3. Kapitel
(das obige Bild soll nur ungefähr vermitteln, wie es im Zug aussieht, da ein paar Fragen aufgetaucht waren, aber Abweichungen waren leider unvermeidbar gewesen, da dieser Waggon nun einmal kein gewöhnlicher Waggon ist, aber ich will euch nicht schon zu viel verraten! ly ;))
ℑrgendwann waren wir dann schließlich doch eingeschlafen. Der Zug hatte ein wenig nachgeholfen und mich mit seinem regelmäßigen Geratter über die Schienen und den Schatten, die ich anfangs ein wenig beängstigend fand, wie sie sich über die Wand räkelten und Grimassen an die Wände malten, in den Schlaf gelullt. Ich hatte noch etwas länger darüber nachgedacht, was Jacob mir erzählt hatte und sogar geträumt hatte ich von seinem Erlebnis. Es ließ mich einfach nicht mehr los und sogar am nächsten Tag spukte es immer noch in meinem Kopf, wie verrückt. Ich fand es einfach unfassbar, dass wir uns nicht so unähnlich waren, wie ich anfangs geglaubt hatte.
Den darauffolgenden Tag verbrachten wir beide eigentlich die ganze Zeit in unserem Abteil und beschäftigten uns mit Lesen, Gespräche führen oder "ich sehe was, was du nicht siehst" zu spielen. Ab und zu holte ich auch meinen Laptop heraus und versuchte schon einmal für meine Klausuren zu lernen, doch ich schaffte es nicht richtig mich zu konzentrieren, also ließ ich es irgendwann bleiben und beschäftigte mich anderweitig.
Ich hatte gemeinsam mit Jacob die anderen Abteile erkundet und wir waren wirklich die Einzigen im Zug, wie sich nach einer ausgiebigen Kontrolle herausstellte. Ein Bad hatten wir bisher nicht gefunden und deshalb nutzten wir einfach einen Nachttopf, den wir in einem der anderen Abteile gefunden hatten. Es war zwar ein wenig unangenehm so zu leben, aber wenigstens hatten wir uns zuvor ein wenig Proviant und etwas zu trinken mitgenommen, sodass wir nicht so schnell verhungern oder verdursten würden. Normalerweise hielten die Züge öfter an Bahnhöfen, aber irgendwie hielt der Zug nie an. Außerdem würden wir hier sowieso ja auch nicht länger als drei Tage bleiben und davon hatten wir nun zwei beinahe geschafft.
Als auch der zweite Tag sich dem Ende zuneigte und die Nacht hereinbrach, lagen Jacob und ich bereits in unseren Zugbetten mit den kitschigen, aber dennoch kratzigen Bettbezügen. Wir hatten uns in den letzten zwei Tagen wirklich gut verstanden und als ich nun auch vorhin bei einem Gespräch herausgefunden hatte, dass er keine Freundin hatte und seine letzte Beziehung länger her war, machte mein Herz aus unerklärlichen Gründen einen Sprung und ich hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Aber ich versuchte es so gut es ging zu ignorieren und auch eine neutrale Meinung zu ihm beizubehalten, immerhin kannte ich ihn ja erst seit rund zwei Tagen.
„Und was ist mit dir, Ellie? Hast du einen festen Begleiter?" Er setzte sein Grinsen auf, was mich immer etwas aus der Fassung brachte und bei dem ich langsam das Gefühl bekam, es sei nur für mich bestimmt. Erwartungsvoll schaute er mich an.
„Nein und um ehrlich zu sein, hatte ich bisher auch noch keinen einzigen Jungen, dem ich mein Herz schenken konnte.", platzte es ein wenig vorschnell aus mir heraus. Hatte ich einem Jungen, den ich gerade erst einmal einen Tag kannte, wirklich mein trauriges Liebesleben mit meinen achtzehn Jahren offenbart und ihm einfach so gesagt? Anscheinend.
„Bist du lesbisch?"
Zuerst starrte ich ihn mindestens eine halbe Ewigkeit einfach nur fassungslos über seine Frage an, so etwas fragte eigentlich niemand, den man gerade mal ein paar Tage kannte und dann klappte zusätzlich auch noch mein Mund auf. Jedoch schloss ich irgendwann wieder, fasste mich und schüttelte dann langsam meinen Kopf. Den Grund für meine Unzugänglichkeit verriet ich ihm aber nicht und das würde ich auch niemals tun. Ich hatte nämlich seitdem ich 10 Jahre alt gewesen war, immer Angst neue Beziehungen, auch freundschaftliche mit anderen Menschen einzugehen, und an alle dem war mein Geheimnis schuld.
„Das heißt du hattest bisher einfach keine Gelegenheiten mit Jungen zu interagieren? Also bist du noch Jungfrau?"
