Kapitel 33
Dravens POV
»Du...was? Du lügst!«, zische ich meinen Bruder genervt an und ziehe Eve näher an mich heran, darauf bedacht ihre zarte Haut vor den lüsternen Blicken meines Bruders zu verbergen. Ich ziehe ihr beiläufig die Decke weit bis über die Schultern, was sie leicht grinsend zur Kenntnis nimmt. Sie spürt, dass ich sie nur für mich haben will.
Raphael stößt sich vom Fensterrahmen ab, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt und schüttelt den Kopf. »Sehe ich aus, als könnte ich lügen?«, grinst er schäbig und läuft zur Zimmertür.
Er öffnet sie und fordert mit kühlem Gesichtsausdruck: »Jetzt zieht euch endlich etwas an und kommt nach unten ins Wohnzimmer. Vater sollte man nicht lange warten lassen.« Somit lässt er die Tür laut ins Schloss fallen.
Schweigsam zieht sich Eve etwas über, völlig fertig mit ihren Nerven und streicht sich fahrig durch die braunen Haare. Ich ziehe sie nahe an mich heran, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und inhaliere ihren Geruch. Er ist rein, geradezu berauschend. Nicht zu aufdringlich.
Sie lässt sich seufzend an meine Brust ziehen, vergräbt ihr Gesicht an eben dieser und krallt ihre zarten Finger in dem Stoff meines Shirts fest. Ihr Körper beginnt zu zittern. »Draven... ich habe Angst...«
»Ich weiß... ich auch«, gebe ich zu und hole noch einmal tief Luft. Dann ziehe ich sie mit mir nach unten ins Wohnzimmer.
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Eves POV
Er umfasst schützend meine Hand und bietet mir somit die Gewissheit nicht allein zu sein. Wir laufen gemeinsam die Stufen herunter, die schier endlos erscheinen. Der einzige Trost für mich ist seine Nähe. Er öffnet die Türe zum Wohnzimmer und lässt diese laut gegen die Wand prallen. Ich mache mir Sorgen um meine Eltern. Wo sind sie? Bekommen sie den Besuch denn überhaupt nicht mit? Denn sie sind nirgends auszumachen. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende geführt, kommt plötzlich meine Mutter herein. Auf ihrem Arm balanciert sie ein Tablett mit zwei Gläsern, die mit einer roten Flüssigkeit gefüllt sind. Mir wird auf einmal schlecht. Die Flüssigkeit schwappt ekelerregend in den Gläsern hin und her. »Das ist bloß Wein«, flüstert mir Draven zu und ich beruhige mich augenblicklich.
Doch dann erinnere ich mich daran, dass sie hier ist, dass sie sich an dem ungebetenen Besuch nicht weiter zu stören scheint. »Eve, was für netten Besuch du doch hast. Ich wusste ja nicht, dass du bereits jemanden kennengelernt hast. Wann hattest du denn vor, uns davon zu erzählen?«, plappert meine Mutter fröhlich drauf los und deutet auf Draven. Der jedoch ignoriert sie und starrt mit angespanntem Kiefer auf die Couch. Dort sitzt Raphael - als würde er hier wohnen - gemütlich in das Polster gelehnt, ein Bein über das andere geschlagen und nippt an dem Glas Wein, was ihm meine Mutter reicht. Er besitzt tatsächlich genügend Anstand und bedankt sich unwahrscheinlich höflich bei ihr.
Mein Blick huscht dann jedoch zu dem Mann neben ihm. Er überragt Raphael mühelos, selbst im Sitzen. Er wirkt sehr imposant. Seine Schultern und sein Brustkorb sind breit. Das Haar ist grau meliert, doch eben dies lässt ihn ungeheuerlich attraktiv wirken. Sein Gesicht ist markant, seine Wangenknochen liegen hoch und die Nase ist perfekt in seinem Gesicht platziert. Der Mann trägt einen leichten Dreitagebart und ist sehr elegant gekleidet. Ein dunkelblauer Anzug schmiegt sich perfekt an seinen Körper, doch am interessantesten jedoch ist seine Augenfarbe. Das linke Auge schimmert golden, warm und einladend. Das Rechte jedoch ist pechschwarz, düster und finster. Er ist es. Er ist der Vater der beiden Brüdern, die nicht unterschiedlicher sein könnten, sich aber dennoch in gewisserweise ähneln. Daran gibt es keinen Zweifel.
