Aufgeflogen?
3 Stunden war die Sache im Fahrstuhl nun her. Den ganzen Heimweg lang hatte ich darüber nachgedacht und selbst jetzt, als ich in meinem heißen Bad lag. In meiner Hand war ein Buch und ich versuchte zu entspannen, doch als ich de gleichen Satz zum dritten Mal begann zu lesen, gab ich es auf. Ich konnte einfach nicht abschalten. Genervt legte ich das Buch zur Seite und ließ mich noch ein wenig weiter in das warme Wasser gleiten. Der Duft nach Amarant stieg mir in die Nase. Es war meine Lieblingsblume, genau wie die meiner Mutter. Für Artemis war diese Blume ein Symbol ihrer Göttlichen Kraft, doch für mich war es eher ein Gefühl von Geborgenheit. Vielleicht weil ich als Kind diesen Duft immer dann roch, wenn meine Mutter mir Zuneigung zeigte. Aber das war unwichtig. Ich durfte nicht in Gefühlsduseleien verfallen. Ich musste an meinen Auftrag denken.
Wieso hatte Charon gegrinst? Wusste er mehr als er zugab? Hatte er mich vielleicht längst durchschaut? Nein. Ich hatte keine starke göttliche Präsenz und diese konnte ich wunderbar verstecken. Mein Verhalten war auch nicht auffällig gewesen, also war es unmöglich, dass er etwas ahnte. Möglicherweise... sah er mich ja einfach nur als Herausforderung. Ich wusste, dass Leute wie er oft eine sadistische Ader hatten und es mochten, wenn man sie forderte. Vielleicht war es ja das.
Erschöpft von all dem nachdenken schloss ich meine Augen und ließ das Bad einfach auf mich wirken. Ich blendete alle nervenden Gedanken aus und konnte förmlich spüren, wie jeder meiner steifen Muskeln sich langsam entspannten. Eine halbe Stunde lag ich einfach nur so da und genoss die schöne Wärme, bevor ich mich entschloss endlich aus der Wanne zu steigen. Ich trocknete mich ab und verbrachte eine weitere halbe Stunde mit Skin Care. Etwas, was eine der Jägerinnen mir beigebracht hatte. Feste Rituale waren wichtig, um abzuschalten, weshalb ich das fast zwanghaft jeden Abend machte. Ohne das konnte ich einfach nicht runterkommen. Ja, Auftragskiller hatten oft einige interessante Angewohnheiten, doch nur so funktionierten wir.
An diesem Abend schlief ich genauso unruhig, wie die Nacht zuvor. Ich wälzte mich hin und her und versuchte irgendwie in den Schlaf zu finden. Wie lange ich dafür brauchte, wusste ich nicht genau, doch am nächsten spürte ich deutlich die Müdigkeit. Vielleicht sollte ich doch mit Kaffee anfangen.
Genervt und übermüdet saß ich einige Stunden später an meinem Schreibtisch. Ich hatte auch heute viel zu tun und war deshalb bereits voll bei der Sache, als ich eine sehr bekannte Stimme hört. Sofort hellte sich mein Gesicht auf und ich sprang auf, um zu meinem alten Freund Kirian zu laufen. Er war der Sohn von Athene und ein sehr guter Freund von mir.
"Hallo kleiner Mondschein" begrüßte er mich lächelnd und ich umarmte ihn freudig. Kleiner Mondschein war sein Spitzname für mich, weil meine Mutter nun mal die Göttin des Mondes war und es für mich nichts schöneres gab, als eine ruhige Nacht im Licht des Vollmondes.
"Was machst du hier Kiri? Solltest du nicht in Griechenland sein?" fragte ich ihn verwirrt. Eigentlich sollte er bei seiner Mutter sein und sie unterstützen, bei einigen Unruhen, die es momentan in Griechenland gab. Er war schon immer lieber in den warmen Ländern gewesen, als hier im kalten New York.
Ja, allerdings hat mir deine Mutter erzählt, dass du nun eine neue Aufgabe hast" erwiderte er. Natürlich war mir klar, dass er über meinen Auftrag Bescheid wusste und meine Mutter ihn vermutlich als eine Art Verstärkung geschickt hatte, jedoch würde Kirian mir sicher nicht in die Quere kommen. Er wusste, dass ich lieber alleine arbeitete und es nicht mochte, wenn ich Aufträge teilen musste.
Hier arbeitest du also? Sehr schick" grinste er mich an und musterte mich. So schick gemacht kannte man mich nun wirklich nicht, was die Belustigung in seinen Augen widerspiegelte. Als Kinder hatten wir uns oft über reiche Dummköpfe lustig gemacht und wie schick die sich anzogen. Tja, wir waren halt beide eher der lockere Typ.
