Kapitel 25
"Ron, es gewittert", rief Remus aufgeregt und sofort stürmte der Rotschopf an eines der großen Fenster im Raum der Wünsche.
Glücklicherweise hatte der Schulleiter den beiden die Erlaubnis gegeben, diesen Raum auch während der Ferien zu nutzen und so trainierten sie dreimal wöchentlich.
"Du hast recht", sagte Ron und drehte sich grinsend um. Zielstrebig ging er auf eine kleine Tür zu, öffnete sie und holte das Kristallfläschchen mit dem Trank heraus.
Ein letztes Mal flüsterte er die Worte: "Amato Animo Animato Animagus" und der Trank färbte sich rot.
Einen fragenden Blick zum lächelnd nickenden Remus später schluckte Ron die Flüssigkeit hinunter.
Während das Gewitter vor den Fenstern unaufhaltsam brüllte, Blitze über den dunklen Abendhimmel zuckten und der Regen an die Scheiben prasselte, ging Ron vor Schmerzen zuckend zu Boden. Nur wenige Minuten später verwandelte er sich und ein junger, wunderschöner Rotfuchs stand an seiner Stelle.
Erstaunt beobachtete Remus das kleine Waldtier, bevor Ron sich zurückverwandelte und schließlich zusammengekrümmt auf dem rauen Holzboden liegen blieb.
"Aua", stöhnte er und hob vorsichtig seinen Kopf. Sofort eilte Remus herbei und half seinem Schüler auf.
"Herzlichen Glückwunsch", sagte er sanft, während er ein großes Stück Schokolade von einer Tafel abbrach und es Ron anbot.
"Danke", erwiderte dieser mit vollem Mund und Remus' Mundwinkel zuckten nach oben.
"Ein Rotfuchs also", murmelte er dann gedankenverloren.
"Da lagst du ja gar nicht so falsch mit deiner Vermutung, welches Tier es werden könnte."
"Stimmt. Isch bim ober zufridn damit", nuschelte der Weasley, während er noch immer seine Schokolade genoss.
Schmerzhaft wurde Remus bewusst, wie ähnlich sich Ron und Sirius doch waren. Beide mit eher weniger Manieren ausgestattet und dabei so voller Lebenslust und Humor, dass man sie nur gernhaben konnte.
Doch er wusste auch, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er seinen besten Freund endlich wiedersehen würde.
》》》》》
Genüsslich verzehrte Sirius sein dick mit Schokocreme beschmiertes Brötchen und schloss verzückt die Augen.
Nachdem seine Freunde ihn an diesem Morgen mehr oder weniger aus dem Bett schleifen mussten, da die Party am vorherigen Abend erst ein Ende fand, als eine wütende Professor McGonagall um drei Uhr morgens in den Gemeinschaftsraum stürmte. Dementsprechend müde waren die Rumtreiber an diesem Vormittag auch gewesen.
Entspannt lehnte sich der Hundeanimagus zurück und öffnete das linke Auge, um sich in der Großen Halle umzusehen, als sein Blick auf eben jene Verwandlungslehrerin traf.
Entnervt stöhnte er auf und schloss sein Auge wieder - ganz in der Hoffnung, sie würde ihn dann nicht bemerken. Ein Gespräch mit oder, wohl treffender, einen Tadel von ihr früh morgens um elf Uhr konnte Sirius nicht gebrauchen, geschweige denn verkraften.
Doch als er ihre Stimme hörte, öffnete er seine Augen mit einem unterdrückten Seufzer und legte sein bestes und charmantestes Lächeln auf.
"Mister Black, guten Morgen. Der Schulleiter möchte etwas mit Ihnen besprechen, bitte folgen Sie mir", bat die hochgewachsene Frau ernst und ihre Lippen bildeten nur eine schmale Linie.
Sirius' Schultern sackten nach vorne und er setzte seinen besten, unschuldigsten Hundeblick auf, den er zu bieten hatte.
"Bitte, Professor, ich habe nichts gemacht, wirklich, ich -"
Ein unterdrücktes Lachen aus James' Richtung ertönte und auch seine restlichen Freunde schienen auf unerklärliche Weise vermehrt Hustenanfälle zu haben. Dafür ernteten sie einen bitterbösen Blick seitens Sirius.
"Mister Black, es geht hierbei um keine Unanständigkeit und keinen Regelverstoß ihrerseits. Es handelt sich um eine sehr wichtige, familiäre Angelegenheit, die Professor Dumbledore Ihnen mitteilen muss und möchte. Wenn Sie mir nun bitte folgen würden?"
Verwirrt blickte James zu seinem besten Freund, alles Lachen war ihm aus dem Gesicht gewischt.
Was konnte ihre Hauslehrerin bloß wollen?
Schulterzuckend erhob sich Sirius und begab sich gemeinsam mit der Professorin auf den Weg zum Büro des Schulleiters.
Der Wasserspeier öffnete sich ohne Umschweife und transportierte die beiden zügig nach oben.