Meine Mutter reicht auch ihm ein Glas und scheint nicht sie selbst zu sein. Sie ist offenbar manipuliert. Wie sie sich bewegt, wie sie das Gesicht verzieht. Ihr Blick wirkt gläsern und auf etwas weit entferntes gerichtet. Nachdem sie den beiden die Gläser gereicht hat, verschwindet sie und lässt uns allein. Es ist still, keiner sagt etwas. Die Stille ist erdrückend und legt sich wie ein schwerer Wintermantel über uns. Meine Hand, die Draven noch immer schützend umklammert, fühlt sich zehn Zentner schwerer in seiner an und ich halte meinen Blick beschämt gesenkt. Der Raum scheint sich innerhalb weniger Sekunden um mehrere Grad erhitzt zu haben. »Junge, nun setz dich endlich! Nimm deine Sterbliche gleich mit. Wir haben etwas zu bereden«, bricht der Vater, mit einer tiefen, enthusiastischen, sehr charmanten Stimme das Schweigen. Ich blicke demnach überrascht auf und sehe, dass er mich neugierig mustert. Unter seiner Beobachtung fühle ich mich unwohl, nichts wert und ziemlich niedrig gestellt. Draven folgt den Anweisungen seines Vaters und zieht mich mit sich. Wir nehmen ihnen gegenüber Platz. Raphael ist ungewöhnlich still. Als habe er tatsächlich Respekt vor ihm. »Also, Sie müssen Eve sein?« Der Vater reicht mir seine Hand und ich blicke unentschlossen von ihm zu Draven auf. Dieser nickt nur zustimmend, kaum merklich und gibt mir das Einverständnis, dass ich keine Angst zu haben brauche.
Zögerlich ergreife ich die Hand seines Vaters und bin von seiner eiskalten Körpertemperatur mehr als überrascht. »Sie haben es also geschafft, dass mein starrköpfiger Spross seine eigenen Regeln bricht? Ich gehe davon aus, dass Sie darüber im Bilde sind?«, lächelt er geradezu freundlich und lässt mich sprachlos nicken. Zu mehr bin ich nicht fähig. »Nun, aber das ist ein Problem. Sie sind sterblich, Sie könnten das Geheimnis unserer Existenz jederzeit gefährden«, seufzt er bedauernd.
»Aus diesem Grund, wollte ich mit dir sprechen, Vater. Ich habe vor, sie in zwei Tagen zu Unseresgleichen zu machen. Aber Raphael war mir mal wieder um einiges voraus«, fällt Draven ihm ins Wort und metzelt seinen Bruder mit seinen Blicken nieder.
»Raphael , dass hattest du wohl vergessen mir zu berichten?«, wendet sich der Vater mit scharfem Unterton an eben diesen, der immer weiter ins Polster der Couch versinkt.
»Ist mir wohl entfallen«, brummt er.
»Ganz offensichtlich«, schnalzt der Vater missbilligend mit der Zunge. Die Spannung ist zum Greifen nah, kaum auszuhalten.
»Vater, sie wird unsterblich. Sie ist dann nicht länger ein Risiko. Sie ist bereit dazu.«
»Wenn das so ist, habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen. Raphael hat die Sache ein wenig dramatischer geschildert, als es den Anschein hat. Doch ich warne dich Sohn, ist sie in zwei Tagen nicht unsterblich, muss sie sterben. Das sind die Regeln.« Mit diesen Worten erhebt er sich und ist somit noch größer. Er überragt einen selbst im Stehen mühelos.
Ich schlucke vor Respekt einen dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, herunter und deute eine leichte, aber dankende Verbeugung an, welche er doch tatsächlich mit einem sanften Lächeln quittiert. »Vater, das ist nicht dein Ernst?! Du solltest ihn bestrafen. Was meinst du, weshalb ich dich hergebeten habe? Er verstößt gegen die Regeln und du siehst tatenlos dabei zu?«, fährt Raphael seinen Vater schnippisch an und hat sich ebenfalls erhoben.
»Raphael ...du benimmst dich kindisch«, seufzt er und begibt sich müden Schrittes zur Tür.
»Kindisch? Vater... Rina musste auch sterben!«
»Aber sie hätte unsterblich werden können. Und diesen Weg schlägt dein Bruder bei seiner Gefährtin ein. Es gibt demnach keinen Grund zur Bestrafung.«
»Sie sollte sterben...« Raphael deutet anklagend mit dem Finger auf mich. Er tut mir mit einem Mal unheimlich leid. Der verzweifelte Ausdruck in seinen Augen, der Verrat, den er soeben empfindet, den er schon seit einer halben Ewigkeit erfahren muss und nun er erleben muss, dass sein Vater ihm nicht helfen kann, bereitet mir ein seltsames Gefühl in der Magengrube. Obwohl ich ihn bisher nur mit Angst entgegen getreten bin, so habe ich dennoch Mitleid mit ihm. »Sie sollte genauso sterben wie Rina!«
Sein Vater seufzt sichtlich erschöpft, fährt sich durch das Haar und meint dann: »Rina ist nicht tot.«
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