ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 21 - ʀᴀᴛᴛᴇ?
Freya fiel in einen Tunnel der Trance. Sie vernahm das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Für einen Moment zog es ihr die Lunge zusammen und ein brennender Schmerz schoss durch ihre Kehle. Tausende Gedanken überschlugen sich in ihren Schädel und keiner davon ergab ansatzweise Sinn.
»Freya?«
Sie hörte ihren Namen dumpf und vernahm die sanfte Berührung auf ihrer Schulter.
Liam schob sich vor sie und sah sie mit Sorge in den Augen an.
»Freya?«
Angeschossen fuhr es ihr durch die Gedanken und mit diesem, kroch ihr eine eisige Kälte über das Kreuz. Schlagartig lichtete sich der Nebel, der sie versucht hatte zu verschlingen. Sie hob den Blick und sah Liam für wenige Sekunden an, bevor sie zu ihrer Mutter sah.
»Wo ist er?«, hauchte sie.
Nora zeigte in Richtung des Clubhouse.
»Es geht ihm gut«, hörte sie Nora noch schreien, doch diese Worte schafften es nicht mehr Gehör bei Freya zu finden.
Sie sprintete bereits auf das Holzgebäude zu. Ihr Herz trommelte in ihrer Brust, als würde eine Herde wilder Hengste über eine Koppel galoppieren. Ohne zu bremsen, krachte sie förmlich durch die Tür und wurde sofort mit fragenden Blicken empfangen.
»Wo?«, war das Einzige, was sie über die Lippen brachte.
Mehrere Hände hoben sich und zeigten auf die Tür zum Memberraum.
Schnellen Schrittes eilte Freya zu der Tür und stieß auch diese auf. Die Regeln des Anstandes waren in der Versenkung verschwunden und als die Tür das Bild hinter ihr freilegte, zog es ihr die Brust zusammen.
Ein roter Schleier aus Blut hatte sich auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes gelegt. Eine blutige Spur führte zu diesem und löste in Freya ein unbändiges Verlangen aus. Ihre Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten und sie presste ihre Lippen fest aufeinander.
»Freya?«
Wieder vernahm sie ihren Namen, doch diesmal schaffte es, die dunkle raue Stimme sie davor zu bewahren in ihren Gedankenstrudel zu versinken.
Vorsichtig nahm sie den Blick von dem Blut und richtete ihn auf die Person unmittelbar vor sich. Sofort verschwand die Kälte in ihren Inneren und Wärme trat an deren Stelle.
»Dad«, flüsterte Freya und im nächsten Moment stürzte sie auf ihn zu und ließ sich in seine Arme fallen.
Der herbe Duft ihres Vaters kroch durch ihre Nase und schenkte ihren aufgewühlten Inneren einen Hauch von Sicherheit. Sie presste sich fest an seine Brust, was ihm zum Aufstöhnen brachte.
Freya zuckte zurück und sah ihren Vater an.
»Geht es dir gut?«
Jaxon nickte, auch wenn seine weiße Haut ihr etwas anderes sagte. Ein dicker Verband lag auf seiner Schulter und hob sich deutlich von seiner Blut verschmierten Haut ab.
Jaxon strich ihr sanft über die Wange.
»Alles gut, Kleine. Hätte schlimmer kommen können.«
Freya, die immer noch vor ihren Vater hockte, ließ die Situation auf sich wirken.
Er saß. Er redete. Er lebte.
Als diese Erkenntnis in ihrem Schädel ankam, schlug ihre Laune direkt wieder um.
»Wer zur Hölle war das?«, knurrte sie und Jaxon sah die Wut in ihren Augen aufsteigen.
Noch ehe er antworten konnte, ging die Tür erneut auf und Liam, Tom und Nora betraten den Raum.
Jaxon beachtete diese jedoch nicht und richtete seinen Blick wieder auf Freya.
»Mir geht es gut. Schlimmer war die Sorge um dich.«
Schuldgefühle überrannten Freya und sie senkte den Blick.
»Es tut mir leid, aber ich...«, sie stockte, denn sie hatte nicht vorgehabt, ihrer Familie zu erklären, dass ihre Flashbacks sie wieder fest im Griff hatten.
Sie seufzte.
»Ich hatte den Ton aus«, log sie stattdessen.
Jaxon fixierte sie, nickte aber anschließend.
»Es ist egal, Hauptsache dir geht es gut.«
Er lächelte sie an und sah dann zu den anderen auf.
»Setzt euch und Liam, hol Finn«, forderte Jaxon.
