
𝟎𝟖│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Immer noch kurz vor der Trauung
»Chiara!«
»Lass mich!«
Ich gehe weiter, lasse mich auch nicht von dem nervtötendem Geschrei im Hintergrund abhalten. Schritt für Schritt. Egal wie weh es tut. Nachdem ich es endlich erfolgreich geschafft habe, den Boden unweigerlich ein wenig genauer zu untersuchen, habe ich mich wieder aufgerappelt. Selbstbewusst. Wie eine Königin. Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen, stimmt's?
Und ich bin eine Königin, auch wenn ich weder eine Krone habe noch mein Kontostand wirklich royal ist. Zumindest habe ich die Würde einer Königin. Die Würde, hier schleunigst weg zu kommen von dieser verdammten Kirche. Von ihm.
Obwohl mein zerschrammtes Knie und der damit verbundene Schmerz nicht wirklich angenehm sind und ich jetzt wahrscheinlich noch bescheuerter als vorher durch die Gegend humpele, setze ich einen Fuß vor den anderen.
Einfach nur weg von hier, so lautet die Mission. Wahrscheinlich verfrachte ich mich erstmal in mein pinkes Baby und heule mich so richtig aus. Mal ehrlich; dieser Tag ist zum Kotzen.
»Chiara!«
Ich schlucke, beiße meine Zähne zusammen. Seit einigen Sekunden ist sein schadenfrohes Lachen verschwunden, stattdessen grölt er diesen Namen durch die Gegend in der Hoffnung, dass ich mich umdrehe oder zumindest aufhöre vor ihm weg zu laufen. Pah, da kann er lange drauf warten!
»Chiara!«
Chiara. Dieser Name! Ich werde mit verdammten »K« geschrieben und das weiß er! Aber ich werde nicht nachgeben. Ich werde ihm nicht die Aufmerksamkeit schenken, nach der er sich sehnt. Ich werde einfach stumm weitergehen, ihn schreien lassen. Irgendwann gibt er bestimmt auf.
»Chiara!«
Okay, er ist hartnäckig. Werde ich deswegen schwach? Nein. Entschlossen taumle ich also weiter.
»Die Frau da vorne, die torkelt als hätte sie 3 Promille intus!«
Dieser. Arsch. Er weiß ganz genau, dass ich ein High-Heel-Defizit aufweise!
»Ich weiß, dass du mich hörst, Chiara! An deiner Stelle würde ich stehen bleiben, weil es ganz danach aussieht, als würdest du gleich wieder hinfallen. Meine Verlobte sieht schon aus wie ne Vogelscheuche. Ruinier nicht noch den Rest des Outfits!«
Oh, ich hasse ihn. Ich hasse ihn so dermaßen.
»Chiaaaaaraaaa!«
Arrggghh!
»Es heißt Kiera, okay?« Wütend wirble ich zu ihm herum. Die Verachtung in mein Gesicht geschrieben, während seines dagegen wirklich amüsiert aussieht. Zum Teufel mit ihm!
»Ich wusste, dass du drauf anspringen würdest, Chiara«, sagt er und kommt einige Meter vor mir zum Stehen. Schmollend schiebe ich meine Unterlippe nach vorne.
»Willst du nicht mal fragen, ob ich mir weh getan habe?«, helfe ich ihm auf die Sprünge, aber sein belangloser Gesichtsausdruck verrät mir, dass er alles demnächst vorhat, außer nach meinem Wohlbefinden zu fragen. Kein Wunder also, dass er überrascht eine Augenbraue nach oben zieht, dann jedoch aber schnippisch antwortet: »Hast du mich das vorhin gefragt, als du auf mich drauf gesprungen bist? Lass mich mal kurz darüber nachdenken.« Er tippt sich nachdenklich mit dem Finger aufs Kinn. »Nö, hast du nicht!«
Antwort genug für mich. Ich setze mich erneut in Gang. Es hat keinen Sinn mit ihm zu reden. Doch schon nach einigen Sekunden wird mein Arm ergriffen und ich werde unweigerlich zum Stehen gebracht. Colin baut sich erneut vor mir auf.
