𝚔𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟹𝟾: 𝚏𝚛𝚊𝚗𝚣ö𝚜𝚒𝚜𝚌𝚑𝚎 𝚛𝚎𝚟𝚘𝚕𝚞𝚝𝚒𝚘𝚗

»𝐈𝐂𝐇 𝐇𝐀𝐁'𝐒.«, flüsterte er an meiner Ohrmuschel und strich mir eine Strähne aus dem Sichtfeld. Die Nähe seiner Lippen an meinem Ohr hinterließ eine ausgeprägte Gänsehaut, die ich mit einem leichten Lächeln quittierte.

Weil ich ihm nicht sofort antwortete und ohnehin nicht wusste, was er mir zu sagen hatte, fuhr er mit seiner Ausführung fort. »Becky. Ich meine Becks ist besetzt und Bekah nennt dich jeder. Was meinst du?«, raunte er und benetzte meine Halsbeuge mit einer Milliarde Küsse.
Zumindest fühlte es sich so an. Und ein jeder Kuss ließ mein Unterleib aufs Neue verrückt werden.

In diesem Augenblick empfand ich nichts als reines Glück.
Es war so pur und echt, dass ich gar nicht richtig wusste, damit umzugehen. Steve so nahe gewesen zu sein war etwas, das ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet hatte und das trotz der Überraschung so absolut perfekt gewesen war.

»Ich weiß nicht. Das klingt wie ein kleines Mädchen.«, entgegnete ich ihm und grinste dabei leicht, als er in mein Ohrläppchen biss.
Die Ektase unserer gemeinsamen Verbindung hatte etwas zwischen uns verändert. Anstatt betreten und verschüchtert zu sein, fühlten wir uns entkrampfter und lebendiger denn je.

»Was dann? Prinzessin?«, auf seinen Vorschlag reagierte ich mit einem Zusammenpressen meiner Lippen.
Eine Äußerung wahrlicher Unzufriedenheit.
»Nicht? Was dann? Sweetheart? Baby? Darling? Lady?«, schlug er vor.
Sein letzter Vorschlag schickte einen eindringlichen Schmerz durch das Vergessen, das sich in mein Gehirn gepflanzt hatte.

»Lady Becks von Watkins. Erzeugerin des Höllenfeuerteufels, hiermit erkläre ich zu meiner besten Freundin zu Lebzeiten.«, gluckste Eddie und hielt mir die an seinem Zeigefinger baumelnde Kette vors Gesicht.

Eine schöne Geste, wenn man nicht bedachte, dass ich ihm dabei geholfen hatte, sie zu stehlen.
»Sir Edward von Rockstarhausen. Ich bedanke mich herzlich.«, kicherte ich und nahm das Schmuckstück entgegen.
Der lilafarbene Anhänger in Form einer Gitarre gefiel mir. Er würde mich immer an Eddie erinnern und an unsere enge Freundschaft.

»Du darfst niemanden sagen, dass ich Edward heiße.", beschwerte er sich und als er das tat, wippte er unruhig auf seinen Knien.
»Meinst du nicht sie denken sich das selbst, wenn sie den Namen Eddie hören? Niemand nennt sein Kind nur Eddie.«, ärgerte ich ihn.
»Werde ich mir merken, R-E-B-E-K-A-H.«, maulte er grinsend, woraufhin ich an eine seiner dunklen Locken zog.

Seine Beschwerden ignorierte ich gekonnt und begann damit die langen Strähnen zu flechten. Wann immer ich eine Idee für eine neue Frisur hatte, musste Eddie als Versuchskaninchen herhalten.
Nachdem er sich – für meine Verhältnisse – zu viel beschwert hatte, trat ich ihn lachend gegen das Schienbein.

Eddie verschränkte seine Arme vor der Brust und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Nicht sehr ladylike. Vielleicht sollte ich dich eher Bauerntölpel nennen.«
»Eddie!«, lachte ich und ließ von seinem Haar ab. »Woher hast du diese ganzen Begriffe?«, fragte ich ihn. Er zuckte grinsend mit den Schultern und fischte ein Magazin aus seinem zerschlissenen Rucksack. »Mom kauft sich neuerdings immer diese komischen Schnulzen.«

Dafür hatten sie also Geld. Aber um ihrem einzigen Kind etwas zu Essen zu holen nicht? Ich sprach es nicht aus, aber ich war wütend.
Dass Eltern sich so unterschiedlich um ihre Kinder kümmern konnten, war immer noch etwas, das ich nicht ganz verstehen wollte.

