55.| N o a h
Grace ist gegangen und ich habe keine Ahnung ob es für mich eine Möglichkeit gibt, sie je wieder in meinen Armen halten zu können.
Sie hat die Dinge gesagt, die eigentlich schon längst überfällig waren. Dinge, die eigentlich wahr sind und Dinge die ich nie richtig wahrgenommen habe. Weil ich es nicht wollte und konnte.
Mit hat die Kraft gefehlt ehrlich zu mir selbst zu sein, und jetzt zerreißt es mir das Herz.
Ich bleibe noch länger alleine in diesem Zelt sitzen, höre laute Stimmen draußen, doch ich beachte sie nicht. Es macht alles keinen Sinn mehr, doch anstatt das ich Trauer empfinde, breitet sich eine riesige Wut in mir aus.
Sie treibt mich an aufzustehen und die Gedanken die sie in meinen Kopf pflanzt sind noch wütender. Ich habe keine Ahnung auf wen ich wütend bin. Vielleicht auf Grace, aber vielleicht auch auf mich selbst.
Weil ich zu naiv war zu glauben, dass ich irgendwann einmal mehr als meine Leistungen sein werde. Wenn ich an meine Eltern denke, und ihre Blicke die mich unter Druck setzen, breitet sich eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper aus. Ich kann es nicht mehr ertragen, und beinahe fühle ich auch keine Wut mehr. Keine Wut, keine Trauer. Nichts außer eine Leere bleibt in mir zurück, und ich vermisse es zu empfinden.
Mir fehlt es, ein Gefühl wie Liebe zu spüren. Emotionen wahrzunehmen.
Meine Beine tragen mich nach draußen und das erste was ich sehe, ist der Inspector wie er mit Teilnehmern des Camps spricht. Ihre Stimmen sind leise und beinahe kaum zu hören. Ich weiß nicht worüber sie sprechen, aber es scheint wichtig zu sein. Mehrmals dringt Abbys Name an mein Ohr und jedes Mal wenn ich ihn höre, zucke ich zusammen. Mit ihrem Namen verbinde ich eigentlich viele Emotionen, aber außer mein Zucken bleiben auch hier die Gefühle einfach aus.
Ich entscheide mich dazu, zu ihnen zu gehen und stelle mich zu den anderen Teilnehmern.
„Noah?", fragt der Inspektor und schenkt mir einen merkwürdigen Blick. Er sieht fast so aus, als würde er genau wissen was ich denke. Aber auch das macht mir keine Angst.
„Ja, guten Tag", antworte ich und lächele ihn charmant an. Der Blick von Inspector Brown wandelt sich schnell in eine Mischung aus Wissen und Neugierde in Interesse an meiner Sichtweise.
„Ich würde gerne mit dir sprechen", fährt er fort und geht mit mir etwas abseits zu den Bäumen die den Umkreis der Zelte säumen.
„Kanntest du Abby?", fragt er mich und ich schüttele nur den Kopf.
Abby hat für mich keine große Bedeutung gehabt. Viel zu sehr habe ich mich auf Grace konzentriert.
„Entschuldigen sie, aber nein", sage ich und sehe zu Boden. Aus irgendeinem Grund schäme ich mich, ihm nicht weiterhelfen zu können.
„Kein Problem Noah, aber kommt es dir nicht auch so vor als würde das jeder sagen? Als hätte niemand sie gekannt? Aber jeder wurde von ihr verletzt?", fährt er fort und schüttelt nachdenklich den Kopf. Er wirkt wirklich verwirrt und sieht mich erneut an.
„Der Täter wird seine gerechte Strafe bekommen. Davon bin ich überzeugt", sage ich und reiche ihm die Hand, ehe ich mich umdrehe und den Weg zum See einschlage. Meine Gedanken sind immer noch laut und ich muss alles versuchen um nicht erneut vor Wut zusammenzubrechen.
Die Worte vom Inspector geistern durch meine Gedanken und wieder muss ich an Abby denken, und daran dass das Leben eigentlich viel mehr ist als alles was nicht klappt und funktioniert. Ohne weiter darüber nachzudenken, setze ich mich einfach auf den Boden um meine Gedanken zu sortieren. Das Wasser vom See ist klar, und das einzige was ich sehe sind die kleinen Tropfen die als Regen vom Himmel fallen und mich erschaudern lassen. Es ist kalt, und ich fühle mich das erste mal seit Wochen wieder frei. Ein Gefühl dass ich vermisst habe. Frei zu sein von allen Gedanken, Zwängen und Menschen. Niemanden an meiner Seite zu haben außer mich selbst. Ich fühle mich nicht einsam oder machtlos, sondern viel stärker als zuvor. Ich nehme einen der Steine in die Hand, und werfe sie auf das unruhige Wasser, und beobachte wie er untergeht.
