𝐗𝐈𝐈
Luc lehnte sich zurück, sein Blick starr auf den Bildschirm seines Handys gerichtet. Die Zeit schien stillzustehen, als er das Foto betrachtete, das so beiläufig in seinem Instagramfeed auftauchte und ihn mit einem Schlag aus seinen Gedanken riss. Aurelie, die strahlende Aurelie, das Mädchen, das er schon seit Wochen nicht mehr aus seinem Kopf bekam. Sie saß in einer vertrauten Pose auf einem der alten Ledersessel in der Stadtbibliothel. Zusammen mit Marque. Ihrem Exfreund.
Es war nicht das erste Mal, dass Luc ein Foto von den beiden gesehen hatte, aber dieses hier fühlte sich anders an. Eine Umarmung, innig und vertraut. Marque hatte seine Arme um Aurelie gelegt, und sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Ihre Augen waren gerötet, ihr Gesicht war tränenüberströmt. Luc konnte sehen, dass sie geweint hatte. Und er wusste genau wieso. Das Foto musste kurz nach ihrer Flucht aus Etiennes und Adéles Garten entstanden sein. Lucs Herz zog sich schmerzhaft zusammen, denn ihm war mehr als bewusst, dass sie sich wegen ihm so gefühlt hatte. Dazu kam auch noch der Anblick von ihr und ihrem Ex.
Ein Kribbeln lief Luc den Rücken hinunter. Sein Magen rumorte laut, als würde er nach Essen verlangen. Er hatte gehofft, dass die Geschichte zwischen Aurelie und Marque längst vorbei wäre, jedoch erzählte das Bild eine ganz andere Geschichte. Eine, die er nicht hören wollte, aber nicht ignorieren konnte.
"Sieht nicht so aus, als ob sie über ihn hinweg wäre", murmelte er zu sich selbst und schaltete den Bildschirm seines Handys aus. Die Dunkelheit spiegelte sein Gesicht wider, ernst und voller Zweifel. Noch länger konnte er sich dieses Bild nicht ansehen, womöglich würde er sonst neben sein Bett erbrechen. Es war so einfach gewesen, sich in ihre Gesellschaft wohlzufühlen, ihre Existenz zu genießen, ohne die Notwendigkeit, sich seinen eigenen Gefühlen zu stellen. Sie waren oft zusammen unterwegs gewesen, hatten gelacht, geredet, stundenlang über alles und nichts philosophiert. Doch in all dieser Zeit hatte Luc nie wirklich realisiert, dass er mehr für sie empfand. Er wollte es nicht sehen. Sie war bloß eine Bekannte, das hatte zumindest bis vor ein paar Tagen noch gedacht.
Aber jetzt... Jetzt konnte er die Wahrheit nicht mehr ignorieren.
Er legte das Handy weg und ließ sich rückwärts auf sein Bett zurückfallen. Ein bitteres Lächeln huschte über seine Lippen. Natürlich hatte er Gefühle für Aurelie. Wie hatte er das all die Zeit übersehen können? Jedes Mal, wenn sie ihm in die Augen sah, wenn ihr Lachen den Raum erfüllte, wenn sie ihn mit ihren kleinen Eigenheiten zum Lächeln brachte, hatte es sich so angefühlt, als wäre alles an seinem Platz.
Bis jetzt. Jetzt war alles anders. Er sah die Dinge klarer, als er es je zuvor getan hatte.
Aber was nützte ihm diese Erkenntnis? Dieses Foto ließ Zweifel aufkommen, die er nicht abschütteln konnte. Warum war Marque da? Warum ausgerechnet jetzt? Und warum war er genau in diesem Moment bei Aurelie aufgekreuzt und hatte sie getröstet? Die Fragen türmten sich in seinem Kopf auf, überlagerten sich und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Ein Teil von ihm wusste, dass er überreagierte. Aurelie war nicht mehr mit Marque zusammen, das war eine Tatsache. Aber der Anblick der beiden in dieser intimen Umarmung weckte Unsicherheiten, die er tief in sich vergraben geglaubt hatte.
Er stand auf und ging ruhelos in seiner Wohnung auf und ab. Die Erinnerungen an die Momente, die er mit Aurelie verbracht hatte, liefen wie ein Film vor seinem inneren Auge ab. Die Gespräche, die gemeinsamen Spaziergänge im Wald, die unzähligen Stunden, in denen sie gelacht hatten, als wäre die Welt um sie herum nicht mehr wichtig. Er hatte sich sicher gefühlt in ihrer Nähe, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Doch jetzt wirkte alles zerbrechlich, als könnte ein falsches Wort, ein falscher Schritt, alles zerstören.
