
𝟑𝟖│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Kiera
Das Schlimmste ist überstanden. Meine Mum konnte ich rechtzeitig evakuieren, bevor sie auch nur die Möglichkeit hatte, sich auszuziehen und Samba vor allen Augen zu tanzen. Ein junges Paar, das-wie sich herausstellte-Josh durchaus hilfsbereite Nachbarn waren, hatte sich bereit erklärt, sie ins Hotel mitzunehmen und von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Kaitlyn hatte sich derweil, gemäß ihres Styling Codex, in ein neues zartrosa Satinkleid geworfen, was eigentlich für den nächsten Morgen gedacht war und strahlte durch ihr perfekt neu aufgelegtes Makeup, das jegliche Tortenreste eliminiert hatte, wieder in alter Frische. Ihr Gemüt hatte sich einigermaßen beruhigt, nur auf Colin war sie immer noch nicht so gut zu sprechen, weshalb wir die beiden möglichst voneinander fernhielten.
Das Tante-Tessie-Problem hatte sich mit der Ankunft von gleich mehreren Torten wie in Luft aufgelöst und bevor das Kuchenbuffet überhaupt durch Josh und Kaitlyn eröffnet werden konnte, hatte sie es schon geschafft, eine ganze Torte für sich zu beanspruchen. Als mein Blick in diesem Moment auf sie fällt, ist sie im Inbegriff, sich Kuchenstück Nr. 3 in den Mund zu schieben, während sie dabei Finn volltextet, den wir neben ihr geparkt haben, damit er aufhört, irgendwelche Mülltonnen zu belästigen. Wirklich glücklich sieht er nicht aus. Seinen Kopf hat er in den Nacken gelegt, seine Augen sind halb geöffnet und das kleine Stückchen Kuchen, was vor ihm steht, hat er nicht angerührt.
Der Junge kriegt keinen Alkohol mehr, das steht fest.
Während der Rest der Hochzeitsgäste sich ebenfalls versucht, an der noch halb gefrorenen Torte die Zähne auszubeißen, schummle ich mich samt zwei Flaschen Bier nach draußen, abseits von dem ganzen Trubel.
Ich weiß gar nicht, wieviel Uhr es ist, aber das ist mir herzlich egal. Der Himmel ist sternenklar und das Licht des Halbmondes spiegelt sich majestätisch auf der Wasseroberfläche des Sees wider.
Nach allem was heute passiert ist, müsste ich jetzt eigentlich wie ein erschlagener Zombie halbtot am Boden herumkriechen. Stattdessen fühle ich mich fit wie ein Turnschuh und habe im Nullkommanichts das Ende des Steges erreicht. Colin sitzt am Rand des Steges, lässt seine Beine in der Luft knapp oberhalb der Wasserfläche baumeln und schaut gedankenverloren auf den Green Lake. Erst als ich neben ihm zum Stehen komme und ihm eine der Flaschen hinhalte, löst er den Blick. Prüfend nimmt er die Bierflasche entgegen.
»Hast du nicht gesagt, du wolltest Kuchen holen?«, fragt er irritiert, als ich mich neben ihn auf die Holzdielen plumpsen lasse.
»Ja, aber es gab eine Planänderung«, erkläre ich und lehne mich mit einem Arm nach hinten. »Tante Tessies Eroberungsmaßnahmen auf das Kuchenbuffet haben mich zutiefst verstört und eine verlassene Bar schien mir einladender als ein zerquetschender Hintern.«
»Klingt einleuchtend«, sagt er und setzt wie ich die Flasche zum Trinken an.
Unsere Blicke sind beide für eine Weile auf den See gerichtet. Es ist schön einfach mal da zu sitzen und nichts zu sagen. Wir hängen beide stumm unseren Gedanken nach und genießen die Stille. Jeder für sich.
Nach einer Weile dreht Colin sich jedoch zu mir und sagt aus heiterem Himmel: »Keinen Schimmer, warum ich das jetzt so random sage, aber ich bin Jungfrau.«
Ich verschlucke mich beinahe an meiner eigenen Spucke, während mein Blick aufmerksam an Colins braunen Augen haften bleibt. Wie bitte?
