🙞 1 🙜
Die Striche fügten sich zusammen, wurden komplexe Formen. Linien verzweigten sich, bildeten Ranken, Blätter und Blüten, kringelten sich zu Spiralen.
„Was machst du heute nach der Schule?" Eine Stimme holte mich zurück in die Gegenwart und der Stift stockte auf seinem Weg über das Papier.
„Die Schulstunde ist um", erklärte Theo.
„Achso, ja." Langsam setzte ich den Stift vom Blatt ab und sah ihn an. „Ich bin heute bei meiner Mutter", fügte ich noch hinzu.
„Deine Eltern, sie leben getrennt?" Die Frage kam vorsichtig und ich versuchte es mit einem Lächeln. „Kann man so sagen." Ich legte meinen Stift zurück zu den anderen und begann meine Sachen zusammen zu packen. Theo wollte seinen Versuch, ein Gespräch anzufangen anscheinend noch nicht aufgeben. Unruhig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein auf das andere.
„Meine Eltern zoffen sich manchmal. Ich will mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn sie..." Er zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Einen Tag später vertragen sie sich wieder. Tun so, als wär nichts gewesen."
„Erwachsene tun gerne so, als wär nichts", sagte ich leise.
„Wie meinst du das?"
„Naja, sie tun so, als wär nichts gewesen", wiederholte ich seine Worte. „Überspielen Tatsachen. Wahrscheinlich wollen sie sie nicht wahr haben." Ich stopfte meine Mappe in meine Tasche.
Er wartete bis ich ihn wieder ansah und er meinen Blick auffangen konnte. „Haben deine Eltern jetzt jeweils neue Familien?"
Ich schüttelte den Kopf. Warum interessierte er sich auf einmal so für mich? Scharf atmete ich ein. Meine Familie war das falsche Thema, um ein Gespräch aufzubauen.
„Mein Vater arbeitet lange, jeden Tag. Und meine Mutter..." Ich unterbrach mich und sah weg. „Sie ist immer für mich da", setzte ich etwas zögernd hinzu.
„Das klingt schön."
Leicht hob ich einen Mundwinkel nach oben.
Dann wurde Theo von einer Gruppe anderer Jungs unseres Alters gerufen und er schulterte seinen Rucksack. „Na dann bis morgen!" Er drehte sich zum Gehen, hielt jedoch nach einem Schritt noch einmal inne. „Ich weiß überhaupt nicht, was die anderen haben. Du bist gar nicht so übel." Er lachte, möglicherweise über meinen erstaunten Gesichtsausdruck. „Ich habe gedacht, Träumer würden alle so unverständlich hochtrabend und poetisch reden."
„Wie Goethe oder Schiller?", fragte ich.
„Ja genau!" Er grinste über beide Ohren und brachte nun auch mich zum Lächeln.
Damit drehte er sich wieder um und verließ eilig den Raum, um die anderen einzuholen. Ich sank zurück auf meinen Stuhl. Was war das gerade gewesen? Seit dem Schulwechsel auf die Oberschule redete kaum jemand mit mir. Und ich wiederum sprach gleich recht niemanden an. Theo gerade eben... Ich schüttelte den Kopf. Er blieb mir ein Rätsel.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro