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Gedanken verloren kramte ich nach den Haustürschlüssel. Natürlich musste er sich wieder ganz unten, weit in den Tiefen des Rucksackes, verloren haben.
Verloren.
Was hatte ich durch dich alles verloren, Mama.
Ich hatte nicht nur meine Mutter verloren, einen der Menschen, der mir nahe stand. Ach was! DEN Menschen, der mir am nächsten stand.
Nein, auch einen Teil meines Lebens gab es nun nicht mehr.
Ob ich ihn, diesen Teil, jemals wieder finden werde? So wie den Schlüssel?
Ich betrachtete das Stück Metall in meiner Hand. Die spezifische Form aus Ecken und Kanten, Höhen und Tiefen.
Ein Schüssel, angefertigt für passgenau ein Schloss.
Ein Schloss, angefertigt um zu verschließen.
Nur wer den Schüssel hatte bekam Zugang zum Verschlossenen.
Ich wollte es nicht tun, wollte diese Tür zu diesem Haus nicht aufschließen. Es sollte lieber verschlossen und alles im Inneren weggeschlossen bleiben. Es nützt nichts. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte ich den Schlüssel im Schloss, zwei Mal, bis ein leises Klick zu hören war.
Immer wieder aufs Neue fiel es mir schwer, das Haus zu betreten, denn nun fand ich es dunkel und leer vor. Verlassen. Ausgestorben. Vorbei war die Zeit, in der diese Tür offen stand, wenn ich heim kam. Dann war mir der Duft eines frisch gekochten Essens in die Nase gestiegen, sobald ich über die Schwelle getreten war und ich konnte leise lockere Musik hören. Freundlich, einladend und fröhlich hätte ich mein Zuhause beschrieben, ein Ort zum Wohlfühlen.
Und jetzt?
~
„Vorbei. Es ist vorbei. Sie kommt nicht wieder."
Ich sah wieder meinen Vater vor mir, wie er mich an den Schultern packte und eindringlich ansah.
„Am besten wir vergessen sie und machen weiter wie bisher."
„Aber-", wollte ich widersprechen.
„Nein, glaub mir, es ist besser so. Die Zeit mit ihr gehört der Vergangenheit an. Jetzt müssen wir in die Zukunft blicken."
Ich hatte mit bebender Unterlippe genickt.
~
Nun stand ich in unserer Wohnung und wusste nicht weiter. Mein Vater würde in zwei, höchstens drei, Stunden von der Arbeit kommen, was Essen und dann vor seinem PC verschwinden. Wenn wir uns nicht zufällig über den Weg liefen, würden wir uns vielleicht gar nicht mehr sehen. Mir schien es, als wolle er krampfhaft versuchen, sich von seiner verstorbenen Frau zu trennen. Ihre Klamotten hatte er alle weggegeben, genau wie den Großteil ihrer hochgeschätzten Bücher. Das Familienfoto von uns dreien, was einmal im Flur hing, hatte er abgenommen. Ihren Schmuck und anderen Krimskrams hatte er in Kartons gesteckt und diese im hintersten Winkel des Dachbodens verschwinden lassen. Ihren Namen hatte er vor mir nicht mehr in den Mund genommen. Geblieben war eine namenlose, gesichtslose, unbekannte „Sie".
Wollte er sie wegschließen?
Wie lange sollte das nur weiter gehen? Wie lange würde ich das noch aushalten?
Mein Blick fiel auf eine Kiste, die gleich im Eingangsbereich stand. Stirnrunzeln öffnete ich den Deckel. Erstarrt schaute ich auf eine CD-Sammlung. Ich wusste, welche es waren, noch bevor ich die Erste rausziehen konnte. Mamas Lieblings-CDs.
Nicht die auch noch.
Mit einem Mal wusste ich, was ich jetzt wollte, was ich brauchte. Im Wohnzimmer fand ich einen CD-Player, den ich mit in mein Zimmer nahm. Dort schaltete ich ihn ein und legte eine zufällige CD ein. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und versank in der Musik bis ich mich ganz zwischen den Tönen verloren hatte.
Es war meine Tante gewesen, die Schwester meiner Mutter, die mir damals auf der Beerdigung ihre Hand auf die Schulter gelegt hatte. „Es ist vollkommen okay, wirklich vollkommen okay, sich verloren zu fühlen. Hauptsache ist, dass du fühlst. Dass du Gefühle zulässt."
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