»Was? Ich dachte, du hast mit Jessica geschlafen!«, erinnere ich ihn anklagend.
»Hä?« Colin schüttelt entgeistert den Kopf. »Wow! WOW! Siehst du, genau deswegen kann ich mit dir keine normale Unterhaltung führen. Ich rede von meinem Sternzeichen, du Perverse.«
»Achso.«
Ich grinse und keine zwei Sekunden später hängt auch bei Colin das Lächeln schief im Gesicht.
»Ich bin Zwilling. Also ich habe keinen Zwilling, das Sternzeichen meine ich«, erkläre ich, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
»Ich weiß, was du meinst. Ein Zwilling von dir wäre übrigens übel. Du bist allein schon viel zu anstrengend. Zwei Personen hält mein Rücken außerdem nicht aus. Aua!« Ich verpasse ihm spielerisch einen Klaps gegen den Arm. Muss er denn immer wieder auf meinen grandiosen Sprung von heute Morgen rumreiten?
»Du hattest es verdient. Man stielt nicht Blumen aus den Einkaufswagen anderer Leute«, verteidige ich mich und verschränke missmutig die Arme. Der Sprung war lediglich eine Verteidigungsmaßnahme und ich wäre jederzeit wieder dazu bereit, die Beute in meinem Einkaufswagen zurück zu erobern. Mit oder ohne Gewalt. Koste es, was es wolle.
An Black Friday sollte man sich daher nicht mit mir anlegen.
Als mein Blick daraufhin wieder zum See gleitet, realisiere ich erst, wie unwirklich mir diese ganze Hochzeit eigentlich vorkommt.
Wenn man auf Reisen ist und innerhalb kurzer Zeit so viele Impressionen und Eindrücke in sich aufsaugt, dann hat man meistens erst danach das Gefühl, so richtig zu realisieren, was man alles erlebt hat. Man braucht Zeit. Und ich denke, genauso ist es bei dieser Hochzeit auch. Ich habe heute so viel erlebt:
Ich wurde verdonnert mit Finn zum Gartencenter zu fahren, habe erfolgreich einen Blumenkampf gewonnen, mich kaputt gelacht, als Colin im rotem Herzchenhemd am Altar stand, musste mich zusammenreißen als Kaitlyn und Josh sich das Ja-Wort gegeben haben, wollte Colin mit Mandeln umbringen, ihm eine Vase über den Kopf ziehen, habe ihn stattdessen in den See geschubst, wurde beinahe vergewaltigt und durfte in der Prügelei anschließend dabei zusehen, wie mein Lebenswerk von Hochzeitstorte von dem Mann zerstört wurde, der meinen Tag seit unserer ersten Begegnung im Gartencenter komplett auf den Kopf gestellt hat.
Ich habe geweint, gelitten, gehofft, gefürchtet und vor allem eins-gelacht.
Ich habe so viel gelacht, dass ich wahrscheinlich als alte Oma richtige Lachfalten bekommen werde-einzig und allein durch diesen Tag, der ein ständiges Auf und Ab an Gefühlen war und ist. Wie soll mein Kopf so viele Impressionen an nur einem Tag bewältigen?
Das alles ist so surreal und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich Colin erst heute früh begegnet bin. Es fühlt sich an, als würde ich ihn schon ewig kennen.
Trotzdem weiß ich viel zu wenig über ihn. Was sind seine Vorlieben? Seine Hobbys? Seine Macken? -obwohl, da kenne ich einige. Allen voran seine Abneigung gegenüber pinken Autos und der Tatsache, dass er gemusterten Hemden ohne weitere Umschweife den Laufpass gibt.
»Was ist dein Lieblingsessen?«, frage ich ihn unverwandt und wende mich ihm zu. Für einen Moment schaut er mich einfach nur ungläubig an.
