ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 32 - ᴇɪɴ ᴋʟᴇɪᴅ
»Das ist doch Irrsinn und das weißt du. Es wird sie zu Boden reißen«, raunte Tom und strich sich dabei frustriert die Haare aus seinem Gesicht.
Sein Blick war fest auf Liam gerichtet, welcher im Schatten der Dunkelheit an die Hauswand gelehnt stand. Nur die leuchtend rote Glut der Zigarette, die sich in dessen Augen widerspiegelte, war zu erkennen.
»Und was soll ich deiner Meinung nach machen?«
Tom seufzte und nahm Liam die Zigarette aus der Hand, um sie an seine eigenen Lippen zu führen.
»Können wir Nora und Jaxon nicht erzählen, was wirklich los ist. Liam, sie wissen nur die Hälfte der Wahrheit«, murmelte Tom verzweifelt.
»Na klar und setzen uns so dem Wahnsinn von Freya aus? Sicher nicht. Noch liegt mir etwas an meinem Leben.«
Tom schüttelte enttäuscht den Kopf und reichte Liam den Rest der Kippe zurück.
»Das endet böse«, betonte er mehr als nötig und verschwand ins Haus.
»Als wüsste ich das nicht«, raunte Liam zu sich selbst.
Sein Herz wurde schwer, als er sich langsam zu Boden gleiten ließ. Er wollte nicht, dass Freya sich selbst das Herz brechen würde. Aber genau dafür hatte sie sich entschieden und ihm blieb nichts anderes übrig, als hilflos dabei zuzusehen und sie aufzufangen, wenn sie fiel.
Tom stieg die Treppe nach oben und blieb vor Freyas Tür stehen. Leise klopfte er dagegen und wartete auf eine Antwort. Doch nichts rührte sich.
»Freya?«, fragte er leise in den Raum, nachdem er die Tür einen spaltbreit geöffnet hatte.
Das Zimmer lag völlig still und dunkel vor ihm, nur ein sanfter Windhauch legte sich über sein Gesicht. Automatisch wanderte sein Blick nach rechts und er entdeckte Freya, die aus dem offenen Fenster starrte.
»Ist es okay, wenn ich reinkomme?«
Ein leises Seufzen ging durch die Stille.
»War es das jemals nicht?«
Tom vernahm den Tiefschlag, den sie ihn soeben verpasst hatte. Noch nie hatte er ihr diese Frage gestellt und noch nie hatte er an ihre Tür geklopft. Er behandelte sie gerade wie ein rohes Ei und es gab nichts, was sie mehr hasste. Tom sparte sich die Antwort, betrat das Zimmer und drückte die Tür hinter sich zu. Als er neben ihr zum Stehen kam, fiel seine Aufmerksamkeit auf das leuchtende Display ihres Handys.
-Sorry, ich erklär dir morgen alles. Treffen wir uns zu der Party? Freya-
Die Nachricht war vor wenigen Minuten verschickt worden.
Tom schluckte leise und musterte Freya. Ihr Gesicht war ausdruckslos und nur das dumpfe Mondlicht, zeichnete einige Konturen darin ab.
»Du ziehst es also durch?«, fragte Tom, obwohl er die Antwort schon längst kannte.
Freya nickte und starrte weiter aus dem Fenster.
»Bist du dir sicher, dass es eine gute Idee ist?«, fragte Tom gefühlt zum hundertsten Mal.
Schlagartig änderte sich Freyas Gesichtsausdruck und eine tiefe Furche bildete sich auf ihrer Stirn.
»Hat die Schallplatte einen Hänger oder wo liegt der Fehler?«
Tom seufzte und drehte sich zu ihr.
»Das wird Bullshit und das wissen wir beide. Du magst ihn. Du kannst ihn nicht in eine verfickte Falle locken.«
Die Furche aus Freyas Gesicht verschwand. Stattdessen wanderten ihre Augenbrauen in die Höhe.
»Ich hatte schon Angst, du hast das Fluchen verlernt.«
Ein unwillkürliches Lächeln zuckte über Toms Lippen. Er hasste es, aber sie schaffte es, ihn in den unmöglichsten Situationen zum Lächeln zu bringen.
Freyas Mundwinkel zuckten und sie blickte wieder aus dem Fenster.
»Du hast recht. Ich mochte ihn. Doch so schnell, wie es angefangen hatte, war es auch wieder vorbei. Du solltest wissen, dass meine Gefühle in so einem Fall keine Rolle spielen. Er hat mich ausgenutzt und ich werde nicht zulassen, dass er damit ungestraft davon kommt.«
Tom musterte sie und musste sich eingestehen, dass keine Worte der Welt, etwas an ihrer Entscheidung ändern würden. Die Nerven für eine nutzlose Diskussion hatte er nicht und seine Abreise stand ebenfalls bevor. Die Zeit, die sie noch miteinander hatten, würde er nicht mit Streit verbringen. Langsam stellte er sich hinter sie und legte seine Arme um ihre Hüfte. Er zog sie fest an sich und legte seinen Kopf auf ihrer Schulter ab.