»Woran denkst du?«, fragte er mich und fächerte mir mit dem Heftchen Luft zu. Ich schnappte es mir grinsend und blätterte darin herum.
Meine Augen wurden ganz groß, als ich von den schmutzigen Dingen las, die darin geschahen. »Eddie! Sowas solltest du nicht lesen, du Freak.«, gluckerte ich und warf das Heft zu Boden.

Eddie griff nach einem unsichtbaren Schwert, das imaginär an seiner Hüfte baumelte und schlug mich zum Ritter – oder eher zu etwas, das mehr zu uns passte.
»Freaks fürs Leben!« , johlte er und zog mich in eine feste Umarmung. Ich klammerte mich an seine ranzige Lederjacke, die ihm viel zu groß war und viel zu sehr nach Nikotin stank. Hoffentlich würde er nie selbst beginnen zu rauchen.
»Fürs Leben.«, flüsterte ich in sein geflochtenes Haar.

𝐈𝐂𝐇 𝐇Ä𝐓𝐓𝐄 𝐆𝐄𝐑𝐍𝐄 den Göttern gedankt, dass sie Steve eine Entschuldigung von mir schuldig bleiben ließen, doch das Zersplittern von Glas war nicht gerade die Ablenkung, die ich mir erhofft hatte.
Steve und ich atmeten hektisch ein, unsere Körper verkrampften sich vor augenblicklich vor Anspannung und Furcht.

Rasend schnell zogen wir uns an und liefen zurück zu Dustin und Robin, die in Angriffsstellung vor dem Schaufenster standen.
»Was ist passiert?«, herrschte Steve sie an und griff nach der Schaufel, die wohl oder übel unsere einzige Waffe darstellte.

Robin sah ihn entgeistert an und zeigte mit dem Finger auf eine der Fledermäuse, die ihren letzten Atemzug tätigend auf dem Boden lag.
»Wie jetzt. Ist sie einfach – einfach hier reingeflogen?«, fragte er irritiert und ging auf das am Boden liegende Tier zu.
Ich streckte meinen Arm nach ihm aus, wollte ihn aufhalten und damit sichergehen, dass er unversehrt blieb, aber ich erreichte ihn nicht mehr.

In einer einzigen kraftvollen Bewegung stieß er mit dem Ende der Schaufel auf den Kopf des Dämons ein und trennte ihn vom Rest des Körpers ab.
Dustin tat genau das, was ich auch am liebsten getan hätte. Er würgte. Er erbrach sich nicht, irgendwie bekam er noch einmal die Kurve, aber er ballte seine Hände zu Fäusten und sah gen Decke.
Robin war schlauer gewesen und hatte sich die Hände vor die Augen geschlagen, wie ein kleines Kind, das am heiligen Abend auf die Ankunft des Weihnachtsmannes wartete.

Das ultraviolette Blut hing überall. Es benetzte Steve's markante Gesichtszüge, es drang ungefragt an die Wände und es ergoss sich Übelkeitserregend über den ganzen Boden.
»Sie sind nicht einfach hier reingekommen.", sagte ich und starrte mit zittrigen Gliedern nach draußen. Umringt von einem Wirbelsturm aus dämonischen Fledermäusen, stand der Eddie dieser Dimension und begrüßte uns mit einem Reißzahnbesetzten Lächeln.

»Er hat sie hineingeworfen.«, erklärte Dustin und strich sich beruhigend über seinen Hals. Ein verzweifelter Versuch seine Übelkeit zu regulieren. »Scheiße.«, fluchte Steve und wir alle stimmten mit anderen Flüchen ein.

Dass er uns früher oder später fand, war uns klar gewesen. Dass es zeitnah geschah auch. Aber dass es so verdammt schnell passierte, war eine Variable, mit der wir nur ungern kalkuliert hatten.
Und was umso unverständlicher war, war die Tatsache, dass seine Mimik so anders wirkte. Berechnend. Und das war etwas das noch viel furchterregender war als ein nach Blut dürstender Untoter.
Wenn er erst einmal begann Pläne zu schmieden und erste Gedanken in seinem toten Gehirn zuließ, dann waren wir geliefert.

