9. Kapitel
Raphael führt mich wieder in die Eingangshalle der Residenz, stellt sich dann nervös von einem Bein auf das andere und sieht mich ein wenig unsicher an. »W-was...was hat er gesagt?«, fragt er leise und sucht meinen Blick. »Raphael, du hast es doch gehört...«, seufze ich leise, denn ich möchte nicht darüber reden. Es schmerzt schon genug, da möchte ich nicht noch drüber sprechen müssen. »Es tut mir leid...Eve...ich...ich hatte keine Ahnung.«
»Raphael, du kannst nichts dafür. Okay? Draven hat sich entschieden, er hat mich gehen lassen...«
»Er hat dich also frei gegeben?«, fragt Raphael überrascht und hebt seine Augenbrauen.
»Ja...und...ich weiß nicht was ich tun soll. Wie ich wirklich für ihn fühle. Und was ich für...für...«
»Was du für Gabriel empfindest?«, fällt er mir ungeduldig ins Wort und beendet meinen Satz, den ich kaum zu Ende bringen kann. »Ich schätze mal, dass wirst du bald herausfinden müssen.« Dass meine Zeit läuft spricht er jedoch nicht aus und dennoch hängt es wie ein Damoklesschwert über uns. Ich lasse die Schultern hängen und nicke nur, denn ich bin viel zu erschöpft. Mein Körper fühlt sich ausgelaugt und schlapp an. Ich bin völlig am Ende meiner Kräfte. »Raphael, ich möchte einfach nur noch nach Hause. Ich halte das hier nicht aus. Nicht, wenn er unmittelbar in der Nähe ist. Nicht, wenn er mich hier nicht haben will.« Ich versuche meine Tränen zurückzuhalten und sehe über seine Schulter hinweg. Er tätschelt mir zaghaft über den Arm, ehe ich mich erneut und ohne ein letztes Wort auf das Dach meiner Schule teleportiere. Ich bin diesmal allein, Gabriel ist nicht mehr da. Träge lasse ich mich abermals auf der Kante nieder und sehe zum Himmel auf. Plötzlich spüre ich neben mir, wie sich jemand hinsetzt. »Wusste ich es doch, dass ich dich hier finde«, ertönt Rinas sanfte Stimme.
»Was willst du hier?«, frage ich nicht gerade höflich und bereue es sofort. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, lächelt sie mir unentwegt entgegen und ich habe nun ein noch schlechteres Gewissen. Sie hat es nicht verdient, dass ich sie so angehe. »Das ist lieb. Ich...ich weiß einfach nicht mehr weiter. Mir steigt alles zu Kopf!«, gestehe ich und vertraue mich ihr an. Ich brauche jetzt jemanden, der mich versteht, der mir zuhört und mir in diesem Moment einfach das Gefühl gibt, nicht gänzlich allein in dieser Situation zu sein... »Ist es wegen Draven? Raphael hat mir schon erzählt, was dieser Idiot sich mal wieder geleistet hat«, seufzt sie und stützt ihr Kinn auf ihrem angewinkelten Knie ab. Ich nicke, beiße fest die Zähne zusammen und versuche somit, meine Tränen zurückzuhalten. »Er hat mich so manipuliert, dass ich glauben sollte, dass ich ihn aufrichtig und aus freien Stücken lieben würde, es war angeblich nichts von alledem echt...«, keuche ich leise auf und weiß nun bei meiner Erzählung - die wahnsinnig absurd klingt, nicht, ob ich heulen oder lachen soll. Wie konnte ich mich bloß so blenden lassen?
»Das übertrifft ja wirklich alles. Und ich dachte schon sein versuchter Mord an mir wäre schlimm gewesen, aber das ist echt die Krönung«, lacht sie freudlos auf, wirft sich das schwarze Haar über die Schulter und schüttelt den Kopf. »Ich hätte ihm das niemals zugetraut«, wimmere ich nun leise und spüre wenig später ihre Hand auf meinem Rücken auf und ab streichen. Diese freundliche Geste spendet mir Trost und lässt mich nicht gänzlich alleine fühlen. »Eve, es tut mir leid, aber Draven ist so. Er handelt egoistisch und ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht«, seufzt sie dann leise und streichelt noch immer beruhigend über meinen Rücken.
