Kapitel 30
Die Tage zogen ins Land und der Frühling brach endgültig herein. Auf den Ländereien Hogwarts' blühte alles in den buntesten Farben und sorgte für große Vorfreude auf den am letzten Aprilwochenende anstehenden Besuch in Hogsmeade.
Die drei Zeitreisenden hingehen verspürten bei dem Gedanken an das bevorstehende Wochenende alles andere als Freude. Sie wussten etwas - mehr - als alle anderen.
Doch zwischen ihnen und dem Wochenende standen noch der Donnerstagabend mit einer Zusatzstunde sowie der gesamte Freitag.
"Herzlich Willkommen, ihr Lieben, zur letzten Stunde der Heilmagie. Heute werden wir alles wiederholen, was wir in den vergangenen Wochen zu diesem Thema behandelt haben. Und ich habe für jeden von euch ein kleines, praktisches Geschenk mitgebracht - das sollt ihr gleich zu Beginn bekommen."
Mit einer schwungvollen Bewegung brachte Sirius einen prall gefüllten Beutel zu Tage, aus dem er nun einem nach dem anderen kleinere Beutel mit vielen verschiedenen Fächern reichte.
"Entschuldigen Sie, Professor, aber was genau ist das?", fragte Dorcas mit gerunzelter Stirn und Sirius schmunzelte, als Lily sich sogleich meldete.
"Ja?", wandte er sich an die Rothaarige, die sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht strich, ehe sie antwortete:
"Das sind Aufbewahrungsbeutel für unsere Heiltränke. Ich gehe mal davon aus, dass wir sie ohne Konsequenzen verkleinern und mit uns mitführen können?"
"Natürlich, Lily. Ich werde euch nun eine sinnvolle Anordnung der Tränke in diesem Beutel vorführen, aber ihr könnt natürlich selbst entscheiden, ob ihr diese übernehmen wollt oder nicht. Es ist lediglich ein Vorschlag. Also, passt gut auf."
Schritt für Schritt zeigte der Professor seinen Schülern, an welchen Stelle welche Tränke am geeignetsten sein könnten und ausnahmslos alle übernahmen diese Sortierungsstrategie.
"Hoffentlich werden wir all das niemals brauchen", flüsterte Sirius Remus zu, während er seinen Beutel verschloss, mit einem Schlenker seines Zauberstabes verkleinerte und schließlich in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
"Das hoffe ich auch", war die Antwort und es schmerzte den älteren Sirius, dass diese Zuversicht, diese naive Hoffnung, bald schwinden würde.
Die Hoffnung starb zwar zuletzt, doch in diesem Fall starb sie tatsächlich.
Nur zwei Tage später sollten die zehn Siebtklässler, die an den Zusatzstunden teilnahmen, die Helden ihres Jahrgangs werden.
Gemütlich saßen alle im Drei Besen bei einem Butterbier zusammen, als draußen ein furchterregend lauter Knall ertönte.
"TODESSER! TODESSER IN HOGSMEADE!", schrie ein Mann, der in das Lokal gestürmt kam, bevor er wieder herausrannte - vermutlich in die anderen Gebäude, um auch dort die Bewohner sowie Gäste zu warnen.
"Todesser?"
"In Hogsmeade?"
"Was wollen die hier?"
"Was sollen wir tun?"
Im gesamten Raum flüsterten die Besucher durcheinander. Die Stimmen wurden immer lauter und immer mehr, bis schließlich die junge Wirtin, Madam Rosmerta, mit einem lauten "RUHE!" Einhalt gebot.
"Alle, die eine entsprechende Ausbildung haben, bitte ich, die draußen Kämpfenden zu unterstützen. Wir anderen werden jetzt geordnet alle Fenster und Türen schließen, Schutzzauber darauf und auf das gesamte Haus legen und uns dann auf den Boden kauern, um auf Hilfe zu warten. Ich werde die Auroren über den Kamin benachrichtigen und anfragen, ob darüber eine Evakuierung des Drei Besens laufen könnte."
Einen Moment herrschte Stille, ehe aus vielen Ecken Geräusche von Stühlen, die zurückgeschoben wurden, ertönten und sich einige Zauberer und Hexen erhoben, um Madam Rosmertas Worten Folge zu leisten.
