𝐩𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠 | wir werden uns wiedersehen
»Es gibt viele Geschichten darüber, wie und warum sich die Götter den Menschen zeigten. Manche sagen, es war ein Akt purer Langweile, andere wiederum sind sich sicher, dass die Götter es einfach leid waren, von so vielen geleugnet zu werden.
Niemand wäre darauf gekommen, dass die Götter nur herabstiegen, um die Menschheit zu retten.
Doch genauso war es. Eine dunkle Bedrohung hatte sich auf der Erde festgesetzt, flüsterte den Menschen dunkle Verspechen in die Ohren und brachte sie dazu, unaussprechliche Dinge zu tun.
Jahrelange hatten die Mächte im Himmel versucht , das Problem versteckt zu lösen. Sie hatten sich Auserwählten in Träumen gezeigt, besonders fromme Gläubige mit magischen Kräften gesegnet und Boten ausgesandt, um die Schatten zu bekämpfen.
Doch all das reichte nicht, denn der oberste Schatten war einst selbst ein Gott gewesen. Seine Macht war von einer schrecklichen, heimtückischen Sorte: Er konnte die Seele der Sterblichen manipulieren und sie so zu seinen Untergebenen machen.
Nach Jahrzehnten grausamer Schlachten kam es, wie es kommen musste. Der edelmütige Königin der Götter gelang, den gefallenen Gott aus seinem Versteck herauszulocken. Sie kämpften zehn Tage und Nächte, und die ganze Welt sah mit angehaltenem Atem zu.
Schlussendlich schaffte es die Götterkönigin, ihren Gegner mit einem mächtigen Bann zu belegen. Sie versiegelte seine Seele tief unter der Oberfläche, bedeckt von Tonnen aus Stein und Erde, auf das er nie zurückkehren würde. Das Licht kehrte in die Menschenwelt zurück, und die Seelen der Sterblichen waren endlich wieder frei.
Doch jetzt, wo sie Seite an Seite mit den Menschen gekämpft hatten, konnten sich die Himmelsbewohner nicht mehr verstecken. Genauso konnte kein Sterblicher mehr leugnen, dass die Götter tatsächlich existierten. Tempel wurden erbaut, Gebete geschrieben, Opfergaben vorbereitet. Es war zu spät, um die Menschen vergessen zu lassen.
Und so schworen die Götter, die Sterblichen von nun an mit allen Mitteln zu beschützen und ihnen zu helfen, wo es ging. Die Welt, in der wir heute leben, wurde geboren.«
Es herrschte Stille, nachdem der zitternde Sterbliche seine Geschichte vorgelesen hatte. Fünf Götter sah einander entsetzt, aber auch erleichtert an.
Dann begann der Sechste, laut zu lachen.
»Was für eine schöne Geschichte, Luvyras. Sehr kreativ«, hallte seine kratzige Stimme durch die schummrig beleuchtete Höhle, gefolgt von einem abgehacktem Husten. Goldenes Blut spritze auf den unebenen Steinboden und ließ ihn auf eine gruselige Weise aufleuchten.
Die anderen Götter zuckten zusammen und wichen zurück. Nur eine von ihnen rührte nicht einen Muskel und wandte sich langsam zu der blutenden Gestalt um. Eine Fackel erhellte ihr Gesicht und offenbarte ihr Lächeln.
»Nicht wahr? Er hat gute Arbeit geleistet.«
Der Sterbliche entspannte sich sichtlich. Luvyras ging näher an die Gitter heran, hinter denen der sechste Gott hang. In einer Hand hielt sie eine kleine Schriftrolle, mit der anderen gab sie ihren Gefährten ein Handzeichen. »Lasst ihn frei und belohnt ihn. Ich werde bald nachkommen.«
Sofort taten die Vier wie ihnen geheißen und verschwanden zusammen mit dem Geschichtenschreiber. Zurück blieben nur die Götterkönigin und ihr Gefangener, dessen aufgesprungene Lippen zu einem schiefen Lächeln verzogen waren.
»Faszinierend, wie sie all deine Lügen schlucken. Du hast wirklich viel dazugelernt, in den letzten Jahren.«
Diesmal klang die Stimme des sechsten Gottes samtig sanft und schmeichelhaft, ganz anders als zuvor. Sein Augen glommen beinah schon stolz, während sein Leben vor ihm auf den Höhlenboden tropfte.
Doch anstatt zu antworten, hob Luvyras nur die Hand. Ketten schlossen sich um den Hals ihres Gefangenen und drückten seine Luftröhre zusammen. Er würgte erstickt, doch hörte trotzdem nicht auf zu lächeln.
Hasst du mich wirklich so sehr, Schwesterchen? Kannst du nicht einmal meine Stimme ertragen?
