ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 39 - ᴠᴀᴛᴇʀ & sᴏʜɴ
50 Minuten später
Die Sonne kämpfte sich gerade über die Grenze des Horizontes und tauchte die Heimat der Shields in eine sanfte rote Farbe. Leichte Nebelschwarten schoben sich vom See langsam über den Boden und lösten sich nach und nach auf. Leises Vogelgezwitscher kündigte einen neuen Tag an.
Ein Tag, den die Shields niemals vergessen würden. Auf dem Gelände herrschte Stille, obwohl es von Menschen überschwemmt war. In jeder Ecke fand man ein Mitglied des Feris Mc. Die Gesichter zeigten alle das Gleiche. Trauer.
Collin saß auf einer alten Holzbank auf der Terrasse. Neben ihm Jay. Erneut mit verschränkten Armen und einem noch düstereren Blick. Collin seufzte, während er seine Arme auf seine Knie lehnte.
»Du hattest wohl mal wieder recht«, murmelte Collin.
Jays Augen flimmerten glasig.
»Das habe ich immer.«
Collin senkte den Blick und rieb sich nervös über seine Handflächen.
»Glaubst du an Karma, alter Mann?«
Jay lachte gehässig auf und drehte den Kopf zu Collin, um ihn einen zornigen Blick zuzuwerfen.
»Gäbe es Karma, würdest du längst unter der Erde liegen und die Maden würden deinen wertlosen Körper zerfressen.«
Collin seufzte.
»Das wirst du mir nie verzeihen, oder?«
Jay zog eine Braue nach oben und ließ seinen Blick wieder über das Gelände schweifen. Sein Verhalten sagte mehr, als es Worte hätten tun können.
»Man ist entweder für oder gegen die Familie«, schien Collin sich zu verteidigen.
Jay winkte abwertend ab.
»Verschone mich mit diesem Maxime Gequatsche. Du hättest eine eigene Wahl treffen können. Aber...«
»Spar es dir. Ich habe diese Leier lange genug ertragen«, unterbrach ihn Collin mit fester Stimme.
Collin stand auf und sah Jay von oben herab an.
»Dieses Thema ist Geschichte. Lass dich von dem Groll vergangener Tage zerfressen, aber tue es stillschweigend.«
Ehe Jay etwas erwidern konnte, ging die Tür des Clubhouses auf und Jaxon trat, mit Nora im Arm, nach draußen.
Jays Mund schloss sich und sein Blick wurde weich. Collin drehte sich zu den beiden.
»Seid ihr bereit?«, fragte er und sah seinen Sohn an.
Dieser presste Nora ein wenig fester an sich.
»Wir haben keine andere Wahl.«
Nora löste sich aus Jaxons Umarmung und trat unmittelbar vor Collin.
»Wie geht es dir?«
Er lächelte sie gezwungen an und strich ihr sanft mit dem Daumen über die Wange.
»Ich werde gleich auf meine Familie schießen. Sie töten. Wie soll es mir dann schon gehen?«
Nora stiegen Tränen in die Augen.
»Versprich mir, dass du auf sie aufpassen wirst. Sorge dafür, dass sie älter werden. Ein Leben haben.«
Collin senkte den Blick, doch Nora war schneller. Sie packte ihm am Kinn und drückte seinen Kopf nach oben.
»Versprich es mir.«
Widerwillig erwiderte er ihren Blick, bis er schließlich nickte.
»Versprochen.«
»Gut. Dann lasst uns anfangen. Ich kann es kaum erwarten, den Teufel in den Arsch zu treten.«
Mit diesen Worten ließ Nora von Collin ab und lief auf die Mitte des Hofes.
Jaxon, Collin und Jay folgten ihr.
Sie hatten verloren. Das wussten sie bereits während des Anrufes von Killian. Er hatte ihre Kinder und wenngleich sie alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, die Gefahr, dass den beiden etwas passierte, war zu hoch. Außerdem war das Zeitfenster von einer Stunde einfach zu knapp, um irgendwas ausrichten zu können. Sie waren gut, aber keine Superhelden.
Nora griff nach Jaxons Hand, welche dieser sofort fest umschloss. Er drehte seine Frau zu sich, sodass sie sich gegenüberstanden. Ihre Blicke ruhten aufeinander und versanken. Erinnerungen liefen wie ein alter Film durch ihre Gedanken.
Ein sanfter Windhauch legte sich um die beiden und ließ sie die Augen schließen.
