ᴋᴀᴘɪᴛᴇʟ 10 - ʀᴇᴅᴇ!
Freya starrte genervt an die große Wanduhr und beobachtete, wie die Zeiger langsam über das Ziffernblatt wanderten. Ja, die Zeit verging eindeutig noch langsamer als vor der Mittagspause. Nach dem Eklat auf dem Schulhof waren Freya, Phil und Susi gemeinsam in der Mensa essen. Dabei erzählte Phil ihnen, dass seine Mutter tatsächlich ein Alkoholproblem hatte und sie so gut wie kein Geld besaßen. Tja und so ging das Mittagessen auf Kosten von Freya, denn auch wenn sie oft den Anschein machte, als wären ihr ihre Mitmenschen egal, so hatte sie gerade für solche Schicksale immer ein offenes Ohr.
Während Susi Phil versprach, dass sie ihm jederzeit bei schulischen Problemen helfen würde, sicherte Freya ihm zu, dass er ab sofort beruhigt zur Schule kommen konnte, denn ab heute hatte sie ein Auge auf ihn. Phil bedankte sich unzählige Male, was völlig überflüssig war, denn sein herzhaftes Lächeln war ihr Dank genug.
Dankbar wäre sie auch, wenn diese verdammte Glocke endlich den Feierabend einleiten würde, aber davon war sie momentan noch eine Ewigkeit entfernt.
Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte leer an die Tafel. Doch immer und immer wieder spürte sie, dass Aarons Blick auf ihr lag. Er hatte sie die letzten Tage völlig ignoriert, was ihr tatsächlich sehr recht gekommen war. Was wollte er jetzt auf einmal? Hatte sie ihn gekränkt? Oder wollte er noch eine Belobigung für sein Nichthandeln?
Für wenige Augenblicke überlegte sie, ob sie ihn einfach fragen sollte, was sein verdammtes Problem sei? Entschied sich aber dagegen, denn eigentlich hatte sie genug Stress für einen Tag gehabt.
Und so starrte sie weiter auf die Uhr, bis diese endlich zehn nach drei anzeigte und das erlösende Klingeln durch die Räume hallte. Freya schnappte sich ihre Sachen und sah zu, dass sie endlich aus diesem Gebäude kam. Nur dass das alle wollten und so waren die Gänge voll und sie musste sich durch die Masse an Schüler schieben.
Genervt arbeitete sie sich Schritt für Schritt in Richtung Freiheit, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte und im nächsten Moment wurde sie aus der Masse gezogen. Sekunden später stand sie in einem leeren Nebengang, die Hand lag immer noch auf ihrer Schulter und ihr Puls schoss sofort in die Höhe. Sie griff nach der Hand, drehte sich unter dieser und stieß die dazugehörige Fleischmasse an die Wand.
Grüne Augen funkelten sie an.
»Was stimmt eigentlich nicht mit dir?«, fauchte Aaron sie an, während er sich die Schulter rieb.
Freya kniff die Augen zusammen.
»Was mit mir nicht stimmt? Die Frage sollte ich wohl lieber dir stellen«, konterte sie, wandte sich ab und wollte gerade wieder den Gang verlassen, als Aaron sie erneut an der Schulter packte.
Sofort überrollte sie eine neue Welle der Wut, doch diesmal konnte sie sich nicht so einfach von seiner Berührung befreien. Denn so, wie sie nach seiner Hand greifen wollte, packte Aaron ihre und diesmal krachte sie mit dem Kreuz gegen die Wand und presste die Zähne zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihren Körper kroch.
Er stellte sich vor sie und starrte sie an.
»Was willst du?«, fauchte sie.
»Reden«, gab er zurück und ging einen Schritt auf sie zu.
»Und dazu musst du mich an die Wand krachen, wie so ein Höhlenmensch?«
Aaron zuckte ein Lächeln über die Lippen, als er ihr wutverzogenes Gesicht sah.
»Damit hast du ja wohl angefangen«, erwiderte er und ging einen weiteren Schritt auf sie zu.
Er stand unmittelbar vor ihr und stützte seine Hand neben ihrem Kopf an der Wand ab.
Freya schluckte, denn er war ihr nah, verdammt nah. Ihr Puls stieg sofort wieder an und ein mulmiges Gefühl zog sich durch ihren Magen.
Sein herber, holziger Geruch stieg ihr in die Nase und sie schluckte unwillkürlich.
Was sollte das denn werden?, schoss es ihr durch den Kopf.
Nein, so nicht. Nicht mit ihr. Sie tat sofort das, was sie immer tat, wenn sich Gefühle in ihr Ausbreiteten, die sie nicht wollte. Sie ließ sie verschwinden und änderte ihre Taktik. Sie zwang sich dazu, ihre Anspannung aus den Schultern zu nehmen und tief durchzuatmen.
»Rede«, raunte sie ihm leise entgegen und senkte dabei den Blick.
