70.| O l i v i a
Ein einziger Tritt, denn niemand gesehen haben soll.
Wie schnell sich doch alles innerhalb von Sekunden ändern kann ohne das wir damit rechnen.
Ich sitze neben Noah, und greife wenig später nach seinem Handgelenk.
Es ist kein Puls mehr vorhanden und Jason ist dafür verantwortlich.
Ich weiß nicht was ich fühlen soll, geschweige denn was ich glauben soll.
Noch nie habe ich mir mehr gewünscht, die letzten Minuten einfach für immer auslöschen zu können.
"Er ist tot", hauche ich und mir wird bewusst dass meine Stimme in all dem Gedränge und all der Panik kaum zu hören ist.
"Verdammt er ist tot!", rufe ich lauter und erneut richten sich alle Blicke auf mich.
Ich sehe Tränen laufen und höre Schreie.
Schreie erfüllt von Angst und Schmerz.
"Jason", flüstere ich seinen Namen doch der Junge den ich liebe kauert auf dem Boden.
Sein Gesicht ist von Tränen überseht und seine Hände zittern.
Auf irgendeine Art versuche ich ihn zu verstehen, doch es ist mir unmöglich.
Er hat gerade jemand anderem das Leben genommen, und auch wenn niemand erfahren wird dass er es war wird es ihm immer bewusst sein.
"Ich weiß nicht wem ich glauben soll", sage ich leise und setze mich zu ihm.
Als Jason mich sieht, erkenne ich einen Funken Hoffnung in seinen Augen.
"Ich habe nicht mir ihr geschlafen", haucht Jason und wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Ich nicke und versuche ihm zu glauben, ich versuche die letzten Minuten aus meinem Gedächtnis zu streichen und zu vergessen.
"Ich habe nicht gewollt das-", beginnt er und sieht zu Noah.
Das Blut hat sich um ihn ausgebreitet und der Regen lässt es noch weiter verschwimmen.
Wie die Grenzen zur Realität.
"Ich weiß", flüstere ich und greife nach seiner Hand. Sie ist kalt und als ich versuche ihn zu küssen weicht er zurück.
"Ich weiß nicht ob ich dir nicht auch wehtun würde nachdem-", sagt Jason leise und in meinen Augen bilden sich Tränen.
Wobei, vielleicht ist es auch der Regen der mein gesamtes Shirt durchnässt und meine Haare durchweicht.
"Niemals", sage ich und streiche ihm die Haare aus der Stirn die durch den Regen festkleben.
Wenn ich ihn ansehe, erkenne ich unheimlich viel Schmerz und Reue.
"Ich hätte auch gedacht, dass ich niemals so weit gehen würde", entgegnet er und stoßt mich von sich.
Nun ist sein Schmerz auch zu meinem geworden.
Ich hasse mich dafür, dass ich ihm nicht vertraut habe.
Und ich hasse es, es nie wieder rückgängig machen zu können.
Letztendlich sind wir alle in unseren Lügen ertrunken.
"Jason, ich kenne dich", sage ich und weiß dass diese Worte ohne Sinn sind, noch vor ein paar Minuten habe ich ihm die schlimmsten Dinge unterstellt.
"Woher wusste er von dieser Nacht damals?", frage ich und greife nach Jasons Hand.
Für einen Moment zweifelt er, doch lässt meine Berührung dann zu.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er auch nur geraten", sagt Jason leise und streicht sanft durch meine Haare.
Diese kleinen Gesten scheinen mich wieder zu reparieren und ich sauge seine Nähe ein wie das kostbarste Gut dass ich bekommen kann.
"Ich wollte dir wirklich glauben", flüstere ich und sehe ihn erneut an. Jason nickt.
"Ich würde alles zurücknehmen, wenn ich könnte", sage ich dann und berühre seine Lippen.
Sie sind weich und dennoch spüre ich den Schmerz den dieser Kuss ausdrückt.
"Wir sollten die Polizei anrufen", flüstere ich und greife nach meinem Handy.
Noch nie habe ich mich so verloren in einer Situation gefühlt, und auch als ich weiß dass die Polizei kommen wird verschwindet die Anspannung und all der Schmerz nicht.
Ich versuche die Stimme zu erheben und alle anderen Teilnehmer auf mich aufmerksam zu machen, aber die Stimmung ist immer noch enorm panisch.
Und als die Polizei endlich da ist, nehme ich alles nur noch wie verschwommen war.
Sie wollen mit mir sprechen, Eltern anrufen und die Leichen davontragen doch ich kann nichts mehr fühlen oder reagieren.
Ich weiß, dass sie mich wieder in die Klinik bringen werden und deswegen greife ich mit aller letzter Kraft nach Jasons Hand.
Ich halte sie die gesamte Zeit über, auch als sie mich in ihren Wagen setzen und mich von ihm reißen habe ich noch immer das Gefühl seine warmen Finger in meinen zu spüren.
"Sie steht unter Schock", sagt einer der Beamten und tauscht ein paar Informationen mit seinem Kollegen aus, während ich in ihrem Auto sitze und aus dem Fenster starre.
Ich habe das Gefühl taub und stumm zu sein, obwohl ich alles um mich herum wahrnehmen kann, scheint es an mir abzuprallen.
"Wir müssen sie verhören", sagt der Beamte dann und fährt los.
Die gesamte Zeit über sage ich kein Wort. Ich bin sicher, dass die anderen Teilnehmer auch auf das Präsidium gebracht werden und dennoch fühle ich mich unheimlich einsam.
"Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt", beginnt der Polizist und ich nicke nur stumm.
Ich kenne diese Situationen nur aus Filmen und mir erscheint es am logischsten einfach nicht zu sprechen.
Genau das hätte Jason in meiner Situation auch gemacht, denke ich und schließe meine Augen.
Ich habe mir erhofft, mich dadurch vielleicht etwas beruhigen zu können doch genau das Gegenteil trifft ein.
Vor meinen Augen zucken die Erinnerungen wie Blitze und egal wie sehr ich es versuche, ich kann diese Bilder einfach nicht aus meinem Kopf bekommen.
Auf einmal entfährt mir ein Schrei, als ich in Gedanken sehe wie Jason auf Noah eintritt.
"Alles in Ordnung?", fragt der Polizist emotionslos und sieht weiter auf die Straße die vor lauter Regen total rutschig sein müsste.
Doch dem Polizisten scheint dies nichts auszumachen. Er fährt beinahe perfekt, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan.
Ich nicke erneut und fahre mit angespannt mit den Fingern durch meine nassen Haare.
Dass ich Zeugin mehrerer Morde bin und gerade die beinahe schlimmsten Minuten meines Lebens erlebt habe, scheint er bei seiner Frage vollkommen vergessen zu haben.
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