»Okay, sorry, ich hab's nicht so gemeint.« Sein Gesichtszüge sind weicher. Er scheint es ernst zu meinen. Und dann stellt er die Frage, die er eigentlich am Anfang hätte stellen müssen, was nebenbei gemerkt nicht Willst du mich heiraten? ist, sondern Hast du dir weh getan?.
Seufzend fällt mein Blick auf den Boden und somit auch auf meine beigen Heels, die an den Ansätzen ganz staubig sind. Am liebsten würde ich die Dinger in die Ecke feuern und barfuß gehen, aber dann werde ich wahrscheinlich nicht in die Kirche gelassen.
»Nein, es geht schon.« Ein verächtliches Schnaufen seitens Colin und seine kehlige Stimme, die empört sagt: »Woah, wieso sollte ich dich dann fragen?«
Ich rolle mit den Augen und wende mich ein weiteres Mal zum Gehen, doch wieder ergreift er meinen Arm und lässt mich zurückrudern.
»Kiera, hör mir mal zu. Das eben mit Stressica ist echt mies gelaufen...«, fängt er an, wobei ich jetzt diejenige bin, die entrüstet schnauft.
Er nennt es mies. Ich nenne es Versagen seiner wenigen Hirnzellen.
»Jedenfalls ist es ist nur für diesen einen Abend. Außerdem wird es keiner groß erfahren. Stressica wird es für sich behalten. Danach sage ich ihr, dass es nicht mit uns geklappt hat und wir uns leider getrennt haben«, erklärt er mir seinen brillanten Plan, den ich ihm gleich wieder aus dem Kopf schlage: »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe! Kannst. Du. Vergessen!«, stelle ich klar, woraufhin er nur seinen Kopf zur Seite legt und seinen Hundeblick aufsetzt.
Okay, der ist schon süß. Wie er die Lippen trotzig verzogen hat und schmachtend mit den Wimpern klimpert. Doch wie gut, dass mich das hinterhältige Funkeln in dem Braun seiner Augen daran erinnert, wer da vor mir steht und um Hilfe fleht.
»Nein«, lautet meine Antwort demnach zum wiederholten Male.
»Komm schon!«
»Nein.«
»Wieso?« Fragend sieht er mich an. Hat er eigentlich eine Ahnung, was er da von mir verlangt? Wir beide sind eindeutig dafür geschaffen uns zu meiden, einfach aus dem Weg zu gehen. Eigentlich sind wir das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn man versucht Öl mit Wasser zu löschen. Die ganze Sache wird noch schlimmer und alles bricht in Chaos aus. Seit ich ihn heute getroffen habe, ist dieser Tag ein einziges Chaos und wurde stetig schlimmer bis ich soeben meinen Tiefpunkt erreicht hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes war das heute mein tiefster Punkt. Tiefer kann man immerhin nicht fallen. Wir sollten uns also eindeutig meiden. Nicht ein verliebtes Paar vorspielen, das hintenrum Mordpläne für den jeweils anderen schmiedet. Daher steht mein Entschluss klipp und klar fest.
»Im Leben tanzt nicht immer alles nach deiner Pfeife, Colin Walker. Schon gar nicht ich!« Verärgert richte ich meinen Zeigefinger auf ihn. »Spiel das blöde Spiel allein oder sag ihr deutlich, dass du nichts von ihr willst, aber halt mich da raus!«
Zufrieden verschränke ich die Arme. Colin hat die Lippen zusammengepresst und mustert mich eindringlich. Sein Blick wandert prüfend über mein Gesicht. Dann scheinen seine Augen plötzlich etwas hinter mir zu erhaschen. Erst ein Stirnrunzel, dann zucken seine Mundwinkel, was mich zugegebenermaßen leicht aus dem Konzept bringt. Ich will mich schon umdrehen und schauen, über was er sich so zu amüsieren scheint, doch dann fragt er erneut:
»Du spielst also nicht mit?« Ich schüttele den Kopf.
»Nein.« Will er es noch schriftlich haben?
Anscheinend ist das gar nicht nötig, denn Colin tut daraufhin das, was ich von ihm am wenigsten erwartet hätte: Er gibt nach.
Stumm nickt er und scheint damit meinen Entschluss endlich zu akzeptieren.
Woah, er akzeptiert ihn?