Einige Zeit sitze ich alleine am Wasser und sehe in die Weite. Das Gefühl der Kraft, die sich in mir erneut ausgebreitet hat ist riesig und lange habe ich mich nicht mehr so bestärkt gefühlt. Langsam werden die Wolken noch dunkler, und es kommt mir vor, als würden sich meine Emotionen auf das Wetter übertragen. In mir ist es so dunkel und schwarz, seit Wochen habe ich kein Licht mehr gesehen und auch wenn ich das Gefühl das es mir besser geht, weiß ich das ich eigentlich mein Lachen für immer verloren habe, weil ich Grace für immer verloren habe.
Ich stehe auf, und möchte in Richtung der Zelte zurücklaufen, da sehe ich wie alle anderen in der Ferne miteinander reden. Sie stehen alle in einem Kreis und ihre Stimmen sind laut. Ich habe keine Ahnung was passiert sein soll, aber anstatt weiter zu spekulieren, trete ich einfach an alle heran und frage ein Mädchen die weiter Außen steht, worum es geht.
"Was ist hier los?", frage ich und sehe sie an. Ihre Augen sehen traurig aus und ihr Blick ist auf den Boden gerichtet. Ich kann nicht einschätzen ob sie überhaupt verstanden hat, was ich gesagt habe. Gerade als ich erneut fragen möchte, öffnet sie ihren Mund um etwas zu sagen.
"Ich glaube, sie wissen warum sie tot ist", beginnt das Mädchen und um mich herum beginnt sich alles zu drehen. Ich weiß nicht woran es liegt, aber als sie die Worte ausspricht reißt es mir beinahe den Boden unter den Füßen weg. Ich habe nichts mit Abbys Tod zu tun, und doch berührt er mich mehr als mir eigentlich lieb wäre.
"Was haben sie gesagt?", will ich wissen und sehe das Mädchen erneut fragend an, doch sie schüttelt nur den Kopf.
"Noch nichts", antwortet sie dann und stellt sich weiter von mir weg. Vermutlich möchte sie für sich alleine sein und sich auf die Antworten vorbereiten, die wir gleich bekommen werden. Einer der Personen die in diesem Kreis steht, hat Abby umgebracht. Ihr all diesen Schmerz angetan.
Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, und als ich eine Hand auf meiner Schulter wahrnehme, gefriert mir das Blut in den Adern. Erschrocken drehe ich mich um, und entdecke Inspector Brown der mir einen misstrauischen Blick zuwirft, seine Hände immer noch auf meiner Schulter ruhend.
"Ich habe gehört, dass sie den Mörder haben", beginne ich und sehe ihn an. Seine Augen verraten mir nichts über die Antworten die ich eigentlich suche.
"Ja", antwortet er gefühlslos und möchte sich an mir vorbeidrängen, doch ich versperre ihm den Durchgang.
"Einen Moment bitte", sage ich und fahre mir nervös durch die Haare.
"Sie wissen nicht wer es war oder?", frage ich und erneut sieht mich der Inspector misstrauisch an. Ich denke, dass er weiß dass ich Recht habe.
Sie haben keine Ahnung wer es wirklich war.
"Lass mich durch Junge!", fordert er mich auf, und schiebt sich an mir und den anderen Teilnehmern vorbei. Als er in der Mitter der Menge angekommen ist, ergreift er das Wort und jede Person die bis eben noch gesprochen hat, verstummt augenblicklich. Jeder hier hat größten Respekt vor ihm, wobei ich mir sicher bin dass es eher Angst ist, die sie dazu treibt.
"Abby hat uns vor Tagen verlassen. Ein Mensch der einfach sterben musste, ohne jemals richtig gelebt haben zu können", beginnt er und macht eine kurze Pause. Die Worte die gerade eben über seine Lippen gegangen sind, haben jeden in dieser kleinen Gruppe zum endgültigen Schweigen gebracht.
"Wir haben versucht jemanden zu finden, der schuldig an ihrem Tod ist. Jemanden den wir zur Verantwortung ziehen können. Jemanden der für seine Tat bestraft wird", fährt er fort und dieses mal beginnt die Gruppe zu flüstern. Die Stimmung ist angespannt, und das Gewitter das immer näher kommt, trägt zu keiner Besserung bei.
"Wer auch immer es war, ich werde ihn dafür hassen", höre ich jemanden aus der Menge rufen, und erneut zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Der Inspector atmet hörbar schwer ein und wieder aus, ehe er wieder das Wort ergreift.
"Irgendwann haben wir gemerkt, dass es viele Menschen gab die ihr etwas hätten antuen wollen. Aber die Person die sie am meisten gehasst hat, war sie selbst. Es tut mir leid euch zu sagen, dass Abby sich selbst das Leben nahm", beendet er seine Erklärung und es ist, als würde all die Anspannung der letzten Minuten entladen, denn als seine Worte verklingen, beginnt es endlich richtig zu gewittern.
Der Regen der sich über uns ergießt, machen die Worte vom Inspector noch schmerzhafter.
Abby hat sich selbst am allermeisten gehasst.
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