ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 27 - ɢᴇᴍᴇɪɴsᴀᴍᴋᴇɪᴛ
Aarons Blick wanderte immer und immer wieder die Linien auf seinen Rippen ab. Es war... perfekt. Zu perfekt. Es war, als hätte sie in seine Seele geblickt und sie nach außen gekehrt, aber wie war das möglich. Ja, sie hatte seine Verletzungen gesehen, aber wie konnte sie so viel aus diesen interpretieren. Langsam löste er den Blick vom Spiegel und drehte sich zu ihr.
»Freya. Ich... Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist... es ist einfach perfekt. Woher wusstest du...?«
Freya stand an der Liege angelehnt und hatte ihren Blick zu Boden gerichtet. Sie würde ihm nicht erklären können, wie sie auf dieses Bild gekommen war. Sie hatte es einfach vor Augen.
Es war riesig geworden und zog sich über seine komplette rechte Flanke. Es zeigte sein Gesicht, geprägt von einem leeren Blick. Seine Lippen aufgeplatzt und blutverschmiert. Krallenartige Hände umschlossen seinen Hals und schienen ihm langsam die Luft abzudrücken. Darunter, leicht versetzt, war ein weiteres Porträt seines Gesichtes. Unverletzt mit einem weichen, warmen Lächeln. Eine Maske, welche von einer weiteren Hand scheinbar in Richtung des ersten Bildes geschoben wurde. Eine Maske, welche dazu diente, die Wahrheit zu verbergen. Ummantelt von dunklem Nebel, trat eine helle Schrift unter den Gesichtern hervor.
Days that break you are the days that shape you and make you invincible in the end.
»Ich weiß es nicht, es war einfach da«, murmelte sie und hob langsam den Kopf. »Es tut mir leid.«
Aaron sah sie irritiert an.
»Was? Nein, ich... es gefällt mir, wirklich«, stotterte er und trat auf sie zu.
»Das meine ich nicht. Es tut mir leid, dass du, was auch immer durchleben musstest oder vielleicht noch musst, um dieses Tattoo so zu fühlen.«
Aaron durchfuhr ein Schauer, als er ihren Blick sah. Schuld fraß sich durch seinen Leib und ließ ihn weiter auf sie zu gehen. Am liebsten hätte er sie einfach in seine Arme gezogen. Doch er wusste nicht, wie sie reagieren würde und noch mehr Angst, machte ihm, dass er nicht wusste, was dies in ihm auslösen konnte. Er blieb vor ihr stehen und sah ihr tief in die Augen.
»Du könntest dieses Tattoo ebenso tragen, oder?«, fragte er leise.
Ein undurchdringbares Rauschen legte sich in ihre Ohren, als sein Geruch sich in ihre Nase schlich. Ihr Herz begann zu stolpern und sie spürte wie Angst und Verlangen anfingen, um die Oberhand in ihr zu kämpfen. Wie viel Vertrauen hatte er verdient?
Ihre Hand wanderte langsam zum Rand ihres Shirts und sie zog es beinahe in Zeitlupe nach oben. Ein ebenso großes Tattoo auf ihrer rechten Flanke kam zum Vorschein. Zwei Frauen. Zwei Gesichter. Eins übel zugerichtet. Eins freundlich lächelnd. Nur die Augen zeigten dasselbe. Trauer. Tiefe sich ins Mark fressende Trauer.
Aaron stockte der Atem. Nicht wegen des Tattoos, denn das bestätigte nur, was er schon vermutet hatte. Nein, es waren die vielen kleinen Narben, welche sich über ihren Oberkörper erstreckten.
»Was ist dir passiert?«, entfuhr es ihm.
Freya ließ das Shirt fallen und wollte einen Schritt zurücktreten, doch Aaron folgte ihr. Er konnte nicht mehr anders und ließ seine Hand sanft an ihre Wange gleiten. Behutsam drückte er ihren Kopf nach oben und zwang sie so, den Blick wieder auf ihn zu richten.
»Freya, was ist dir passiert?«, fragte er erneut.