»Ist das dein Ernst?«
Ich nicke. Sehe ich aus, als würde ich Scherze machen? »Also?«
»Ehm...keine Ahnung. Pizza?«
»Welche?«
»Ist das wichtig?«
»Ja, das ist sehr wichtig!«
Er überlegt kurz, kaut nachdenklich auf seiner Unterlippe herum, bis er entgegnet: »Ich denke Prosciutto mit extra dickem Käserand. Und du?«
»Die Käsemarkkaronies meiner Mitbewohnerin«, antworte ich ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Allein schon der Gedanke daran wie sich der himmlische Duft nach überbackenem Käse in unserer Wohnung ausbreitet, setzt eine Welle von Endorphinen in mir frei. »Die sind der Himmel auf Erden!«, schwärme ich und nehme mir vor, Pam gleich morgen früh eine WhatsApp zu schreiben, dass bei meiner Rückkehr ein großer Teller bereitstehen soll.
Colin scheint sich jedoch weniger für Pams Kochkünste zu interessieren, sondern viel mehr für diese selbst. Es wirkt sichtlich überrascht, dass ich in einer WG wohne und fragt mich nach meiner Mitbewohnerin. Lächelnd erzähle ihm, dass Pam und ich uns beim Studium zu Psychologie zufällig in der Bibliothek kennengelernt haben. Sie war dort, um ihren Zweitjob als Undercover Marihuana-Verkäuferin, die ihre-wie sie behauptete- Qualitätsware in Büchern schmuggelte, nachzugehen. Ich war dort, weil ich verzweifelt die großen Brocken an Bücher für das Erstsemester durchgewälzt, kein Wort verstanden und gleich wieder zurück gebracht habe.
Irgendwie kamen wir ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass sie das gleiche studierte, nur bereits im dritten Semester war, aber dennoch genauso verzweifelt und unglücklich. Ein gemeinsamer Joint und mehrere Shots später in Pams damaliger Wohnung hatten uns dazu veranlasst, gemeinsam an unseren Prinzipien zu feilen und alles über einen Haufen zu werfen. Wir schmissen das Psychologie-Studium. Während sie umdisponierte auf Sexualwissenschaften, habe ich mich stattdessen für eine Ausbildung bei René Dúcart in seiner Konditorei in New York entschieden. Schon als kleines Kind stand ich mit Mixer in der Küche, habe mir fast alle meine Geburtstagstorten selbst gebacken, was nicht zuletzt Mums miserablen Back- und Kochkünsten zu verschulden war. Ich habe es schon immer geliebt, neue Backrezepte auszuprobieren, Dinge miteinander zu kombinieren, den Backlöffel zu schwingen und Torte über Torte mit jeder Menge Fondant und einem Hauch von Liebe zu versehen. Wieso also mein Hobby nicht zum Beruf machen?
Damals waren alle außer Mum vollkommen entsetzt gewesen, wieso ich mein Studium beendet habe und stattdessen Konditorin werden wollte. In Großmutters Augen war der Beruf eines Konditors kein richtiger Beruf und eine Ausbildung nur ein Alternativweg für die Personen, die aufgrund ihrer Intelligenzklasse keinen höheren Abschluss geschafft hatten. Ich sollte studieren wie Kaitlyn und Tante May, ein fester Bestandteil der seit Jahrzehnten bestehenden „Bildungselite" in unserer Familie werden.
Doch wie Mum, die auch „nur" eine Ausbildung gemacht hatte, pfiff ich gehörig auf ihre Vorstellung meiner Zukunft. Denn es war immer noch meine Zukunft und mein Leben gewesen. Gran Gran konnte mich seitdem nicht mehr leiden.
Und jetzt, vier Jahre später, bin ich stolz darauf zurück zu blicken, wie ich mit Erfolg und Bravour die Abschlussprüfung bestanden, das Handwerk gelernt und kurz danach im Frühjahr letzten Jahres meine eigene Patisserie, mein ganzes Herzstück, eröffnet habe. Das beweist wieder einmal mehr, dass man für das kämpfen sollte, was man selbst für richtig hält. Nicht, was andere für einen denken, dass das Richtige sei.