Ein sanftes Lächeln legte sich auf Jasons Lippen, als Nora im weißen Kleid und blonden Haaren vor seinem inneren Auge erschien. Collin führte sie durch die alte Kapelle. Sie war schon immer sein gleißendes Licht gewesen, wenn die Dunkelheit ihn versuchte zu verschlingen. Sonnenstrahlen drangen durch das kaputte Dach und ließen ihre Haare schimmern, als wären sie mit Gold besetzt. Sein Puls beschleunigte sich, als er ihr bezauberndes Lächeln vernahm, während sie vor ihm zum Stehen kam. Jahre hatte er in dem Glauben verbracht niemals Liebe zu erfahren. Jahre waren vergangen, in denen die Einsamkeit sein bester Freund war und nun - nun stand er hier. Dabei die Liebe seines Lebens zu heiraten. Eine ungreifbare Wärme breitete sich in seinem Körper aus und ein letztes Mal in seinem Leben vernahm er das Gefühl bedingungsloser Liebe.
Nora strich mit den Daumen über die Rückhand von Jason und ließ sich in den Sog der Erinnerungen ziehen. Blutverschmiert lehnte er an ihrer Wohnungstür. Der Regen prasselte auf ihn nieder. Seine Augen glänzten und mit zitternden Händen stützte er sich gegen den Rahmen. Gebrochen stand er vor ihr. Seine Tränen vermischten sich mit dem Tropfen des Regens und liefen ihn in Strömen über das Gesicht. Sie trat vor die Tür und sofort drang die Feuchtigkeit durch ihre Kleidung. Sie legte ihre Hände sanft auf seine Schultern und strich vorsichtig darüber. So standen sie unzählige Herzschläge, bis er langsam seinen Kopf anhob. Sie sah die Reue in seinen Augen und den Selbsthass, welcher ihn zu zerreißen drohte. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, denn es war der Moment, in dem sie verstand, dass sie ihn immer lieben würde. Denn egal, wie präsent das Monster auch sein würde, sie hatte gesehen, was sich hinter dieser Maske befand. Liebe. Bedingungslose, ehrliche Liebe.
Der Windhauch verschwand so plötzlich, wie er gekommen war, und beide öffneten die Augen. Zufriedenheit lag in ihren Gesichtern, denn sie wussten, dass sie nicht einen Tag der Vergangenheit bereuten. Sie waren bereit zu sterben. Bereit dafür ein letztes Mal ihre Familie zu beschützen.
»Ich liebe dich«, flüsterte Nora und ließ sich dabei von Jaxon zu sich ziehen.
Ihre Lippen trafen aufeinander und ein letzter Kuss der Liebe durchfuhr ihre Körper.
»Ich werde dich immer Lieben«, erwiderte Jaxon.
»Widerlich herzzerbrechend«, dröhnte es aus dem Lautsprecher des Handys.
Nora und Jaxon hielten ihren Moment der Zweisamkeit noch für einen Moment aufrecht, bevor sie sich voneinander lösten und sich in Richtung des Handys drehten, welches Jay in der Hand hielt.
Die schadenfroh verzogene Fratze von Killian sah sie an. Collins stand den beiden zähneknirschend gegenüber.
Nora atmete tief ein, bevor sie das Wort ergriff.
»Ich will meine Kinder ein letztes Mal sehen.«
Killian schien einen Moment zu zögern, drehte dann aber das Handy und sofort erschienen Liam und Freya im Bild.
Nora unterdrückte die aufsteigenden Tränen, als sie in die entsetzten Gesichter ihrer Kinder sah. Freyas Gesicht war blutverschmiert. Sie schien mehr bewusstlos als wach zu sein, trotz dass ihre Augen fest auf sie gerichtet waren.
»Was tut ihr da?«, fragte Liam ungläubig.
Jaxon trat neben seine Frau und lächelte seine Kinder an.
»Das, was alle Eltern für ihre Kinder tun würden. Alles für die Familie.«
Liam schüttelte fassungslos den Kopf.
»Kommt schon. Sagt Lebewohl und dann weiter im Text. Wir... nein ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, raunte Killian.
Nora seufzte.
»Wir sind stolz auf euch. Das waren wir schon immer. Wir...«
Ihre Stimme brach unter den Tränen und Jaxon legte sofort seine Hand um ihre Hüfte.
»Wir werden euch immer lieben. Habt ihr das verstanden? Für immer«, fügte Jaxon hinzu.
Freya lief eine vereinzelte Träne über die Wange, während Liam kopfschüttelnd auf seine Eltern sah.
Nora wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und trat einen Schritt näher auf Jay zu.
»Ihr wart schon immer alles in meinen Leben. Noch während ihr unter meiner Brust herangewachsen seid, wusste ich, dass ich mein Leben für euch geben würde. Passt auf euch auf. Seid füreinander da. Okay?«
Liam sah zu seiner Schwester, die seinen Blick erwiderte.
»Versprochen«, kam es gleichzeitig von den Zwillingen.