Liam verließ sofort den Raum und der Rest folgte seiner Anweisung. Sie setzten sich an den Tisch und unwillkürlich starrten alle auf die Blutlache, welche wie ein Mahnmal über ihnen allen schwebte.
Nachdem auch Finn und Liam an dem Tisch Platz genommen hatten, ruhten alle Blicke auf Jaxon.
»Wie geht es den anderen Jungs?«, fragte Jaxon und sah dabei zu Finn.
»Gut, hat keiner etwas abbekommen«, erwiderte dieser sofort.
Jaxon nickte und sah zu Nora.
»Die Werkstatt?«
Nora seufzte auf.
»Feuer ist gelöscht. Offiziell war es ein technischer Defekt. Grüße von Thorsten, mit diesem Bericht sind wir quitt. Schadenhöhe steht noch nicht fest.«
Jaxon nickte erneut. Er mied den Blick zu Freya, denn er spürte ihr brennendes Verlangen nach Antworten.
»Sind alle mittlerweile hier?«, fragte er stattdessen.
»Ja«, gab Finn knapp von sich.
»Willst du mich verarschen?«, unterbrach Freya diese eigenartige Kommunikation und starrte ihren Vater mit vor Wut funkelnden Augen an.
Jaxon seufzte und sah sie an.
Er liebte seine kleine tickende Zeitbombe, aber manchmal.
»Nein, aber ich kann nicht viel sagen. Es gab eine Explosion in der Werkstatt. Keine Ahnung, warum und wo genau sie war. Wir sind so schnell wie möglich rausgerannt und wurden von einem Kugelhagel empfangen. Es ist ein glatter Durchschuss. Dank Tom konnte Schlimmeres verhindert werden.«
Freya tippelte mit den Fingern auf den Tisch. Das reichte ihr nicht.
»Wer hat geschossen?«, fragte sie fordernd.
Jaxon zog die Schultern nach oben und sofort verzog sich sein Gesicht schmerzhaft.
»Ich weiß es nicht. Sie waren maskiert und da wir damit zu tun hatten unsere Ärsche zu retten, blieb keine Zeit zum Nachfragen.«
Stille.
Freya war immer noch unzufrieden, doch sie hatte an Jaxons Ton bereits erkannt, dass sie sich in ihrer Art lieber Zügeln sollte. Liam hatte seine Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und fuhr sich unentwegt über das Kinn. Finn schien ebenso in Gedanken vertieft zu sein und Tom sein Blick wanderte immer wieder zu Freya, welche völlig angespannt neben ihm saß.
Plötzlich fokussierte sich Finn sein Blick und er sah zu Jason.
»Warum warst du in der Werkstatt? Du wolltest doch heute frei machen.«
Jaxon sah zu ihm.
»Zufall. Ich war auf den Weg zur Tankstelle, als die Motorkontrollleuchte von meinem Bike angesprungen ist.«
Finn runzelte die Stirn.
»Kannst du schätzen, wie viele Schützen es waren?«, bohrte Finn nach und erweckte damit Freyas Aufmerksamkeit.
Jaxon rieb sich über die Stirn.
»Vier oder fünf.«
Freya starrte Finn an und als er ihren Blick erwiderte, sah sie zurück zu ihrem Vater.
»Wie weit standen sie von euch entfernt?«
Jaxon hob eine Braue.
»Keine Ahnung. Vielleicht drei oder vier Meter.«
Wieder breitete sich Stille aus.
Freyas Gedanken rasten und suchten nach Antworten, doch irgendwas passte einfach nicht zusammen. Es war, als würden die Fäden lose durch die Gegend schwirren, ohne einen Knotenpunkt zu haben.
»Hm...«, gab Freya von sich, was alle Blicke auf sie zog.
»Was ist los?«, fragte Nora, die ihre Tochter aufmerksam musterte.
Freya seufzte und sah auf.
»Sagen wir es waren vier Angreifer, die keine vier Meter von ihren Zielen entfernt gestanden haben. Warum haben wir nicht mehr Verletzte?«
Nora runzelte die Stirn und zeigte auf Jaxon.
»Reicht seine Schussverletzung nicht?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Freya stöhnte auf.
»Doch natürlich. Aber wenn sie so nah waren und unsere Männer völlig überrannt worden, dann hätten sie mehr Treffer landen müssen. Selbst als ungeübter Schütze. Auf die Distanz ist es keine Kunst etwas zu treffen.«
Finn nickte.
»Ja, eigenartig.«
Jaxon hob ruckartig den Kopf und sah unruhig in die Runde.
»Und an meiner Verletzung bin ich selbst schuld«, raunte er schlagartig.