Die Wärme, welche von ihm auf ihren Körper überging, schickte ihr ein Prickeln über den Körper und ließ sie tief einatmen. Es machte keinen Sinn, gegen etwas anzukämpfen, was sie viel zu sehr genoss. Sie lehnte sich leicht gegen seine Berührung und richtete ihren Blick langsam zu ihm. Die Sorge, welche in seinen grünen Augen lag, zog ihr das Herz zusammen. Was tat er nur mit ihr? Sie würde ihm nicht antworten können, auch wenn ein kleiner Teil in ihr, danach verlangte. Dieser wollte ihm die Wahrheit vor die Füße kotzen, doch ihr Verstand, egal, wie vernebelt dieser gerade zu sein schien, würde genau das, niemals zulassen. Zu hoch hatte dieser die Mauer um sie gezogen. Zu sehr war dieser darauf bedacht, die letzten Stücke ihrer Seele zu schützen.
Doch das Verlangen in ihr hatte ein anderes Ziel. Ihr Blick wanderte über seine scharfen Gesichtszüge und hielt erst an seinen Lippen inne. Ihr Puls tobte durch ihren Körper und sie vernahm deutlich, die wild pochende Ader an Aarons Hals. Seine Wärme ummantelte sie und zog sie in seinen Bann. Rationales Denken war nicht mehr möglich und wurde von dem unbändigen Verlangen ihm näher zu sein, verdrängt.
Aarons Kehle trocknete aus. Das Wissen darum, dass er auf den besten Weg war, etwas Falsches zu tun, wurde zu einer kaum hörbaren Stimme irgendwo in den Tiefen seines Hirns. Seine zweite Hand legte sich an ihr Gesicht und die Gänsehaut, welche diese Berührung auf ihren Körper verursachte, ließ ihn alles vergessen. Er lehnte sich tiefer zu ihr. Den Blick auf ihre fordernden Augen gerichtet, vernahm er ihren warmen Atem, der seine Haut berührte.
»Warum zur Hölle gehst du schon wieder nicht an dein verfluchtes Telefon«, donnerte Liams Stimme durch den Raum, als er die Tür des Studios aufriss.
»Und wo ist Jay? Wir müssen...«, schlagartig hielt er inne, als er gerade noch sah, wie Freya sich aus Aarons Händen drehte und schnell einige Schritte Abstand zwischen sie brachte.
Liam sah seine Schwester an, deren Haut auffällig rot schien, bevor sein Blick zu Aaron wanderte, der seinen Blick zu Boden gerichtet hatte und sich am Hinterkopf kratzte.
»Stör ich?«, fragte Liam und sah seine Schwester mit einem missfallenden Blick an.
»Nein«, knurrte sie ihm entgegen, nachdem sie sich endlich wieder gesammelt hatte.
Liam sah sie wissend an und wartete scheinbar auf eine Erklärung.
In Freya brodelte es. Nicht, weil Liam sie vor einer unglaublichen Dummheit bewahrt hatte. Sie war angepisst auf sich selbst und das sie es hatte so weit kommen lassen. Einen Unterschied machte sie aber aktuell nicht daraus.
»Was willst du?«, fauchte sie Liam an und lief dabei zurück zu der Liege.
»Wissen, was hier los ist!«
Freya griff nach der Folie und drehte sich mit finsterem Blick zu ihrem Bruder.
»Ich arbeite«, maulte sie und sah zu Aaron, der schweigend neben ihr stand.
»Arm hoch«, fuhr sie auch diesen schroff an.
»Hm... ist klar«, hörte sie Liam murmeln und spürte seinen brennenden Blick im Nacken.
Aaron hatte, ohne zu zögern, den Arm gehoben und ließ sich von Freya die Folie auf das Tattoo legen. Er vernahm ihre Angespanntheit und sparte sich jegliche Art von Fragen. Erst als sie fertig war, sah er sie fragend an.
»Was bekommst du?«
Freya, die bereits damit beschäftigt war, die Liege zu desinfizieren, schnaubte.
»Geht aufs Haus.«
Liam zog die Brauen nach oben und sah fragend zu Aaron. Der wiederum sah zu Freya, die keinem der beiden auch nur den Hauch von Beachtung schenkte und wütend über die Liege schrubbte.
»Ich denke, es ist besser, du gehst«, raunte Liam ihm zu.
