18
Dank Sylphies intensiver Pflege geht es mir nun, nach nur wenigen Tagen, wieder erstaunlich gut. Ihre Fürsorge war beinahe übermenschlich – stets aufmerksam, voller Hingabe und mit einem stillen Verständnis, das mich immer wieder tief berührt. Doch trotz dieser neu gewonnenen Kraft und Klarheit lastet eine Frage schwer auf meinem Herzen: Was ist mit Leonid, oder sollte ich ihn Ephraim nennen, wirklich geschehen? Ich brauche Antworten. Seine widersprüchliche Präsenz, sein verwirrendes Verhalten – das alles hat ein Chaos in mir hinterlassen, das nach Ordnung verlangt.
Wie lautet sein wahrer Name? Leonid oder Ephraim? Oder steckt hinter diesen beiden Namen vielleicht mehr, als ich bisher verstehe? Ich fühle das brennende Verlangen, ihn zur Rede zu stellen, Klarheit in dieses Mysterium zu bringen, das mich so sehr umtreibt. Doch nicht jetzt.
Denn bevor ich mich dieser Konfrontation stelle, muss ich mich meinem Manuskript widmen. Letzte Nacht hatte ich wieder einen jener Träume – so lebendig, so fesselnd, dass sie mich bis ins Mark erschütterten. Ich kann die Bilder, die Gefühle, die Worte nicht einfach verblassen lassen. Nein, ich muss sie festhalten, sie zu Papier bringen, bevor sie mir entgleiten. Die Schreibmaschine ruft und ich werde ihrem Ruf folgen.
„Ihr fangt mich nicht!“ rufe ich lachend, während ich über eine duftende Blumenwiese laufe. Der süße Geruch von Wildblumen und frischen Gras erfüllt die Luft und vermischt sich mit dem sanften Summen der Bienen. Mein gelbes Kleid flattert im Wind, doch ich habe es mit beiden Händen gerafft, um schneller rennen zu können. Das Gras kitzelt meine nackten Füße und mein Herz pocht vor Aufregung.
„Na warte, bis ich euch erwische!“ ertönt eine helle, männliche Stimme, die vor Lachen nur so sprüht. Ich werfe einen schnellen Blick über meine Schulter und sehe ihn: eine beeindruckende Erscheinung, die sowohl vornehm als auch ein wenig wild wirkt. Sein schmales, markantes Gesicht wird von blonden, leicht zerzausten Haaren umrahmt, die in der Sonne fast golden schimmern. Seine helle Haut hebt sich ab von dem voluminösen Pelzmantel in satten Brauntönen, der ihn majestätisch wirken lässt. Darunter blitzt ein lockeres, helles Hemd hervor, das von der Bewegung sanft im Wind flattert. An seinem Hals funkeln goldene Halsketten mit kunstvoll gestalteten Anhängern, königlich und schwer.
„Hab’ ich euch!“ ruft er triumphierend, seine Stimme leicht außer Atem und schlingt seine starken Arme um meine Taille. Bevor ich mich wehren kann, hebt er mich spielerisch hoch und wirbelt mich durch die Luft, als wäre ich federleicht. Ich kichere unwillkürlich, während ich versuche, mein Kleid zu ordnen, das in alle Richtungen flattert.
„Malric! Das ist unfair! Mein Kleid ist viel schwerer als euer Mantel!“ schmolle ich, obwohl ein Lächeln über mein Gesicht huscht. Meine Worte werden von einem lauen Sommerwind davongetragen, während ich ihm in seine grau-blauen Augen blicke, die wie ein stiller See wirken, voller Tiefe und mit einem Hauch von Schalk.
„Ich habe auch längere Beine als ihr, meine Liebe“ entgegnet er verschmitzt, ein Lächeln, das die Sonne noch heller wirken lässt, auf seinen Lippen. Mit einer sanften Bewegung streicht er mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meiner Frisur gelöst hat. Sein Blick ist warm und in diesem Moment scheint die Welt stillzustehen – nur wir, die Blumenwiese und das Summen der Bienen, umrahmt von einem goldenen Licht, das alles verzaubert.
„Lucrezia …“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, sanft und zögernd, fast unsicher. Seine Worte scheinen sich in der Stille des Sommerwindes zu verlieren, doch ich höre sie klarer als alles andere. Meine Augen suchen die seinen und in dem graublauen Tief seiner Blicke liegt etwas, das meine Atemzüge stocken lässt.
„Ja?“, antworte ich ebenso leise, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch, der zwischen uns hängt. Mein Herz schlägt wie ein Trommelwirbel, ein Echo seines zögernden Geständnisses, das ich in der Luft spüre, noch bevor er es ausspricht.