Also das ging mir dann doch ein wenig zu weit, er kannte wirklich keine Scham und kein Pardon. Eigentlich hatte ich ihm schon viel zu viel gesagt und überhaupt, was zum Teufel ging ihn das eigentlich an, wir waren doch im Prinzip eigentlich Fremde. Gerade wollte ich ihm meinen Killerblick schenken und ihm gelegentlich noch eine klatschen und dann das Abteil verlassen, als ich seinen komplett neutralen Gesichtsausdruck betrachtete. Er hatte nicht einmal ein verstohlenes Grinsen auf seinem perfekten Gesicht, dass bedeutete, dass er das komplett ernst meinte und ihm das auch keineswegs unangenehm oder peinlich war und schon war mein Mund wieder schneller, als mein Verstand und ich sagte einfach das, was mir als erstes in den Sinn kam mit dem Gedanken, dass wenn er es doch so ernst meinte, es nicht sonderlich oder unangenehm für ihn war und das es für mich dann auch nicht unangenehm sein musste, dummer Gedanke.
"Nur, weil ich noch keine Beziehung hatte, bedeutet das nicht gleich, dass ich noch Jungfrau bin. Ich meine, es gibt eine Menge lustvolle Testosteronbomben auf zwei Beinen in der Disco oder auch auf einer Party, aber um deine Frage zu beantworten: ja, ich bin noch Jungfrau, obwohl das dich eigentlich einen Dreck scheren sollte.", beendete ich dann den Satz und schlug mir sofort die Hand vor den Mund, um nicht noch weiteres von meinem mittlerweile viel zu unprivatem Leben preiszugeben. Ich meine, was zum großmäuligen Kugelbartfisch hatte ihn das zu interessieren? Damit beendete ich das Gespräch auch vorerst, denn mir wurden die Fragen langsam ein wenig unangenehm. So nett er auch sein mochte, diese Fragen waren nun wirklich zu privat.
Ich dachte gerade darüber nach, wie es jetzt wohl George ginge und ob er schon eine neue Zimmernachbarin hatte, mit der er sich gut verstand, als irgendetwas mein Bein langsam hinaufkrabbelte.
"Ihhhhhhhhhh", kreischte ich und sprang hastig auf. Ein ekliger Schauer lief mir kalt den Rücken hinab und ich schüttelte mich angeekelt von dem bloßen Gedanken an Insekten. Ich hasste Krabbeltiere, wie die Pest, sie waren eklig, hatten viel zu viele Beine und unheimliche Augen. Hoffentlich hatte ich Jacob nicht geweckt, er war vor ein paar Minuten nämlich eingeschlafen, das hatte ich an seinem ruhigen und gleichmäßigen Atem registriert.
"Was zum?" flüsterte Jacob gerade hinter mir in mein Ohr und ich spürte seinen Atem auf meinem Nacken. Wie auf Kommando stellten sich alle meine Nackenhaare auf und der Schauer, der mir den Rücken hinabgelaufen war, blieb noch ein wenig länger, also war er doch wach geworden. Seine Nähe beunruhigte mich sehr, aber diese monströse Spinne in meinem Bett, die Jacob mit seiner Taschenlampe fasziniert anleuchtete, beunruhigte mich noch viel mehr. Sie war viel zu groß für eine aus Europa stammende Spinne und war auch deutlich beharrter, obwohl ich ihre Augen ehrlich gesagt relativ niedlich fand. Erst glotzte sie uns mindestens eine halbe Ewigkeit an und dann legte sie sich einfach in mein Bett, als wäre es das normalste der Welt, was Spinnen jeden Tag tun würden. Ich stöhnte genervt auf:
"Na super, jetzt kann ich nicht mehr in mein Bett zurück, weil dort dieses...dieses Viech liegt!"
"Tja, dann müssen wir wohl kuscheln, Prinzessin auf der Erbse, oder kuschelst du lieber mit dem da?", Jacob zeigte auf die Spinne.
"Auf gar keinen Fall, das kommt nicht in Frage, ich kuschle mit niemandem herum, ich schlafe auf dem Boden.", stellte ich ganz klar fest und legte mich wirklich auf die staubigen Holzdielen des Zugwaggons.
"Ich halte dich nicht davon ab, aber wer weiß, vielleicht sitzen Spinnis Freunde unter den Betten und freuen sich auf Frischfleisch, dass sich freiwillig zu ihnen gesellt." Sofort sprang ich wieder vom Boden auf und klopfte mir den Staub der Dielen von meiner Kleidung.
"Na gut, vielleicht ist es doch besser sich ein Bett mit dir zu teilen anstatt mit diesem Spinnentier. Komm ja nicht auf falsche Gedanken und bilde dir bloß nichts drauf ein, es ist eine sachliche Zimmergenossensache, dessen Schuld ein Spinnenviech trägt."
