Kapitel 31
»Ich sagte, lass die Finger von ihr«, brüllt Draven los und wirft sich im nächsten Moment unerwartet auf seinen Bruder. Draven schubst mich dabei grob, jedoch geschickt außer Reichweite, als Raphael überrascht von mir ablässt. Ich stolpere und falle taumelnd zu Boden. Ein weiteres Mal rutsche ich an die Spinde und versuche, so viel Abstand wie möglich zu halten. Die beiden Brüder ringen miteinander, schlagen gegenseitig aufeinander ein, sodass ich hin und wieder das Knacken sämtlicher Knochen vernehmen kann. Raphael führt derzeit die Oberhand und ist über Draven gebeugt. So enttäuscht und hintergangen ich mich auch fühle, ich kann seinen Schmerz und sein Leiden nicht ertragen.
Keuchend sehe ich völlig hilflos zu, wie Raphael auf ihn einschlägt, wie er lachend immer wieder ausholt und seine Faust in Dravens Gesicht sausen lässt. Die Genugtuung, die Raphael in diesem Moment empfinden mag, kann ich teilweise nachvollziehen, doch mit jedem Schlag, den Draven einstecken muss, zieht sich mein Herz zusammen. Draven rollt sich nach einer gefühlten Ewigkeit geschickt herum und drückt seinen Bruder automatisch unter sich, sodass er nun über ihn gebeugt ist. Er hockt über ihm, an seinem Kinn tropft dunkelrotes, ja sogar fast schwarzes Blut herab und in seinen Augen liegt purer Hass. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck schlägt er Raphael ins Gesicht und scheint dabei ebenfalls eine gewisse Genugtuung zu empfinden. Da schließen sich seine Finger um die Kehle Raphaels und er lacht boshaft. »Viel Spaß im Fegefeuer...«, murmelt er so leise, dass ich mich anstrengen muss ihn überhaupt zu verstehen.
»Nein...Draven...tu es nicht!«, rufe ich entschlossen, denn ich will nicht sehen, wie er zum Mörder seines eigenen Bruders wird. Raphael öffnet überrascht seine Augen, die er vor wenigen Sekunden zusammengekniffen hat.
Die Blicke beider Brüder liegen ungläubig auf mir. »Was?«, zischt Draven ungeduldig, behält seine Hände jedoch dort wo sie sind. »Was redest du da?«, fährt er mich ungehalten an.
»Er ist trotz alledem dein Bruder und gehört zu deiner Familie. Willst du ihn wirklich umbringen?«, versuche ich ihm klar zu machen.
»Er würde dich töten.« Alles in Raphaels derzeitigen Gesichtszügen bestätigt dies. Er würde es tun. »Er ist schon lange nicht mehr Teil meiner Familie...«
»Leute...wollt ihr noch länger sinnlos diskutieren? Bringt ihr mich nun um oder nicht? Also, wenn ihr weiterhin redet, sterbe ich vor Langerweile«, unterbricht Raphael seinen Bruder seufzend, dabei triefen seine Worte nur so vor Sarkasmus.
Dravens Kopf schießt in seine Richtung und er faucht ihn wütend an, bringt Raphael zum Schweigen. Jedoch verdreht dieser lediglich genervt die Augen. So, wie es unter Brüdern üblich ist. »Bring ihn nicht um. Das bist nicht du. Du bist nicht so schlecht, wie immer alle behaupten, wie du immer behauptest«, rede ich ihm weiterhin gut zu und hoffe, zu ihm durchdringen zu können.
»Jap, ich sterbe vom Gelaber zweier Liebeskranker Idioten«, murmelt Raphael seufzend und liegt seelenruhig unter Dravens Gewicht auf dem Boden. Es ist fast so, als heiße er seinen Tod Willkommen.
»Halt. Dein. Maul! Du undankbarer Idiot, man versucht dir deinen wertlosen Arsch zu retten!«, keift Draven und drückt die Kehle seines Bruders fester zu. Dessen Gesicht läuft rot an, immer mehr steigt ihm die Röte zu Gesicht und wüsste ich es nicht besser, würde ich denken, dass er gleich erstickt, aber das ist doch nicht möglich oder? Er ist doch ebenfalls unsterblich? Immer mehr weicht der Sauerstoff aus seinen Lungen und ich mache mir nun doch allmählich Sorgen.
Ich kann das nicht ansehen, wende deshalb den Blick ab und halte den Atem an. Ein ersticktes Stöhnen ist von ihm zu vernehmen und ich halte mir die Ohren zu. Ich kann ihn, trotz seiner Morddrohung, nicht sterben hören. »Eve...es ist alles gut. Er ist weg. Er kann nicht sterben...er ist unsterblich.« Draven nimmt mir nach wenigen Sekunden die Hände von den Ohren. Ich sehe auf, kann seinen Bruder nirgends mehr ausmachen. Draven sieht mich liebevoll an und streicht mir zaghaft über die Haare. Ich schmiege mich in seine Handinnenfläche und schließe erleichtert die Augen.
»Wo ist er?«, flüstere ich, denn ich fürchte mich vor seiner Antwort.
»Er ist in der Unterwelt. Zurzeit schmort er dort im Fegefeuer. Dort wird er für eine Weile bleiben. In ein paar Tagen werde ich mich mit unserem Vater in Verbindung setzen und dann bereden wir alles Weitere. Er wird dort bleiben müssen, bis du unsterblich bist. Dann kann er dir nichts mehr antun. Dann bist du in Sicherheit. Für immer...« Er küsst mir auf die Stirn und zieht mich fest an seine Brust. Er scheint mehr als erleichtert zu sein.
Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Jacke, atme den Duft von kaltem Leder und frischem Blut ein. »Aber...wir wissen nicht ob ich das überhaupt überleben werde. Das hast du selbst gesagt«, murmle ich ängstlich. Die Angst vor dem Tode ist unerträglich.
»Es wird alles gut gehen. Vertrau mir. Ich würde alles für dich tun. Alles...«
»Wenn ich aber sterbe, kannst selbst du nichts mehr tun«, halte ich verbissen dagegen. Ich schmiege mich fester an ihn, spüre seinen warmen Körper und versuche mich in Sicherheit zu wiegen, doch das ist leichter gesagt als getan.
»Dann hole ich dich ins Leben zurück oder ich folge dir.«
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