
𝗞𝗔𝗣𝗜𝗧𝗘𝗟 𝟴 - 𝗧𝗬𝗣𝗜𝗦𝗖𝗛𝗘 𝗕𝗘𝗧𝗧𝗣𝗥𝗢𝗕𝗟𝗘𝗠𝗘
Als wir die Stadt verließen, schrieb ich Olivia eine Nachricht, dass ich mit einem Freund unterwegs war und nicht nach Hause kommen würde. Danach schaltete ich mein Handy in den Flugmodus und packte es wieder in meine Jackentasche.
Je weiter wir uns von Westwood entfernten, desto freier fühlte ich mich. Ich sah Häuser an uns vorbeiziehen und lehnte mich lächelnd zurück in den Sitz.
„Du wirkst zufrieden", erklang Audens Stimme.
„Ja", sagte ich und lauschte der leisen Radiomusik.
Die Straßen waren recht befahren, aber zum Glück nicht so voll, dass wir im Stau standen. Während der Fahrt sprachen wir kaum miteinander. Ausnahmen waren, wenn jemand zur Toilette musste oder Auden mir erzählte, wie lang wir noch fahren mussten. Währenddessen lief die Musik im Hintergrund und ich entspannte mich allmählich. Wenn es doch nur immer so einfach wäre.
*
Irgendwann lenkte Auden den Wagen auf einen Parkplatz, der dem eines kleinen Supermarkts ähnelte, aber nicht mit Steinen versehen war, sondern nur mit braunem Dreck. Als er neben einem weißen VW parkte, stiegen wir aus und holten unsere Sachen aus dem Kofferraum. Das Hotel war nicht sehr groß und sah mit seinen braunen Backsteinmauern recht angenehm aus und gab mir ein gutes Gefühl. Es schien noch nicht allzu alt zu sein, aber für ein ganz neues Gebäude schien es zu alt zu sein. Es war ein Mittelding und sah einladend aus.
Wir betraten das Gebäude und ich staunte. Ich war zwar noch nie in einem Hotel gewesen, aber dieses hier sah wirklich nobel aus. Zwar war die Lobby nicht groß, dafür war sie aber mit ein paar Sesseln und kleinen Tischen dazwischen ausgestattet. Auf der gegenüberliegenden Seite hing ein großer Flachbildschirm an der Wand, der gerade die Nachrichten zeigte. Die Rezeption sah genauso aus, wie ich immer in Filmen gesehen hatte. Ein Mann in einer dunklen Uniform stand hinter einem Tresen und lächelte uns freundlich an.
Auden trat zur Rezeption und ich stellte mich neben ihm. Plötzlich überkam es mich. Ich stand in einem Hotel irgendwo in San Francisco mit einem Jungen, den ich gerade einmal wenige Wochen kannte. Das war doch komplett verrückt.
„Kommst du, Cassie?", holte Auden mich aus meinen Gedanken. Ich musste ihn wohl entgeistert angesehen haben, denn er hob einen Schlüssel, wahrscheinlich den Zimmerschlüssel, und schüttelte ihn leicht hin und her.
„Ja, ich komme", sagte ich schnell und folgte Auden einen langen Flur entlang, bis wir vor Zimmer 56 standen. Er schloss das Zimmer auf und wir gingen hinein. Ich schloss die Tür hinter mir und erstarrte. Dieses Zimmer war von der Größe her ganz in Ordnung und auch mit hellen Möbeln und einem Fernseher eingerichtet, doch da war eine Sache, die mir ganz und gar nicht gefiel. Dieses Zimmer hatte nur ein Bett. Wieso war mir nicht direkt aufgefallen, dass Auden nur einen Schlüssel in der Hand hielt?
Er blieb ebenfalls still und starrte das große Bett an. Ich schluckte und wusste nicht, was ich tun sollte. „Cassie...", fing er an, doch ich unterbrach ihn. „Wir hatten uns doch auf zwei Einzelzimmer geeinigt." Die Anspannung in meiner Stimme konnte ich nicht verbergen und ich spürte die Wut in mir aufkochen. Wieso hatte ich dem hier überhaupt zugestimmt? Im Nachhinein kam mir diese Idee vollkommen bescheuert vor. Was hatte ich eigentlich von diesem Wochenende erwartet? Tja, genau deswegen sollte man keine Entscheidungen treffen, wenn man mental gerade nicht gut drauf ist. Aber jetzt war es zu spät. Ich stand mit Auden in einem Zimmer mit einem großen Bett.
„Ich weiß. Das hatte ich dem Mann am Telefon auch gesagt, aber es war keins mehr frei. Also fragte ich, ob sie wenigstens ein Zimmer mit zwei Betten organisieren könnten und er sagte, das ginge. Aber anscheinend ist das nicht der Fall", sagte Auden resigniert und sah mich entschuldigend an. „Ich hab es wirklich versucht, Cassie. Bitte glaub mir das."