"Ja, tue ich und du? Machst du nur Urlaub in den Staaten oder arbeitest du auch?" fragte ich neugierig. Unsere Eltern waren Freunde, genau wie wir und wir beide erledigten oft Dinge für den Olymp, weshalb wir eigentlich immer von den Aufträgen des anderen wussten.
"Miss Rivers, dürfte ich fragen, wieso Sie nicht bei der Arbeit sind? Oder gehören neuerdings Gespräche über ihr Privatleben zu ihrem Job?" hörte ich Charons kalte Stimme fragen. Er stand nur wenige Schritte hinter Kirian und funkelte mich böse an. Mist.
Kurz blickte ich zu Kiri hoch und man sah ihm an, dass er genau wusste, wer da hinter ihm stand, denn sein Kiefer spannte sich kurz an, bevor er mir in die Augen sah. Er war definitiv nicht eingeschüchtert von Charon, doch auch er wusste, wie ätzend der Mann sein konnte. Dummerweise hatte Kirian aber den Mut seiner Mutter geerbt und ignorierte den Sohn Hades einfach. Stattdessen beugte er sich zu mir hinunter und flüsterte ein "Bis später kleiner Mondschein. Schreib mir, wenn du von dem Idioten da los bist". Mit diesen Worten drehte er sich um und ich konnte sein provozierendes Grinsen gegenüber Charon förmlich spüren.
"Entschuldigen Sie aber ich bin nun mal wichtiger als die Arbeit Mr. Black" raunte er Charon zu, als er an ihm vorbeilief. Dieser sah ihn nicht an. Stattdessen war sein Blick weiterhin auf mich gerichtet und ich konnte sehen, dass er es ganz und gar nicht gut fand, wenn er so verhöhnt wurde. Ich hingegen fand es eher amüsant, wie Kirian sich benahm. Das war eine der Dinge, die ich an ihm schon immer bewundert hatte. Wie locker er durchs Leben ging und dabei immer zufrieden zu sein schien.
Sobald Kirian den Raum verlassen hatte, kam Charon auf mich zu. Sein Blick war eiskalt und ich konnte sehen, dass er seine Schultern angespannt hatte. Oh, der Mann war wütend, doch ich hatte keine Angst vor ihm, also sah ich ihm mit sturem Blick direkt in die Augen.
"Scheint als bräuchten Sie noch etwas Beschäftigung Miss Rivers. Sie werden meine Akten von heute sortieren, nachdem Sie mit ihren geschäftlichen Aufgaben für Mr. Ajax fertig sind. Vielleicht finden Sie dann ja doch etwas Professionalität" knurrte er mir entgegen und ich versuchte meinen Ärger zu schlucken, als ich stumm nickte. Mistkerl.
"Ja, Sir" erwiderte ich bloß und schon war Charon verschwunden. Dieses arrogante Arschloch. Den ganzen Tag verbrachte ich damit mich um Kyons Angelegenheiten zu kümmern. Ich beantwortete Anrufe, druckte Dinge aus und so weiter. Stundenlang tat ich bloß solche Dinge und versuchte dabei nicht daran zu denken, was ich noch alles vor mir hatte. Ich würde bis heute Nacht hier sitzen, nur weil dieser Mistkerl meinte mich bestrafen zu müssen.
Gerade hatte ich meine Arbeit für Mr. Ajax beendet, als plötzlich mein Handy vibrierte. Eine Nachricht von Kirian. Natürlich, Kiri hatte wie seine Mutter diesen sechsten Sinn und schaffte es für alles den richtigen Augenblick zu finden.
"Hallo Mondschein. Es ist 11 Uhr, bist du noch immer im Büro oder hast du mich bloß vergessen?" lautete die Nachricht. Sofort begann ich zu lächeln und für einige Sekunden verschwanden die düsteren Gedanken.
"Ich könnte dich doch nie vergessen. Dieser Dreckssack Charon hat mir extra Arbeit aufgedrückt, weil ich angeblich zu viel Zeit habe..." antwortete ich und ich war mir sicher, dass er meinen genervten Ton durch diese Nachricht heraushören konnte.
"Was ein Idiot Meinst du der Auftrag wird lange dauern? Deine Mutter sagte, dass du ihm erst näher kommen müsstest, damit Hades keinen Verdacht schöpft" schrieb er nur kurze Zeit später und ich musste leise Seufzen. Ja, wie lange würde dieser Auftrag dauern? Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, doch das musste Kiri ja nicht wissen.
"Einige Wochen, dass kommt drauf an, wie gesellig der gute Charon ist. Ich mach mich wieder an die Arbeit Kiri sonst wird das mit dem Auftrag nie was" schrieb ich noch und legte dann das Handy weg. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause, also begann ich zügig damit Charons Akten zu sortieren. Glücklicherweise waren es gar nicht so viele gewesen und ich hatte sie nach einer Dreiviertelstunde endlich alle sortiert.