Er war doch eben noch so erpicht darauf, dass ich mitspiele und jetzt tut er es einfach mit einem Nicken ab? Entweder hat er endlich eingesehen, dass es eine beknackte Idee war oder irgendetwas ist im Busch. Sein plötzlich erheiterter Gesichtsausdruck würde eindeutig für die zweite Variante sprechen. Warum zum Teufel grinst er so doof?
»Du spielst also auch nicht mit, wenn...« Er verharrt, scheint den Moment auskosten zu wollen, an den ich gebannt an seinen Lippen hänge und darauf warte, was als Nächstes kommt. »...wenn deine Mutter denkt, dass wir verlobt sind?«
»Nein...Moment, WAS?« Das ist der Moment, in dem es mir dämmert. Woher sein selbstsicheres Grinsen kommt. Warum dieser siegessichere Ausdruck sein Gesicht ziert, als er an mir vorbei zeigt und fragt: »Das ist sie doch, oder?«
Ich folge seinem Blick. Meine Augen wandern über die braunen Schnürsandalen, an denen diverse bunte Bommel hängen und mich seltsamerweise an die Schuhe der alten Römer erinnern, über das knallgrüne Flatterkleid der Frau. Der leichte Stoff des Kleides reicht ihr bis zu den Knöcheln und ist übersät mit einem schrecklichen lila Blumenmuster. Um ihre Schulter baumelt eine blaue Stofftasche, während der V-Ausschnitt die gebräunte Haut um ihr Dekolleté frei legt. Einen genauso sonnengebräunten Teint ziert auch ihr Gesicht und die Sonne ist ihr wortwörtlich ins Gesicht geschrieben. Sie strahlt über beide Ohren, während sich Lachfalten um ihre meerblauen Augen bilden. Die hellbraunen Locken wehen im Wind und ihre Stirn wird weitestgehend von einem ausgefransten Pony verdeckt. Als wären das froschgrüne Kleid und die braunen Sandalen nicht genug des Guten, thront noch ein riesiger gelber Hut auf ihrem Kopf und scheint den Paradiesvogel einige Meter vor uns perfekt zu machen. Zu dumm, dass ich diesen Paradiesvogel kenne, insbesondere den Hut. Den habe ich ihr zum Muttertag geschenkt.
Obwohl Vorfreude sich in mir breit macht, meine Mutter nach so vielen Monaten endlich mal wieder zu sehen, unterdrücke ich den Drang auf sie los zu sprinten und mich in ihre Arme zu werfen. Momentan habe ich immer noch ein anderes Problem an der Backe.
Missmutig wende ich mich wieder Colin zu, der den Blick auf meine Mutter gerichtet hat und ihr dabei zu sieht, wie sie sich uns Stück für Stück nähert.
Halleluja, noch nie habe ich so sehr gewollt, dass meine Mutter jemanden nicht kennenlernt! Ich muss um jeden Preis verhindern, dass sich die Beiden treffen oder auch nur ansatzweise miteinander in Kontakt kommen. Das Ganze wird sonst in einem einzigen Desaster enden! Deswegen setze ich eine gleichgültige Miene auf und sage kühl:
»Nein, ich kenne diese Frau nicht.«
Gleichzeitig bedeute ich ihr hinter meinen Rücken schleunigst ab zu zischen. Nur leider habe ich die Befürchtung, dass meine Mum das Wedeln unmittelbar im Bereich meines Hinterns als mögliches Wegwedeln eines Furzes abtut- dafür kenne ich sie gut genug, um zu wissen, dass nonverbale Kommunikation nicht zu unserer Mutter-Tochter-Stärke gehört.
Das bestätigt sich, als sie nur noch einige Meter von uns entfernt ist und eigentlich wie jeder normale Mensch raffen müsste, dass man, wenn man hinter den Rücken eines Mannes so tut, als würde man sich die Kehle aufschlitzen und mit den Zeigefinger deutlich genug weg von sich zeigt, keine Gesellschaft haben will.
Und was macht sie?
Genau, mit ausgebreiteten Armen steuert sie direkt auf mich zu und schreit in einer unmissverständlichen Tonlage über den ganzen Vorplatz:
»KIERA, MEIN SCHÄTZCHEN, KOMM HER UND BEGRÜß DEINE GELIEBTE MUTTER! MAMA IST WIEDER IN THE HOUSE!«
Oh Gott, das endet in einer verdammten Katastrophe!