»Wir lieben euch«, sagte Jaxon und griff erneut nach der Hand von Nora, um sie von Jay wegzuziehen.
»Rührend und jetzt. Darf ich bitten?«, knurrte Killian genervt.
Er drehte sich so, dass sowohl er als auch Freya und Liam sehen konnten, was sich auf der anderen Seite abspielte.
Jaxon und Nora hielten sich immer noch fest an der Hand und standen nun Collin auf Augenhöhe gegenüber. Sein Gesicht war starr. Seine rechte Hand, in der er die Waffe hielt, zitterte leicht. Es schien, als wäre er in den letzten Minuten um fünfzig Jahre gealtert.
»Heute noch«, wiederholte Killian sich gereizt.
Collin schluckte und hob seine Hand. Er zielte auf die Brust von Jaxon.
»Ach und bevor ich es vergesse. Du solltest lieber Treffen, King. Ich werde natürlich prüfen lassen, ob du deine Aufgabe wirklich erfüllt hast.«
Doch Collin hatte ihn längst ausgeblendet. Alles, was für ihn gerade zählte, waren die letzten Sekunden mit seiner Familie. Seinem Sohn. Seiner Schwiegertochter, die er liebte, als wäre sie sein eigenes Fleisch und Blut. Er würde ihn das Leben nehmen. Er würde ihr Mörder sein.
Seine Hand begann stärker zu zittern.
»Tue es für die beiden, bitte«, flehte Jaxon, während er die Hand von Nora schmerzhaft zusammenpresste.
»Ich liebe euch«, hauchte er kaum hörbar.
Beide erwiderten seine Worte mit einem leichten Nicken und schlossen die Augen.
Zwei schnell hintereinander folgende Schüsse zerrissen die Stille und Jaxon sowie Nora sackten leblos zu Boden. Der Geruch von schwerem Metall breitete sich aus, während sich eine immer größere Blutlache unter den beiden bildete. Das warme Blut kroch über den staubigen Boden und suchte sich seinen Weg durch die Rinnen des Pflasters. Collin hielt den Arm immer noch vor sich gestreckt. Die Waffe fest umklammert.
»Denk nicht mal darüber nach. Der Freitod wird auch den Tod deiner Enkel bedeuten«, raunte Killian.
Collin senkte die Waffe und sah direkt in die Kamera. Emotionslose Augen traten Killian entgegen.
»Zufrieden?«
Killian nickte.
»So weit. Einige Männer sind auf den Weg zu euch. Bestätigen sie mir, dass die beiden wirklich tot sind und verlassen sie euer Gelände lebend, sind deine Enkel frei.«
Collin nickte nur und verschwand aus dem Bild.
»Wunderbar. Einfach wunderbar«, säuselte Killian, während er das Gespräch beendete und zu den Zwillingen sah.
»Na. Na. Zieht doch nicht so ein Gesicht. Ihr lebt. Das sollte doch Trost genug sein.«
Liam und Freya starrten durch ihn hindurch.
»Wie auch immer«, raunte Killian und verließ die Scheune, denn er hatte längst begriffen, dass er von den beiden keine Reaktion erhalten würde.
Aaron krampfte seine Finger fest um die Stäbe seiner Box. Sämtliche Farbe hatte sein Gesicht verlassen. Ungläubig darüber, was er gerade erlebt hatte. Die Bilder seines besten Freundes Abel schossen ihm in den Sinn. Dessen aufgerissene, tote Augen starrten ihn an. Er spürte sofort wieder den Blutschleier auf seiner Haut.
Hass, Wut, Trauer. Die Gefühle in seinem Inneren überschlugen sich.
Verzweifelte Schreie drangen in sein Ohr. Sein Magen zog sich zusammen und die Säure stieg ihm die Kehle nach oben. Erst jetzt begriff er, dass der Schrei von ihm kam und als er ihn unterband, überrollte ihm der Würgereiz. Er kotzte sich die Seele aus dem Leib und erst nachdem nichts, außer dem Gefühl der Schuld in seinem Magen geblieben war, sah er zu ihnen.
Sie hingen immer noch schweigend, mit leerem Blick, in ihren Fesseln. Nicht ein Ton hatte ihre Kehlen verlassen. Nicht eine Regung war in ihrem Gesicht zu erkennen.
»Es. Es tut mir leid«, flüsterte Aaron.
»Es tut mir so unendlich leid, aber was...«
Freya hob den Kopf. Aaron blieben die Worte im Hals stecken, als er ihren Blick vernahm. Für wenige Sekunden sah er den wild lodernden Hass.
»Fahr zur Hölle!«, fauchte Freya ihm entgegen und erstickte somit jeden Versuch, zur Erleichterung seines Gewissens.
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