Kurz sah ich auf meine Uhr und stellte fest, dass es bereits 12 Uhr war. Dieser Dreckssack. Er ließ mich bis tief in die Nacht schuften und dabei war ich nicht mal seine Sekretärin. Durfte er das überhaupt? Ich hatte keine Ahnung von Arbeitsrecht oder sowas aber in dem Vertrag waren sicher solche erzwungen Überstunden nicht drin.
Genervt und wütend machte ich mich auf den Weg zu Charons Büro. Ich wusste, dass ich mich passive verhalten sollte, doch zumindest einen bissigen Kommentar würde er von mir kriegen. Vielleicht war ich für ihn bloß eine Sekretärin, doch selbst wenn ich ein ganz normaler Mensch wäre, dann würde ich mich niemals so von ihm behandeln lassen.
"Mr. Black? Hier sind ihre Akten" erklärte ich, als ich in sein wirklich riesiges Büro eintrat. Eine große Fensterfront bot einen Blick über ganz New York, überall standen große Bildschirme und die neusten Computer herum und von der Couch wollte ich gar nicht erst anfangen. Es sah unglaublich elegant aber auch kalt aus. Alles war in schwarz und weiß gehalten und ich konnte nirgendswo auch nur das kleinste Staubkörnchen entdecken. In mitten all dieser Dinge entdecke ich Charon, welcher an seinem Schreibtisch lehnte.
"Ah, Miss Rivers. Ich dachte schon Sie wären einfach gegangen, weil die Akten so lang gebraucht haben" bemerkte er und man konnte die Bosheit in dieser Bemerkung förmlich spüren. Ich machte also nicht nur seine Drecksarbeit, nein ich musste mir dann auch noch solche Bemerkungen anhören? Nein. Das ging zu weit.
"Nun ja, da Sie ja scheinbar nicht in der Lage sind ihre eigene Arbeit zu erledigen, sollten Sie sich nicht darüber beschweren, wenn ich für ihre und die von Mr. Ajax etwas länger brauche als sie sich das wünschen" knurrte ich zurück und ich konnte sehen, dass er damit nicht gerechnet hatte. Shit. War ich zu weit gegangen? Nein, ich musste meine Grenzen zeigen.
"Wie war das? Ich bin nicht dazu in der Lage meine eigene Arbeit zu machen?" fragte Charon mit hochgezogener Augenbraue. Er war völlig ruhig. Keine Wut oder Empörung. Bloß eine eiskalte Fassade, die nichts von dem verriet, was in ihm vorging.
"Sonst müsste ich sie ja nicht für Sie machen, oder?" erwiderte ich. Natürlich hätte ich mich entschuldigen können, doch mit dieser Aussage hatte ich nun mal hoch gepokert, also musste ich jetzt auch weiter bluffen.
Charon war sichtlich verwundert von meiner Schlagfertigkeit, doch es schien ihn nicht zu überfordern. Im Gegenteil. Es war als würde es ihm Spaß machen. Als würde ich ihm seine Langeweile vertreiben. Gott, was war dieser Mann nur für ein Arsch.
"Kommen Sie zu mir Miss Rivers" wies er mich an und ich gehorchte. Was auch immer er vorhatte, ich würde darauf vorbereitet sein. Egal ob er mich feuern wollte, was zugegeben extrem schlecht wäre, oder ob er mir einfach nur Respekt beibringen wollte.
Nun stand ich direkt vor ihm. Die Akten hatte ich noch immer in der Hand und Charon sah mich mit Adleraugen an. Er schien mich zu mustern. Als würde er versuchen herauszufinden, ob ich wirklich so war oder ob es dahinter einen Grund gab, den er noch nicht erkannte.
Plötzlich machte Charon einen Schritt und drängte mich gegen die Wand. Währenddessen versuchte er nach meinen Armen zu greifen, doch ich ließ die Ordner fallen und zog sie weg. Dummerweise war ich dabei zu schnell gewesen. Eine normale Frau konnte so schnell sicher nicht reagieren. Mist. Ich hatte mich verraten. War das ein Test gewesen? Er wusste es. Mein Herz begann zu rasen und ich wusste, ich brauchte eine Strategie
"Was sollte das?" knurrte ich und funkelte ihn böse an. Vielleicht vergaß er das ja einfach. "Haben Sie sie noch alle? Sie haben mich erschreckt" versuchte ich die Situation irgendwie zu lenken, doch eigentlich wusste ich, dass Charon viel zu schlau war um darauf reinzufallen.
Doch der Sohn Hades schwieg.
Er schien nachzudenken. Aber worüber?
War ich wirklich aufgeflogen?
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