Niemand hörte, wie die Göttin des Lichts schrie und ihren Bruder verfluchte, bis ihre Kehle blutig war. Niemand sah, wie ihre Ketten durch die Luft peitschten und göttliches Blut gegen die Wände spritze, bis der schwarze Stein golden leuchtete.
Und als Luvyras aus der Höhle trat, wie üblich ein perfektes Lächeln auf den Lippen, wusste niemand, dass sie ihn immer noch hörte. Seine sanfte, klare Stimme, die versprach: 'Wir werden uns wiedersehen.'
Jahrhunderte später schallte ein lauter Knall durch die goldene Höhle. Schwarze Trümmer flogen durch die Luft, der Boden bebte. Uralter Staub wirbelte herum und machte es schwer, zu atmen. Lose Steine fielen herab wie Geschosse und erzeugten ein Echo, das fast lauter als das der Explosion war.
Erst, als wieder völlige Stille eingekehrt war, kletterte eine kleine Gestalt über die riesigen Brocken und quetschte sich durch den winzigen Eingang, der entstanden war. Dunkelbraune Menschenaugen musterten die goldenen Adern, die sich durch das schwarze Gestein zogen. Als der Mensch unten ankam, waren seine Hände voller Schrammen und seltsamen, glänzendem Staub.
Das flackernde Licht einer Taschenlampe strich über die Ketten und das Skelett, das an diesen hang.
»So viel zu 'Götter sind unsterblich'«, schnaubte der Mensch leise und machte einen Schritt nach vorne. Wieder hallte das Geräusch durch die gigantische Halle, tausendmal lauter als sonst. Er wollte gar nicht wissen wie tief diese Höhle in den Berg gegraben war. Die Hände vor den Ohren schlich er bis zu den Knochen.
Der Boden, auf dem er jetzt stand, war vollständig aus Gold und schimmerte so hell, dass er seine Lampe ausmachte. Wer auch immer dieses Skelett mal gewesen war, er war schon lange tot. Wahrscheinlich schon mehrere Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte.
Mit zusammengekniffenen Augen zog der Mensch eins seiner Schwerter. Als die Klinge die Knochen berührte, hörte er ein leises Knarzen.
Dann fiel der ganze Körper in sich zusammen und verteilte sich über den Boden. Der Junge verzog das Gesicht. »Scheiße«, murmelte er.
»Also wirklich, so redet man doch nicht mit einem Gott«, antwortete eine Stimme amüsiert.
In Sekundenschnelle hatte er seine zweite Waffe gezogen und war einen Meter nach hinten gesprungen. Misstrauisch sah er sich um. Hier war niemand, aber trotzdem hatte er das Gefühl, von tausenden Augen gleichzeitig beobachtet zu werden.
»Wer ist da?«, fragte er leise, um kein allzu großes Echo zu erzeugen. Ein spöttisches Lachen hallte durch die Halle. »Spiel nicht den Dummen. Du weißt genau wer ich bin.«
Er blieb stumm, doch seine Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenem Grinsen. Es war also doch keine Zeitverschwendung gewesen, hier herzukommen.
»Wenn du weißt, dass ich dich kenne, weißt du doch sicher auch, warum ich hier bin«, erwiderte er und steckte seine Waffen wieder weg. Der Gott applaudierte, doch es klang eher spöttisch als beeindruckt.
»Natürlich. Das ist nicht schwer zu erraten.«
Kurz herrschte Stille. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie der Gott zufrieden lächelte, wie er es auf all den versteckten Zeichnungen auch immer getan hatte.
»Du bist wirklich schlau, genau zu mir zu kommen. Niemand sonst würde dir helfen.«
Diesmal war an ihm, zu lachen. »Ich weiß. Sonst wäre ich nicht hier«, sagte er. Glühender Hass verdrängte den Triumph aus seinen Augen. »Alle anderen sind viel zu verblendet um zu sehen, wen sie da eigentlich anbeten.«
Sein Gelächter schallte durch die ganze Höhle, bevor der Gott endlich antwortete.
»Menschen sind einfach zu manipulieren. Sie glauben an jede Lüge, solange sie nur Hoffnung bringt. Aber das weißt du selbst ja am besten.«
Der junge Mann unterdrückte ein verbittertes Lachen. Warum dieser Gott so viel über ihn und seine Vergangenheit wusste, fragte er sich in diesem Moment nicht. Zu nah war das Ziel, dass er jahrelang verfolgt hatte.
»Was ist der Preis für deine Hilfe?«
»Nicht viel. Nur ... ein kleiner Spaziergang, wenn du verstehst, was ich meine. Von dem ganzen Herumliegen in dieser Höhle sind meine Muskeln schon ganz steif.«
Kurz geriet seine Überzeugung ins wanken. Das war ein hoher Preis. Doch dann erinnerte er sich an das hämische Grinsen des Himmels und die Ketten um seine Handgelenke. Lächelnd hob er den Kopf und sah das am Boden liegende Skelett an.
»Was soll ich tun?«
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