Steve wanderte unruhig im Verkaufsraum umher. Er riss Schubladen aus den Schränken, öffnete Pakete und all das begleitet von wütenden Rufen.
Er suchte nach Waffen, nach einer Möglichkeit sich zu verteidigen.
Aber wir befanden uns in einem verdammten Spätkauf. Hier gab es kaum etwas anderes als Essen, Getränke und das ein oder andere Hilfswerkzeug.

Wieder einmal fühlte ich mich absolut hilflos, weil sich mir keine einzige Möglichkeit des Rückschlags eröffnen wollte.
Ich war nicht für den Kampf gemacht. Keiner von uns war es, aber die anderen hatten Situationen wie diese öfters erlebt und – was viel wichtiger war – überlebt.

»Ich bin dafür, dass wir ihm auch den Kopf abtrennen. Wirklich. In Horrorfilmen ist es immer dasselbe. Sie schießen einhundert Mal auf die Brust, aber nie in den Kopf! Das habe ich nie verstanden! Letztens war ich auch mit Vicky in einem Horrorfilm und da ist genau das-«
»Robin!«, zischte Steve. »Nicht. Hilfreich.«

»Aber sie hat recht. Der Kopf. Er ist durch dein Aufspießen nicht gestorben. Vielleicht wird er es, wenn wir seinen Kopf abtrennen.«, stellte Dustin eine Überlegung auf, die mich unweigerlich das Gesicht verziehen ließ.
»Hört ihr euch eigentlich selbst zu? Wir sollen ihm den Kopf abhacken? Es ist immer noch Eddie.«, grätschte ich dazwischen und warf einen weiteren Blick nach draußen.

»Nein.«, sagte Robin und ging auf mich zu. Ich bemerkte es erst, als ich den Druck ihrer Hand auf meiner Schulter verspürte. »Ist er nicht.«

Und es stimmte. Dieses Monstrum hatte keine Ähnlichkeit mit Eddie. Geblieben waren vielleicht seine wilden Locken, aber das Rubinrot seiner Augen und die spitzen Fangzähne, gepaart mit den dunklen Adern, die sich über seine fahle Haut erstreckten, war nichts, was einer von uns mit Eddie verband.
Nicht mit dem Eddie aus meiner Kindheit und nicht mit dem aus ihrer Jugend.

»Ich hätte eine Idee.«, durchbrach Dustins lispelnde Stimme die unheilvolle Stille. Seine klugen Augen hingen an der Betondecke des Gebäudes. »Ist ein wenig unkonventionell.«

Steve, Robin und ich standen in einem Halbkreis um ihm herum und warteten auf eine Erklärung. Robin's Blick sprintete dem von Steve entgegen, als Dustin von unkonventionell sprach.
Ihre Lippen waren einen Spalt weit geöffnet und ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass sie im Begriff war, ihm zu erklären, was das Wort bedeutete.
Steve hingegen legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte eindringlich den Kopf. »Nicht."

Auch, wenn es absurd war, musste ich lächeln. Ich hatte Elfie, Mike und Lucas ebenfalls liebgewonnen, keine Frage. Aber die drei hier waren wie ein Teil einer Familie, von der ich nie gewusst hatte, dass sie mir gefehlt hatte.
Wir mussten hier einfach rauskommen. Wir mussten.

»Also Henderson? Schlaf nicht ein, dafür bleibt uns keine Zeit.«, drängte Steve ihn.
Unser Blick lag gebannt auf seinem verschmitzten Lächeln. »Wir bauen eine Guillotine.«

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Na, was sagt ihr zu Dustin's Plan? Unkonventionell ist doch ein wenig untertrieben, oder? Das Kapitel hat mir unfassbar Spaß gemacht, weil es echt aufregend war. Aber ich sage nur Eines: Wenn das aufregend war, dann seid ihr nicht bereit für das Nächste. Und was sagt ihr zu Steve und Bekah? Seltsam, oder? Plötzlich sind sie so locker, wo sie doch vorher nur umeinander herumgeschlichen sind? Ich schätze das ist der kleine Höhenflug nach einer Menge ausgeschütteter Hormone. Bleibt die Frage, wie es mit den beiden weitergeht. Wenn das der Ausgang der Lage, in der sie sich befinden, zulässt.