
Fluch und Segen (Jim Morrison)
Normalerweise verbrachten wir die Zeit gemeinsam in meiner Wohnung. Wir mixten sein LSD mit meinem Gras, sahen dabei zu, wie die Welt andere Farben annahm und wie die schwache Beleuchtung in meiner Wohnung sich in einen blitzenden Sternenhimmel verwandelte. Wir lebten jeden Moment, als wäre er der letzte gemeinsam. Wir befreiten uns von der störenden Kleidung zwischen uns, bis seine warme Haut das einzige war, das unsere Herzen voneinander trennte und mich am Leben hielt. Danach ging er meistens. Nur manchmal, wenn er guter Dinge war, blieb er die Nacht bei mir, ließ zu, dass ich ihn in meinen Armen hielt, bis die ersten Sonnenstrahlen uns zurück in die Realität holten. Aber spätestens dann war er so schnell wieder verschwunden, als wäre er nichts weiter als eine Illusion der Drogen.
Aber heute war alles anders. Als Jim heute an meiner Tür geklingelt hatte und ich ihn hereinbitten wollte, lehnte er mein Angebot ab. Stattdessen gingen wir gemeinsam an den nächtlichen Strand. Und das ungewohnteste war, dass wir keine unserer Mittel eingenommen hatten. Meinen Erinnerungen nach, war dies das erste Mal, dass ich Zeit mit ihm verbrachte ohne unter den Einfluss von Drogen oder Alkohol zu stehen.
Ich musterte den Mann, der dicht neben mir hockte. Mein Blick glitt über seine markanten Gesichtszüge, die dunklen Locken und seine klaren, blaugrauen Augen, die fest auf das pechschwarze Meer vor uns gerichtet waren. Allein seine Erscheinung schien direkt aus einem Gedicht zu entspringen. Ebenso sein Charakter machte ihn zu einem Besonderheit in meinem Leben, von der ich noch nicht ganz wusste, ob ich sie liebte oder verabscheute. In ihm brannte ein Feuer. In jedem Menschen flackerten Flammen, aber in ihm war das Feuer so viel größer und unberechenbarer. Es war so stark, dass ich hoffte, es würde ihn nicht eines Tages einfach verbrennen.
Noch immer behielt ich meinen Blick auf ihn gerichtet, doch er erwiderte ihn nicht. Er wirkte ganz ruhig, aber ich konnte ihm nie ansehen, was in seinen aufgewühlten Gedanken vorging.
Was waren wir? Zwei freie Liebende, ohne Verpflichtungen und Ansprüche, die wir aneinander stellen konnten? Einfach zwei junge Leute, die Teil einer neuen Generation waren? Ich war eine Anhängerin ihrer Ideen, er war inzwischen für die rebellierende Jugend zu einem Symbol der Freiheit aufgestiegen. Aber ich wusste trotz all den Unterschieden und Gemeinsamkeiten sehnte er sich genauso nach meiner Nähe wie ich mich nach seiner. Wenn es an meiner Tür klingelte, war er der erste Mann, der in meinen Gedanken auftauchte. Wenn ich einen der Clubs betrat, suchte meine Augen als erstes nach seiner vertrauten Gestalt, nach den typischen dunklem Haar, seinen üblichen schwarzen Hosen aus Leder und seinen weißem Hemd. Manchmal tummelten sich Frauen seiner Seite. Aber trotz all seinen Begleiterinnen wusste ich, dass er am Ende wieder zu mir kommen würde. Genauso wie er wusste, dass er trotz meiner männlichen Bekanntschaften immer willkommen war.
"Warum sind wir überhaupt hier?", brach ich schließlich die Stille. Diese Frage brannte mir schon die ganze Zeit auf der Zunge, aber ich hatte mich zurückgehalten, wollte ihn nicht sofort damit bedrängen.
"Gefällt es dir nicht?", kam augenblicklich eine Frage zurück. Ich überlegte kurz. Irgendwie gefiel es mir Zeit mit ihm zu verbringen. Es war nur irgendwie seltsam unter diesen Umständen.
"Doch, nur... ungewohnt."
"Dann frag nicht weiter. Du stellst zu viele Fragen", endlich wandte er sich mir zu. Trotz der Dunkelheit konnte ich das kleine Lächeln erkennen, das seine Lippen umspielte.
Er musterte mich. Seine intensiven Blicke ließen mich jedes Mal erschaudern. Seine blaugrauen Augen waren die Ruhe vor dem Sturm und gleichzeitig die elektrische Spannung, die sich jederzeit in Form eines Blitzes entladen konnte. Wie sehr liebte ich es, in diesen Augen zu ertrinken.