»Weißt du, Chiara...«, sagt Colin, nachdem er mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört hat, was ich ihm wirklich hoch anrechne, »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber wir haben etwas gemeinsam.«
Abwartend wandert meine Augenbraue in die Höhe. »Ach ja?«
Er nickt. »Ja, denn ich habe auch mein Studium abgebrochen.«
Ich stocke. »Du hast studiert?«
Habe ich hier irgendwas verpasst?
Colin wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Was soll das denn jetzt heißen?«
Beleidigt verschränkt er die Arme vor sich. Sofort will ich mich entschuldigen, weil ich glaube, dass er mein eben Gesagtes falsch aufgenommen hat. Ich wollte ihn in keinster Weise beleidigen, sondern war schlicht und einfach überrascht. Colin sieht nicht aus, als würde er freiwillig Bücher wälzen oder sich stundelangen trockene Vorlesungen reinziehen wollen.
»Mag sein, dass ich nicht der typische, oberschlaue Student bin und mag sein, dass die Leute mich unterschätzen, aber mit der Zeit habe ich genau das ausgenutzt. So haben alle weniger Erwartungen an mich, ich weniger Druck und keiner hätte damit gerechnet, dass ich nach meinem gescheiterten BWL-Studium den Master in Sportwissenschaften noch schaffe. Noch nicht einmal mein Mentor, dieser alte Schleimbeutel, hat an mich geglaubt. Er meinte, die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Master schaffe, ist genauso groß wie das Donald Trump Präsident wird. Und sieh an, wer bei der vorletzten Wahl gewählt wurde und wer mit ausgetrecktem Mittelfinger einen Abgang nach seinem Abschluss aus dem Vorlesungssaal gemacht hat.«
Ich lache herzhaft, weil ich mir nur zu gut den Studenten Colin vorstellen kann, der mit eiserner Miene und den Worten Fuck you! einen filmreifen Abgang aus dem Hörsaal der Uni hinlegt. Währenddessen nimmt jener besagte Typ kopfschüttelnd einen Schluck aus seiner Flasche. Dabei fällt mein Blick auf das Tattoo an seiner linken Hand. Die Art wie sich die schwarze Tinte in Form von Ästen und in Gestalt eines Baumes über die Handfläche bis über die Finger erstreckt, ist wirklich beeindruckend und obwohl ich kein großer Fan von Tattoos bin, gefällt mir dieses. Es ist mir heute schon öfters aufgefallen. Es hat sich nur noch nie die Gelegenheit angeboten, ihn danach zu fragen. Ich nutze die Gunst der Stunde und spreche ihn darauf an: »Was bedeutet dein Tattoo und warum dort an der Hand? Ich habe mich das schon den ganzen Tag gefragt.«
Colin stoppt mitten in seiner Trinkbewegung. Er setzt die Flasche ab und mustert seine linke Hand so, als hätte er schon längst vergessen, dass er ein Tattoo auf dieser besitzt. Mit seiner rechten Hand fährt er über die Verschnörkelungen am Rande des Stammes, während er den Blick wieder auf mich richtet und erzählt:
»Als ich mal auf einer Party von einem Kumpel war, ist neben mir ein Schampus Turm zusammengestürzt. Die Glassplitter sind überall herumgeflogen-ein großes Stück in meine linke Hand. Gab ne unschöne Narbe, die mich ganz schön abgefuckt hat. Also habe ich sie tätowieren lassen.«
Wie automatisch strecke ich meine Hand danach aus und fahre vorsichtig eine der vielen schwarzen Linien von seiner Handfläche bis zu seinem Mittelfinger nach. Colin lässt mich wortlos gewähren.
»Der Baum ist schön«, hauche ich, »Was bedeutet er?«
Er lässt seine Hand in meine gleiten. Ein merkwürdiges Kribbeln jagt durch meine Haut, kollabiert mit dem Prickeln in meinem Magen. Diesmal lasse ich ihn gewähren, den Blick gesenkt auf unsere Hände, die merkwürdigerweise miteinanderverschlungen sind. Was hat das zu bedeuten?