Auch die zehn Siebtklässler erhoben sich, machten sich jedoch nicht an die Arbeit, Fenster und Türen zu verschließen, sondern marschierten schnurstracks zur Hintertür, um das Lokal halbwegs unbemerkt zu verlassen, schließlich hatten sie eigentlich keine entsprechende Ausbildung zum Kampf erhalten.
Dennoch waren sie sich ohne Worte einig gewesen, dass sie kämpfen wollten und kämpfen würden.
Hogsmeade war ein Zaubererdorf, ja, aber das hieß nicht, dass sich auch alle zu verteidigen wussten. Am wenigsten die jüngeren Schüler, die im ganzen Dorf verstreut unterwegs waren und nichts von einem Angriff ahnten. Sie mussten geschützt werden.
Ein jeder der zehn Schüler fühlte sich verantwortlich, das Gelernte auch anzuwenden - genau aus diesem Grund hatten sie schließlich Zusatzstunden gewollt.
Nun war tatsächlich die Zeit gekommen, die erworbenen Fähigkeiten einzusetzen.
Kaum hatten sie das Haus umrundet, begegneten sie schon den ersten Todessern.
Lily lief es kalt den Rücken herunter, als sie in die leeren Augen einer der maskierten Gestalten blickte. Und dennoch, oder vielleicht auch gerade deswegen, zögerte sie nicht, den ersten Zauber zu sprechen.
Bald schon waren sie alle in heftige Kämpfe verwickelt - Lily, Sirius und Marlene kämpften gemeinsam, gaben sich Rückendeckung und halfen einander. Genauso taten es Frank, James und Peter und Alice mit Dorcas sowie Remus mit Emmeline. Letztere hatten sich sogar vor einige verunsicherte Drittklässler gestellt, um diese zu schützen.
Ein Durcheinander von bunten Lichtblitzen bildete sich, als Sirius langsam von seinen Freunden weggetrieben wurde, immer weiter nach hinten.
Lily schien dies zwar zu bemerken, konnte angesichts ihrer zwei Gegner jedoch nicht viel tun.
Langsam tropfte der Schweiß von Sirius' Stirn auf seine Wimpern und er musste blinzeln, damit seine Sicht wieder klar wurde.
Und da lag sein Fehler.
Der Todesser ihm gegenüber nutzte diesen winzigen Augenblick, um Sirius einige schmerzhafte Schnittwunden zuzufügen - eine lag knapp über seinem Herzen und blutete stark.
Er sackte ein. Blut durchtränkte sein weißes Hemd, das von all dem aufgewirbelten Staub längst nicht mehr weiß gewesen war. Doch der Kontrast zur roten Farbe war dennoch allzu deutlich.
Mit einem schwachen Schild versuchte Sirius, sich vor einem Incendio zu retten, doch kaum hatte der Zauber sein Schild erreicht, löste es sich mit einem leisen Plopp wieder auf.
Langsam sorgte der Blutverlust für ein schwammiges Gefühl in seinem Kopf und er spürte, wie sein Körper von Sekunde zu Sekunde schwächer wurde.
Doch Sirius gab nicht auf, denn erstens lag das gewiss noch nie in seiner Natur und zweitens - und das war wohl doch der weitaus größere Teil - wusste er, dass er lebte. Immerhin war sein Professor niemand anderes als er selbst, nur etwas älter. Dieser musste diesen Kampf also überlebt haben und demzufolge musste Sirius das auch schaffen.
Ein schrilles Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Lachen, das er immer und überall wiedererkennen würde. Das Lachen seiner Cousine Bellatrix.
"Miststück", rief er und spuckte neben dem Wort auch einen Klumpen Blut aus.
"Tja, mein lieber Cousin, das war es wohl nun. Lebe wohl - ach nein, wie unpassend! Auf Widersehen kann ich aber auch nicht sagen... Wie wäre es mit... Avada -"
"Stupor!"
Bevor sie ihren tödlichen Fluch aussprechen konnte, fiel Bellatrix leblos in sich zusammen und landete mit einem etwas unschönen Knacken mit ihrem Gesicht voran auf dem Boden.
"Das war wohl ihre Nase", stellte Sirius trocken fest und versuchte, Lily, seine Retterin, anzugrinsen.
Diese fand das jedoch nicht ganz so lustig, sondern bedachte ihn mit einem strengen Blick.
"Hinlegen. Jetzt. Und du bleibst gefälligst auch liegen, wenn ich dich gleich verarzte, verstanden?"