Ich sollte mir jetzt eigentlich Gedanken über ein mögliches Versteck für die nächsten 24 Stunden machen, um den peinlich berührten Blicken der anderen Hochzeitsgäste zu entgehen. Doch stattdessen fällt mein Blick panisch auf Colin, der meine Mutter nun endgültig im Visier hat. Ein diabolisches Grinsen erscheint auf seinen Lippen und lässt alles um mich herum vergessen.
»Untersteh dich!«, ist das Einzige, was ich sagen kann. Doch irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, das egal was ich tue, egal was ich sage, Colin nicht davon abhalten wird.
Aber er würde doch nicht wirklich...Das wagt er nicht!
Meine verrückte Mutter, der Paradiesvogel in Person, die wirklich keine Hemmschwellen hat und gnadenlos den Dresscode missachtet, den Kaitlyn streng aufgesetzt hat, ist mittlerweile vor uns zum Stehen gekommen. Froh munter lächelt sie mich an und schließt mich in eine dicke Umarmung, die mir wie immer die Luft raubt. Der herbe Duft von ätherischen Ölen gemischt mit einer süßen Note Lavendel sticht mir sofort in die Nase. Dann drückt sie sich von mir und mustert mich skeptisch. Ihr Blick fällt auf mein beflecktes Kleid.
»Sag mal, bist du in ne Grube gefallen? Du siehst aus, als hättest du irgendwo gebuddelt.« Ich grinse matt und würde am liebsten mit Schmollmiene schuldig auf Colin zeigen. Er hat immerhin die Grundlage für den Schmutz auf meinem Kleid geliefert. Der Rest war sozusagen nur noch Kleinigkeiten. Doch dafür mache ich einen Schritt zur Seite und stelle mich provokativ vor Colin, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, ihn auf diese Weise von ihr abzuschotten, nahezu Null ist.
Mein feindlicher Kumpan, der sich keinen Meter hinter mir bewegt hat, sondern äußerst interessiert das Geschehen rund um meine Mutter mitverfolgt, bleibt auch nicht lange vor ihrem quirligen Wesen verschont. Sobald meine Mum sich von mir abgewendet hat, fällt ihr Blick auch schon auf ihn. Ihre Hand schiebt sich auf die Hüfte und für einen Moment verharrt sie, schaut einfach durch mich hindurch ihn an, als würde ich nicht vor ihm stehen. Dann säuselt sie:
»Ulala, wer ist denn dieser Schönling hier?«
Sie zwinkert ihm zu und er zwinkert zurück. Ungläubig starre ich zwischen den beiden hin und her. Verbündet sich meine Mutter gerade mit dem Feind?!
Kurzerhand werde ich von zwei starken Händen beiseitegeschoben, sodass meine Mutter wieder vollständigen Blick auf Colin hat, der plötzlich das Wort ergreift:
»Hallo, ich bin Colin Walker, der Bruder des Bräutigams und ihr zukünftiger Schwiegersohn, M'am. Wir haben uns gerade verlobt.« Er reicht meiner Mutter förmlich die Hand, die diese zögernd annimmt. Leicht überrascht und verwirrt fällt ihr Blick auf mich, wobei ich sofort klar stelle:
»Haben wir nicht.«
Meine Mutter scheint über diese Antwort noch mehr verwirrt zu sein. Falten bilden sich auf ihrer Stirn. Erbost wechsle ich einen flüchtigen Blick mit meinem Verlobten.
-Ich dachte, ich hätte mich klar und deutlich ausgedrückt.
-Das dachte ich auch!
-Die Antwort war: Nein!
-Deine Meinung hat noch nie gezählt, Chiara.
Der Blickkontakt bricht ab. Er wendet sich wieder meiner Mum zu, während ich hörbar ausatme und zu explodieren drohe. Wehe er zieht meine Mutter in sein Lügennetz mit rein! Dann bringe ich ihn um!
