Kapitel 3
Wenige Tage nach Weihnachten erschien eine völlig aufgelöste Lily Evans spät abends im Wohnzimmer des Potter Manors.
"James? James, wo bist du?", schrie sie unter Tränen.
Der Gerufene eilte sofort herbei und ein Ausdruck tiefen Entsetzens legte sich über sein Gesicht, als er seine Freundin erblickte. Mit zerrissener, stellenweise angerußter Kleidung und tränenüberströmten Wangen stand sie in dem sonst so gemütlichen Raum. "Lily, was ist los? Ist etwas passiert?"
Er ging auf sie zu, um sie zu stützen.
"Oh Merlin, Lily!", murmelte James, als sie in seinen Armen förmlich zusammenbrach. Haltlos schluchzte sie und durchnässte sein Hemd mit ihren Tränen, während er versuchte, sie so nah wie möglich bei sich zu halten.
"Du musst es nicht erzählen, wenn du es noch nicht kannst", flüsterte er und strich ihr sanft über den Rücken und das zerzauste, rote Haar. Nach einigen Minuten wurde Lilys Atem etwas ruhiger und sie hob ihren Kopf von James' Schulter. Mit leeren Augen sah sie ihn an.
"Sie waren da. Viel zu viele. Sie haben sie gefoltert und dann..." Ihre Stimme brach ab und ein erneutes Schluchzen entfuhr ihrer Kehle.
"... dann haben sie sie getötet", wisperte sie und James' Augen weiteten sich. Mühsam versuchte er, den großen Kloß in seinem Hals herunter zu schlucken, doch es war vergebens.
"Sie haben das Wohnzimmer in Brand gesteckt. Das Feuer war überall. Ich... ich weiß nicht, was ich tun soll, James. Wo soll ich hin? Ich muss es meiner Schwester sagen... Ich muss -"
"Hey, hey, hey. Du musst gar nichts, mein Schatz. Das Einzige, was du jetzt tun musst, ist, dich auszuruhen. Du kannst natürlich hierbleiben. Dad wird sich um alles, was euer Haus und deine Eltern betrifft, kümmern und wenn du es möchtest, kann er auch Petunia informieren."
Kraftlos schüttelte Lily den Kopf.
"Nein, das möchte ich machen. Morgen Früh. Sie würde es mir sonst nie verzeihen", sagte sie und James nickte verständnisvoll.
Anschließend weckte er seinen Vater und bat ihn, sich um das Haus und die Leichen zu kümmern, bevor er sich zu Lily gesellte, die sich in seinem weichen Bett eingekuschelt hatte.
"James, euer Haus ist gut geschützt, oder?"
"Mach dir keine Sorgen, Lily. Es ist bis aufs Äußerste abgesichert. Besser geht es nicht. Sie kommen nicht hierher." Eine Weile schwiegen die beiden, während Lily erneut Tränen über die Wangen liefen und James versuchte, diese wegzuwischen.
"Ich verstehe es nicht. Warum meine Eltern? Warum wir?", brach sie schließlich die Stille. James seufzte und strich ihr behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Weißt du, diese Menschen sind grausam. Es interessiert sie nicht, wer ihr seid. Dass jemand ein Muggel oder kein Reinblüter ist, reicht ihnen, um zu morden. Es ist nicht fair, es ist alles andere als das, aber es ist leider die Realität", antwortete er sanft. Lily schniefte.
"Heute Nacht habe ich meine Kindheit endgültig hinter mir gelassen. Sie ist mit meinen Eltern... gestorben."
Es fiel ihr schwer, nur daran zu denken, geschweige denn, es auszusprechen, was nun der bitteren Wahrheit entsprach.
"Ich dachte in den letzten Wochen und Monaten immer, mich trifft es ja sowieso nicht. Und jetzt... jetzt bin ich diejenige, die ihre Eltern verloren hat", schluchzte sie und James hielt sie fest an seiner warmen Brust, umschlang sie mit seinen Armen und küsste sie ununterbrochen auf den Scheitel. So lagen sie dort, bis Lilys Atemzüge gleichmäßig wurden. Sie war eingeschlafen.
Nur James konnte vor Wut auf diese elenden Todesser kein Auge zutun.
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"He, Sirius, das war gemein!", beklagte sich Harry, nachdem Sirius erneut einen Sieg gegen ihn im Duell verbuchen konnte, indem er Harry durch einen Zauber die Augen verbunden und ihn fast zeitgleich zum Tanzen gebracht hatte.
"Mag sein, aber das sind die Todesser auch, mein Lieber. Mit Sicherheit sogar noch gemeiner als ich", sagte dieser grimmig und erinnerte sich an die Zeit des Krieges zurück. Und an das, was in der Nacht passiert war.
Er sah sich vor seinem inneren Auge nichtsahnend in die gemütliche, familiäre Küche der Potters treten, als in ihm plötzlich alle Leichtigkeit verschwunden war. Als er Lily dort tieftraurig vor ihrem halben Brötchen sitzen gesehen hatte, hatte er seinen Blick fragend an James gerichtet. Nach dessen Nicken war Sirius klar gewesen, was in der Nacht passiert sein musste. Wortlos war er zu Lily gegangen und hatte sie umarmt, woraufhin ihre Tränen seinen Umhang benetzten.