Ich funkelte die Spinne wütend an, aber konzentrierte mich, keine wirkliche Wut auf dieses Tier auszuüben, denn das war mein Geheimnis. Wenn ich Wut auf jemandem oder etwas hatte, geschah schreckliches und der Gegenstand zersprang oder noch schlimmer, die betroffene Person erlitt höllische Qualen. Bisher war noch niemand gestorben deswegen, aber so weit musste es auch gar nicht erst kommen, deshalb hatte ich mir geschworen, meine Kraft immer unter Kontrolle zu haben und sie als mein Geheimnis in mir wegzusperren. Es war nicht einfach seine Wut zu zügeln, aber nach acht Jahren Übung hatte ich langsam den Dreh heraus.
Denn alles begann, als ich gerade mal zehn Jahre alt gewesen war und so eine Wut auf einen Mitschüler gehabt hatte, der sich über meinen verstorbenen Vater lustig gemacht hatte und ihn als Trinker und arbeitslosen Penner beleidigt hatte, der es nicht anders verdiente, als zu sterben und dabei kannte er meinen Vater nicht einmal. Selbst ich kannte meinen Vater nur noch von Fotos, nicht mal seinen Namen wusste ich, geschweige denn seine Todesursache. Meine Mutter hatte ihn nie erwähnt, vermutlich weil sie bis heute nicht über den Schmerz hinwegkam, obwohl sie mittlerweile einen neuen Freund hatte. Aber niemand durfte die Ehre eines Toten verletzen, das war unmenschlich und unmoralisch und besonders die Ehre meines Vaters durfte man nicht verletzen. Als ich den Jungen daraufhin angefunkelt hatte und auf ihn losstapfen wollte, hatte er sich plötzlich gekrümmt, war zu Boden gefallen und hatte ganz leise vor sich her gewimmert. Zugegeben hatte es mir ein wenig Spaß gemacht ihn so leiden zu sehen, weil er sein Karma verdient, hatte und vor allem, weil ich nicht genau wusste, was der Grund für seine plötzlichen Schmerzen gewesen war. Zuerst dachte ich, er wollte mich hereinlegen und mir einen Streich spielen, aber als dann das Blut aus seiner Nase, aus seinen Ohren und am schlimmsten, aus seinen Augen triefte, endete der Spaß sofort. Die Lehrer waren zu ihm geeilt und ich wurde nach einem langen Prozess von der Schule geschmissen, weil ich angeblich einen Jungen dermaßen zusammengeschlagen hatte, dass ich eine Gefahr für die Schule darstellte, dabei hatte ich ihn nicht mal angefasst. Wahrscheinlich hatte einer der herumstehenden Schüler damals gepetzt und weil auch sie sich keinen Reim darauf machen konnten, hatten sie teilweise aus Angst vor mir irgendetwas erfunden, damit ich mit ihnen nicht auch noch so etwas machen würde.
Zuerst hatte ich nicht glauben wollen, dass ich für diese Qualen verantwortlich gewesen war, doch später fiel mir öfter auf, dass wenn ich Wut auf einen Gegenstand ausübte, weil er nicht, dass machte, was ich von ihm verlangte, dann zersprang dieser auf der Stelle. Seitdem versuchte ich keine Wut auf irgendetwas zu haben, aus Angst, ich würde jemanden verletzen oder irgendwann würde jemand sterben.
"Also kommst du jetzt unter meine Decke, Prinzessin? Oder willst du noch eine Weile weiter starren, bis das Vieh sich vor Angst ins Fell pinkelt?"
"Jaja". Ich schlüpfte unter seine warme Decke und hielt mich so gut, wie es eben in einem Einzelbett ging von ihm fern, um peinliche Zusammenstöße zu vermeiden und weil seine Nähe in mir immer noch ein komisches Gefühl auslöste. Doch nach kurzer Zeit hatte ich bereits aufgegeben den Abstand zwischen uns zu halten. Es war einfach zu wenig Platz in diesem Bett und wenn ich wirklich nicht bei Spinnis Freunden landen wollte, musste ich eben ein wenig näher rücken. Sein Atem war warm und ich konnte spüren, wie sich seine muskulösen Arme langsam entspannten. Plötzlich merkte ich, wie er langsam und behutsam seinen einen Arm um meine Taille legte und sich an mich schmiegte. Ich leistete keinen Widerstand, denn zum einen wäre ich sonst Kopfüber vom Bett gefallen und zum anderen gefiel mir seine körperliche Nähe, auch wenn es meinen Herzkreislauf Rhythmus total aus der Bahn warf. Seine eine, raue Hand grub sich sanft in meine Haare und beide schliefen wir kurzerhand in dieser Position ein. Doch dieser Frieden währte nicht all zu lang. Ich wurde nämlich von einem lauten Quietschen aus meinem Schlaf geweckt, der Zug stand still.
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