Der Ton ließ keinen Widerspruch zu und Aaron hätte auch keinen sinnvollen gehabt. Er angelte nach seinem Shirt, schnappte sich seinen Rucksack und warf einen letzten Blick zu Freya.
»Ich...«, er hielt inne, lief zu der Theke und schnappte sich einen Stift.
Er schrieb seine Handynummer auf einen Zettel und ließ ihn einfach darauf liegen.
»Danke«, raunte er und wandte sich ab.
Als er an Liam vorbeilief, warf dieser ihm einen eigenartigen Blick zu.
»Man sieht sich«, knurrte Liam.
Der abermals drohende Ton triggerte Aaron und er spürte die Wut in sich aufsteigen. Doch da er weder wusste, wer dieser Typ war, noch in was für einer Beziehung er zu Freya stand, schluckte er seinen Zorn nieder und knallte die Tür hinter sich zu.
»Das war doch der Typ aus dem Park. Was wollte er hier?«
Liam hatte sich wieder zu Freya gewandt, die das Putzen zwar eingestellt hatte, aber immer noch mit dem Rücken zu ihm gewandt stand.
»Ein Steak mit Zwiebeln«, rutschte ihr garstig heraus.
Liam seufzte und kniff sich in den Nasenrücken. Er wusste, dass er auf die Bremse treten musste, sonst würde es hier gleich mörderisch knallen.
»Freya. Was ist los mit dir?«, fragte er plötzlich sanft.
Es war nichts Neues, das Freya ein Badass sein konnte, aber für gewöhnlich trat dieses nicht in den eigenen Reihen zum Vorschein. Doch seit Tagen wirkte sie völlig instabil und tickte bei jeder Kleinigkeit aus. Er sah, wie sie den Kopf hängen ließ und tief einatmete.
Die Sorge, welche sie in Liams Stimme vernahm, wandelte ihre Wut in Schuld. Sie drehte sich zu ihm und sah ihn an.
»Ich weiß es nicht«, gab sie ehrlich zu.
Liam trat an sie heran und schloss sie in eine feste Umarmung. Behutsam strich er ihr über den Rücken, während sie sich fest an seine Brust drückte.
Poch... Poch... Poch...
Seine Wärme und Nähe ließen ihre Anspannung langsam verschwinden und brachten ihre kreisenden Gedanken zur Ruhe. Als Liam sich sicher war, dass sie sich halbwegs beruhigt hatte, drehte er den Kopf und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe.
»Also wer war das?«, fragte er erneut.
Sie zog ein letztes Mal tief seinen Duft ein und löste sich dann aus seinen Armen.
»Aaron. Ein Klassenkamerad und mein heutiger Kunde.«
Liam musterte sie. Freya wirkte mitgenommen und er wusste, was er gesehen hatte. Natürlich konnte er nachbohren, aber dazu war jetzt gerade einfach der falsche Zeitpunkt.
»Okay«, erwiderte er stattdessen und sah dabei zu, wie Freya zu der Theke sah und auf den Zettel starrte.
»Steck ihn ein und lass uns später darüber reden. Jetzt haben wir ein anderes Problem, was gelöst werden muss.«
Freya drehte sich mit fragendem Blick zu ihm.
»Was ist los?«
Ein hinterhältiges Lächeln legte sich in Liams Gesicht.
»Wir haben die Adressen der angeblichen Augenzeugen und ich denke, es wird Zeit für einen Besuch.«
Schlagartig vergaß Freya alles um sich herum. Aaron wurde zu einem nichtigen Nebengedanken, denn jetzt zählte nur noch eins.
Ihre Familie.
»Warum sagst du das nicht gleich«, fauchte sie und griff sofort nach ihren Wagenschlüsseln.
Liam lachte.
»Sicher. Am besten vor diesem Aaron, oder?«
Freya sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Arschloch. Los!«
Sie griff nach dem Zettel mit Aarons Nummer und ließ ihn in der Arschtasche ihrer Jeans verschwinden. Liam grinste sie dämlich dabei an.
»Oh ja, darüber werden wir reden.«
Freya boxte ihm im Vorbeigehen auf den Oberarm und riss danach die Tür auf.
»Einen Scheiß werden wir und jetzt komm endlich, ich habe es satt, dass ich mir mein Essen selbst kochen muss!«
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