"Sirius?!" Harry wedelte vor den Augen seines Paten hin und her. Dieser schüttelte sich kurz und erwiderte dann: "Entschuldige, ich war gerade nur in Gedanken."
"Das haben wir bemerkt", klinkte sich nun auch Hermine ein. Sirius seufzte. "Harry, auch wenn es für dich jetzt nicht mehr wirklich relevant ist, solltest du vielleicht wissen, dass deine Großeltern mütterlicherseits heute Nacht ermordet wurden. Jeglicher Schelm wich aus Harrys Augen und er fragte: "War es das, woran du eben gedacht hast?" Sirius nickte zögerlich.
"Wenn du es möchtest, können wir zur Beerdigung gehen. Sie findet am Freitag statt. Natürlich müssten wir uns noch mehr als sonst tarnen und sollten auf keinen Fall zu präsent dort sein, denn es sind nur enge Familienangehörige eingeladen. Ich war damals da und... naja, ich habe drei Personen etwas abseits stehen sehen. Ich schätze mal, das waren wir. Oder werden wir sein. Wie auch immer."
"Ja, ich möchte gerne hingehen, wenn das möglich ist."
Sirius nickte erneut und wandte sich dann an Hermine: "So, ich schätze mal, du bist jetzt an der Reihe. Harry, mache dir in der Zeit doch bitte mal Gedanken, wie wir an die Karte der Rumtreiber kommen könnten. Wir müssen unsere Namen verzaubern."
Harry nahm diese Aufgabe gerne an und setzte sich in den gemütlichen Sessel, der in einer Ecke des Raumes der Wünsche erschienen war, während sich Hermine in Kampfposition begab. Sobald sie ihm zunickte, legte Sirius auch sofort los: "Expelliarmus!", rief er, doch Hermine blockte und das Duell war begonnen.
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Am Freitagnachmittag machten sich Harry, Hermine und Sirius dann schließlich auf den Weg nach Cokeworth, um die Bestattung von Harrys Großeltern aus der Ferne zu beobachten. Zuvor hatten sie lange überlegt, ob sie dem Anwesen der Potters während des Trauergottesdienstes, dem sie sowieso nicht beiwohnen konnten, einen Besuch abstatten sollten, um die Karte der Rumtreiber zu verzaubern. Letztendlich hielten sie jedoch den Plan, dies im Hogwarts Express zu tun, für sinnvoller und so hatte sich Sirius noch am Vormittag beim Schulleiter für die Aufsicht eingetragen und auch Harry und Hermine würden im Zug mitfahren.
Nun standen sie jedoch an diesem trüben, nieseligen Tag auf einem Hügel und blickten auf den kleinen Friedhof hinter der Kirche herab, aus der gerade die Trauergesellschaft auszog, um den Särgen zu folgen. Direkt hinter diesen lief Lily, die ihre Hand krampfhaft an die von James zu klammern schien und bitterlich weinte. Harry sah, dass auch sein Vater sich einige Tränen aus dem Gesicht wischte. Neben den beiden waren zudem Petunia und Vernon zu erkennen. Letzterer hatte zwar auch in dieser Zeit schon eine deutliche Körperfülle, doch Harry war entsetzt darüber, wie viel er in den nächsten Jahren noch zulegen würde. Auch die zwei waren in tiefer Trauer. Hinter den direkten Angehörigen gingen die Potters, die restlichen Rumtreiber, wenige von Lilys Freundinnen und ein paar Leute, die Harry nicht zu identifizieren vermochte. Vermutlich waren sie in seiner Zeit schon tot. Er bedauerte zutiefst, dass er seine Großeltern nie kennenlernen konnte und hegte die leise Hoffnung, durch die Zeitreise wenigstens mit den Eltern seines Vaters Kontakt aufbauen zu können.
Die alle in schwarz gekleideten Personen waren nun an der Stelle angekommen, an der die beiden aus dunkelbraunem Holz gefertigten Särge in die ausgehobenen Löcher hinabgelassen wurden. Der Pfarrer sprach scheinbar ein paar Worte und anschließend gingen Lily und Petunia jeweils mit ihren Partnern vor die Gräber. Sie schienen sich kurz zu unterhalten, bevor sie - Harry traute seinen Augen kaum - sich umarmten, um einander Halt zu geben und eben diesen bei der Schwester zu finden. Gedankenverloren und beobachtend standen Harry und Hermine da, als sie plötzlich von Sirius etwas weiter zur Seite, in Richtung eines Baumes, gezogen wurden. "Ich habe uns gesehen, also als junger Sirius", meinte dieser zur Erklärung. Da er die Beerdigung schon einmal erlebt hatte, war es zu seiner Aufgabe geworden, darauf zu achten, dass sie unbemerkt blieben. Er sah, wie sein junges Selbst Remus anstupste und mit dem Kopf in Richtung Hügel deutete. Aber sie waren nun gut versteckt und so erkannten die beiden Rumtreiber vom Friedhof aus nichts.
Nachdem auch die letzten Trauernden gegangen waren, disapparierten die drei Zeitreisenden schließlich.
Sie hatten nun vor, Hagrid und Seidenschnabel einen Besuch abzustatten, um sich wieder ein wenig aufzumunzern, bevor sie die am Sonntag - also Neujahr - bevorstehende Zugfahrt im Hogwarts Express planen würden.
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