Kapitel 16
Seine Lippen sind heiß und unglaublich weich. Sie bewegen sich mit meinen im Einklang. Ich bin perplex und kann kaum klar denken. Meine Hände platziere ich auf seinen Schultern, spüre dabei unter meinen Fingerkuppen kühles Leder. Sein Duft und seine Nähe berauschen mich, lassen mich ihm Stück für Stück verfallen. Seine Zunge streicht über meine Unterlippe und ich kann nicht anders als ihm Einlass zu gewähren. Sofort übernimmt er die Kontrolle. Seine Hände, groß und warm, umfassen mein Gesicht und ich spüre, wie seine Daumen zart über meine Wangenknochen streichen. Seine Zunge gleitet über meine Lippen, umspielt dominant und dennoch nicht weniger leidenschaftlich meine Zunge, die der Seinen bereitwillig entgegenkommt.
Keuchend lässt er von mir ab, lehnt seine warme Stirn gegen meine und lässt mir für einen Augenblick Zeit zu Atem zu kommen. Ich versuche sein Gesicht in Augenschein zu nehmen, doch er lässt mir keine Gelegenheit dazu. Mit einem letzten Kuss auf die Stirn, ist er urplötzlich verschwunden. Mit zittrigen Beinen und flatterndem Herzen stehe ich mitten auf der dunklen Straße und versuche einen klaren Gedanken zu fassen.
Wie konnte ich das zulassen? Wie konnte ich mich von einem Fremden küssen lassen? Und dass ausgerechnet vom Teufel höchstpersönlich, dem es lediglich langweilig ist? Das schrille Klingeln meines Handys reißt mich aus meiner Starre und ich hebe ab. »Hallo?«
»Eve? Wo bist du?«, höre ich Valentine am anderen Ende der Leitung fragen.
»Ich...ich bin auf dem Weg zum Auto...du...du warst doch eben hinter mir. Ich wollte nach Hause...mir geht es nicht sonderlich gut«, stammle ich völlig perplex. Ich versuche, meine wirren Gedanken zu ordnen. Wie kann ich mich nur so dermaßen aus dem Konzept bringen lassen?
»Ich bin im Restaurant, du sagtest du willst lediglich auf die Toilette. Da du nicht zurückgekommen bist, habe ich mir Sorgen gemacht. Ich bezahle eben. Wartest du auf mich? Würdest du mich bitte nach Hause fahren?«, plappert er munter drauf los und scheint nichts von alldem, was sich im Restaurant abgespielt hat, zu bemerken. Er scheint nicht zu merken, dass der Teufel höchstpersönlich Besitz von ihm ergriffen hat und lediglich mit uns spielt.
»Ja ich warte«, antworte ich ihm. Einige Minuten später kommt er aus dem Lokal und läuft hastig über die Straße. Ich schalte den Motor an, ehe er eingestiegen ist.
»Danke, dass du gewartet hast«, lächelt er mich schief von der Seite an, greift nach dem Gurt und macht sich fest.
»Kein Problem.« Ich zucke teilnahmslos die Schultern und fahre schneller, als mir erlaubt durch die Stadt.
»Wie gefällt es dir hier eigentlich?«, fragt er mich und scheint nun bei weitem gesprächiger zu sein. Er spürt anscheinend die unangenehme Stille.
»Nun ja, es ist jetzt nicht besonders groß und spektakulär, aber...es ist...« Ich suche nach dem richtigen Wort, versuche dieses Kaff nicht ganz so schlecht zu reden und sage dann: »...idyllisch.« Das scheint er zu akzeptieren und redet munter weiter. Ich höre nur mit halbem Ohr hin, denn ich kann mich auf nichts anderes als den Kuss konzentrieren.
Seine Nähe ist so anziehend, so gefährlich, so unwiderstehlich. Allein der Gedanken, dass er in seiner wahren Gestalt vor mir gestanden hat, beschert mir eine Gänsehaut. Er hat mich dermaßen in seinen Bann gezogen, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren konnte, als auf seine Augen. Er wollte nicht, dass ich sein Gesicht sehe. Wovor hat er Angst? Darf er sein wahres Gesicht niemandem zeigen? Ist es ihm nicht gestattet?
»Eve, Eve...halt an...ich muss hier raus«, höre ich Valentine laut rufen, trete fest auf die Bremse und komme zum Stehen.
»Tut mir leid, ich war in Gedanken«, entschuldige ich mich eilig, denn ich habe das Bedürfnis mich rechtfertigen zu müssen.
»Das habe ich bemerkt«, lacht er nervös, öffnet die Tür und verschwindet rasch nach seiner Verabschiedung im Dunklen. Seufzend wende ich und bin froh, dass dieser Abend vorbei ist.
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Ich schließe die Haustür auf, hänge missmutig meine Jacke an den Haken und fahre mir genervt durch die Haare.
»Oh, du bist ja schon zurück?« Meine Mutter steckt neugierig den Kopf um die Ecke. Sie ist in der Küche, brät irgendetwas an, was appetitlich riecht, doch mir ist nicht mehr nach Essen zu Mute. Der Satansbraten schwirrt noch immer in meinem Kopf herum. Er ist wie ein Parasit, der sich in meinem Gehirn festgesetzt hat. Schwer zu entfernen und unerwünscht.
»Ja, es war nicht so prickelnd. Es war langweilig und ich bin froh zu Hause zu sein.«
»Och Spatz, das tut mir leid. Ich dachte er wäre nett?«
»Ja, das ist er auch, aber er hat nichts von sich erzählt und ist auf keines meiner Gespräche eingegangen. Außerdem ist er nicht mein Typ«, erzähle ich ihr von diesem Abend und lehne mich gegen die Küchenanrichte.
»Das ist schade, denn als ich vorhin aus dem Fenster gesehen habe, hatte ich gedacht er wäre genau das. Dein Typ. Groß, schlank, blond«, schwärmt sie mir lächelnd vor, als sie in den verschiedenen Töpfen und Pfannen gleichzeitig versucht umzurühren und zu wenden.
»Soll ich dir helfen?«, biete ich ihr meine Hilfe an, doch sie schüttelt den Kopf.
»Alles gut, Liebes. Willst du noch etwas essen? Dein Vater kommt auch gleich.« Ich schaue auf die Uhr. Es ist erst halb neun und obwohl mir der Appetit vergangen ist, sage ich zu.
»Ja, okay. Ich ziehe mich nur eben um.« Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und schlendere die Treppen hoch. Ich öffne meine Tür und erschrecke, als ich ihn in meinem Zimmer stehen sehe. Intuitiv weiß ich sofort, dass er es ist. Ich spüre es. Er steht im Schatten. Er ist komplett in schwarz gekleidet. Alles was ich abermals wieder nur erkennen kann, sind seine Augen und seine Umrisse.
Mein Atem geht schnell, stoßweise. Mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu und bleibt verborgen im Schutz der Schatten. Mein Blick ist gefangen in seinen stechenden Augen, in denen das Feuer lodert. Unfähig mich zu bewegen, warte ich bis er unmittelbar vor mir steht, doch ehe er seine Komfortzone verlassen kann und sich mir zu erkennen gibt, ertönt die Stimme meiner Mutter. Ich drehe mich hastig um und schaue zur angelehnten Zimmertür. Mein Blick schießt zurück zu ihm, doch er ist spurlos verschwunden.
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