Aaron stutzte kurz, als er ihre Reaktion vernahm und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie nah er ihr eigentlich gekommen war. Sein Blick wanderte über ihren Körper und für einen Moment hielt er inne und beobachtete ihren Herzschlag, der sich deutlich an ihrem Hals widerspiegelte. Ein ungewohntes Verlangen breitete sich in ihm aus. Das Verlangen diese Nähe nie wieder aufgeben zu müssen. Er zuckte durch seine eigenen Gedanken zusammen und brachte sofort wieder Abstand zwischen sich und Freya. Diese hob den Blick und musterte ihn.
»Ich höre«, sagte sie ungeduldig.
Aaron räusperte sich und fuhr sich durch seine kurzen braunen Haare.
»Ja, ich... ich wollte dir nur sagen, dass ich...«, er stockte mitten im Satz.
Seine Gedanken waren völlig aus der Bahn geworfen worden und sein eigentliches Anliegen war verschwunden. Freya seufzte und kniff sich genervt in den Nasenrücken. Der Versuch entspannt zu bleiben ging gerade völlig in die Hose.
»Gut, dann geh ich jetzt, bevor ich mich vergesse«, raunte sie und stieß sich von der Wand ab.
Doch plötzlich trat Aaron auf sie zu und sah sie mit kaltem Blick an.
»Ich bin nicht feige. Ich halte mich nur aus Dingen raus, die mich nichts angehen.«
Freya stockte und sah ihn an. Wieder stand er unmittelbar vor ihr. War das sein Ernst? Was für eine Bullshit-Begründung war das denn bitte? Freya schüttelte fassungslos den Kopf. Sie musterte Aaron, der immer noch völlig emotionslos vor ihr stand und schon packte sie ihm am Kragen seines Hoodies, drehte sich mit ihm und drückte ihn an die Wand. Sie hielt inne und sah in seine geweiteten Augen. Sie lehnte sich dicht an sein Ohr und zog dabei erneut tief seinen Duft ein, bevor sie ihre Lippen neben seinem Ohr platzierte. Das Kribbeln, welches sich dabei durch ihren Unterleib zog, ignorierte sie gekonnt.
»Du bist also nicht nur feige, sondern auch noch ein egoistisches Arschloch«, flüsterte sie ihm schroff zu.
Sie vernahm seine Reaktion, als ihr Atem auf seine Haut traf. Langsam bildete sich eine sanfte Gänsehaut und Freyas Lippen umspielte ein hinterhältiges Lächeln.
Aaron schluckte. Ihre Worte trafen ihn tief, aber gleichzeitig brachte ihre Nähe ihn fast um den Verstand. Sein Mund trocknete aus und er spürte, wie sein Herz gegen seine Brust hämmerte.
Er räusperte sich, doch ehe er auch nur ein Wort geformt hatte, zog Freya sich zurück, wandte sich ab und verschwand aus dem Gang. Aaron sah ihr nach, bis sie durch die große Eingangstür verschwunden war. Schlagartig fiel die Anspannung von ihm ab und gleichzeitig stellte sich das Gefühl von Einsamkeit in ihm ein. Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht und stöhnte. Was hatte er sich dabei nur gedacht. Sie brauchten Abstand zueinander und davon am besten jede Menge. Er durfte ihr nicht näher kommen und diese Gefühle, die sie in ihm weckte, mussten dahin, wo sie her gekrochen kamen. In die Tiefe seiner ungeliebten Seele.
Freya stiefelte kochend vor Wut auf ihr Bike zu. Was ein Vollidiot, maulte sie gedanklich vor sich hin und das, obwohl sie wohl mehr angepisst auf sich selbst war als auf Aaron. Wie konnte es sein, dass sie ausgerechnet für ihn so empfand? Nicht das sie ein Kind von Traurigkeit war oder das Leben einer Nonne führte, aber dabei spielten Gefühle keine Rolle. Niemals. Sie musste ihn aus ihrem Schädel bekommen und vor allem aus ihrem Unterleib.
Sie schüttelte den Kopf, startete das Bike und hoffte, dass der Fahrtwind ihr nicht nur die Hitze, sondern auch die verwirrten Gedanken nehmen würde.
Doch auch als sie auf das Grundstück fuhr, kreisten ihre Gedanken immer noch um Aaron, was auch nicht besser wurde, als sie sah, dass der komplette Einfahrtsbereich voller Menschen war. Motorräder reihten sich aneinander und Melber des Clubs rannten wie kleine Ameisen von A nach B. Ja, die Vorbereitungen für die Feier am Wochenende steckte in den letzten Zügen und jetzt halfen alle. Sie seufzte, stellte ihr Bike am Rand ab, denn die Lust sich durch die Menschen zu bemühen, war ihr verflogen und so wollte sie gerade zu ihrem Haus laufen, als Jay neben ihr auftauchte.