Während der gesamten Strecke herrschte eine unangenehme Stille, die erst durch das Klopfen an die hölzerne Eingangstür zum Schulleiterbüro und dessen leises "Herein" unterbrochen wurde.
Mit einem mulmigen Gefühl betrat Sirius den kreisrunden Raum, in dem alle möglichen magischen Artefakte zu Hause waren.
Oft war der Siebtklässler schon dort gewesen, doch es war jedes Mal aufs Neue ein überwältigender Anblick. An diesem Tag schien die Sonne durch die prächtigen Fenster herein und flutete das gesamte Zimmer mit ihrem goldenen Licht.
Einen Moment erlaubte Sirius sich, die Augen erneut zu schließen und die Wärme zu genießen, bevor Dumbledore sich räusperte.
"Sirius, setze dich bitte", bat der Schulleiter und deutete auf den mit einem hellen Stoff bezogenen, gepolsterten Sessel vor seinem Schreibtisch.
Zögerlich kam der Schüler dieser Bitte nach, fühlte sich jedoch nach wie vor nicht besonders wohl. Verstohlen sah er sich nach seiner Hauslehrerin um, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
"Professor McGonagall ist bereits wieder gegangen", beantwortete Dumbledore Sirius' unausgesprochene Frage und Letzterer nickte knapp.
"Sirius, du wunderst dich sicherlich, aus welchem Grund ich dich zu mir gebeten habe, richtig?"
Die blauen Augen hinter der halbmondförmigen Brille schienen den Schwarzhaarigen nicht so vergnügt wie sonst anzufunkeln und auch das Gesicht Dumbledores schien ernster, härter zu sein.
Sirius nickte bloß. Er fühlte sich nicht in der Lage, mit dem Kloß, den er im Hals verspürte, zu sprechen. Natürlich fragte er sich, was der Schulleiter von ihm wollte.
Eine familiäre Angelegenheit bedeutete für Sirius meist nichts Gutes, doch seitdem er von James' Eltern aufgenommen worden war, war ihm seine Familie ziemlich egal geworden.
Nur einer nicht und Sirius' Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er daran dachte, wie er Regulus hatte zurücklassen müssen.
"Nun, es geht um deinen Bruder."
Sirius' Hände ballen sich zu Fäusten und sein gesamter Körper versteifte sich.
"Was -" er räusperte sich.
"Was ist mit ihm?", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ein Schatten huschte über das Gesicht seines Gegenübers, dessen gutmütige Augen einen traurigen Glanz bekommen hatten.
"Regulus wird schon seit dem gestrigen Vormittag vermisst und vor einigen Minuten fand Professor Slughorn eine Nachricht von ihm in seinem Schlafsaal."
Mit diesen Worten schob Dumbledore ihm ein hastig bekritzeltes Stück Pergament zu und Sirius nahm es mit zitternden Händen an sich.
Sein Herz wusste es schon, bevor er die Worte las.
Sirius,
wenn du dies hier liest, bin ich tot. Das Pergament ist erst ab Sonntag sichtbar, sollte ich bis dahin nicht wieder in Hogwarts sein, werden die Lehrer es finden und ich nie wieder zurückkehren.
Ich kann dir nicht sagen, aus welchem Grund ich gestorben bin und erst recht nicht, wieso ich es schon vor meiner Abreise weiß. Das wäre zu gefährlich. Ich kann dir nur sagen, dass ich dich über alles liebe! Sirius, ich bin dankbar, dich als Bruder gehabt zu haben und ich hoffe, dir geht es weiterhin gut und du hast ein schönes restliches Leben. Mir wird es nun mit Sicherheit besser gehen als in den letzten zwei Jahren.
In Liebe,
Regulus
"Reg...", flüsterte Sirius geschockt.
Erst langsam fühlte er den Schmerz in seinem gesamten Körper und er krümmte sich zusammen, als er die Last dieser Nachricht nicht mehr ertragen konnte.
Haltlos liefen die Tränen über seine Wangen, während er den Brief seines Bruders an seine Brust drückte.
Niemand aus seiner Familie war ihm je so wenig egal gewesen wie Regulus. Natürlich hatte er immer so getan, als wäre sein Bruder ihm gleichgültig - die Wut hatte oft die Oberhand und als er ihm Anfang des siebten Schuljahres Hilfe angeboten hatte, war es das letzte Mal gewesen, dass sie miteinander gesprochen hatten. Nun war Regulus tot. Und Sirius? Er fragte sich, ob er nicht doch etwas hätte tun können.
Erst, als er das Gewicht einer Hand auf seiner Schulter spürte, sah er auf.
Seine Sicht war von Tränen verschleiert, doch trotzdem erkannte er das betrübte Gesicht des Schulleiters.
"Warum?", hauchte der Schwarzhaarige und seine Hände verkrampften sich.
"Ich kann es dir nicht sagen, Sirius, denn auch ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass dein Bruder dich geliebt hat. Bis zum Schluss."