Ich hebe meinen Kopf wieder und schaue fieberhaft Colin an mit der Hoffnung, eine Antwort auf meine unbeantwortete Frage zu finden. Doch seine braunen Augen sind nur ein unendlich tiefer Ozean aus flüssig gewordener Schokolade, in dem ich nur eine fremde Seglerin bin, die versucht, nicht dahin zu schmelzen und dem Ozean zu erliegen.
»Es ist ein Lebensbaum«, antwortet er nur, ohne unseren Händen Beachtung zu schenken. Ich senke wieder den Blick, will ihm meine Hand entziehen, weil ich das Gefühl habe, mir entgleitet gerade jegliche Kontrolle und bemerke dabei ein weiteres Tattoo an seinem Mittelfinger. Es ist mir heute den ganzen Tag entfallen. Wahrscheinlich, weil es so klein und unscheinbar ist und nur aus einem einzigen Buchstaben besteht. Trotzdem zieht es meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.
»Wofür steht das C?«, hake ich nach und deute auf die Innenseite seines Fingers. »Doch nicht etwa für Colin?«, frage ich schmunzelnd, weil mich bei seiner Selbstverliebtheit noch nicht einmal ein riesengroßes Tattoo von sich selbst auf seinem Rücken überraschen würde.
»Nein, es steht nicht für meinen Namen«, antwortet er nur knapp und entzieht mir schlagartig seine Hand. Seine Lippen verformen sich zu einem geraden Strich, die Wärme aus seinen Augen verschwindet. Colin wirkt auf einmal viel distanzierter und angespannt. Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe, dass er plötzlich so reagiert.
»Hat das etwas mit deiner Mutter zu tun?«, hake ich vorsichtig nach. Merklich spannt sich Colins Unterkiefer an. Er rückt von mir ab.
Was ist denn bloß los?
Ich habe das Gefühl, dass unser Gespräch in Jahreszeiten vom warmen Sommer gerade zum eiskalten Winter gewechselt hat, dabei war ich so guter Dinge.
Als Colin nichts sagt, ergreife ich wieder die Initiative: »Ich will nicht unhöflich klingen oder so, aber ich nehme an, dass die blonde Frau, die heute neben deinem Vater in der Kirche saß, nicht deine Mutter war?«
Eigentlich ist es eine dumme und ziemlich riskante Frage, die Potenzial hat, den frostigen Winter in eine andauernde Eiszeit zu verwandeln. Die Frage ist dazu noch vollkommen überflüssig, weil ich ganz genau weiß, dass Gloria Sparks wie sie auf der Hochzeitsliste genannt wurde, nicht Colins leibliche Mutter ist. Ich weiß noch, wie ich bei der Beschriftung der Tischkarten über ihren Namen gestolpert bin und verwundert war, dass William Walker eine neue Lebensgefährtin hat und wie es mich noch mehr überrascht hat, als seine Ex-Frau in keiner der restlichen Listen namentlich erwähnt wurde. Eigentlich war ich immer davon ausgegangen, Joshs und Colins leibliche Eltern lebten glücklich zusammen. Besser denn je weiß ich jetzt jedoch, was für ein großer Irrtum das war.
Colins Mutter ist tot.
Das hat er mir heute Morgen bei unserer kleinen Auseinandersetzung vor der Kirche mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Und seine Mum ist anscheinend ein wunder Punkt. Das haben mir seine Tritte gegen die Mülltonne heute Morgen zu verstehen gegeben.
Die Erinnerung daran, wie wütend er plötzlich geworden ist und wie schnell er daraufhin dicht gemacht hat, habe ich nicht vergessen. Doch das Risiko, das er gleich wieder ausrasten könnte, gehe ich diesmal ein.
Ich will doch nur verstehen, was ihn so wütend macht, warum er sich nicht mit seinem Dad versteht, was ihn dazu bewegt, noch nicht einmal im Ansatz daran zu denken, mit diesem Frieden zu schließen.
