7.| J a s o n
Nachdem ich gestern Olivia getroffen hatte, ist sie mir bis heute nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Ständig frage ich mich, ob es vielleicht doch besser gewesen wäre, ihr zu sagen dass ich auch da sein werde?
Ich stehe in der Küche und durchsuche den Kühlschrank nach irgendetwas essbaren.
Ich finde nichts, außer einen Teller mit drei alten, trockenen Pancakes und werfe sie in den Mülleimer.
Dann greife ich nach meinem Rucksack und werfe noch einen letzten Blick auf mein Handy, ehe ich mich mit einem leisen "tschau" , bei meiner Mutter verabschiede.
Sie liegt schon wieder seit gestern mit einem Kater flach, und es ist nicht so als wäre das etwas neues.
Ich schließe die Türe und atme die Luft dieses neuen Tages ein.
Es riecht nach Regen und ich beschleunige meine Schritte, um es noch rechtzeitig zu meinem momentanen "Job" zu schaffen.
Ich bin für die nächsten drei Wochen von der Schule beurlaubt, da ich im Altenheim nebenan aushelfen muss.
Beim Gericht haben sie es "Sozialstunden" genannt, denke ich und muss lachen.
Ich habe eine einzige Zigarette auf der Schultoilette geraucht und irgendein kleiner Junior musste mich beim Rex anschwärzen.
Ich halte mit meinem Motorrad am Parkplatz und laufe zum Eingang. Die Leute die mir entgegen kommen, schauen mich abwertend an, doch ich bin diese Blicke bereits gewöhnt.
Als ich in dem oberen Gebäudekomplex angekommen bin, laufe ich in Richtung Umkleiden und ziehe mir unsere weiße Arbeitskleidung an.
Meine fast schwarzen Haare bilden einen umwerfenden Kontrast zu ihr und auch meine Tattoos stechen noch ein wenig mehr hervor als sonst.
Ich laufe den ersten Gang entlang, um in die Küche zu gelangen.
Ich bin heute mit der Essensausgabe dran und muss den Wagen noch abholen.
In der Küche angelangt, steigt mir der bekannte Geruch von Kantinen Essen in die Nase und ich muss mich für einen Moment zusammen reißen, nicht sofort wieder davonzulaufen.
Ich erblicke ein Mädchen, dass hier anscheinend seit ein paar Wochen hier ihr Praktikum macht.
Ich schlendere auf sie zu und grinse entspannt. Das sie mich mit ihrer lieben Art abschreckt, lasse ich mir nicht anmerken.
"Hey." , begrüße ich sie und lehne mich an den Küchen Tresen.
Sie zuckt für einen unscheinbaren Moment zusammen und sieht mich dann an. Sie ist hübsch, aber nichts Besonderes.
Eben ein Mädchen, dass man nach dem Kuss augenblicklich wieder vergisst.
"Hallo." , sagt sie und lächelt schüchtern.
Ich nicke und tue einen Schritt nach vorne.
Es scheint ihr nichts auszumachen und ich wiederhole flüsternd ihre Worte.
Das Mädchen scheint zu verstehen, wieso ich ihr immer noch meine Aufmerksamkeit schenke und kommt mir näher.
Sie duftet gut und ich atme tief ein und aus.
"Du siehst gut aus." , wispert sie und mir wird klar, dass sie einem Jungen anscheinend noch nie so nah war.
Sie kommt mir noch ein Stück näher, bis kein Abstand mehr zwischen uns möglich ist.
Ihre Lippen sind jetzt so nah an meinen, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spüren kann.
Auf einmal beginnt sie mich zu küssen, und ich lasse mich darauf ein.
Es ist nichts Besonderes, aber für sie scheint es die Welt zu bedeuten.
"Ich liebe dich." , flüstert sie leise und ich brauche eine Sekunde um ihre Worte zu begreifen.
Ich löse mich so schnell es geht von ihr und taumele noch einen weiteren Schritt zurück.
Sie sieht mich verwundert an, und ich verdrehe genervt die Augen.
"Küsse. Es sind nur Küsse." , sage ich und drehe mich um, um den Wagen endlich zu holen.
Es kommt mir egoistisch vor, das dieses Mädchen es sich heraus nahm, mir diese drei Worte ins Gesicht zu sagen.
Ich stapele die Boxen mit dem Essen übereinander und schaue sie noch einmal an. Sie sieht als, als habe sie geweint, gehört habe ich aber nichts.