"Aber wozu, wenn ich ihn ignoriert habe? Merlin, ich habe falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Ich -"
"
Sirius. Du hast nichts falsch gemacht. Du hast deinem Bruder Hilfe angeboten, er hat sie ausgeschlagen. Er war zu tief verstrickt in Voldemorts Machenschaften, er konnte seinen Tod wahrscheinlich nicht mehr verhindern. Aber, wie es scheint, sah er seinen eigenen Tod als Erlösung. Sirius, für den gut vorbereiteten Geist ist der Tod nur das nächste große Abenteuer."
Stumm nickte Sirius, ehe Dumbledore seine Schulter einmal drückte und dann losließ.
"Du bist morgen vom Unterricht freigestellt, falls du dies benötigst."
"Danke, Sir", flüsterte Sirius, stand auf und ging mit langsamen, schleppenden Schritten zur Tür.
Er wusste, wohin es ihn nun zog.
》》》》》
"Erwartest du jemanden?", fragte Hermine verwundert, als sie Sirius dabei beobachtete, wie er Tee kochte, den Tisch deckte und von einer Hauselfe Schokoladenkuchen bringen ließ.
"Ja, Hermine. Bitte geh doch zu Harry und leiste ihm etwas Gesellschaft. Bring ihm auch gerne einen Tee, damit er morgen wieder gesund ist. Ich werde gleich mit meinem jüngeren Selbst eine längere, ernste Unterhaltung wegen-" er schluckte "-wegen meines Bruders führen, deswegen bitte ich euch beide, uns nicht zu stören. Ich erkläre es euch später", sagte der Erwachsene ernst und Hermine nickte.
Kaum war sie mit einer Tasse Tee für Harry aus dem Wohnzimmer verschwunden, ertönte schon ein Klopfen.
"Komm rein", rief der Professor. Augenblicklich öffnete sich die Tür und gab den Blick auf ein Häufchen Elend, an diesem Tag den Namen Sirius Black tragend, frei.
Mit einer einladenden Handbewegung bedeutete der Ältere seinem jüngeren Selbst, sich zu setzen und der Schüler kam dieser Aufforderung ohne zu zögern nach.
Mit einem Räuspern durchbrach der Ältere die Stille und fragte dann: "Möchtest du einen Tee trinken? Oder ein wenig Kuchen essen?"
"Ein Tee wäre schön", sagte der Angesprochene leise und seine ältere Version nickte.
"Wann hört es auf?", fragte der Siebtklässler unvermittelt, nachdem beide eine Weile in ihren Tee gestarrt hatten.
"Die Schmerzen? Die Vorwürfe? Die Trauer?"
"Alles", flüsterte er schwach und der Erwachsene lehnte sich in seinem Sessel zurück.
"Viele würden jetzt sagen, es wird mit der Zeit weniger. Du weißt schon, die Zeit heilt alle Wunden und der ganze Quatsch. Aber das stimmt nicht. Nicht immer. Glaube mir, bis du so alt bist wie ich und wahrscheinlich auch darüber hinaus, wirst du dir immer Vorwürfe machen, dich nicht genug bemüht zu haben, Regulus da rauszuholen. Du wirst noch lange diesen Stich im Herzen spüren, jedes Mal, wenn du an ihn denkst und du wirst bis zu meinem Alter nie wissen woran er wirklich gestorben ist. War es Voldemort, der keine Lust mehr auf ihn hatte? War es bei einem Todesserangriff und er wurde vielleicht von Auroren getötet? War es ein Unfall? Immer wieder stelle ich mir diese Fragen und doch weiß ich keine Antwort. Merlin, es gibt nicht einmal eine Leiche von ihm! Keiner weiß, was geschehen ist und das frisst mich - also auch dich - von innen heraus auf. Aber, Sirius, du wirst lernen, damit umzugehen. Du wirst keine Wutanfälle mehr haben, du wirst nicht mehr in Tränen ausbrechen und du wirst mit einem Lächeln an deinen kleinen Bruder und eure gemeinsame Zeit denken können. Doch es wird dauern."
Stumm nickte der verzweifelte Jugendliche und sein älteres Selbst legte ihm eine warme Hand auf den Arm.
"Regulus hat dich geliebt, genauso wie du ihn. Halte dich daran fest, Sirius."
E
r hatte nur mit leiser Stimme gesprochen und dennoch waren dies die Worte, die den Jüngeren aufblicken ließen. In seinen sturmgrauen Augen schwammen die Tränen, doch gleichzeitig lag etwas Warmes darin.
"Danke", flüsterte er, ehe er, nicht, ohne sich noch ein Stück Kuchen zu nehmen, aufstand.
"Ich werde dann mal... Naja, also die anderen müssen es ja auch erfahren, nicht? Also, danke und bis morgen."
Mit diesen Worten verschwand der Schüler aus dem Raum und ließ seinen nachdenklichen Professor zurück.
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