»Ich will nicht darüber reden«, brummt er nur und schaut wie versteinert auf den See. Wenn es nach ihm gehen würde, wäre das Gespräch beendet, das Thema vom Tisch. Für mich ist jedoch noch lange nichts geklärt.
»Mir ist nur aufgefallen,...«, fange ich vorsichtig wieder an, obwohl ich weiß, dass ich es nicht tun sollte. Man sollte Menschen nicht drängen etwas zu erzählen, wenn sie nicht dazu bereit sind. Ich weiß das. Nur meine Neugier überwiegt, schiebt meine Vernunft in den Hintergrund. »...dass du gegenüber deinem Va- William und seiner Lebensgefährtin sehr distanziert wirkst.«
Jedes meiner Worte wähle ich mit bedacht, vorsichtig aus Angst, dass er seine Mauer wieder hochzieht und mich außen vorlässt. Diesmal will ich in die Festung, die Colins inneren Schutzwall darstellt, nicht nur an der Fassade kratzen und hoffen, dass man mir Einlass gewährt.
»Kiera.« Er schließt die Augen. Seine Stimme klingt abweisend und kalt und eine Spur zu ernst für seine Verhältnisse. »Ich sagte »Ich will nicht darüber reden«!«, blufft er wütend und springt plötzlich überschwänglich auf. Dabei stößt er die Bierflasche neben mir um, die scheppernd umfällt und deren flüssiger Inhalt sich in einem Schwall auf mich ergießt. Zornig springe ich ebenfalls auf, schenke dem hässlichen dunklen Fleck auf meinem roten Kleid jedoch keine Beachtung, sondern viel mehr der Person vor mir, welche sich nervenaufreibend durch die Haare fährt.
»Wieso bist du gleich so aggressiv!«, fahre ich ihn sauer an. Das hier sollte ein einfaches Gespräch werden. Nichts weiter. Wieso muss er gleich so überreagieren?
»Ich bin überhaupt nicht aggressiv! Ich habe im Moment einfach nur keinen Bock, mich mit dir zu unterhalten! «, brüllt er und tritt voller Wucht gegen die Bierflasche, die im hohen Bogen ihren Weg ins Wasser findet.
Das versteht er unter »nicht aggressiv«? Also wie ich das sehe, sollten wir dringend Begrifflichkeiten klären und dann nochmal die Umweltregeln bezüglich Gegenstände in ruhende Gewässer werfen durchgehen.
Außerdem was soll das bedeuten, er hat keinen Bock sich mit mir zu unterhalten!?
»Warst du nicht derjenige, der mir heute Morgen etwas von 'Kommunikation' im Gartencenter vorgepredigt hat?«, erinnere ich ihn und forme meine Augen zu schmalen Schlitzen. Ich versuche doch nur ihm zu helfen!
»Das war etwas anderes! Du verstehst das nicht!«
»Weil du mich nicht lässt! Hilf mir, es zu verstehen!«
»Das ist doch Bullshit«, sagt er mit verfinsterter Miene und verschränkt trotzig die Arme vor sich wie ein Schutzschild. »Ich werde mit dir über gar nichts reden. Diese Unterhaltung ist beendet«, erklärt er bestimmend und stürmt an mir vorbei in Richtung Gutshaus. Wuterbrannt wirble ich herum, fassungslos darüber wie die Stimmung der letzten Minuten eine solch drastische Wendung nehmen konnte.
Er kann mich doch jetzt nicht einfach so stehen lassen!
»Geh jetzt nicht!«, schreie ich ihm hinterher und setze mich ebenfalls in Gang, »Lauf nicht immer feige davon, wenn es brenzlig wird! Denn das hast du heute andauernd getan!«
Oh Kiera, tue das nicht! , ermahnt mich meine innere Vernunftstimme, der ich jedoch keinerlei Beachtung schenke. Nicht jetzt. Nicht, wo ich so im Zornesrausch gefangen bin, dass die Wörter einfach aus mir heraussprudeln, während ich ihm wuterbrannt den Steg entlang hinterher hechte.