»Was ist los, Prinzessin?«, fragte er und sah Freya besorgt an.
Sie zog die Brauen nach oben.
»Abgesehen davon, dass du mich nicht so nennen sollst, ist alles prima.«
Jay grinste kurz, sah sie dann aber gleich wieder ernst an.
»Das kannst du jemanden erzählen, der dich nicht lesen kann, wie ein offenes Buch«, sagte er und lehnte sich dabei mit verschränkten Armen an ihr Bike.
Sie ließ die Schultern hängen. Sie hasste es, dass er recht hatte und noch mehr, dass sie tatsächlich noch nie etwas vor ihm geheim halten konnte. Sie wühlte in ihrem Rucksack nach Zigaretten, zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug und während sie langsam den Rauch ausblies, begann sie zu reden.
»Gibt da so ein Typen an meiner Schule. Hab ein komisches Bauchgefühl bei ihm.«
War nicht gelogen, wenn auch vielleicht etwas abgeschwächt.
Jay musterte sie und grinste wissend.
»Ein komisches Gefühl also?«, wiederholte er.
Freya nickte nur.
»Ich bin nur ein alter Mann, dem nachgesagt wird, ich komme mit der neuen Generation nicht mehr mit, aber es gibt nur zwei Arten von komischen Gefühlen, wenn es um Männer geht.«
Freya sah ihn fragend an.
»Und die wären?«
Jay lächelte, trat auf Freya zu und streichelte ihr sanft mit dem Daumen über die Wange.
»Sie bringen dir körperlichen oder seelischen Ärger. Bei körperlichem Ärger hilft hartes Zuschlagen. Bei Seelischen kann man nur laufen oder ihn akzeptieren. Du musst nur wissen, um welchen es sich dreht«, sagte er lächelnd und musterte Freya dabei.
»Du weißt schon, um welchen es sich handelt, hab ich recht?«, fragte er.
Freya rollte die Augen, mehr brauchte Jay nicht. Er klopfte ihr leicht auf die Schulter und lief los.
»Vielleicht ist es ein Versuch wert«, raunte er ihr noch zu und verschwand dann in der Masse der anderen.
Freya schnaubte, während sie ihm nachsah und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Haus. Dort angekommen, sah sie ihre Eltern, mit einem Bier in der Hand auf der Terrasse sitzen. Sie sahen amüsiert aus.
»Na, beobachtet ihr Doug?«, fragte Freya.
Jaxon und Nora drehten sich lachend zu ihr und nickten.
»Jap, wobei er sich echt gut durchschlägt«, sagte Jaxon und Nora nickte zustimmend.
»Erinnert ihr euch an Dian? Der hat damals, um die Zeit, heulend im Clubhouse gesessen.«
Freya lachte und setzte sich zu ihren Eltern. Sie nahm sich eine Tasse Kaffee und ein Stück von dem Schokoladenkuchen, welcher auf den Tisch stand.
Sie sah sich suchend um.
»Liam noch nicht da?«, fragte sie irritiert.
»Nein, er wollte noch in die Werkstatt. Warum?«, fragte Jaxon und sah Freya an.
Sie stopfte sich ein Bissen von dem Kuchen in den Mund und nachdem sie ihn hintergekaut hatte, seufzte sie.
»Ich brauche heute dringend einen Zweikampf. Ich muss Dampf ablassen.«
Jaxon und Nora legten ihre Stirn synchron in Falten.
»Wir hören«, sagte Nora.
Jeder wusste, dass wenn Freya auf Zweikampf aus war, dass etwas passiert sein musste, was sie an den Rand ihrer Grenzen gebracht hatte. Freya erzählte von der Auseinandersetzung mit Simon. Das Thema Aaron ließ sie getrost unter den Tisch fallen. Sie konnte auf weitere grinsende Gesichter und schlaue Ratschläge verzichten. Als sie fertig war, sah Nora sie an.
»Ich bin stolz auf dich«, sagte diese und Jaxon stimmte ihr zu.
Freya schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich war so knapp...«, doch Nora unterbrach sie.
»Egal wie knapp, du bist es nicht. Also sei stolz auf dich«, sagte Nora mit fester Stimme und griff nach Freyas Hand.
»Du kannst mehr als nur stolz auf dich sein und nun hör auf zu zweifeln.«
Freya sah ihre Mutter an und nickte zögerlich und bevor ihr Gedankenkarussell sie in die Tiefe ziehen konnte, stand Jaxon auf.
»Komm. Den Zweikampf kannst du auch mit mir haben«, sagte er.
Nora lachte auf.
»Sicher, dass du das noch schaffst, alter Mann?«
Jaxon funkelte sie giftig an.
»Sag du es mir, alte Schachtel.«
Nora streckte ihm den Mittelfinger entgegen und sah zu ihrer Tochter.
»Reiß ihm den Arsch auf, aber so richtig.«
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