»Haben wir«, beharrt Colin trotzdem stur weiter, »Sie müssen wissen, ihre Tochter ist sehr zäh, wenn es um Gefühle geht.«
Bitte was? Ich und zäh? Definitiv nicht! Ich bin ein sehr gefühlvoller Mensch, der nur nicht jeden zeigt, was er fühlt, aber deswegen bin ich doch nicht gleich zäh! Und wieso nickt meine Mutter ihn zustimmend an?
Mayday, mayday. Irgendjemand noch da?
»Sie kann ihre Freude noch nicht wirklich zum Ausdruck bringen...«
Welche Freude? Die Freude, dich gleich umzubringen, Colin Walker, wenn du nicht sofort dein Maul schließt?
»Ich warte schon so lange darauf, endlich vorgestellt zu werden«, beteuert er und beendet mit diesem Satz seinen von Lügen beladenen Vortrag. Zu meinem Grauen muss ich feststellen, dass sein Arm wieder auf meiner Taille ruht, was unweigerlich meinen Puls verschnellern lässt.
Ich dachte, ich hätte vorhin klar und deutlich gemacht, was passiert, wenn man seinen Arm auf Kiera-Terrain legt. Meine Nägel schon zum Angriff bereit, will ich sie wieder in sein Fleisch bohren, doch vorzeitig entzieht er mir seinen Arm.
Gut, immerhin das haben wir geklärt. Bleibt nur noch die Sache mit der Verlobung.
Meine Mum ergreift just das Wort: »Ja, Kiera war schon immer ein bisschen steif. Mach dich mal locker. Der ist ja richtig fesch!« Sie verpasst Colin einen Klaps gegen die Schulter.
Holy Shit, was geht hier ab?
Mir fallen beinahe die Augen aus und auch Colin sieht seltsam erstaunt darüber aus, dass seine Masche zu klappen scheint. Oh und wie sie klappt! Meine Mutter würde ihn ja am liebsten adoptieren!
»Meinen Segen habt ihr!« Sie zuckt mit den Schultern und wischt sich eine braune Strähne aus dem Gesicht. »Wann steigt eure Hochzeit?«
Verzweifelt schlage ich mir mit der Hand vor die Stirn. Das ist meine Mum, wie sie leibt und lebt. Nie groß Dinge hinterfragen, einfach machen lassen. Ich glaube, selbst wenn ein vollgekoster Hippie neben mir stehen würde, würde sie ihn lächelnd willkommen heißen. Das erinnert mich daran, wieviele Freiheiten sie mir immer gelassen hat.
Manchmal vielleicht zu viel. Und obwohl sie chaotisch hoch zehn ist, so ziemlich alles verpeilt und nie irgendeinen Plan hat, ist sie die mutigste und stärkste Frau, die ich kenne. Sie ist meine Mum. Die Frau, die mit 16 Jahren von Zuhause ausgerissen ist und ein Jahr später mich an der Backe hatte. Die, obwohl wir nie viel Geld hatten, immer alles Nötige darangesetzt hat, dass es mir gut geht und an nichts fehlt.
Sie hat immer von der großen weiten Welt geträumt, den vielen Ländern, der grenzenlosen Freiheit und sich endlich diesen Traum erfüllt. Wie ich den vielen Postkarten, die sie mir regelmäßig zu kommen lässt, entnehmen konnte, war sie in den letzten Wochen irgendwo im asiatischen Raum unterwegs.
Jedes Mal, wenn ich die Postkartenvorderseite mit den Bildern von ihren Reisen betrachte, erfüllt es mich mit Stolz. Stolz darüber, dass sie sich ihren Traum erfüllt, auch wenn das heißt, dass meine verrückte, liebevolle Mutter tausende von Kilometer entfernt auf einer Insel in Tahiti ihr Unwesen treibt und die Gegend mit ihrer einzigartigen Gestalt unsicher macht.
Umso mehr Angst habe ich immer davor, sie zu enttäuschen, wenn sie nah ist. Die Angst davor, ihr nie das zurück zu geben, was sie mir gegeben hat.
Und deswegen halte ich die Klappe, weil sie tatsächlich glücklich über die Neuigkeit zu sein scheint. Außerdem habe ich bei den wenigen Besuchen ihrerseits bemerkt, wie sie unauffällig auf meinen Bauch gestarrt hat.