„Ich …“ Er schluckt schwer, als würde er einen inneren Kampf ausfechten. „Ich glaube, ich habe mich in euch verliebt.“ Seine Worte sind kaum ausgesprochen, als er seine Stirn sacht gegen meine lehnt. Die Nähe lässt meinen Puls schneller schlagen und ich spüre die Wärme seiner Haut, die meinen eigenen Herzschlag zu spiegeln scheint.
Ein Lächeln – breit und unaufhaltsam – breitet sich auf meinen Lippen aus, während meine Augen in den seinen verweilen. „Malric,“ flüstere ich, meine Stimme vor Gefühl belegt, „mir geht es genauso. Seitdem ich euch zum ersten Mal auf dem Ball eures Vaters, Lord König, erblickte.“ Meine Worte sind sanft, doch sie tragen all die Gefühle, die sich in meiner Brust aufgestaut haben.
Seine graublauen Augen flackern vor Erleichterung, gemischt mit etwas Neuem, Intensivem. „Darf ich euch küssen?“ fragt er, seine Stimme von Zärtlichkeit und Vorsicht durchzogen, als hätte er Angst, diesen Moment zu zerstören.
Ich bin unfähig zu sprechen, mein Herz zu voll von einer unbeschreiblichen Wärme, die sich durch meinen Körper ausbreitet. Statt einer Antwort nicke ich, eine winzige, kaum merkliche Bewegung, doch er versteht sie.
Und dann geschieht es. Sanft legt er seine Lippen auf die meinen. Sie sind weich, zart, wie ein Hauch von Frühling, der die Kälte des Winters vertreibt. Eine wohlige Wärme durchströmt meinen Körper und ein Kribbeln breitet sich von meinen Fingerspitzen bis zu meinen Zehen aus. Es fühlt sich an, als würden Schmetterlinge in meinem Bauch aufgeregt ihre Flügel schlagen, kreuz und quer fliegend und ich verliere mich in diesem Moment – in ihm. Nichts anderes existiert mehr. Nur wir beide, vereint in einem Kuss, der wie ein Versprechen auf ewig scheint.
Die Frau in meinem Traum – Lucrezia. Es gibt keinen Zweifel, dass sie dieselbe ist wie in jenem Traum, der mich vor einiger Zeit heimsuchte. Ihr Name fällt erneut und er hallt in meinem Geist wider, vertraut und doch rätselhaft. Doch etwas ist anders. Die männliche Gestalt an ihrer Seite ist nicht die, die ich zuvor gesehen habe. Stattdessen steht dort ein Mann mit blondem Haar, das im Licht wie Gold schimmert und durchdringend blauen Augen, die mich fast zu durchbohren scheinen.
In meinem vorherigen Traum war es ein anderer. Ein Mann mit dunklen, lockigen Haaren und einem Blick, der von seinen zwei verschiedenfarbigen Augen geprägt war – eines dunkel wie die Nacht, das andere hell wie der Morgen. Diese Gegensätze hatten mich fasziniert und zugleich verunsichert. Und nun? Nun ist es dieser Blonde, der den Platz in meiner Traumwelt einnimmt und ich kann keinen Zusammenhang erkennen.
Ich weiß nicht, wie ich diesen neuen Traum in die Geschichte einordnen soll. Er fühlt sich an wie ein Puzzlestück, das an keiner Stelle zu passen scheint und doch kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass er von Bedeutung ist. Vielleicht ist es nur mein Unterbewusstsein, das versucht, mir etwas mitzuteilen. Vielleicht ist es eine Botschaft, eine versteckte Wahrheit, die sich erst mit der Zeit offenbart.
Ich hoffe, dass mir der nächste Traum mehr Klarheit bringt. Doch wenn ich ehrlich bin, haben mir meine Träume bisher nie geholfen, meine Fragen zu beantworten. Stattdessen werfen sie nur neue auf, wie ein Rätsel, dessen Lösung sich stets entzieht. Aber man soll ja optimistisch bleiben, nicht wahr? Vielleicht, nur vielleicht, wird die nächste Nacht mir endlich die Antworten schenken, nach denen ich so verzweifelt suche.
Seufzend lasse ich mich in den weichen Sessel in meinem Arbeitszimmer fallen, die Polster umarmen mich förmlich und für einen Moment schließe ich die Augen. Die Gedanken an meine Träume schwirren mir durch den Kopf, unfassbar lebendig, wie Schatten, die sich ins Licht drängen. Mit einem leisen Klicken stelle ich die Schreibmaschine bereit, der Duft von Papier und Tinte erfüllt den Raum, bereit, die flüchtigen Bilder auf Blattpapier zu bannen.