Ich atmete tief durch und starrte wieder das Bett an. Eigentlich war es groß genug, damit wir beide darin Platz hatten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, in einem Bett mit Auden zu liegen. Auch, wenn nichts weiter passieren würde. Denn das würde es ganz sicher nicht.
„Du kannst das Bett nehmen und ich schlafe auf dem Boden", bot er mir an.
Überrascht drehte ich mich zu ihm um. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, meinte er es ernst. Ich starrte ihn an und er schob noch ein kleines Lächeln hinterher.
„Wie aufopferungsvoll", erwiderte ich sarkastisch, um mir nicht anmerken zu lassen, dass sein Angebot mich nicht kalt ließ. „Das ist doch lächerlich. Wir können sicher in einem anderen Hotel unterkommen. San Francisco ist doch groß. Hier gibt es sicher nicht nur ein Hotel. Das Nächste gibt es bestimmt schon eine Straße weiter."
Audens Lächeln verschwand. „Wahrscheinlich schon, aber das hier ist das Beste von allen. Oder willst du in einem Rattenloch hocken?"Er war gereizt und ich zuckte zusammen. So hatte ich ihn bisher nie erlebt. Auden schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ähm", er fuhr sich durch die Haare und sprach in einem ruhigeren Ton weiter. „Ich kenne mich hier aus und habe das Beste rausgesucht. Alle anderen haben gerade mal zwei Sterne und miese Bewertungen. Auch wenn es nur für zwei Nächte ist, wollte ich wenigstens eine vernünftige Unterkunft für uns beide." Stille breitete sich zwischen uns aus und wir sahen uns an. Irgendwann wandte ich meinen Blick ab und stellte meine Tasche an die Seite.
„Okay. Tut mir leid, du hast recht. Dieses Hotel ist schon besser, als ich erwartet habe. Das ist ja nur für zwei Nächte", sagte ich und mühte mir ein Lächeln ab. Und die würde ich noch irgendwie hinter mich bringen. Schlimmer als die Nachhilfestunden mit Xander konnten sie wohl kaum werden.
„Gut. Wie gesagt, ich werde dir nicht zu nahe kommen. So ein Arsch bin ich nicht", sagte er bestimmt. Ich schluckte. „Wie wär's, wenn wir etwas essen gehen? Worauf hast du Hunger?"
Passend zu Audens Frage knurrte mein Magen und ich konnte ein leichtes Lächeln kaum unterdrücken. Das letzte Mal hatte ich am Nachmittag in der Schule gegessen. „Gute Idee. Hast du eine Empfehlung?" Ich war so hungrig, dass ich selbst Muscheln essen konnte und ich hasste Muscheln.
Ein Lächeln breitete sich auf Audens Lippen aus. „Die habe ich. Magst du mexikanisches Essen?"
*
Auden brachte uns zu einem mexikanischen Restaurant, das YumTacoYum hieß und gerade mal zwei Straßen von unserem Hotel entfernt war. Es war schon länger her, dass ich mexikanisches Essen hatte. Ich genoss meine Enchilada, während Auden einen klassischen Taco aß.
Als er fertig war, tippte er eine Nachricht in sein Handy und schmunzelte. Ich fragte mich, wem er wohl schrieb, doch ich fragte nicht. Das ging mich schließlich nichts an. Da musste ich an mein mittlerweile ausgeschaltetes Handy in der Jackentasche denken und stellte mir die Frage, ob meine Familie mich vermisste. Trotzdem hielt ich es ausgeschaltet. Ich war hier, um meinem Leben für ein paar Tage zu entkommen und das wollte ich mir nicht von ihnen nehmen lassen.
*
Als wir nach dem Essen wieder in unser Hotelzimmer kamen, legte ich mich sofort aufs Bett. Ich war erschöpft. Der Aufbruch, ohne dass meine Eltern davon wussten, das Problem mit dem Hotelzimmer und einfach die Tatsache, dass ich mit einem eigentlich fremden Jungen nach San Francisco für ein Wochenende angehauen war, ließ mich fassungslos an die Decke starren. Schon wieder überkamen mich Zweifel, doch das brachte mir jetzt auch nichts mehr. Jetzt war ich hier und ich würde das durchziehen. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch.
„Ich gehe ins Badezimmer", sagte Auden. „Also wenn du vorher nochmal zur Toilette musst oder so, wäre jetzt der Moment, nochmal zu gehen."
Ich antwortete ihm nicht.
„Okay, das interpretiere ich dann mal als ein nein." Danach hörte ich Schritte und die Tür zum Badezimmer schloss sich. Es dauerte nicht mehr lange und ich hörte das Duschwasser. Ich drehte mich auf die Seite und wünschte, ich hätte mein Kissen dabei, doch ich hatte nur eine kalte Decke unter mir. Besser als nichts. Also stand ich nochmal kurz auf und schlüpfte unter die Decke. Zum Glück war ich bereits so müde, dass ich nicht mehr lange wach lag und weder viel nachdenken, noch mich in den Schlaf weinen konnte.
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