8.| L i l l y
Ich schaue auf mein Handy. Seit Stunden versucht Grace mich zu erreichen, doch ich drücke sie jedes mal weg. Ich kann nicht mir ihr sprechen. Nicht jetzt. Nicht nachdem was passiert ist.
Die Wunde, die die gestrige Situation hinterlassen hat, ist zu groß und tut noch zu stark weh.
Vielleicht übertreibe ich. Vielleicht ist es dumm, Grace die Schuld zu geben. Aber ich kann es nicht lassen. Ich kann nicht aufhören zu denken, dass sie genauso wie ihre Eltern über unsere Beziehung denkt.
Genervt werfe ich mein Handy auf einen Haufen Zettel. Ich bin am Lernen, und kann eigentlich keine Ablenkung gebrauchen. Konzentriert gehe ich den Stoff der letzten Wochen durch, denn in zwei Tagen soll bereits meine erste Prüfung anstehen. Ich überlege, ob Grace gerade auch schon am lernen ist. Ob sie vielleicht meine Hilfe braucht?
Nein. Nein, ermahne ich mich und richte meinen Blick wieder auf meine Aufgaben. Sie bereiten mir absolut keine Schwierigkeiten, aber dennoch kann ich mich auf nichts konzentrieren.
Immer wieder sehe ich Grace vor meinen Augen. Eigentlich sollte ich mich schuldig fühlen. Ich war es, die unsere Liebe geleugnet hatte. Mein Handy klingelt erneut, und für eine Sekunde überlege ich, tatsächlich anzunehmen.
Ich tue es nicht, sondern kritzle wie ein Verrückte irgendwelche Symbole auf meinen Collageblock. Ich brauche Ablenkung, und beschließe in der Bäckerei vorbeizuschauen. Ich bin nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Kunde.
Ich sortiere meine Lernzettel und packe sie zusammen mit meinen Büchern in meinen Rucksack.
Dann mache ich mich auf den Weg. Die Straßen sind befahren und es ist laut. Es ist das erste mal seit Monaten, dass ich einen Tag verbringe, ohne Grace zu sehen und es bricht mir das Herz.
Die Frage, wie es gestern überhaupt zu all dem kommen konnte, spuckt mir immer noch im Kopf herum. Wer war Schuld daran? Mich durchfluten tausende Gefühle, die ich nicht einordnen kann.
Mein Kopf tut weh, von all den Gedanken die auf mich einströmen und ich bleibe für einen Moment stehen, um mich zu fassen.
Ich habe das Gefühl, es würde gleich regnen und beschleunige meine Schritte. Die Gedanken und Sorgen lasse ich hinter mir. Vielleicht ist es besser so.
Langsam kann ich den kleinen Laden erblicken und laufe noch ein bisschen schneller, denn langsam fallen dicke Tropfen vom Himmel.
Mir läuft eine Gänsehaut über den ganzen Körper, als ich mich an den ersten Kuss mit Grace erinnere.
Wir waren unsicher und hatten beide Angst vor der Reaktion der Anderen. Es begann zu regnen, und alles fügte sich so wie es schon immer hätte sein sollen.
Erneut fließen Tränen über meine Wangen und ich kann nicht glauben, dass ich ohne Grace unterwegs war. Das sie alleine war, bei ihren Eltern.
Ich konnte mir glaube ich gar nicht vorstellen, was sie gerade durchmachen musste. Vielleicht hatte es einen guten Grund gegeben, dass wir es ihren Eltern nie erzählt hatten.
Ich muss die ganze Trauer herunterschlucken und mich fassen. Dann gehe ich in die Bäckerei.
Der Duft von frisch Gebackenen strömt mir entgegen und ich atme tief ein und aus.
Für mich riecht es nach Hause und ich muss sofort lächeln. Ich bin gerne hier.
Meine eigentliche Chefin kommt auf mich zu und sieht mich an.
Sie erkennt sofort, dass etwas nicht stimmt. Wenn mich jemand kennt, dann sie. Immer wenn etwas war, hat sie es verstanden und mir geholfen. Wie auch diesmal.
Eigentlich möchte ich nicht über diesen Vorfall sprechen, aber es ganz für mich behalten kann ich es auch nicht.
Die Dame kommt zu mir und nimmt meine Hand. Dann zieht sie mich zu einen der Tische, die weiter hinten stehen. Sie sieht müde aus, dennoch nimmt sie sich Zeit für mich.
"Was ist los Lilly?" , fragt sie lieb und gibt mir einen Augenblick um meine Gedanken zu sortieren. Dann kann ich beginnen zu sprechen.
"Ich..." , fange ich an, doch meine Stimme bricht bereits nach dem ersten Wort.
Meine Arbeitgeberin wartet erneut. Sie scheint geduldig zu sein, und ich zwinge mich die Tränen zurückzuhalten.
"Die Eltern meiner Freundin haben es erfahren." , flüstere ich und es ist mir fast unangenehm. Sie sieht mich verwundert an, doch dann trifft sie die Erkenntnis wie ein Schlag.
"Sie akzeptieren es nicht?" , fragt sie und in ihren Augen schimmern Tränen.
Ich nicke stumm und beginne erneut zu weinen.
Ich kann es einfach nicht glauben.
Grace Eltern sind Ärzte. Sie müssten wissen, dass jeder Mensch gleich ist.
Das jeder Mensch das Recht hat, glücklich zu sein und geliebt zu werden.
Ich bin dankbar, dass meine Mutter nie ein Problem damit hatte.
