72.| L i l l y
Ich versuche die Bilder der letzten Stunden einfach aus meinem Kopf zu verdrängen, ohne jeglichen Erfolg dabei zu haben.
Vermutlich werde ich immer geprägt sein, durch diesen Augenblick.
Ich weiß dass Jason und Olivia mit den Polizisten mitgefahren sind, ich bin aber vorerst nach Hause geschickt worden.
Sie haben mir gesagt, dass ich mich beruhigen soll ehe sie mit mir sprechen können.
Vielleicht ist es besser so, auch wenn ich all das lieber jetzt schon hinter mit hätte.
Meine Mutter hat mich abgeholt und nun sitze ich in meinem Zimmer, meine Tochter im Arm.
"Ich wünsche mir, dass du niemals so etwas erleben musst", flüstere ich ihr ins Ohr und lasse sie mit ihren kleinen Fingern nach meiner Hand greifen.
Auch wenn ich Jason nie geliebt habe, ist sie ein Abbild von puren Emotionen zwischen zwei Menschen.
Und wenn ich sie ansehe, bin ich sicher dass nur gute Gefühle im Spiel gewesen sind.
"Lilly?", höre ich die Stimme meiner Mutter und augenblicklich macht sich eine Anspannung in mir breit.
Mein Kopf schwelgt in Erinnerungen an jenen Abend an dem mein Vater ums Leben kam.
"Ich komme", antworte ich und nehme meine Tochter auf den Arm ehe ich nach unten ins Wohnzimmer laufe, die Holztreppe hinunter.
Als ich meiner Mutter gegenüber stehe, schenkt sie mir ein trauriges Lächeln. Ihre Augen sind trüb und ihr Blick müde.
Ich weiß, dass ihr mein Schmerz genauso viel Schaden zufügt wie mir.
"Du hast Besuch", sagt meine Mutter und nimmt mir kurzerhand mein Baby ab.
Ich lächele als ich sehe wie das Herz meiner Mutter weich wird, als meine Tochter nach ihren Fingern greift.
"Ich gehe schon", sage ich dann schnell und laufe in unseren Flur der so eng ist dass ich das Gefühl habe bereits auf der Straße zu stehen.
Um ehrlich zu sein, habe ich mit jedem gerechnet aber nicht mit Isla.
Ich kann nicht genau sagen was ich fühle als ich sie vor mir stehen sehe, die braunen Haare fallen ihr in kleinen Wellen über die Schultern und auf ihren Lippen glänzt Glos.
"Hi", sagt sie und als mein Blick ihren trifft sieht sie beschämt zu Boden.
Das letzte Mal haben wir uns am Ufer getroffen, sie war vollkommen betrunken.
Jetzt erkenne ich dieses Mädchen mit den glasigen Augen und dem heißen Atem nicht mehr wieder.
"Hallo", sage ich unschlüssig und ziehe Isla in unsere kleine Wohnung.
Ich bin mir sicher, dass ich mich damals dafür geschämt hätte dass hier kaum Platz für meine Mutter und mich ist, doch nun ist es mir vollkommen egal.
Isla sieht sich langsam um, doch in ihrem Blick kann ich keine Verurteilung erkennen also atme ich erleichtert ein und langsam wieder aus.
Meine Mutter ist nicht mehr im Wohnzimmer und ich gehe vor in meinen Raum, Isla folgt mir.
"Was machst du hier?", frage ich sie schließlich und meine Stimme klingt etwas schärfer als sie eigentlich sollte.
"Das muss schwer für dich sein", sagt Isla leise und setzt sich auf mein Bett. Ihre Augen sind die gesamte Zeit wachsam auf mich gerichtet.
Ich weiß nicht wie ich darauf reagieren soll. Ihre Worte lösen viel mehr in mir aus, als sie sollten.
"Ich verstehe es nicht", sage ich langsam und lasse mich neben sie aufs Bett fallen.
Isla hört mir zu, und in meinem Kopf kommen Bilder hoch die mich genau an diese Situation erinnern.
Ich muss augenblicklich an Abby denken.
"Ich weiß", sagt Isla und lächelt traurig ehe sie ihren Kopf auf meine Schulter legt.
Für einen Moment verharren wir so, ohne ein Wort zu sagen.
"Alles was ich in der Nacht gesagt habe, war die Wahrheit", beginnt Isla plötzlich und mein Herz fängt an schneller zu schlagen.
"Ich kann jetzt nicht darüber sprechen", sage ich leise und als ich die Enttäuschung in Islas Augen sehe wird mir ganz kalt in der Brust.
"Ich weiß, dass das gerade nicht der beste Moment zu sein scheint", fährt Isla fort und macht eine kurze Pause um ihre Gedanken zu ordnen.
"Aber gestern habe ich gemerkt, wie schnell es vorbei sein kann", beendet sie ihren Satz und ich fühle mich mit einmal unfassbar leer.
Ich bin sicher, dass nicht nur sie so fühlt, denn eigentlich ist auch in mir unfassbar viel Liebe für dieses Mädchen und dennoch ist es mir nicht möglich die Wahrheit zu sagen.
Stattdessen lehne ich mich nach vorne, und lege meine Lippen auf ihre.
Wieder an diesem Punkt zu sein, bereitet mir Sorgen. Ich habe unfassbare Angst davor wieder jemanden zu verlieren den ich liebe.
"Lilly-", haucht Isla und sieht mir in die Augen, ehe sie mir eine Träne von der Wange streicht.
"Ich kann nicht noch jemanden verlieren", sage ich dann und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
"Das wirst du nicht", sagt Isla bevor sie mich erneut küsst. Dieser Kuss ist voller Hoffnung und Wärme welche mein Herz wieder zu reparieren scheint.
"Versprich es mir", flüstere ich und nehme meine Lippen nicht von ihren.
"Du hast mein Wort", haucht sie und fährt sanft durch meine Haare.
Grace hat mein Haar auch geliebt, sie sagte das dunkle Rot würde sie an Rosen im Sommer erinnern.
Ich spüre einen Stich in meinem Herzen, was mich nicht davon abhält Isla noch näher an mich heranzulassen.
Sie beginnt langsam mein Oberteil von meinen Schultern zu streichen und in diesem Moment wird mir alles egal.
Ich versuche nicht mehr an die Schreie zu denken, und ich verschiebe die Erinnerungen an Graces Berührungen in die hinterste Schublade meiner Gedanken.
Nie im Leben werde ich sie ganz vergessen können, aber ich muss lernen ohne sie weiterzuleben.
"Ich liebe dich", sage ich die Worte und mit einem mal kommen sie leicht über meine Lippen.
Sie sagen "Zwei gebrochene Menschen die sich heilen, lieben".
Und mit einem mal wird mir klar, dass sie Recht haben.
Wir versuchen uns gegenseitig zu heilen, während wir die Wunden des anderen akzeptieren.
Wir sehen in ihnen keine Fehler, sondern Kunstwerke.
Und vielleicht, ganz vielleicht ist das alles was wir brauchen um wieder ganz zu werden.
In der nächsten Sekunde küsst mich Isla erneut, und ihre Haut trifft auf meine.
Wir sind nicht vollkommen, aber das müssen wir nicht um Kunst zu sein.
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