»Aber...«, will ich widersprechen, doch Rina unterbricht mich: »Nichts aber. Such bitte keine Entschuldigung für ihn. Das hat er nicht verdient. Er hat seine eigene Familie umgebracht. Gut, die sind alle unsterblich, aber dennoch hat er es getan. Dich hätte er auch einfach sterben lassen. Sowas ist nicht zu entschuldigen«, meint sie und bleibt bei ihrer Meinung standfest. Mit ihren goldenen Augen, die sie durch die Verwandlung erhalten hat und somit deutlich macht, dass sie zu Raphael gehört - dass sie überhaupt jemandem zuzuordnen ist und zu jemandem gehört macht mich unsagbar traurig, da ich dieses Privileg durch Dravens Intrige verloren habe - sieht sie mich an und versucht zu mir durchzudringen. »Aber ich liebe ihn doch...oder?«
»Diese Liebe ist doch aber nicht echt!«, entgegnet sie und schüttelt vehement den Kopf. »Süße, du bist echt blind, wenn du das jetzt noch nicht erkannt hast!«, gibt sie grauenvoll ehrlich zu verstehen und zeigt, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt. In diesem Moment ist sie jedoch nicht gerade feinfühlig, obwohl ich das gerade dringend nötig hätte. »Tut mir leid, das war gemein. Aber du musst das einsehen, sonst verpasst du deine Chance.«
»Welche Chance?«, frage ich ahnungslos und runzle die Stirn. Sie verdreht stöhnend die Augen und kichert dann ein wenig über mich. »Himmels Willen. Du bist wirklich schwer von Begriff.« Sie gestikuliert hektisch mit ihren Händen und wirft die Arme in die Luft. Wäre dies kein ernstes Gespräch, hätte ich herzhaft über sie lachen müssen, so ulkig sieht sie dabei aus. »Deine Chance bei Gabriel!«
»Bei ihm habe ich es doch sowieso verbockt, Rina. Außerdem bin ich mir über meine Gefühle nicht sicher.«
»Weil du an den Gefühlen für Draven festhältst. Du weißt, dass Gabriel und du tatsächlich füreinander bestimmt seid. Wie es der Vater von ihnen vorhergesagt hat.« Ich lasse das Gesagte auf mich einwirken, versuche meine Gedanken zu sammeln. Da hat sie Recht. Dravens Vater hat lediglich vorhergesehen, dass eine Sterbliche ihn zu einem besseren Menschen machen würde und nicht, dass ich diese Sterbliche bin, da ich offenbar schon seit über Jahrhunderten für Gabriel vorgesehen bin. Und dennoch, ich habe Gefühle für beide. Auch für Draven, da ich mit ihm so viel durchlebt habe... »Meinst du ich kann meine Gefühle einfach so für Draven abschalten? Das ist doch nicht so einfach.«
»Ich weiß, schon gar nicht, wenn sie manipuliert sind«, seufzt die Schwarzhaarige und lehnt sich gegen mich, sodass sie ihr Kinn auf meinem Kopf ablegen und ihren zierlichen Arm um mich legen kann. Ihre Wärme spendet mir noch mehr Trost und ich lehne mich ihr entgegen. Diese wärmende freundschaftliche Ebene fühlt sich schön an, ich habe sowas noch nie gespürt. Umso schöner ist es jetzt, einmal in dessen Genuss zu kommen. »Nun...also, er hat mich ja freigegeben«, murmle ich leise und fühle mich deshalb noch immer seltsam, ich fühle diese ungewohnte Leere in mir, die droht mich aufzufressen.
»Dann ist es erst recht leicht los zulassen. Du musst es nur selbst wollen.« Ich nicke lediglich, lasse mich von ihrer Körperwärme noch ein wenig trösten und schließe stumm weinend die Augen. Das überfordert mich alles. Deshalb stehe ich auf, denn ich kann das - die offensichtliche Wahrheit - nicht länger anhören, auch, wenn ich mir bewusst bin, dass sie Recht hat. Aber ich muss jetzt erst einmal mit meinen Gefühlen und meinem Gedankenchaos vorerst allein zurecht kommen. »Wo gehst du hin?« Sie hebt eine ihrer Augenbrauen und sieht mich von unten herab an.
»Ich muss langsam nach Hause. Meine Eltern werden sich sicher schon Sorgen machen«, seufze ich leise, klopfe meine Hose sauber und richte mein Oberteil richtig. Ich lasse mich von ihr kurz umarmen, dabei streift ihr wohlduftendes Haar meine Wange und kitzelt mich, weshalb ich leise giggeln muss. »Wenn etwas ist, du bist immer in der Unterwelt Willkommen und kannst mit mir reden. Und...versuche das bitte mit Gabriel in den Griff zu bekommen. Egal was für ein Arsch er auch ist, er ist besser für dich als Draven, denn Gabriel hätte dich nicht einfach so sterben lassen«, gibt sie mir noch einmal zu verstehen. Nickend löse ich mich von ihr, bedanke mich bei ihr und teleportiere mich zurück in mein Schlafzimmer. Sofort spüre ich eine Präsenz und spüre, dass ich nicht allein bin. Sofort bin ich auf Alarmbereitschaft, spanne meine Muskeln an und drehe mich herum. Prompt laufe ich gegen seine Brust und fühle wenige Sekunden später seine weichen Lippen auf meinen.
Gabriel...
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