„Du hast es viel zu spät bemerkt", murmelte er leise zu sich selbst. „Wie konntest du nur so blind sein?"
Der Gedanke, dass Aurelie und Marque vielleicht doch noch Gefühle füreinander hatten, ließ ihn nicht los. Was, wenn sie wieder zusammenkamen? Was, wenn sie immer noch jemanden wollte, der nicht er war? Luc wusste nicht, ob er damit umgehen könnte. Die Vorstellung, dass Aurelie ihm vielleicht von ihren Gefühlen für Marque erzählen würde, wenn sie das nächste Mal sprachen, war unerträglich.
Er setzte sich wieder aufrecht hin und starrte in die Leere. In seinem Kopf tobte ein Sturm, doch seine Hände waren ruhig, als er versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Plötzlich fühlte er sich dumm. Dumm, weil er seine Gefühle so lange verdrängt hatte. Dumm, weil er jetzt nicht wusste, was er tun sollte. Und vor allem dumm, weil er sich immer noch Hoffnung machte, obwohl dieses Bild alles so endgültig erscheinen ließ.
Dann, ein scharfer Klang. Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. Für einen Moment blieb er regungslos sitzen, als hätte der plötzliche Lärm keinen Zugang zu seiner verkrampften Welt gefunden. Aber dann realisierte er, dass jemand tatsächlich an der Tür stand. Er ging zur Tür, in der Hoffnung, es sei nur ein Nachbar oder vielleicht ein Paket, das geliefert wurde. Doch als er die Tür öffnete, blieb ihm der Atem kurz stehen.
Sie stand vor ihm, die Augen leicht gerötet, als hätte sie geweint. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen angespannt, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. Lucs Herz setzte einen Schlag aus. Es war, als hätte die Realität beschlossen, dass es keinen Sinn mehr gab, seine Gefühle zu verleugnen. Nicht mehr.
„Hey", sagte sie leise, und ihre Stimme klang zerbrechlich, fast schüchtern.
„Hey", antwortete er und bemühte sich um einen neutralen Ton, obwohl sein Herz gegen seine Brust hämmerte und sein Gesicht vermutlich die Farbe einer Tomate angenommen hatte.
Eine kurze Stille legte sich über sie, nur der ferne Straßenlärm drang durch die Stille des Flurs. Luc spürte, wie sein Körper steif wurde, die Unsicherheit, die in seinen Gliedern wuchs. Die Worte, die er sagen wollte, blieben ihm im Hals stecken. All die Fragen, all die Zweifel – nichts davon kam über seine Lippen. Stattdessen stand er einfach da und sah sie an.
„Kann ich reinkommen?" fragte Aurelie schließlich. Ihre Stimme zitterte leicht, als wäre sie sich selbst unsicher, was als Nächstes geschehen sollte. Er nickte stumm und trat zur Seite, um sie hereinzulassen. Sie zog sich ihre Jacke aus und schlüpfte aus den Schuhen, bevor sie sich langsam in die Wohnung bewegte. Es war fast, als wäre sie noch unsicher, ob es wirklich der richtige Moment war, das Gespräch zu führen, das offensichtlich zwischen ihnen in der Luft hing.
Luc konnte das Gewicht der unausgesprochenen Worte spüren. Seine Gedanken rasten. Sollte er sie fragen? Über das Foto? Über Marque? Über die Umarmung? Oder sollte er warten, bis sie von selbst anfing? Doch bevor er sich entscheiden konnte, setzte Aurelie sich auf die Couch, auf der Daisy leise schnarchte.
„Luc", begann sie, während sie begann Daisy über ihr seidiges Fell zu streichen, „wir müssen reden."
Ihr Tonfall war ruhig, aber er konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören. Es lag etwas in der Luft, etwas Unausgesprochenes, das sie beide fühlen konnten, aber keiner von ihnen wusste, wie er es in Worte fassen sollte. Er setzte sich neben sie, ohne sie anzusehen, und wartete. Sein Herz raste, und das Schweigen zwischen ihnen schien ewig zu dauern, bis sie endlich weitersprach.
„Es gibt etwas, das ich dir sagen muss."
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