ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 18 - ᴀʟᴛᴇ ᴡᴜɴᴅᴇɴ
Aaron stand neben Freya, die gerade die Tür des Studios aufschloss. Er ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen und wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet worden.
»Kommst du?«, fragte Freya und reichte ihm erneut die Hand.
Ein letzter Blick über die Umgebung zeigte ihm dasselbe wie wenige Sekunden zuvor. Nichts. Langsam griff er nach ihrer Hand und ließ sich von ihr in das Studio führen.
Die dunkle Gestalt am Ende der Straße, welche sich hinter eine Bushaltestelle gedreht hatte, blieb weiterhin vor seinen Augen verborgen.
»Setzt dich«, forderte Freya ihn auf und zeigte dabei auf eine Liege, welche hinter einem kleinen Tresen versteckt lag.
Langsam humpelte er zu dieser und setzte sich so vorsichtig wie nur möglich, darauf. Die Schmerzen in seinem Körper vermischten sich mittlerweile und waren zu einem einheitlichen Brei geworden. Sie brachten ihn an die Grenze des Ertragbaren und die Hoffnung, dass Freya irgendetwas dagegen tun konnte, schwand mittlerweile gegen null.
Diese trat genau in diesem Moment vor ihn und reichte ihm ein Glas mit Wasser, welches eigenartig trüb in dem Glas hin und her schwappte.
»Was ist das?«, fragte er unsicher.
»Etwas, was dir die Schmerzen nimmt«, raunte sie ihn schroff an, denn langsam nervte er sie.
Er griff nach dem Glas und schon wandte sich Freya wieder ab. Sie schaltete die Lampe unmittelbar über der Liege ein und zog sich dann einen Hocker hervor. Sie setzte sich ihm gegenüber und sah ihn fordernd an.
»Trink, verflucht. Ich vergifte dich schon nicht!«
Widerwillig fügte sich Aaron und sah sich dabei um.
»Wem gehört das hier?«, fragte er so beiläufig wie nur möglich.
»Meiner Mum und jetzt trink!«
Aaron seufzte und trank das Glas leer.
»Zufrieden?«, raunte er.
»Pff... zufrieden«, murmelte sie in sich hinein, nahm das leere Glas und stellte es hinter sich.
Sie stand auf und stellte sich vor ihn. Aaron schluckte und er wusste nicht warum, aber sofort schoss sein Puls in die Höhe. Ihre Nähe berauschte ihn oder war es das Wasser. Wärme kroch ihm in die Wangen und ließ seine Kehle austrocknen.
»Ich zieh dir die Jacke aus, okay?«
Aaron nickte nur, unfähig etwas zu erwidern. Langsam griff sie danach und zog sie behutsam von seinem Armen, als er plötzlich schmerzerfüllt aufstöhnte. Sie runzelte die Stirn und griff nach seinem linken Ärmel. So vorsichtig wie nur möglich zog sie den Rest von seinem Arm und sofort wurde ihr Übel. Das erklärte so ziemlich alles. Die Schmerzen. Sein Zittern. Sein Verhalten. Sein linker Unterarm war auf das doppelte seiner Größe angeschwollen und leuchtete feuerrot. Unterhalb der Beuge befand sich eine bräunlich verkrustete Fläche, welche ihr feucht entgegen glänzte. Blut, welches eindeutig mit Eiter vermischt war, drang aus den einzelnen Linien, die bei genauer Betrachtung wohl ein Bild ergeben sollten.
»Was zur Hölle?«, schoss es ihr über die Lippen.
Sie hob den Blick und sah zu Aaron, der aber hatte den Blick nach unten gerichtet und starrte fest auf den Boden.
Ihr Blick wanderte wieder zu dem Arm. Das war kein Tattoo und auch keine Schnittverletzung. Ihr zog es den Magen zusammen, als sie realisierte, auf was sie da starrte.
»Sag mir nicht, dass du dir das freiwillig angetan hast«.
Sie vernahm das Kopfschütteln, was aber nicht dafür sorgte, dass sie sich erleichtert fühlte. Eigentlich war es noch viel schlimmer, denn das bedeutete, dass er dieses Branding unter Zwang bekommen hatte.
Wut stieg in ihr auf.
»Wer war das?«, fragte sie im scharfen Ton.
Schweigen.
»Aaron? Wer zur Hölle hat dir das angetan?«
Er zog den Arm zurück und Freya ließ es zu, denn sie wusste, was er gerade für Schmerzen erlitt. Sie wusste es, weil sie es selbst erlebt hatte. Sofort begann ihre rechte Hüfte an zu brennen und dunkle Bilder blitzten vor ihrem inneren Auge auf, welche sie sofort wieder in die Versenkung zwang.