Doch noch bevor ich den ersten Buchstaben tippe, fällt mein Blick auf etwas, das auf dem kleinen Tisch neben mir steht: ein prächtiger Blumenstrauß. Die Farben leuchten in der Sonne, ein Feuerwerk aus Gladiolen in den unterschiedlichsten Tönen – strahlendes Rot, tiefes Lila, sanftes Weiß, sonniges Gelb, kräftiges Orange, zartes Rosarot, dunkles Rot und knalliges Pink. Der Anblick lässt mich innehalten, meine Finger verharren über den Tasten.
Wieder einmal begleitet ein Stück Pergament den Strauß, eingerollt und mit einer feinen Schnur umwickelt. Meine Neugier siegt über meine Vorsätze und vorsichtig löse ich das Pergament. Die zarten Buchstaben auf dem altmodischen Papier scheinen fast von einer anderen Zeit zu stammen.
𝔈𝔦𝔫𝔢 𝔚𝔢𝔩𝔱 𝔬𝔥𝔫𝔢 𝔡𝔦𝔠𝔥, 𝔰𝔬 𝔨𝔞𝔩𝔱, 𝔰𝔬 𝔩𝔢𝔢𝔯,
𝔨𝔢𝔦𝔫 𝔖𝔬𝔫𝔫𝔢𝔫𝔰𝔠𝔥𝔢𝔦𝔫, 𝔨𝔢𝔦𝔫 𝔐𝔬𝔯𝔤𝔢𝔫𝔪𝔢𝔢𝔯.
𝔉𝔲𝔢𝔯 𝔡𝔦𝔠𝔥, 𝔪𝔢𝔦𝔫 𝔖𝔱𝔢𝔯𝔫, 𝔰𝔠𝔥𝔩𝔞𝔢𝔤𝔱 ℌ𝔢𝔯𝔷 𝔲𝔫𝔡 ℨ𝔢𝔦𝔱,
𝔦𝔪 𝔇𝔲𝔫𝔨𝔢𝔩 𝔩𝔢𝔲𝔠𝔥𝔱𝔢𝔰𝔱 𝔡𝔲 𝔰𝔬 𝔴𝔢𝔦𝔱.
𝔖𝔬 𝔰𝔠𝔥𝔴𝔬𝔢𝔯 𝔦𝔠𝔥 𝔥𝔢𝔲𝔱, 𝔞𝔲𝔣 𝔢𝔴𝔦𝔤 𝔡𝔦𝔯,
𝔐𝔢𝔦𝔫 ℌ𝔢𝔯𝔷 𝔰𝔢𝔦 𝔡𝔢𝔦𝔫𝔰, 𝔦𝔫 𝔏𝔦𝔢𝔟𝔢𝔰𝔤𝔦𝔢𝔯.
𝔇𝔢𝔫𝔫 𝔬𝔥𝔫𝔢 𝔡𝔦𝔠𝔥, 𝔪𝔢𝔦𝔫 𝔏𝔢𝔟𝔢𝔫 𝔰𝔠𝔥𝔴𝔦𝔫𝔡𝔱,
𝔎𝔢𝔦𝔫 𝔚𝔢𝔩𝔱𝔢𝔫𝔱𝔯𝔞𝔲𝔪 𝔬𝔥𝔫𝔢 𝔡𝔦𝔠𝔥 𝔤𝔢𝔴𝔦𝔫𝔫𝔱.
ℑ𝔫 𝔏𝔦𝔢𝔟𝔢 𝔈.
Ich lese die Zeilen erneut, langsam, jedes Wort wirkt wie eine Melodie, die nachklingt. Mein Herz schlägt ein wenig schneller. Wer ist dieser geheimnisvolle Verehrer? Zum wiederholten Mal frage ich mich, wer die Blumen und diese Worte voller Leidenschaft schickt.
Unwillkürlich breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. Es ist unmöglich, nicht von der Poesie berührt zu sein. Irgendetwas an diesen Zeilen – an der Zartheit der Worte, an der Hingabe, die sie ausstrahlen – findet seinen Weg direkt in mein Innerstes. Etwas tief in mir findet das unendlich süß, auch wenn ich keine Ahnung habe, wer der mysteriöse E. ist.
Ich lege das Pergament behutsam zurück und betrachte den Strauß, wie er das Zimmer erfüllt – nicht nur mit seinem Duft, sondern auch mit einem Gefühl von Wärme, Geheimnis und vielleicht sogar einer leisen Sehnsucht. Wer immer dieser Mensch ist, er hat eine Gabe, Worte zu schreiben, die wie ein leiser Hauch von Ewigkeit wirken.
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