60.| N o a h
(TW: Suizid Gedanken)
Mein Kopf ist gefüllt mit Gedanken, und als ich mir vorstelle wie verzweifelt Abby gewesen seien muss um diese Entscheidung zu treffen tut es mir im Herzen weh. Allmählich ist keine Trauer mehr da, die mir immer wieder klar macht wie sehr mich Grace eigentlich verletzt hat. Das einzige was ich spüre, ist Wut die sich in mir ausbreitet. Aber ich wäre nicht Noah, wenn ich nicht schon von Geburt an beigebracht bekommen hätte, dass Gefühle unwichtig sind und wir zum überleben eigentlich nichts anderes benötigen als Geld.
Liebe ist unwichtig, sie bringt dich im Leben nicht weiter. Höchstens wirft sie dich zurück.
Ich greife nach meinem Handy, während ich in meinen Gedanken schweife. Am liebsten würde ich einfach ein Taxi rufen, um von hier zu verschwinden. Aber damit wäre all das hier auch nicht vergessen.
Dana hat uns heute noch gesagt, dass sie mit uns gerne noch einmal etwas gemeinsam unternehmen möchte. Vermutlich hat sie auch bemerkt, wie bedrückend die Stimmung seit Abbys Tod ist, denn davor haben sich die Gruppen immer gesplittet.
Ich möchte eigentlich in mein Zelt gehen, anderseits spüre ich immer noch dieses bedrückende Gefühl dass auf meinen Schultern lastet. Es fühlt sich an, als würde es mir unheimlich schwer fallen ein und wieder auszuatmen. Also entscheide ich mich dazu, noch ein wenig am See zu bleiben und zu versuchen, die Gedanken in meinem Kopf zum schweigen zu bringen. Erneut rufe ich mir in den Sinn, dass ich keine Gefühle brauche. Das mich diese Emotionen nur verletzlich machen, und verletzlich will niemand sein.
In diesem Moment denke ich an die Nacht zurück, in der ich für Grace genau das war. Verletzlich.
Ich gehe am See entlang, und schaue auf das klare Wasser. Beinahe fühlt es sich an, als würden all meine Gedanken sich auflösen und mein Herz wieder frei werden. Also würde ich nach all den Tagen der Trauer, Wut und Angst endlich wieder atmen können ohne das Gefühl zu haben, dabei zu ersticken.
Eine Schritt vor den anderen, denke ich mir und tue genau das. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, aber auch nur weil ich mich unendlich aufgewühlt fühle. Wenn dich all deine Emotionen mit einem Schlag einholen und dich beinahe zu Boden werfen, bleibt nicht mehr viel Kraft um ruhig zu atmen.
Mein Handy gibt einen Ton von sich, und ich greife automatisch in meine Tasche. Eine Nachricht von Grace ist eingegangen, und ich kann mich nicht daran erinnern wann sie mir das letzte mal geschrieben hat.
Die Ruhe die sich gerade eben in mir ausgebreitet hat, wird mit einem Schlag wieder zunichte gemacht, und meine Hände zittern nervös als ich das Handy entsperre und auf ihre Nachricht klicke.
Völlig ahnungslos was sie mir noch zu sagen hat, lese ich den kurzen Text den sie mir geschrieben hat.
Können wir uns treffen?, lese ich und mein Herz stolpert erneut über einen Haufen von Gefühlen.
Ich weiß nicht ob antworten soll, oder ob es für mich überhaupt Sinn macht sie zu treffen. In mir kocht immer noch eine Wut, auch wenn es sich nicht mehr ganz so schmerzhaft anfühlt wie am Anfang. Ich bemerke, wie meine Hände immer noch zittern und ich bin nicht sicher ob es von der Kälte kommt, die vom See kommt oder von meinem Herzen.
Auch wenn ich nicht lange darüber nachgedacht habe, antworte ich auf Graces Nachricht mit einem einfachen "Ja", ehe ich die Nachricht absende.
Nachdem diese Last fürs erste von meinen Schultern gefallen ist, atme ich tief ein und wieder aus. Der Gedanke, Grace bald wieder zu sehen und mit ihr zu sprechen macht mir in irgendeiner Weise Angst.
Erneut versuche ich die aufsteigenden Gefühle in mir zu unterdrücken, und setze mich einfach auf den Boden. Die Wiese vor dem See ist kalt, aber nicht mehr nass vom Regen.
Ich sehe in den Himmel, und auf einmal blitzen Bilder aus der Vergangenheit vor meinen Augen auf. Ich kann meine Eltern beobachten, ich sehe wie mein Vater meine Mutter belügt und ich sehe auch, wie meine Mutter mit einem anderen Mann schläft. In der Hoffnung mein Vater würde nicht genau dasselbe tun. Ich kann sehen, wie ich vom Baseballfeld renne, verletzt für etwas bestraft zu werden, dass ich nicht getan habe. Ich beobachte, wie ich Grace berühre, und ich spüre ihre Lippen auf meinen. Haut an Haut, Herz an Herz.
Noch bevor diese Erinnerungen wieder verschwinden, und mir klar werden kann wie gebrochen ich eigentlich bin, fange ich sie ein. Ich speichere sie in meinem Herz. So sicher, dass ich sie nie wieder verlieren werde.
Erneut schließe ich meine Augen, und ich werde zurück geschmissen in die Nacht in der ich Grace näher war, als ich es je wieder sein werde. Es fühlt sich an, als hätte ich mein Herz an jemanden verschenkt der es ohne einmal mit der Wimper zu zucken, gebrochen hat. Vielleicht, vielleicht ist es wichtig dass ich sie nicht mehr so ansehen werde wie am Anfang. Vielleicht war ich nur für diesen einen kurzen Augenblick geschaffen. Für den Moment. Als alles um Grace zusammengebrochen ist, und Lilly beinahe in ihren Armen gestorben wäre, da war ich bei ihr. Und sie war bei mir, als ich ihre Nähe brauchte. In diesem Abschnitt meines Lebens hat sie mir alles geben können, was ich gebraucht habe.
Meine Augen öffnen sich wie automatisch, und mit einem mal fühlt es sich an, als wäre alles um mich herum still und friedlich. Als wäre ich nicht mehr auf hoher See, umgeben von Wellen die mich jederzeit ersticken können.
Ich stehe auf, und lasse all das hinter mir. In diesem Moment verstehe ich Abby mehr als ich es eigentlich wollen würde. Ich kann nachvollziehen wieso sie weg wollte.
Sie hatte die Hoffnung, dass danach aller Schmerz aufhören wird. Das endlich all ihr Leid von ihren Schultern genommen wird. Nichts hätte ich lieber getan, als ihr diese Last zu nehmen. Doch manchmal gibt es Dinge im Leben die man nicht aufhalten kann. Dinge, die man nie ändern wird. Auch wenn es das Einzige ist, wofür man weiter leben würde. Nur um dieser einen Person alles zu geben was sie braucht um wieder atmen zu können.
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