
Licht und Dunkelheit
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Gerade als jeder sich auf seinem Platz niedergelassen hat, betritt Kasita den Raum.
"Guten Tag, in den folgenden Minuten werde ich Ihnen die Ergebnisse des Tests mitteilen.", begrüßt uns Kastia während ihre Augen wachsam im Zimmer umherschweift und jede kleine Bewegung, jedes Flüstern zu registrieren scheint.
Die Kette mit der Schlange windet sich, fast gänzlich von dem Kragen ihres Kleides verdeckt, um ihren Hals. "Leider ergab der Test das dem Großteil von Ihnen elementare Informationen fehlen, Informationen, welche jeder von Ihnen ausnahmslos besitzen sollte." Dann murmelt sie etwas leiser wie zu sich selbst: "Ich frage mich ob Sie im praktischen Test besser abschneiden werden. Denn es wäre doch sehr ermüdend zu erfahren das Sie bereits an den ersten beiden Prüfungen scheitern würden." Sie sagt es so schnell, dass ich einen Moment innehalte.
Ein praktischer Test?
Doch bevor ich den Mund aufmachen kann, um zu fragen um welche Art von Prüfung es sich handelt, schüttelt Kastia den Kopf, ihre Haare fliegen dabei in die Luft und lassen sie komischerweise jünger wirken, doch gleich darauf fährt sie fort:
"Naja, wie auch immer." Unmittelbar danach klatscht sie- sichtlich aufgeregt- in die Hände und greift nach einem Umschlag, der auf dem Tisch neben ihr liegt. Auch diese Reaktion lässt mich meine Alterseinschätzung nochmals überdenken. Sie öffnet ihn und holt einen Stapel Blätter heraus.
Gleich darauf rauscht sie auf uns zu und legt jedem ein Blatt auf den Tisch, sie ist so schnell, dass ich noch nicht einmal das Papier berührt habe als sie schon wieder vor uns steht. "Ihre Kenntnisse über Geschichte sowie die über Literatur des Landes weisen Lücken auf. Lücken, die ich füllen werde. Aber vorerst, sehen Sie sich bitte Ihren Test an."
Ich senke den Blick auf meinen Tisch und betrachte meinen Test.
Die Geräusche um mich herum verblassen plötzlich, verschwinden in einer Wand aus dickem, dichtem Nebel der alles in grau hüllt, während ich die Worte lese die vermutlich von Kastia stammen.
Sehr gut gemacht Miss. Fernsby. Sie konnten jede Frage perfekt und fehlerlos beantworten. Weiter so!
Nicht lange, und meine Hand beginnt zu zittern und ich lege sie flach auf den Tisch. Was hatte ich denn erwartet? Fehler?
Meine Eltern hatten mich sorgsam geformt, jede Kante mühelos geschliffen und jedes Staubkorn weggefegt. Sie wollten immer absolute Perfektion. Hier steht ihr Ergebnis, Schwarz auf Weiß.
Sie haben ganze Arbeit geleistet. Und ich habe es zugelassen, natürlich, ich habe mich gegen die Vorstellungen meiner Mutter von der perfekten Tochter gewehrt, aber immer nur bis zu einem gewissen Grad. Danach habe ich immer nachgegeben.
Doch die Zeit im Palast hat mich zum ersten Mal an den Ansichten meiner Mutter zweifeln lassen. Ich dachte ich hatte keine Wahl, doch die habe ich.
Ein zerbrechliches Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als sich ein seltsames Gefühl von Hoffnung in mir breitmacht, vielleicht muss ich mich meinen Eltern garnicht willenlos fügen.
Als ich endlich von meinem Blatt aufsehe gleitet mein Blick zu Ellory. Sie sitzt zurückgelehnt auf ihrem Stuhl und lächelt mich an als sie meinen Blick bemerkt. Ohne nachzudenken erwidere ich ihr Lächeln.
Es fühlt sich gut an Freunde zu haben.
Hinter Ellory sitzt West, sie flüstert mit June. Beide sitzen vornüber gebeugt da und scheinen ihre Tests zu vergleichen. Überall im Raum wird geflüstert oder frustriert aufgestöhnt und da Kastia keine Anstalten macht den Gespräche zu unterbinden beuge ich mich schließlich auf meinem Stuhl nach hinten.
