7. Kapitel
Raphael zuckt einmal ratlos die Schultern, klatscht in die Hände und meint: »Ich muss jetzt leider langsam wieder zurück in die Unterwelt. Rina wartet bestimmt schon auf mich.« Ich stehe auf, umarme ihn zum Abschied und sage ihm, dass er Rina von mir lieb grüßen soll. »Achso und Eve?«, beginnt er zu sprechen, ehe er mich allein lässt und zurück in die Unterwelt kehrt. »Mh?« Fragend hebe ich lächelnd die Augenbrauen. »Einer von beiden wird schon der Richtige für dich sein!«
»Aber wer?«, seufze ich verzweifelt. »Diese Entscheidung kann dir keiner abnehmen. Entscheide nicht mit dem Verstand, sondern mit deinem Herzen«, lächelt er mich an und verschwindet dann aus meinem Zimmer. So viel Empathie hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
Nun bin ich wieder allein und ich weiß nichts mit mir anzufangen. Meine Eltern scheinen nicht da zu sein, denn ich höre niemanden von ihnen. Zudem spüre ich ihre Anwesenheit nicht. Ich begebe mich ins Badezimmer, bleibe träge vorm Badezimmerspiegel stehen und mustere mich in diesem. Meine braunen Haare stehen in alle Richtungen ab und unter meinen neuartigen Augen haben sich blaue Schatten gebildet, gezeichnet von der Erschöpfung, die mich schwächt und kraftlos macht. Ich entledige mich seufzend meiner Kleidung und schlüpfe unter die Dusche. Das warme Wasser prasselt auf mich ein und löst meine verspannten Muskeln. Ich muss immer wieder an Raphaels Worte denken. Wäre Gabriel nicht gewesen, wäre ich gestorben. Wegen Draven. Er hätte mich sterben lassen. Einfach so. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Oder hätte es ihm doch etwas ausgemacht? Hätte er es bereut und ebenfalls versucht mich mit seiner Macht aus dem Reich der Toten zurückzuholen?
Ich steige aus der Dusche, wickle mich in ein flauschiges, angenehm warmes Handtuch und trockne mich langsam ab. In frischen Anziehsachen teleportiere ich mich wieder auf das Schuldach und stelle fest, dass ich nicht allein bin. »Eve«, seufzt er, dreht sich nicht zu mir herum. Er hat mich gespürt. Sofort schießt mir Blut in die Wangen. »Gabriel«, erwidere ich leise hauchend und lasse mich ungefragt neben ihm nieder, lasse die Beine über die Kante baumeln und sitze mit einigem Abstand neben ihm, um ihn nicht zu bedrängen. »Was willst du hier?«, fährt er mich leicht an und klingt dabei ziemlich unhöflich. Er sieht mich nicht einmal an, was mich insgeheim ziemlich verletzt. Er hat mir doch das Leben gerettet, woraus ich schlussfolgere, dass ich ihm offenkundig nicht gleichgültig bin, also, weshalb verhält er sich dann so derart abweisend und kühl?
»Ich wollte nachdenken und nicht nutzlos zu Hause herumsitzen. Dort fällt mir die Decke auf den Kopf«, beginne ich leise zu erzählen und zucke die Schultern. Mit zittrigen Fingern streiche ich mir durch die Haare, werfe ihm einen kurzen neugierigen Blick zu und mustere seine wahrhaftig wunderschöne Erscheinung. Bevor er meinen Blick bemerken kann, lege ich den Kopf in den Nacken und sehe leise seufzend in den Himmel. »Und deshalb kommst du hier her?«, fragt er dann ungläubig und ich sehe automatisch wieder zu ihm herüber. Doch er sieht mich immer noch nicht an. »Ja...Wieso bist du hier?«
»Offensichtlich wohl aus demselben Grund.«
»Und worüber denkst du nach?«, frage ich neugierig und lehne mich instinktiv ein wenig zu ihm herüber, denn er zieht mich geradezu an. Er riecht unglaublich gut, was mich in meiner Bewegung verharren und seinen Duft tief einatmen lässt. »Über meinen Bruder, über dich...«, seufzt er nach einer Weile, als ich schon befürchtet hatte, er würde mir nicht mehr antworten wollen. »Über mich?«, krächze ich dann vollkommen perplex und sehe zu ihm auf. Sein Kiefer ist angespannt, sein Blick starr nach vorne gerichtet und er vermeidet partout mich anzusehen. Das macht mich allmählich ein wenig wütend und ich streiche einmal zaghaft über seinen ausgeprägten Kiefer. »G-Gabriel...sieh mich bitte an!«, flehe ich ihn leise an und mustere ihn eingehend. Ich kann doch regelrecht spüren, dass er sich krampfhaft zurückhält. Leise, aber dennoch für mich hörbar schnappt er unter meiner Berührung nach Luft und ich lasse automatisch schnell die Hand sinken. »Gabriel...weshalb...also, hast du tatsächlich über mich nachgedacht?«, krächze ich leise und schiebe beschämt meine Hand unter meinen Schenkel.