"Ja", antwortete Sirius kleinlaut und ließ sich auf dem feuchten, teilweise von seinem Blut bedeckten, Boden nieder. In der Zwischenzeit holte Lily ihren Beutel, den sie gemeinsam mit den anderen Zusatzstunden-Teilnehmern am Donnerstag befüllt hatte.
Mit einem leise gemurmelten "Episkey" heilte Lily die große Wunde über Sirius' Herzen und träufelte anschließend ein wenig Diptam darauf, während sie ihn darüber informierte, dass ihre Freunde die restlichen Todesser, die nicht mit dem Eintreffen der Auroren disappariert waren, im Schach hielten, es aber allen gut ginge.
"Mund auf", sagte sie dann und verabreichte Sirius ein paar Tropfen eines blutbildenden Trankes, ehe sie ihn dazu brachte, eine ganze Phiole Stärkungstrank zu schlucken.
Dann beschwor sie eine Trage herauf und ließ Sirius mit einem Wingardium Leviosa darauf schweben, um ihn später, sobald die letzten Todesser verschwunden waren, nach Hogwarts bringen zu können.
"Toll, hättest du das nicht vor der Behandlung machen können? Dann wären meine Haare nicht voller Blut", scherzte Sirius, doch ein erneuter strenger Blick ließ ihn verstummen.
"Entschuldige, Lily. Danke, dass du mich gerettet hast. Ohne deine Hilfe wäre ich verblutet." In diese Worte legte der Hundeanimagus so viel Aufrichtigkeit, dass er der rothaarigen Hexe tatsächlich doch noch ein Lächeln entlocken konnte.
"Gern geschehen, Sirius. James hätte mich sonst vermutlich umgebracht. Und weil wir beide dann tot gewesen wären, hätte ich dich an der Backe gehabt und das will man ja nun wirklich nicht - aua! Du darfst mich nicht schlagen, ich hab dir das Leben gerettet!"
"Selbst Schuld, dass ich dich jetzt schlagen kann", gab Sirius frech zurück und Lily lachte.
"Ja, da hast du wohl recht. Aber das werde ich schon ertragen. Es ist übrigens auch eine Kunst, Sirius Black, selbst im Angesicht des Todes noch scherzen zu können. Dafür bewundere ich dich."
Still lächelnd nahm Sirius dieses Kompliment an - wohl wissend, dass besonders sein älteres Selbst für seine Ruhe und Gewissheit, dass er leben würde, verantwortlich war.
Schnell hatte sich in Hogwarts die Nachricht, dass zehn der Siebtklässler des Hauses Gryffindor besonders gut kämpfen konnten und einige jüngere Schüler vor den Todessern bewahrt hatten, herumgesprochen. Noch am selben Abend bekam jeder von ihnen fünfzig Hauspunkte sowie ein persönliches Dankeschön des Schulleiters.
Und auch eine kleine Party durfte natürlich nicht fehlen - zwar fiel diese, der Tatsache geschuldet, dass sich alle zehn im Krankenflügel befanden, wesentlich kleiner und leiser als normalerweise aus, aber dennoch waren alle glücklich, etwas Gutes getan zu haben.
Und besonders glücklich und dankbar waren sie, dass niemand gestorben war.
Kein Schüler, kein Bewohner des Dorfes, niemand. Nicht einmal ein Todesser war ums Leben gekommen.
"Wisst ihr, ich bin eigentlich sehr froh, dass keiner gestorben ist. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen würde, wenn ich vor der Wahl stünde, einen Todesser sterben zu lassen, ja vielleicht sogar selbst zu töten, oder ihm zu helfen. Ich bin keine Mörderin, aber man muss sich ja trotzdem verteidigen", brachte Marlene schließlich die Gedanken, die sie alle hatten, zur Sprache und erntete zustimmendes Nicken von allen Seiten.
"Wir müssen mit Professor Star darüber reden. Unbedingt."
"Worüber müsst ihr mit mir reden, James?"
Erschrocken wandten sie alle ihre Blicke zum Eingang des Krankenflügels.
"Entschuldigt die späte Störung, aber ich dachte mir, ihr hättet vielleicht Gesprächsbedarf. Ich habe auch meine Kinder mitgebracht und hoffe, dass wir heute Abend noch einige offene Fragen klären können. Das heißt, natürlich nur, wenn ihr wollt...?"