»Was?«, entfuhr es Nora ungläubig.
»Ja, ich hatte mich hinter einen der Autos versteckt. Hatte meine Waffe aber am Bike. Ich wollte sie holen und bin sozusagen direkt in die Flugbahn der Kugel gelaufen.«
Liam schüttelte fassungslos den Kopf.
»War gar nicht dämlich, oder?«, sagte er und bekam einen bösen Blick von Nora als Antwort.
Jaxon hingegen nickte.
»War es. Aber was sagt uns das?«
Freya sah zu Finn, der scheinbar das Gleiche dachte.
»Sie wollten niemanden verletzen«, sagten sie gleichzeitig.
Alle starrten die beiden an und ließen die Worte erst mal sacken.
Nach einer Weile kratzte sich Liam am Hinterkopf und räusperte sich.
»Wenn das wirklich Stimmen sollte und wir alle Punkte betrachten, war es der zweite Angriff auf unsere Prospects.«
Jaxon sah ihn mit in Falten gelegter Stirn an, doch ehe er nachfragen konnte, sprach Liam weiter.
»Der erste Angriff im Park. Zwei Prospects. Geringe Verletzungen. Heute die Werkstatt. Jaxon hätte nicht da sein sollen, das heißt in der Werkstatt wären auch nur Prospects gewesen, welche scheinbar nicht verletzt werden sollten.«
Freya schluckte.
»Aber wo steckt der Sinn dahinter?«
»Einschüchterung«, warf Tom in die Runde.
»Was?«, fragte Finn und sah ihn an.
Tom lehnte sich nach vorn.
»Betrachtet man es von außen, könnte man meinen, sie wollen euren Nachzüglern Angst einjagen. Habt ihr aktuell irgendwelche offenen Rechnungen?«
Jaxon wusste, dass diese Frage nur er beantworten konnte.
»Nein. Eigentlich nicht«, erwiderte er deshalb, was Tom seufzen ließ.
»Wäre ja auch zu einfach gewesen.«
»Trotzdem könnte er richtig liegen. Vielleicht versucht so jemand, sie weich zu kochen. Sie auf eine andere Seite zu ziehen. Vielleicht sind wir unterlaufen worden?«, sagte Freya und wusste, was sie damit auslösen würde.
Finn und Jaxon spannten sich sofort an und richteten sich auf.
»Würdet ihr schon für all eure Prospects die Hand ins Feuer legen?«, fragte Liam unvermittelt.
»Nein«, schoss es aus Finn und Jaxon synchron.
Diese Antwort versetzte sofort alle wieder in ein gedämpftes Schweigen. Eine eigenartige, schwere Stimmung legte sich auf die Personen an dem Tisch, denn keiner wollte sich wirklich vorstellen, eine Ratte in den eigenen Reihen zu haben.
Freya rieb sich genervt über die Augen und seufzte.
»Was machen wir jetzt?«
Jaxon richtete sich auf und sah zu Finn.
»Das All Inn bleibt vorerst aufrecht. Wir werden uns jetzt mit den Männern zusammensetzen und nach einer Lösung suchen.«
Diese Aussage war mehr als deutlich und auch wenn Freya innerlich tobte, wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie stand auf, ebenso wie Liam, Nora und Tom. Ihre Anwesenheit war dann somit nicht mehr erwünscht.
»Soll ich mich um was zu Essen kümmern?«, fragte Nora, während sie zu Jaxon ging und ihm einen Kuss aufdrückte.
»Ja bitte«, erwiderte er und lächelte seine Frau an.
»Ich liebe dich«, flüsterte Nora ihm zu.
Sein Lächeln wurde breiter.
»Ich dich auch.«
Damit verließen sie den Memberraum und noch während sie das Clubhouse verließen, holte Finn die Member in den Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
Nora atmete tief durch, als ihr die frische Luft entgegenschlug.
Freya fühlte sich völlig ausgebrannt, ihr Inneres schwankte zwischen Zusammenbruch und Angriffsmodus hin und her. Sie wusste, dass sie diese Nacht auf keinen Fall zur Ruhe kommen würde.
»Trinken wir einen zusammen?«, fragte sie.
»Auf jeden Fall«, erwiderte Nora, welche völlig fertig aussah.
»Ich versteh die Frage nicht«, sagte Liam, der neben Freya lief und auf das große Tor starrte.
Mehrere Prospects standen dahinter und bewachten es.
Ein bitteres Gefühl durchfuhr ihn und als er Freyas Blick vernahm, welcher in dieselbe Richtung funkelte, wusste er, dass er nicht allein damit war.
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