Nicht jetzt!, sagte sie sich selbst und setzte sich wieder vor Aaron.
Sein Blick hing immer noch auf den Boden und Freya seufzte. Langsam ließ sie ihre Hand an seine Wange gleiten und so, wie sie seine Haut berührte, begannen ihre Fingerspitzen zu kribbeln. Ein Kribbeln, welches sich schlagartig wie eine Feuerwelle durch ihren Körper wälzte und den Höhepunkt in ihrer Mitte fand. Sie widerstand dem Drang, ihre Hand zurückzuziehen, und atmete tief ein, bevor sie auch ihre andere Hand an seine Wange gleiten ließ.
»Sie mich an, bitte«, flehte sie schon beinahe und endlich kam Aaron ihr nach.
Langsam hob er den Kopf und als sie seinen Blick sah, zerriss es ihr fast das Herz. Angst. Wut. Resignation. Alles und noch viel mehr, sagten ihr erneut, dass sie keine Antworten bekommen würde. Er war wie ein Stück Vieh gebrandmarkt worden und trotzdem würde er seinen Peiniger nicht verraten.
»Okay«, flüsterte sie und ließ ab von ihm.
»Leg dich. Das muss ich sauber machen, sonst liegst du morgen mit einer Sepsis im Krankenhaus.«
Mehr brauchte es nicht und Aaron ließ sich auf die Liege gleiten. Freya stand auf und begann damit einige Utensilien aus dem Schrank neben sich zu kramen. Sie reinigte sich die Hände und zog sich schwarze Latex Handschuhe über.
»Das brennt kurz«, erklärte sie und wartete nicht auf eine Reaktion, sondern setzte sofort die erste Spritze an.
»Betäubungsmittel«, erklärte sie, als Aaron zusammenzuckte.
Das Brennen kroch langsam durch seinen kompletten Arm, doch nachdem er erst das Gefühl hatte, dass es seinen Arm in Flammen aufgehen ließ, folgte danach eine angenehme Kälte und mit dieser verschwanden die Schmerzen. Aaron atmete tief ein und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Unzählige Bilder hingen an der Wand. Vorlagen, Skizzen und einzelne fertige Tattoos.
»Die sind verdammt gut«, sagte er und drehte den Kopf zur Seite, als er sah, dass Freya nach einem Skalpell griff.
Er wusste nicht, wo das plötzliche Vertrauen zu ihr herkam, aber es war da. Vielleicht war es ihr Blick oder auch einfach nur die Tatsache, dass sie ihn nicht einfach ignoriert hatte.
»Danke«, erwiderte Freya, während sie sich daran machte, die Brandverletzung zu reinigen.
»Werke deiner Mum?«, fragte Aaron und zuckte, als ein stechender Schmerz durch seinen Arm schoss.
»Ja, die linken. Die Rechten sind meine«, erwiderte sie.
»Du tätowierst selbst?«; fragte er überrascht.
»Ja seit einigen Jahren schon.«
Aaron kam das Bild wieder in den Sinn, welches sie in dem Café verloren hatte.
»Du hast Talent.«
»Scheint fast so«, gab sie wortkarg von sich und wollte sich dafür am liebsten selbst eine verpassen.
Sie wusste, dass er sich versuchte von den Schmerzen abzulenken, denn die waren nicht ohne, selbst mit Betäubungsmittel im Blut. Sie seufzte.
»Wohnst du schon immer hier?«
Aaron runzelte die Stirn, getraute sich aber nicht zu ihr zu sehen.
»Nein, erst seit vier Jahren, du?«, erwiderte er.
»Schon etwas länger, aber noch nicht seit meiner Geburt.«
Und so begann das wohl unwichtigste Gespräch, welches Freya seit langen geführt hatte, aber es erfüllte seinen Zweck und sorgte dafür, dass Aaron sich nur gelegentlich anspannte.
»Fertig!«, sagte Freya und stand auf.
Aaron richtete den Blick auf seinen Arm und schluckte. Er wusste nicht, ob dieser Anblick jetzt besser war. Frisches Blut quoll an einigen Stellen durch seine geschwollene Haut.
»Wann ist es passiert?«, fragte Freya und sofort stöhnte Aaron auf.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich...«, doch Freya unterbrach ihn.
»Ich will wissen wann, nicht wer!«, raunte sie ihm schroff an.
»Warum?«
Freya stöhnte genervt.
»Du brauchst Antibiotika und ich muss wissen, seit wann diese Keime durch deinen Körper wüten.«
Aaron nickte.
»Samstagnacht.«
»Danke«, erwiderte sie und setzte sich wieder zu ihm.