Kurz tauschte James einen Blick mit Sirius, der mit Abstand am meisten abbekommen hatte, ehe er sagte: "Ja, Professor, das wäre toll."
So wurden drei weitere Stühle herangeholt, ein starker Schweigezauber gesprochen - Madam Pomfrey hatte ihren Schützlingen schließlich absolute Ruhe verordnet (angesichts der vier anwesenden Rumtreiber ein durchaus merkwürdiger Gedanke) und sollte von dieser Versammlung nichts mitbekommen.
"Um es kurz und schmerzlos zu machen: Jeder von euch, wirklich jeder, wird einmal vor der Entscheidung stehen, zu töten oder sich töten zu lassen. Niemand möchte morden, das ist klar. Aber Töten und Morden sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Mord, das ist meiner Meinung nach eine Handlung, die man mit dem bewussten Willen, jemandem das Leben zu nehmen, ausführt. Das Töten im Kampf hingegen geschieht nicht vorsätzlich, nicht willentlich. Vielmehr tötet man aus einer Notsituation heraus - man könnte es fast schon Notwehr nennen. Wichtig ist, dass man sich die Konsequenzen bewusst macht, die eingetreten wären, hätte man anders gehandelt. Keiner von euch musste heute das Leben einer anderen Person beenden. Aber, Lily, hätte Bellatrix sich bei ihrem durch deinen Schockzauber verursachten Sturz das Genick gebrochen, dann würde es anders aussehen. Würdest du dir Vorwürfe machen?"
Stumm nickte die Rothaarige.
"Das verstehe ich. Und dennoch müsstest du dir dann die Frage stellen: Was wäre passiert, wenn ich sie nicht geschockt hätte?"
Auffordernd blickte der Erwachsene zu Lily, die hörbar schluckte.
"Dann..." sie räusperte sich. "... dann wäre Sirius durch ihren Todesfluch gestorben. Es wäre also die richtige Handlung gewesen, sie zu schocken. Selbst wenn sie dabei gestorben wäre."
"Genauso ist es. Es ist hart, ich weiß. Aber so ist die Welt dort draußen - voll von Todessern, unbarmherzig, hart. Kein Kampf ist leicht, am wenigsten der, in dem es um Leben und Tod der Familie oder der Freunde geht. In keinem Kampf handelt man so instinktiv wie in dem, in dem das Leben geliebter Personen auf dem Spiel steht. Nicht einmal der Kampf um das eigene Leben ist so hart wie der um das Überleben der Geliebten. Glaubt mir, wenn ihr euch in einer Situation befindet, in der ihr entscheiden müsst, ob ihr den Todesser tötet oder eine geliebte Person sterben lasst, dann handelt ihr automatisch. Ihr werdet nie in die Situation kommen, dass ihr darüber nachdenken oder eure Entscheidung anzweifeln könnt. Die Situation ist da und erfordert eine Handlung, die euer Körper ganz automatisiert ausübt. Es ist ein schwieriger, langer und harter Weg, eine solche Entscheidung oder vielmehr Handlung im Nachhinein zu verarbeiten. Deswegen solltet ihr euch immer vor Augen führen, wie ein alternatives Ende ausgesehen hätte, ob ihr überhaupt die Zeit hattet, rational zu denken und zu handeln und ob es eine bessere Lösung gegeben hätte. Und glaubt mir, am Ende werdet ihr immer wieder sehen, dass das für euch kleinste Übel durch die Handlung erreicht wurde, die ihr schließlich auch ausgeführt habt. Das alles macht euch nicht zu schlechten Menschen, denn allein euer schlechtes Gewissen wird euch dann zeigen, dass euch die Tatsache, jemanden umgebracht zu haben, nicht egal ist. Habt ihr das verstanden?"
Ernst blickte Sirius jedem seiner Schüler in die Augen. Bei allen konnte er Furcht erkennen, vermischt mit dem Willen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Geliebten zu verteidigen - koste es, was es wolle.
Ausnahmslos alles nickten.
Lange saßen die drei Zeitreisenden noch gemeinsam mit den Siebtklässlern im Krankenflügel und besprachen den vergangenen Kampf, die Sorgen und Ängste, die sie bewegten sowie die Zukunft.
Und am Ende wurde eines erneut klar: Sie alle wollten und würden für ihre Freiheit kämpfen. Bis zum letzten Mann.
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