"Ich bin eben neugierig", bemerkte ich schulterzuckend. Jim schüttelte mit einem kleinen Grinsen den Kopf.
"Manchmal reicht es, einfach nur den Moment zu genießen."
Ich genoss die Momente mit ihm. Manchmal wünschte ich mir, sie würden ewig dauern. Doch das würde ich natürlich nie zugeben. Nicht, wenn unsere Nähe und Vertrautheit auf Glas tanzte, das jederzeit unter unseren Füßen zerbrechen konnte, sobald jemand von uns sich niederlassen wollte.
Noch immer lag Jim's Blick auf mir. Er schien jedes Detail meiner Gestalt in sich aufnehmen zu wollen. Ich musterte erneut sein Gesicht, das dem meinen so unglaublich nahe war. Mein Blick blieb an seinen vollen, leicht geschwungenen Lippen hängen, die mich wie immer magisch anzogen. Bevor ich dem Verlangen aber nachgeben konnte, ihn zu küssen, nahm er mir bereits die Entscheidung ab und legte seine Lippen auf meine.
Ich unterdrückte ein Aufseufzen. An dieses brennende, prickelnde Gefühl, das mich bei jedem Kuss durchströmte, würde ich mich wohl nie gewöhnen. Erinnerungen der gestrigen Nacht verschmolzen mit der Realität. Der Kuss war so intensiv wie immer, aber gleichzeitig so anders. Denn dieses Mal wanderten seine Hände nicht unter meiner Bluse, um mich hastig vom lästigen Stück Stoff zu befreien. Stattdessen umschlossen sie sanft mein Gesicht. Dieses Mal klammerten sich meine Finger auch nicht in sein Hemd, um die Knöpfe zu öffnen, sondern stattdessen in sein dichtes Haar. Seine dunklen Strähnen glitten wie Wasser durch meine Finger. Seine Lippen brannten wie Feuer auf meine.
Nach einer Weile löste er sich von mir. Seine Augen funkelten im schwachen Licht des Mondes. Er ließ mich los, aber sein Blick blieb auf mir geheftet.
"Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich bei dir einziehe", durchbrach er nach einer Weile die Stille, die sich erneut breitgemacht hatte. Kurz glaubte ich, mich verhört zu haben. Mit großen Augen starrte ich den Mann an, der keine Miene verzog, sondern meinen Blick ernst erwiderte.
"Hat- hat Robby dir mal wieder gedroht, dich rauszuschmeißen?", stotterte ich schließlich. Ich wusste, dass der Gitarrist ihm immer wieder davor gewarnt hatte, er würde ihn nicht weiter bei sich wohnen lassen, wenn sich der Drogenkonsum des Sängers nicht verbessere. Bisher hatte er seine Drohungen nie wahr gemacht.
Statt einer Antwort zog Jim ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche und schob sich eine zwischen die Lippen. Er zündete sie sich an, bevor er mir ebenfalls eine anbot. Ich nahm das Angebot an und er drückte mir eine Zigarette und sein Feuerzeug in die Hand.
"Außerdem ist meine Wohnung zu klein für uns beide", fuhr ich schließlich fort, unsicher was ich von seinem Vorschlag halten sollte. Es war das erste Mal, dass er eine solche Anspielung machte. Eine Anspielung, dass er vielleicht mehr von mir wollte, als diese lockere Beziehung, die wir uns bisher aufgebaut hatten.
"Das hat dich bisher nicht daran gehindert, mich einzuladen."
Er hatte Recht. Aber das wollte ich nicht ganz zugeben.
"Meistens hast du dich selbst eingeladen", hielt ich deswegen weiter dagegen.
"Du redest zu viel", bevor ich die Chance hatte zu antworten, erstickte er meine Worte erneut mit einem Kuss. Dieses Mal schmeckte ich den süßen Rauch seiner Zigarette direkt auf meinen Lippen. Er schmeckte so bittersüß wie unsere Beziehung. Wir brauchten einander wie die Luft zum Atmen und ließen uns trotzdem immer wieder fallen. Entweder wollte er bleiben und ich verschickte ihn. Oder ich hoffte, er würde bleiben, aber er verließ mich. Doch am Ende des Tages fanden wir immer wieder zueinander, sehnten uns zu sehr nach der Nähe und Vertrautheit zwischen uns, um uns voneinander fernzuhalten. Ich wusste nicht, ob diese Beziehung ein Fluch oder ein Segen war. Aber ich wusste, dass ich es herausfinden wollte, bis wir beide ausbrannten.
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