"Hey West, wie ist es gelaufen?"
Sie sieht auf und greift gleichzeitig nach ihrem Test um ihn mir schließlich entgegenzustrecken.
Anschließend verzieht die das Gesicht und zuckt mit den Schultern. Der Großteil ihres Tests wurde mit einem dünnen roten unterstreichen, einzelne wurden Worte sogar durchgestrichen. 65 Punkte steht am oberen rechten Rand des Blattes.
"Das tut mir leid", sage ich und kratze mich unbehaglich am Hinterkopf. "Nicht doch! Ich strenge mich das nächste mal einfach mehr an."
Sie grinst und macht eine wegwerfende Handbewegung. Überrascht starre ich sie an, doch da hat sie sich bereits wieder abgewandt um ihr Ergebnis Lenora zu zeigen. Diese schüttelt nur grinsend den Kopf und hebt anschließend ihr eigenes Blatt in die Luft, sodass West auch ihre Punktzahl sehen kann.
72 Punkte.
West sagt etwas zu Lenora und beide lachen.
Ich beobachte sie Szene verblüfft. Sie gehen so unbekümmert mit den Ergebnissen um, als wären sie ein kleines Missgeschick.
Dann zieht etwas anders meine Aufmerksamkeit auf sich. Besser gesagt jemand anderes.
Er sitzt in der letzten Reihe und beobachtet mich während sein Blick sich in meine Haut brennt und mein Herz dazu anstiftet, komische Sachen in meiner Brust zu veranstalten.
Nicht jetzt.
Also wende ich den Blick ab.
"Nun gut, Sie dürfen jetzt gehen schließlich werden Ihre Eltern morgen ankommen. Wir sehen uns bald wieder, der Rest des Tages steht Ihnen zur freien Verfügung", Kastia schenkt uns ein knappes Lächeln bevor sie sich in Richtung der drei Prinzen verbeugt, den leeren Umschlag nimmt und durch die Tür verschwindet. Kurz darauf erheben sich die drei Männer von ihren Plätzen in der letzten Reihe und gehen auf sie Tür zu.
Ich sollte mich bei Aleksander für den Brief bedanken. Kurz entschlossen, stehe ich auf und greife nach meinem Blatt während ich zwischen den Tischen hindurchgehe. Zusammen mit den anderen Kandidatinnen verlasse ich den Raum und halte nach einem schwarzen Haarschopf Ausschau, kann jedoch keinen der dreien entdecken. Dafür stehen Ellory und Falleen an der Wand neben der Tür.
"Hey Avery", begrüßt Falleen mich und hebt die Hand zum Gruß. "Ellory und ich wollten noch etwas den Palast erkunden, wir sind schon so lange hier und haben immer noch nicht alles gesehen, komm doch mit", ich zögere einen Moment. Eigentlich sollte ich dringend benötigten Schlaf nachholen, aber ich habe so meine Zweifel daran, dass ich es schaffe einzuschlafen wenn meine Eltern morgen hier auftauchen, mit all ihren Erwartungen und Vorstellungen.
"Klar, warum nicht", ich zucke mit den Schultern.
Als wir in die entgegengesetzte Richtung davongehen, kommen wir an einem großen Fenster vorbei. Draußen hängen die Wolken schwer und grau über dem Land und künden Regen an. Allmählich legt sich die Dunkelheit wie ein schwerer Samtvorhang über Rawka und verschluckt die Details der Stadt sodass nur noch dunkle, schemenhafte Fassaden erahnen lassen, wo die Tore des Palasts enden und die Stadt beginnt.
Und es kommt mir vor, als läge neuerdings auch stets ein Schatten über dem Land, sogar wenn die Sonne ihr strahlendes Licht aussendet um das Leben zu erleuchten, scheint es trüber als sonst, milchig.
Und ich frage mich, wie lange die Dunkelheit warten wird, bevor sie uns verschlingt und wir nichts mehr sehen als die Unendlichkeit ihrer Schwärze.
By the way, my Instagram is hannasopxie 😁
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