Ich will ihr die Illusion einfach nicht nehmen. Es wird einfacher sein, ihr übers Telefon zu sagen, dass mit Colin und mir Schluss ist, als ihr gegenüber zu stehen und zu beichten, dass ich auf ewig einsame Jungfer bleiben werde.
Am liebsten würde ich mich selber ohrfeigen, weil ich gerade feststelle, dass der Blödmann es doch tatsächlich geschafft hat mich in das Schlamassel zu ziehen und ich mich in diesem Moment bereit erkläre mitzuspielen. Um den Willen meiner Mum. Für einen Abend.
»Sag mal, was machst du denn für eine Schnute, Schätzchen? Das ist keine Trauerfeier, sondern die Hochzeit von Kaitlyn und... Wie hieß er noch gleich? Franklin?« Hilfesuchend sieht sie mich an. Namen sind nicht ihre Stärke. Eine Sache, die sie und ihr zukünftiger Schwiegersohn anscheinend gemeinsam haben.
»Josh«, hilft ihr mein Verlobter netterweise auf die Sprünge. Meine Mutter zieht skeptisch eine Augenbraue nach oben.
»Josh? Was ist das denn für ein Name?« Energisch schüttelt sie den Kopf. »Franklin passt viel besser.«
»Nicht wenn sie Josh kennen, M'am«, erwidert Colin, doch sie winkt nur galant ab.
»Wohl war. Ach bitte, nenn mich Amy. Wir sind doch ohnehin in ein paar Minuten eine Familie.«
Über Colins Gesicht jagt ein charmantes Grinsen nach dem nächsten. Vornehm bietet er plötzlich meiner Mum seinen Arm an.
»Unterhaken?«, fragt er unschuldig, was meiner Mutter ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen hervorlockt, bevor sie sich bei ihm freudestrahlend unterhakt.
»Gerne.«
Und da gehen sie. Meine Mum und Colin. Untergehakt in Richtung Kirche. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er sie tatsächlich rumgekriegt hat!
Mag sein, dass wir jetzt Geschäftspartner im Business um eine kurzweilige Verlobung sind, aber das wird ganz sicher nicht meine Haltung gegenüber diesen Hohlbratzen ändern. Der Hohlbratze, der gerade meine Mutter durchs Tor führen will.
Bevor sie den Eingang passieren, dreht meine Mum sich noch mal rum und schreit aus vollem Halse:
»GUTER FANG, PURZEL! ICH LIEBE IHN!«
Dann dreht sie sich wieder zu ihm um und mir fallen beinahe die Augen raus, als ich sehe, wie er sie auch noch zum Lachen bringt.
Die Lage ist schlimm. Schlimmer als gedacht und ich habe das Gefühl, dass mir gerade jegliche Kontrolle aus den Händen genommen wurde und ich dabei bin zu ertrinken. Ich ertrinke in einem Netz aus Lügen, zudem jetzt auch meine eigene Mutter gehört...und ich selbst.
Stumm beobachte ich, wie er ihr doch tatsächlich noch gentlemanlike den Vortritt beim Reingehen in die Kirche gewährt.
Aalglatt, Freunde. Aalglatt. Zum Kotzen, wenn ihr mich fragt.
Genauso zum Kotzen wie das schadenfrohe Lächeln, das seine Lippen ziert, als er mich eines letzten Schulterblickes würdigt, gepaart mit einer unmissverständlichen Nachricht, die ich an seinen dunklen teuflischen Augen förmlich ablesen kann:
Gleichstand, Chiara. Gleichstand.
Noch, denke ich und stapfe erbost den beiden hinterher. Direkt in die Hölle. Gottes Hölle.
Kiera: 1 - Colin:1
Ohhhh, ich liebe dieses Kapitel so sehr😃Vielleicht ist es auch deswegen so lang geworden...Upsi😅
Hattet ihr Spaß beim Lesen?
Was sagt ihr zu Amy?
Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass im nächsten Kapitel endlich geheiratet wird, aber ihr müsst euch noch etwas gedulden...😁
Dafür lesen wir uns am Mittwoch wieder! Ich hoffe doch, ihr seid am Start, because Wednesday is Colin time😉🤪
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