58.| L i l l y
Der Regen wird langsam zu stark, und wir können nicht länger draußen vor dem Zelt stehen bleiben. Auch wenn mir absolut nicht danach ist zu den anderen rein zu gehen.
"Lasst uns rein gehen", sage ich an Dana gewannt.
Sie wirkt verzweifelt, es scheint beinahe so als hätte sie panische Angst davor zu allen anderen Teilnehmern reinzugehen. Ich stelle mich etwas näher neben sie. Sie erschreckt sich für einen kurzen Augenblick, doch als ihr klar wird dass nur ich es bin, bemerke ich wie sich ihr Atem wieder verlangsamt.
Ich höre die lauten Stimmen der anderen aus dem Zelt, und auch in mir breitet sich eine gewissen Unruhe aus.
Wir betreten das Zelt, und es ist nicht anders als ich es erwartet hatte. Automatisch richten sich alle Blicke auf uns.
"Jeder in sein Zelt!", ruft Dana plötzlich und als ihre Stimme den Raum füllt wird es augenblicklich still. Alle Teilnehmer die bis gerade eben noch gestarrt und geflüstert haben, verschwinden innerhalb von Sekunden aus dem Gemeinschaftszelt und zurückbleiben nur Dana, der Inspektor und ich.
Inspektor Brown wirkt beinahe zufrieden, denn auf seinen Lippen liegt ein Lächeln.
"Wie können sie lachen?", frage ich und versuche die aufsteigende Wut die sich in mir ankündigt zu unterdrücken.
"Ich bin froh, niemanden verhaften zu müssen", sagt er dann und ich verstehe was er meint.
"Danke für ihre Hilfe Inspektor", sagt Dana erleichtert und reicht Mr. Brown die Hand.
Dieser nickt nur und verlässt dann das Zelt. Bevor er nicht mehr zu sehen ist, wirft er noch einen Satz hinterher, der mir beinahe das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Ich hoffe dies war unser letztes Treffen", sagt er und ist dann vollkommen verschwunden.
Ich weiß nicht wieso, aber durch diese Worte breitet sich erneut eine ungewisse Angst in mir aus. Er hat sich beinahe so angehört, als würde er davon ausgehen, dass er bald wiederkommen müsste.
Der Gedanke, dass jemand weiteres sterben wird löst in mir Panik aus, doch ich versuche mich nicht davon verunsichern zu lassen. Vielleicht wird dieser Sommer ab jetzt nicht mehr schrecklich sein, weil das schlimmste bereits hinter uns liegt.
Dana hat die Worte vom Inspektor anscheinend auch so gedeutet wie ich, denn sie vergräbt ihr Gesicht ängstlich in ihren Händen. Beinahe so, als wären ihre Tränen nicht für uns bestimmt.
"Geht bitte in euer Zelte", sagt sie dann und erst jetzt sehen wir uns richtig an. Ihre Tränen sind verschwunden, und zurück bleibt nur das unsichere Lächeln einer Frau, die versucht es jedem recht zu machen.
Ich denke nicht weiter darüber nach, sondern verlasse einfach das Zelt als wäre nichts passiert. Dana folgt mir kurzerhand und ich sehe, wie sie in ihrem eigenen Zelt verschwindet.
Als ich in mein Zelt gehen, ist niemand der Mädchen da. Nicht Grace und auch nicht Olivia. Nicht einmal Isla, die sonst eigentlich immer auf dem Bett sitzt und wirr Zeichnungen in ein Heft kritzelt.
Auf einmal wird mir bewusst, wie schrecklich es eigentlich ist in einem Zelt zu sein, indem Abby geschlafen hat. Augenblicklich stehe ich wieder vom Bett auf, und laufe nervös im Zimmer umher. Meine Gedanken drehen sich weiter um Abby, und ich frage mich was sie dazu bewegt hat, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich kenne den Grund nicht, weswegen sie hier war aber ich weiß dass sie es nichts Harmloses war, was sie erlebt haben muss. Das Herz eines Menschen muss gebrochen sein, damit er so weit gehen kann.
Ich atme tief ein und wieder aus, und als ich gerade nach meinem Handy greifen will, betritt Isla das Zelt. Bis jetzt habe ich sie nicht einmal kommen hören.
"Hey", sage ich und wische mir verstohlen eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Ich habe nicht bemerkt, dass ich geweint habe.
"Hi", sagt Isla und legt ihren Kopf schief. "Alles okay?", fragt sie dann und legt ihre Jacke auf dem Bett ab.
Ich nickte stumm und ziehe dann wirklich mein Handy aus der Tasche. Keine neuen Nachrichten.
"Schon hart oder?", will sie dann wissen und für eine Sekunde will mir einfach nicht einfallen, worüber sie spricht.
"Was?", frage ich und fahre nervös durch meine Haare.
"Abby", antwortet Isla und sieht betroffen auf den Boden. Erst jetzt wird mir klar, dass Isla eigentlich nie schlecht von Abby gesprochen hat.
"Sie war deine Freundin?", frage ich vorsichtig und kauere mich auf den Boden. Er ist kalt, aber es fühlt sich falsch an, sich jetzt auf dieses Bett zu setzen.
"Ja", beginnt Isla und macht eine kurze Pause. Ich lasse ihr Zeit und kaue nervös an meinen Nägeln.
"Sie war ein toller Mensch. Niemand kannte sie wirklich denke ich, aber es hat auch nie jemand nachgefragt. Manchmal denke ich, dass ich es hätte verhindern können", fährt sie fort und es tut mir im Herzen weh, sie so zu sehen.
"Es tut mir leid", sage ich leise und greife nach Islas Hand. Eigentlich will ich mehr für sie tun, aber in diesem Moment weiß ich nicht wie.
"Ich hoffe einfach...", beginnt Isla wieder und ihre Stimme erstickt durch ihre Tränen die nun über ihre Wangen laufen.
"Ich hoffe einfach, dass ihr ganzer Schmerz nun ein Ende findet", sagt sie dann und auch ich muss mich stark zusammenreißen, nicht zu weinen.
"Bestimmt", flüstere ich und drücke Islas Hand noch ein Stückchen mehr. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in diesem Augenblick näher sind, als wir es eigentlich denken.
"Ich hätte ihr helfen müssen", haucht Isla und ich spüre ihre Trauer so stark, dass ich Gänsehaut am ganzen Körper bekomme. Es kann nicht wahr sein, dass dieses Mädchen wirklich denkt dass sie Schuld trägt.
"Isla? Bitte", sage ich und sehe sie an.
"Niemals bist du Schuld. Niemals", verspreche ich ihr und es wirkt als würde Isla meine Worte verstehen. Als würde ihr in genau diesem Moment ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fallen, denn auf einmal atmet sie auf. Dieser Gedanke muss sie viel zu lange belastet haben.
"Danke", flüstert Isla und ihre Stimme bebt immer noch leicht ohne dass sie es kontrollieren kann.
"Sie hat dich geliebt", sage ich dann und drücke ein weiteres mal Islas Hand.
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