Sie hat Grace immer mit offenen Armen empfangen, doch bei Grace Eltern fühle ich mich falsch und verstoßen.
Als hätte ich etwas getan, was verboten oder illegal ist.
Dabei ist es einfach nur Liebe die uns verbindet.
Meine Chefin sieht mich traurig an. Sie kann es genauso wenig verstehen wie ich, und irgendwie fühlt es sich gut an. Es fühlt sich gut an, nicht alleine zu sein oder zu wissen, dass man es nie war.
"Bleib sitzen." , sagt sie dann und sieht mich eindrücklich an. Ich tue was sie sagt, und wenig später kommt sie mit einer Tasse Kaffee zurück.
Mit Karamell.
So wie ich es am liebsten habe.
Ich lächele sie dankbar an und sie setzt sich erneut zu mir.
"Was willst du jetzt machen?" , fragt sie und ich nehme den ersten Schluck aus meiner Tasse.
Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung.
Ich zucke mit den Schultern und setzte die Tasse ab.
Dann sehe ich sie an und beginne zu überlegen.
"Sie ruft ständig an und ich..." , fange ich an doch meine Chefin unterbricht mich.
"Du gehst nicht dran. Habe ich Recht?" , will sie wissen und ich nicke.
Sie schüttelt den Kopf, als wäre es das Schlimmste was ich hätte tun können.
"Wie willst du das Ganze aus der Welt schaffen, wenn du nicht mit ihr sprichst?" , fragt sie und ich habe keine Antwort darauf.
Jetzt wo sie es so anspricht, komme ich mir ziemlich dämlich vor.
Grace hatte überhaupt keine Schuld an der Ganzen Sache.
"Ich muss los." , sage ich stehe auf.
Die alte Dame nickt und schenkt mir ein letztes Lächeln, bevor ich dankbar den Laden verlasse.
Es hat begonnen noch stärker zu regnen, doch es macht mir diesmal nichts aus.
Der Regen durchnässt meine kompletten Klamotten und auch meine Haare fallen mir bereits strähnig ins Gesicht.
Ich ignoriere es, und laufe in Richtung Graces Haus.
Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, aber das ist auch egal.
Wichtig ist nur, dass ich sie sehe. Mit ihr spreche.
Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich nicht zu meiner Liebe gestanden habe. Das ich behauptet hätte, es sei nicht das wonach es aussieht, denn genau das war es.
Und ich habe es schon immer gewusst.
Die Straße wird schmaler und ich biege um die nächste Ecke.
Aus dem harmlosen Regen von vorhin, ist bereits ein richtiges Gewitter geworden und die Tropfen fließen nun wie ein Fluss über meinen Körper.
Die Kälte schüttelt mich und ich kann die Regentropfen nicht mehr von den Tränen unterscheiden, die über mein Gesicht rinnen.
Endlich sehe ich das Haus, indem Grace seit einigen Jahren mit ihren Eltern lebt.
Als meine Gedanken zu dem vergangenen Tag schweifen, durchfährt mich ein Schauer.
Der Regen fließt unaufhaltsam über mich und ich sehe schon nichts mehr, außer die schwarze Mascara, die sich über mein Gesicht verteilt. Ich muss schrecklich aussehen.
Ich gehe noch weiter auf das große Haus zu, kann jedoch nicht erkennen, ob überhaupt jemand dort ist.
Kurzerhand entscheide ich mich dazu, einfach zu klingeln.
Ich höre Schritte im Treppenhaus und dann öffnet ihr Vater die schwere Haustüre. Mir bleibt das Herz stehen.
"Hallo." , flüstere ich und fahre direkt fort. "Ich bin Lilly." , sage ich und lächele schüchtern.
Ich kann kein Emotionen in seinem Gesicht erkennen, was mir fremd ist. Grace ist ein absolut empathischer Mensch und sie sagt immer genau das was sie denkt.
"Ich weiß genau wer du bist." , sagt er nun und seine Stimme klingt so furchterregend, dass ich innerlich zu zittern beginne.
Wie konnte dieser Mann Graces Vater sein?
Hinter ihm, kann ich nun auch ihre Mutter erkennen.
Sie hat ihre braunen Haare hochgesteckt, und erst jetzt fällt mir auf, dass Grace ihrer Mutter aus dem Gesicht geschnitten ist.
Beide haben wunderschöne grüne Augen, die in der Sonne noch heller leuchten und einen Mund, der perfekt geschwungen ist.
Ich lächele automatisch, doch auch ihre Mutter zeigt keinerlei Reaktion auf mich.
Um es nicht ganz ins Lächerliche zu ziehen, räuspere ich mich und versuche dann, einen anständigen Satz über meine Lippen zu bekommen. Es fällt mir ausgesprochen schwerer, als ich erwartet hätte. "Ich würde gerne zu Grace." , sage ich selbstbewusst und mache mich noch ein Stück größer.
Ihren Namen nun auszusprechen, tut mir im Herzen weh.
"Nein." , sagt ihr Vater und erneut bekomme ich Angst.
Ich überlege, ob es sinnvoll wäre, mich an ihnen vorbei zu drängen oder ob ich mich lieber umdrehen und einfach gehen sollte.
Ihre Mutter sieht mich abwertend an und ich lächele nur weiter.
"Sie ist auf dem Weg in ein Camp. Den ganzen Sommer lang. Wir wollen nicht, dass ihr euch seht." , sagt er und mir stockt der Atem.
"den ganzen Sommer lang." , höre ich seine Worte immer wieder in meinem Kopf.
Nein.
Dass würde ich nicht überleben.
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