»Du rennst vor deinen Verwandten weg, hattest nicht den Arsch in der Hose, Stressica zu sagen, dass du nichts von ihr willst, du wolltest dich von der Hochzeit deines eigenen Bruders verpissen, nachdem du ihm die Party vermasselt hattest und zu allem Übel, schaffst du es noch nicht einmal, deinen eigenen Vater als diesen zu bezeichnen und ihm ein einfaches »Hallo« entgegenzubringen! Du prahlst immer mit deinem Selbstbewusstsein, Colin Walker, rennst jedoch andauernd vor anderen Menschen davon, und verdrängst die Tatsache, dass du eigentlich derjenige bist, der vor sich selbst wegrennt!«
Ich hole tief Luft, will wieder zum Reden ansetzen, weil ich noch lange nicht fertig mit meinem Vortrag bin, als Colin plötzlich auf der Stelle stehen bleibt.
»Vielleicht-«, brüllt er zurück und dreht sich wieder zu mir. Wir sind an der Hälfte des Steges angelangt, stehen uns direkt gegenüber und schauen uns in die Augen. Seine stehen genauso in Brand wie meine. »...ist es manchmal besser wegzulaufen, weil sich so die Dinge besser ertragen lassen!«
Ich schnaufe verächtlich.
»Tun sie das wirklich?« Meine Augen fliegen über ihn, diesem Mann, der meine Welt an einem Tag komplett auf den Kopf gestellt hat. Der Mann, der mich zum Weinen und Lachen gleichzeitig bringt, über den ich ein mehrseitiges Beschwerdeheft veröffentlichen könnte und den ich trotz seiner Arroganz, seinem großen Maß an Überheblichkeit, seinen schlechten Sinn für Humor und seiner fanatischen Abneigung gegenüber meinem geliebten pinken Auto dennoch nicht hassen kann.
Ich kenne ihn zwar weniger als 24 Stunden, aber das reicht, um zu wissen, dass dieser nach außen so stolze und selbstbewusste Mann im Inneren ein ganz anderer ist. Aber warum ist er so? Vor wem versteckt er sich? Wovor hat er Angst?
Colins Brust hebt und senkt sich in unregelmäßigen Abständen. Seine Lider sind eingefallen. Die tiefen Falten auf seiner Stirn fallen mir plötzlich auf, obwohl sie schon die ganze Zeit da gewesen sein müssen. Er wirkt zerbrechlich und verzweifelt. Es wirkt, als habe sich im Laufe der Zeit eine immense Last in ihm angestaut, die er seit jeher versucht, hinter einer von ihm kreierten Maske unter Verschluss zu halten.
»Wenn du immer davonläufst, alles verdrängst, dann kommt es irgendwann zurück und dann doppelt und dreifach«, versuche ich ihm in einen ruhigen Ton zu verstehen zu geben. Merkt er denn nicht, dass es nichts bringt wegzurennen?
»Wer bist du? Meine Therapeutin?«, entgegnet er nur mürrisch.
»Nein, deine Verlobte und jetzt setz dich auf deinen Arsch, Colin Walker und lass mich dir helfen!«, weise ich ihn streng an und deute mit meinem Finger zum Ende des Steges, wo wir vor wenigen Minuten noch seelenruhig saßen und uns über unser Lieblingsessen unterhalten haben.
»Mir muss nicht geholfen werden!«, beharrt er, doch sowohl er als auch ich wissen in dem Moment, als die Worte seine Lippen verlassen, dass es eine schamlose Lüge ist.
»Allein dieser Satz sagt schon alles«, sage ich unbeeindruckt und trotte wieder zurück. »Und jetzt: Komm her!«
»Hör auf mich zu behandeln, als wäre ich ein Hund!«, faucht er, setzt sich überraschenderweise und entgegen meiner Erwartungen jedoch nach wenigen Sekunden in Bewegung. Braves Hündchen.
