganzes Leben in einer Einheit gedient, die ihn, sollten Silvius' Anschuldigungen wahr sein, für ihre dunklen Zwecke missbraucht hatte. Eben zu Tisch hatte er die Verbindung nicht ziehen wollen, doch Silvius hatte Recht. Sie hatten einen Magus gesucht.
Die Erinnerung an die Mission, die ihn mit Eleazar bekannt gemacht hatte, kehrte zurück. Eigentlich hatte Atticus an jenem Tag gar nicht in seiner Einheit gedient. Man hatte ihn aufgrund von einem Krankheitsfall verliehen, auf die Suche nach einem als gefährlich eingestuften Entflohenen angesetzt. Als sein Lesegerät damals die fehlende Spur von Laz registriert hatte, war es purer Zufall gewesen. Purer Zufall und Schicksal. Atticus hatte gesehen, womit er das fieberkranke Kind versorgt hatte und sofort gewusst, was er war. Die Kräuter gehörten nicht in die Welt, in der sie sich befunden hatten. Er musste sie unbemerkt hergebracht haben. Er musste sie getauscht haben. Atticus hatte gefunden, was der Orden suchte. Blind hatte er ihn verfolgt, bereits geglaubt, dieser Fang brächte ihm den Höhepunkt seiner Karriere, doch in dem Moment, als Laz ihn rettete und flehend vor ihm stand, war er zu Eis erstarrt. Er wusste bis heute nicht, wieso, doch da war diese dunkle Ahnung gewesen. Dieses faulige Gefühl, dass ihn davon abgehalten hatte. Er hatte ihn gehen lassen. Er hatte dem Orden verwehrt, was er verlangte. Und er hatte es nie bereut.
„Wie konnten wir über all das nie reden...", verzweifelte der Hüter an der erschlagenden Realität.
„Damals hattest du andere Sorgen. Und vom Orden wolltest du nichts mehr wissen. Warum hätten wir je darüber reden sollen?"
„Wir hätten es besser getan!"
„Was hätte das geändert?"
Atticus fuhr sich durchs Gesicht und stand ratlos den Fakten und Indizien gegenüber. Was er zusätzlich realisierte: Silvius hatte die kleine Hazy nicht nur aus Sentimentalität zu seiner vergangenen Liebe aufgenommen. Wenn es Krieg geben würde, musste er das Fundament des Ordens wieder aufbauen, ihn widerstandsfähiger machen. Lorien war sein Schlüsselstück.
Die Falten auf Atticus Stirn wurden immer tiefer. Lorien war nicht dafür geschaffen. Zum Teufel, sie kam die meiste Zeit nicht mal allein aus einem Buch, wie sollte sie für den Orden kämpfen?
Vielleicht sollte er ihr bald doch eine Waffe in die Hand drücken... obwohl ihre Verteidigung wackeliger als ein Huhn auf Stelzen stand. Sie würde kaum mit einer Waffe umgehen können. Aber irgendetwas musste er tun...
„Atticus", riss Laz ihn aus seinen Gedanken und sah ihn eindringlich an, „wir sollten uns lieber überlegen, wie unser weiteres Vorgehen aussieht."
Kurz starrte der Hüter seinem alten Freund entgegen und sammelte seinen Verstand, dann blinzelte er und meinte mit neuer Bestimmung: „Wir müssen mehr über den Drahtzieher und seine Pläne erfahren. Wo finde ich diesen Magus? Diese Chronya?"
Eleazar warf wieder einen verstohlenen Blick in seine Umgebung, um sich zu vergewissern, dass ihr Gespräch unter ihnen blieb, doch ihr Tisch lag abseits und es war niemand in Hörweite, also entgegnete er: „Bald findet eine exklusive Feier im Gatsby statt. Ich kann uns Zutritt verschaffen, doch ich würde dir raten, eine Begleitung mitzunehmen, wenn du den Abend ungestört verbringen willst. Es ist eine Tijan'Oura."
Leidig brummte der Hüter in sich hinein. Eine Tijan'Oura war eine zwischenweltliche Ballsfeier. Es wurde festliche Kleidung und Maske getragen, es wurde viel getrunken und es wurde viel getanzt. Es wurden bestehende Partner vorgeführt, es wurden neue Partner gesucht und meist kam es gar nicht gut an, sich auf solchen Feiern rar zu machen. Zwischenweltliche konnten aufdringlich sein. Vor allem, wenn sie alkoholisiert waren. Sie waren oft freizügiger, offener mit ihren Begierden — insbesondere ihrer Streitlust. Häufige Abweisungen würden auffallen. Laz hatte Recht, der sicherste Weg, eine erste Hürde aufzubauen, war eine Begleitung. Eine Begleitung suggerierte Geschlossenheit, zumindest in den meisten Fällen und abgesehen davon handelte es sich um eine Mission, für die ihm Silvius ohnehin seine Partnerin an die Hacken hängen würde. Nicht, dass er begeistert war, Lorien mitten unter Metawesen zu ziehen. Doch eine andere Begleitoption blieb ihm nicht.
Er versicherte Eleazar, er würde da sein. Dann brauchte er nach diesem elenden Abend einen Drink. Und heute war ihm nichts zu schade, nicht einmal der hiesige Teufelstrunk. Der kam ihm gerade recht.
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