Genervt laufe ich den langen Flur entlang, und verteile die Boxen aus Plastik in den Zimmern. Niemand spricht mit mir, und das ist auch besser so.
Ich will das hier einfach nur hinter mich bringen, und so schnell wie möglich wieder nach Hause.
"Jason?" , höre ich eine Stimme hinter mir und drehe mich reflexartig um.
"Hier ist ein Anruf für dich." , sagt eine der Krankenschwestern genervt und reicht mir ein altes Kabeltelefon.
"Ja?" , frage ich gelangweilt und versuche im Stillen meinen Herzschlag zu beruhigen.
Die Stimme an der anderen Leitung kling leise und bekannt.
Als die Person an der anderen Leitung ihren Namen sagt, werde ich beinahe bewusstlos.
Meine Mom.
Ich habe keine Ahnung, wieso sie anruft.
Mein Herz schlägt immer noch laut und wild in meiner Brust, doch ich versuche es zu ignorieren.
"Du?" , frage ich und komme mir augenblicklich wieder dumm vor.
Es war sicher die dämlichste Frage, die ich hätte stellen können.
Die Krankenschwester war mittlerweile wieder in einem Zimmer verschwunden und ich stand alleine auf dem großen, sterilen Flur im Altersheim.
Ihre Stimme ist nun lauter und irgendwie hört sie sich nicht besonders erfreut an. Sie beginnt langsam zu schreien und ich kann mir genau vorstellen wie sie dabei aussieht.
Die Haare zerzaust und mit ihren Nägel klopft sie sicher nervös auf einen Tisch vor sich. Bei dieser Vorstellung muss ich mir ein Lachen verkneifen und höre meiner Mutter stattdessen weiter zu.
Sie erklärt, dass sie nun auf dem Weg zum Supermarkt sei und Bier bräuchte. Ich antworte, dass sie nicht fahren kann wenn sie so viel getrunken hat.
Ich habe keine Ahnung, wie sie noch weiter trinken kann. Sie tut es jeden Tag. Jeden verdammten Tag.
Nachdem sie mir versprochen hat, nicht mehr zu fahren, lege ich auf und werfe das Telefon auf meinen Wagen. Dann fahre ich die anderen Zimmer ab.
Ich denke an Olivia, und ich verteile die letzten Boxen und stelle den Wagen dann ab, bevor ich die Klinik verlasse.
Ich denke nicht mehr an das Mädchen von vorhin. Aber ich denke an Olivia. Und aus irgendeinem Grund macht es mich sauer.
Es macht mich wütend, dass meine Gefühle mich kontrollieren und nicht anders herum.
Es macht mich wütend, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf geht.
Und verdammt, es macht mich wütend dass ich sie am liebsten Küssen würde.
Ich mache mich auf den Weg nach Hause, denn wie fast jeden Tag, muss ich meine Mutter vor dem Tod retten.
Wenn mir jemand sagt, ich würde übertrieben kann er es sehr gerne für mich übernehmen.
Diese Frau ist lebensmüde, und dass sich mein Dad vor Jahren verpisst hat, macht es auch nicht besser.
Ich biege in unsere Straße ein und betrete die winzige Wohnung in der wir zu zweit Leben. Es ist kein Luxus Leben das wir führen, aber es reicht aus.
Als ich eintrete, steigt mir der Geruch von Alkohol und Erbrochenen in die Nase.
Ich reiße mich zusammen, danach nicht auch sofort im Badezimmer zu verschwinden.
"Mom?" , rufe ich und laufe die vier Zimmer ab, die wir haben.
Sie ist nicht im Schlafzimmer, denn das Bett ist leer und auf dem Boden sehe ich dreckige Wäsche.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, auch noch einmal aufzuräumen. Sofort verwerfe ich den Gedanken und suche weiter nach meiner Mom.
Es kann gut sein, dass sie schon so viel Intus hat, dass sie kein Wort mehr über die Lippen bringen kann.
Auch das bin ich seit Jahren gewöhnt.
"Mom?" , rufe ich erneut durch die gesamte Wohnung und bekomme wie erwartet keine Antwort.
In der Küche stapelt sich nur das Geschirr und die Spüle ist mir leeren Bierflaschen gefüllt.
Aber es gibt kein Lebenzeichen von meiner Mom.
Statt weiter zu suchen, laufe ich erneut vor unser Haus.
Ich hätte früher darauf kommen können. Das Auto ist nicht mehr da.
Verdammt.
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