»Dreimal am Tag eine Tablette und genauso oft trägst du diese Creme auf«, erklärte sie, legte beides neben ihn und machte sich dann daran, seinen Arm zu verbinden.
Aaron ließ den Blick über die Verpackungen schweifen und sah sie dann an.
»Bist du auch noch Arzt?«, fragte er fast schon spöttisch, ohne zu wissen warum.
»Nein, aber ich kann gern einen rufen, wenn du mir nicht glaubst«, raunte sie und verklebte den Verband.
»Sorry. Nein, so war das nicht gemeint«, versuchte sich Aaron zu retten.
»Eigentlich frage ich mich eher, woher du das alles weißt.«
Freya zog sich die Handschuhe von den Händen und sah ihn wissend an.
»Da geht es mir wohl wie dir. Ich will nicht darüber sprechen.«
Aaron nickte nur. Natürlich erfüllte ihm diese Antwort nicht, aber mehr als das, durfte er wohl nicht erwarten. Freya trat näher an ihn heran und ließ seine Hände auf seinen Bauch gleiten. Aaron zuckte zusammen und sah sie erschrocken an.
»Ich will nur deine Rippen sehen.«
Aaron nickte und wusste nicht, wie er das überleben sollte. Seine Gefühle überrollten ihn just in dem Moment, als Freya ihn berührte. In seinen Magen flatterte es wild umeinander und die Schmerzen verschwanden mit einem Schlag. Vorsichtig zog Freya das Shirt nach oben und je mehr nackte Haut zum Vorschein kam, desto schneller schlug ihr Herz.
»Fuck«, raunte sie.
»So glorreich?«, fragte Aaron und sah zu ihr.
Sie fixierte seine tiefblauen Rippen. Langsam strich sie über seine warme Haut.
»Vorsicht«, zischte Aaron ihr entgegen und zog seinen Körper zur Seite.
Freya zuckte selbst zusammen und nahm sofort wieder die Hand von seinem muskulösen Körper.
»Freya?«
Aaron sah sie fragend an. Sie wirkte weggetreten.
»Freya?«
Endlich sah sie auf und Aaron runzelte die Stirn. Irgendwas in ihrem Blick war anders. Irgendwie tiefer. Dunkler.
Sie ging einen Schritt zurück und räusperte sich.
»Ja, alles gut. Ich denke, sie sind nur geprellt. Ruhe und Kühlen sollte helfen. Dasselbe gilt für dein Auge und Kiefer.«
Aaron nickte, richtete sich langsam auf und zog sich das Shirt wieder nach unten. Freyas Verhalten irritierte ihn. Die letzten Minuten hatte er das Gefühl, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte, doch jetzt stand wieder die kalte, undurchschaubare Freya vor ihm. Was war passiert?
Sie hatte sich abgewandt und räumte gerade die nicht gebrauchten Utensilien wieder in den Schrank.
»Freya, was ist mit dir?«
Ohne innezuhalten, antwortete sie ihm knapp.
»Nichts. Ist dir schwindlig?«, fragte sie.
Aaron runzelte die Stirn.
»Nein.«
»Gut, dann bring ich dich jetzt wohl nach Hause«, sagte sie.
Aaron schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich werde laufen«, antwortete er und stand langsam auf.
Freya reagierte nicht, doch das konnte Aaron so nicht stehen lassen. Er trat von hinten an sie heran und legte seine Hand auf ihre Schulter.
»Freya«, doch weiter kam er nicht, sie griff seine Hand, drehte sich unter ihm und krachte ihn gegen die Liege hinter sich.
Aaron schrie auf, als ein markdurchdringender Schmerz durch seinen Körper rollte und Freya starrte ihn einfach nur an.
»Bist du irre?«, zischte er zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor.
Freyas Blick flackerte und für den Bruchteil, glaubte er, Reue zu erkennen, doch diese war schneller verschwunden, als aufgetaucht.
»Bin ich und du hast eine miese Verteidigung. An dieser solltest du arbeiten, wenn du nicht wieder zu einen Stück Hack verarbeitet werden willst.«
Aaron starrte sie fassungslos an.
»Du bist doch nicht ganz dicht!«, raunte er und griff nach seinem Rucksack.
Er hatte genug und wollte nur noch eins. Verschwinden und eben das tat er auch. Ohne Freya auch nur noch einen Funken Aufmerksamkeit zu schenken, verließ er das Studio und krachte die Tür hinter sich zu.
Freya starrte an die Wand. In ihr tobte die Wut und diese ließ ihren Körper unkontrolliert Zittern. Ein Zittern, was sich bin von Sekunden in ein Beben verwandelte und über welches sie keinerlei Kontrolle zu haben schien.
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