»Ja, ja verdammt. Ich denke schon seit Ewigkeiten über dich nach! Aber ich darf nicht. Du gehörst mir nicht. Du gehörst zu meinem Bruder. Sein Blut fließt durch deine Venen...«, ruft er nun hitzig aus und gestikuliert wild mit seinen schlanken Fingern herum. »Deines doch auch«, erinnere ich ihn kleinlaut daran und mustere ihn immer noch fasziniert.
»Aber du würdest dich niemals für mich entscheiden, Eve!«, brüllt er mich plötzlich wütend an und richtet endlich seinen Blick auf mich. Die Intensität seines Blickes lässt mich leer schlucken. »Du...liebst ihn...nicht mich und auf dich zu warten ist sinnlos. Draven hat gewonnen«, fügt er dann seufzend hinzu und sieht wieder auf seine Finger. »Was meinst du mit entscheiden?«, frage ich irritiert und fahre mir überfordert durch die Haare. »Ich habe doch sowieso keine Wahl. Ich habe Draven ein Versprechen gegeben. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt am Leben bin...«
»Diesen Teil hat dir Raphael also nicht erzählt?« Er hebt eine Augenbraue und seufzt, als ich kopfschüttelnd verneine. »Du bist am Leben, weil mein Blut, mit dem meines Bruders in deinen Adern fließt. Sobald du dich für einen von uns entschieden hast, erhält dich dessen Blut Unsterblich. Wenn du dich für Draven entscheidest verdampft mein Blut aus deinem Kreislauf. Andersherum ist es genauso, aber diese Variante ist wohl eher unwahrscheinlich. Da du ihm gegenüber mit mir untreu gewesen bist und somit dein Versprechen gebrochen hast, musste es mein Blut sein«, erklärt er mir für mein Verständnis und ich nicke bei jedem seiner Worte. »Du warst doch aber nicht ohne Grund untreu...du hast nicht ohne Grund meinen Kuss erwidert«, haucht er dann unglaublich leise und wirkt sehr nachdenklich. Für diesen Augenblick hebt er kurz seinen Kopf, sieht mich wieder so verflucht eindringlich an und wendet den Blick nach einer gefühlten Ewigkeit, die genaugenommen nur eine Millisekunde anhält, beinahe beschämt ab. Ich bin sprachlos, denn ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist also der Grund, weshalb es mir gestattet ist weiter zu leben. Eine Entscheidung wird von mir gefordert, die so schwer zu fällen ist. Unschlüssig beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe ebenso schweigend wie er gen Himmel.
Eine unangenehme Stille herrscht zwischen uns, doch keiner bricht sie. Ich möchte ihm sagen, dass er mir nicht gleichgültig ist, dass ich etwas für ihn empfinde, aber es nicht einzuordnen weiß. Ich benötige Zeit, um mir über meine Gefühle für ihn und für Draven im Klaren zu werden. »G-gabriel...ich...«, fange ich deshalb an, doch weiter komme ich nicht, denn da spüre ich plötzlich, wie mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter legt. Erschrocken fahre ich herum, sehe Raphael hinter mir stehen. Er ist völlig außer Atem. »Hier steckst du...«, keucht er, was mich ihn besorgt mustern lässt. »Was ist passiert?«
»Es geht um Draven.«
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