»Du weißt, dass ich dich für deine Art bewundere.«
Freya lehnte sich tiefer in seine Arme.
»Und ich verstehe es bis heute noch nicht«, flüsterte sie leise.
Tom drückte ihr einen sanften Kuss an den Hals.
»Das musst du auch nicht«, erwiderte er und löste sich von ihr.
»Lass uns schlafen gehen.«
Freya nickte, schloss das Fenster und folgte Tom in das Schlafzimmer.
»Es ist mir egal, Liam wird dich begleiten«, wiederholte Jaxon sichtlich genervt.
Er stand an die Küchentheke gelehnt und starrte seine Tochter an. Freya hatte ihre Augen schon beinahe in den Hinterkopf gedreht, weil sie keine Lust mehr auf diese Diskussion hatte.
»Keiner kennt ihn dort. Was soll das?«, erwiderte sie.
Liam, Tom und Nora saßen auf der Couch und schwiegen. Keiner von ihnen hatte vor, sich in den Kampf der Giganten einzumischen. Besser war es wohl.
»Killian Kelly darf nicht unterschätzt werden!«
Freya knallte die Kaffeetasse vor sich auf die Theke.
»Ich mach so eine Scheiße doch nicht zum ersten Mal. Manchmal denke ich, du vergisst, wer ich bin«, warf sie ihren Vater entgegen. »Außerdem weiß Aaron nicht, dass wir wissen, wer er ist. Also was soll mir auf einer verdammten Strandparty schon passieren?«
Eine tiefe Zornesfalte bildete sich auf Jaxons Stirn, als er sich auf der Arbeitsplatte aufstützte und sich zu Freya lehnte.
»Ich weiß, wer du bist! Und genau darum wird Liam dich begleiten. Ende der Diskussion oder du bist raus! Verstanden?«
Nora zog scharf die Luft ein und sprang auf. Die Anspannung in der Luft war nicht mehr zu ignorieren und bevor das erste Unheil in ihrem Wohnzimmer ausbrach, trat sie neben die beiden. Ihr Blick galt zuerst Jaxon, während sie ihre Hand sanft auf seine legte.
»Ich denke, du hast noch einiges vorzubereiten.«
Er sah sie an, doch ihr Blick sagte ihm, dass auch hier Widerspruch sinnlos sein würde. Auch wenn es ihm nicht schmeckte, er wusste, dass das Ganze hier nur noch in eine Richtung gehen konnte, und das war keine gute. Also nickte er, wandte sich ab und verschwand nach draußen.
So wie die Tür hinter ihm zufiel, drehte Nora sich zu Freya. Ihre Blicke trafen sich und Freya vernahm die Sorge in dem Blick ihrer Mutter.
»Bitte«, sagte diese fast flehend.
Freya schluckte und sofort wurde ihr Blick weicher.
»Was ist los Mum?«
Freyas Vorhaben war ein Kinderspiel. Sie hatte wesentlich gefährlichere Dinge durchgezogen, ohne dass ihre halbe Familie durchdrehte.
Nora ergriff ihre Hand und schüttelte mit dem Kopf.
»Ich weiß es nicht, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
Freya musterte ihre Mum. Sie und ihr Bauchgefühl. Wie gern würde Freya es ignorieren. Aber sie konnte es nicht, denn auch sie hatte diese Gabe und so nickte sie schließlich.
»Okay. Liam kommt mit. Tom, du fährst. Du bleibst aber im Wagen. Nur für den Fall der Fälle.«
Es schienen alle gleichzeitig aufzuatmen.
»Danke«, sagte Nora und lächelte ihre Tochter an.
Diese erwiderte das Lächeln nur und wandte sich ab.
Nur Sekunden später war Freya verschwunden und Nora sah zu den Jungs.
»Passt auf sie auf!«
»Werden wir.«
Nora rieb sich über den Nacken und seufzte.
»Na dann, geh ich mal den zweiten Stinkstiefel beruhigen.«
Freya lag auf ihrer Couch und starrte an die Decke. Das erste Mal, seitdem sie erfahren hatte, dass Aaron nicht der war, für den sie ihn hielt, fiel ihre Maske.
Ihr Magen spielte verrückt und Übelkeit stieg ihr in immer wiederkehrenden Schüben auf. Er hatte sie verarscht und das erste Mal seit Jahren schmerzte diese Tatsache. Nichts war mehr von der »Ist mir egal« Einstellung vorhanden. Dieser Schlag hatte gesessen.
Tief. Zu tief.
Sie verstand es nicht. Irgendwas passte bei alle dem nicht zusammen. Sie hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen. Die Angst. Sie hatte gespürt, dass auch er von Dunkelheit umgeben war. Das alles konnte nicht gespielt gewesen sein. Es musste mehr dahinter stecken, als dass sie zu einer Spielfigur in irgendeinem Schachspiel geworden war. Freya hatte sich noch nie von Gefühlen leiten lassen. Noch nie hatte es jemand Außenstehendes geschafft, ihre Mauern einzureißen. Für Aaron schien es aber ein Leichtes gewesen zu sein. Warum war gerade er unter ihrem Radar geflogen. Sie roch Gefahren sonst schon von Weitem und dann schenkte sie ausgerechnet ihm einen Freifahrtschein? Warum ausgerechnet jetzt? Warum er?