Ich lasse mich nieder und sehe zu, wie Colin einige Meter weiter entfernt von mir stehen bleibt und skeptisch auf mich herabsieht. »Ich beiße nicht, Colin.«
»Bist du dir da sicher? Dir traue ich alles zu«, giftet er in einem scharfen Ton, wobei ein kurzes Zucken durch den kerzengraden Strich schießt, den seine Lippen bilden. Meine Mundwinkel zucken ebenfalls. Mein Kopf rebelliert jedoch langsam. Die Kommandozentrale meldet zu viele Gefühlslagen innerhalb weniger Minuten auf einmal. Ich stehe kurz vor einem Schleudertrauma an Emotionen.
»Colin...«
Er verharrt immer noch auf der Stelle und fast denke ich, dass er doch noch einen Rückzieher macht, als er sich plötzlich zu Wort meldet:
»Wenn ich mich jetzt zu dir setze und wir das wirklich tun, dann rede ich und du hälst deine Klappe. Keine Witze. Keine Kommentare. Keine übermoralischen Ratschläge. Bei dem kleinsten Wort fliegst du in den See, verstanden?«
Mehr als einverstanden nicke ich. Ich hatte nicht vor in den nächsten Minuten den Hauptredeanteil zu übernehmen.
»Über meine Lippen kommt kein Sterbenswörtchen, versprochen.«
Er setzt sich. Ich lächle triumphierenden.
Colin holt tief Luft, bevor er zum Reden ansetzt. Dann beginnt er zu erzählen und je mehr er erzählt, desto mehr wünschte ich mir, dass ich einmal in meinem Leben meine Klappe hätte halten können.
Herzlich Willkommen zum Auftakt der Lesenacht!🥳
Ich hoffe doch, ihr habt es euch für die nächsten Stunden schön bequem gemacht und seid ready für die nächsten Kapitel😃🎉
Dieses Kapitel ist sehhrrr lang geworden, ich weiß. ABER trotzdem bin ich der Meinung, dass es mit eines der wichtigsten Kapitel des Buches ist, weil wir mehr persönliche Details über die beiden erfahren UND das Chap zwei wichtige Botschaften übermitteln soll:
1. Es kann gut oder schlecht sein, Personen dazu zu drängen über persönliche Angelegenheiten zu reden. Denkt dran; Man kann nur Menschen helfen, wenn sie es selbst auch wollen☝🏻
2. Lebt eure Träume, egal was andere davon halten😌🙌🏻Wie Kiera gesagt hat, es ist euer Leben- egal, ob Haupt-, Real- oder Hochschulabschluss, wir sind alle gleich viel wert. Ein Abschluss insbesondere Noten sagen so gut wie gar nichts über eure Persönlichkeit aus, vergesst das nie!
·•●❀●•·
Zur Feier des Tages und weil Spiele zur Unterhaltung der Gäste bei einer Hochzeit natürlich nicht fehlen dürfen, gibt es im Anschluss an jedes Kapitel ein kleines Fun-Game, wo ihr eurer Wissen unter Beweis stellen könnt🎯😃 Und hier kommt....
❀Runde 1❀
In dieser Runde wird euer Wissen als Hochzeitsgast auf die Prüfung gestellt. Habt ihr aufmerksam die Hochzeit verfolgt oder ist euch etwas entgangen? Schaffst du es die Fragen zu beantworten OHNE nochmal nachzulesen???
1. Welche Farbe sollten die Nelken haben, die Kiera für die Trauung besorgen sollte?
2. Wer führte die Braut durch den Mittelgang der Kirche zum Bräutigam?
3. Welches Muster war auf Colins Hemd drauf, was ihm sooo gar nicht gefallen hat?
4.Wie heißt Colins und Josh's Vater mit Vornamen?
5. Gegen was ist Colin allergisch?
6.Was warf Kiera nach Colin, als sie von seinem angeblichen Techtelmechtel mit Stressica auf dem Klo erfuhr?
Und? Alles gewusst?
*überreicht euch stolz Medaille*
Bis gleich💕
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