Und doch waren die Antworten auf diese Fragen völlig egal. Er hatte ihrer Familie geschadet. Wären die Umstände ein klein wenig anders, würde er schon längst mit einer Kugel in seinem verdammten Schädel in der Ecke liegen. Sie musste aufhören, über etwas nachzudenken, was schon längst nicht mehr in ihrer Hand lag.
Sie schaltete die Musik an und drehte sie so lange lauter, bis sie endlich die Stimmen in ihrem Kopf übertönte.
Liam wackelte nervös mit den Füßen. In wenigen Minuten würden sie sich auf den Weg zu der Party machen. Während Freya die letzten Stunden das Haus mit Darkmetal beschallt hatte, kreisten seine Gedanken um das Kommende. In seinen Magen lag ein schwerer Stein, der ihn in die Tiefe zog. Seit langer Zeit hatte er keine Angst mehr verspürt und umso schrecklicher war es heute, diese in ihrem vollen Ausmaß zu erleben. Er liebte Freya. Mehr als er es hätte in Worte fassen können und sie auf den Weg zu ihrer Schlachtbank zu begleiten, zerriss ihm das Herz.
»Besser als die Töne eines Klaviers zu hören.«
Tom riss Liam aus seinen Gedanken.
»Was?«
Tom sah Liam fragend an.
»Ich sagte: Besser als Klaviertöne. Würden diese durch das Haus dringen, wüssten wir, dass ein Massaker an die Tür klopft.«
Liam nickte, doch seine Gedanken schweiften bereits wieder ab.
»Was ist los?«, fragte Tom, während er sich neben Liam setzte.
Dieser zuckte mit den Schultern.
»Ich habe Angst«, erwiderte er, ohne darüber nachzudenken.
Tom atmete tief ein.
»Da sind wir ja schon zwei, aber ... Holy Shit. Kneif mich einer.«
Liam runzelte die Stirn und sah zu Tom. Doch der starrte vor sich und sah aus, als würde er einen Geist sehen. Liam folgte seinen Blick und als er sie sah, klappte ihn der Mund auf.
»Bei den Göttern.«
Freya hob die Brauen und stieg die Treppe weiter hinab.
»Was ist? Als hättet ihr mich noch nie in einem Kleid gesehen.«
Tom und Liam schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Haben wir auch nicht.«
Freya hielt auf der letzten Treppe inne.
»Hatte ich noch nie ein Kleid an?«
»Nein. Aber es steht dir. Du siehst gut aus«, raunte Jaxon, der gerade in die Küche trat.
Freya entfuhr ein Lächeln.
»Oh, mein Fehler. Dann mal her mit den Komplimenten.«
Sie stieg die letzte Stufe hinab und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Sie trug ein bodenlanges, schwarzes Kleid, welches sich eng um ihren Körper legte. Seitlich zeigten sich beinahe hüfthohe Schlitze, die ihre perfekt gebräunten Beine betonten. Ihr Dekolleté war beinahe schon zu hoch geschlossen, dafür lag ihr Rücken völlig frei.
Ihre langen blonden Haare trug sie offen und sie hatte sich leichte Wellen in diese gezaubert. Ein Kranz aus tiefschwarzen Wimpern ummantelte ihre leuchtend blauen Augen. Nichts, außer die vielen bunten Tattoos, erinnerte in diesem Moment an die Freya, die alle kannten.
»Du siehst aus wie ein Mädchen«, entfuhr es Liam und stoppte damit diesen außergewöhnlichen Moment.
»Keine Angst, auch dieses Mädchen kann dir den Arsch aufreißen. Können wir los?«
Tom lachte auf.
»Ja, eindeutig noch die Alte. Fahren wir, bevor ihr diesen Moment noch vollkommen zerstört.«
Freya streckte ihm den Mittelfinger entgegen, musste dabei aber schmunzeln. Während Tom und Liam bereits dabei waren, das Haus zu verlassen, trat Jaxon vor Freya. Er lächelte sie an und strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
»Es tut mir leid, dass ich vorhin so launig war, aber...«
Freya griff nach seiner Hand und schüttelte den Kopf.
»Mir tut es leid.«
Mehr Worte waren nicht nötig. Sie sahen sich noch einen Moment an, bis Freya ihrem Vater einen Kuss auf die Wange drückte.
»Wir sehen uns später, okay?«
Jaxon war nicht imstande zu sprechen. Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet. Also nickte er nur und schenkte ihr ein halbschariges Lächeln.
»Alles wird gut«, sagte Freya zum Abschied und schon verschwand sie ebenfalls aus dem Haus.
Jaxon sah ihr nach und das erste Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, dass sie unrecht haben sollte.
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