
𝗞𝗔𝗣𝗜𝗧𝗘𝗟 𝟰𝟳 - 𝗦𝗖𝗛𝗟𝗘𝗖𝗛𝗧𝗘 𝗣𝗛𝗔𝗦𝗘?
Es stellte sich heraus, dass ich recht hatte. Mit Olivia war nicht zu reden. Spätestens, als ich die Haustür öffnete, in Erwartung, dass es Auden war, doch stattdessen von einem riesigen Blumenstrauß erschlagen wurde, hinter dem Xander stand, war ich mir sicher, dass es endgültig entschieden war. Ich seufzte schwer und wollte gerade wieder die Haustür zuschlagen, als meine Schwester angestürmt kam und mich wegschubste. „Oh mein Gott, Xander!", kreischte sie wie eine Irre, während ich mir über den Ellbogen rieb, mit dem ich gegen die Wand geknallt war. Da würde morgen sicher ein blauer Fleck zu sehen sein. Kopfschüttelnd betrachtete ich die Szene vor mir. Seit die beiden sich vor wenigen Tagen wieder vertragen hatten, kam er immer wieder mit solchen Gesten um die Ecke, bei denen mir ständig Übelkeit aufstieg. Doch Olivia fiel immer wieder darauf ein. Wie wenig Selbstbewusstsein hatte sie eigentlich? Deswegen fuhr sie nun wieder mit Xander zur Schule und ich mit Auden und Ben.
„Langsam habe ich es echt satt, ständig seine blöde Fratze vor unserer Tür zu sehen. Wenn Olivia mich weiter so aus dem Weg stößt, hat sie mir irgendwann den Arm gebrochen", sagte ich halb als Witz gemeint zu Auden. Wir saßen wieder auf unserer Brücke und aßen Donuts.
Mein Freund antwortete jedoch nicht. „Hast du mir zugehört?" Ich drehte mich zu ihm und sah, dass er gedankenverloren nach unten schaute. Ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Ist alles okay?"
Auden blickte mich an und blinzelte, ehe er mich anlächelte. „Ja."
Ich glaubte ihm kein bisschen. Bis gerade wirkte es so, als wüsste er gar nicht, wo er war. „Was ist los?"
„Nichts. Wieso fragst du?" Er behielt das Lächeln im Gesicht, was mich beruhigt hätte, wenn es seine Augen erreicht hätte. „Bitte spiel mir nichts vor, Auden. Ich dachte, über diesen Punkt wären wir schon längst hinaus."
Sein Lächeln verlor an Überzeugungskraft und er atmete tief durch. „Es ist nichts... Schlimmes. Es ist gerade nur ein bisschen viel." Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. „Aber das wird schon wieder", setzte er schnell hinterher, als er meine Miene sah.
Bevor ich etwas sagte, musterte ich ihn. Mein Freund sah so aus wie immer, doch irgendwas hatte sich über sein Gesichts gelegt. „Ist es..."
„Nur ein schlechter Tag, Cassie. Mehr ist es nicht", versuchte er mich zu beruhigen, doch das funktionierte nicht. Ich hatte mittlerweile genug von Audens schlechten Tagen mitbekommen, um zu wissen, dass es etwas anderes war. Nur wusste ich nicht, was.
„Wirklich, Cass. Ich verspreche dir, dass es wieder aufhört." Er nahm meine Hände und sah mich mit seinen blauen Augen durchdringend an.
„Du sollst es mir nicht versprechen, Auden, du sollst ehrlich zu mir sein."
Ein vorsichtiges Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich weiß. Aber ich halte dagegen. Ich kriege das schon hin."
Ich drückte seine Hände. „Wir kriegen das hin. Ich bin bei dir."
Er beugte sich vor und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Danke. Ich liebe dich." Auden legte einen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Eine ganze Weile sagte er nichts mehr und ich konnte nur noch seinen gleichmäßigen Herzschlag an meinem Ohr hören. Und ich war unglaublich froh, dass dieses Geräusch existierte.
*
Am nächsten Tag wartete ich auf Auden, doch stattdessen stand Ben plötzlich neben mir. „Hey, wo ist Auden?", fragte ich ihn und sah mich nach ihm um.
„Er wird nicht kommen."
„Wieso?"
Ben steckte beide Hände in die Hosentaschen und biss sich auf die Unterlippe. „Ihm geht's nicht so gut."
„Oh." Mehr konnte ich nicht sagen. Ich hatte ja gestern gesehen, dass er nicht ganz auf der Höhe zu sein schien, aber das hatte ich wohl unterschätzt.
„Ja. Er meinte, dass er sich etwas schlapp fühlt im Moment. Schau nicht so, Cassie. Das wird schon wieder", sagte er und verzog seine Lippen zu einem Lächeln. Genau das hatte Auden gestern auch gesagt. „Hm", brummte ich nur unbeeindruckt.
„Du weißt doch, wie er ist..."
„Ja", unterbrach ich ihn. „Schon klar."
Ben hob seine Hand und legte sie mir auf die Schulter. Ich sah zu ihm auf und erkannte ein ermutigendes Lächeln. „Er ist immer etwas niedergeschlagen, wenn er das Grab seines Dads besucht hat. Es dauert immer einige Tage, bis er wieder... na ja, bis er sich davon erholt hat."
„Also kann ich nichts tun?"
Er schüttelte den Kopf. „Auden braucht Zeit für sich, um seine Gedanken zu sortieren."
Ich war noch immer nicht überzeugt, aber Ben schien zu wissen, wovon er redete. Schließlich kannte er seinen Cousin schon sein ganzes Leben und wusste wohl am besten, wie er an solchen Tagen drauf war. „Er meldet sich bald bei dir, Cassie. Glaub mir."
Ich presste meine Lippen aufeinander und nickte. „Okay." Trotzdem nahm ich mir vor, ihm später eine Nachricht zu schreiben.
*
Bis zu meiner Nachhilfestunde bei Audens Onkel am Samstag habe ich Auden weder gesehen, noch mit ihm telefoniert. Stattdessen haben wir uns immer mal wieder geschrieben. Wobei seine Nachrichten eher spärlich waren, aber besser als nichts, redete ich mir ein. Die Nachhilfe lief so gut wie immer und es war fast schon komisch, zu sagen, dass Mathe mit Henry mir fast schon Spaß machte. Er war so viel besser als Xander, in jeglicher Hinsicht. Dabei störten mich seine Vorträge darüber, wie toll Zahlen doch und Mathematik doch seien auch nicht mehr. Im Gegenteil, sie brachten mich sogar zum Lachen.
„Danke, Henry. Wirklich, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir helfen." Wir waren gerade mit unserer Stunde vorbei und ich packte meine Sachen zusammen.
„Kein Problem, Cassie. Ehrlich, es ist schön zu sehen, wie junge Menschen Dinge verstehen, wenn ich sie ihnen erkläre", erwiderte er mit einem breiten Lächeln. Ich erwiderte es und schulterte meine Tasche. „Nächste Woche, gleiche Zeit?"
Er runzelte die Stirn. „Bleibst du nicht noch zum Essen hier?"
Bisher war es immer so, dass ich nach der Nachhilfestunde immer noch bei Auden war und wir später noch mit seiner Familie gemeinsam aßen. Und das tat ich wirklich gern, weil ich alle mochte, aber ich wusste nicht, ob Auden mich sehen wollte.
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht, ob er mich sehen will", antwortete ich leise.
„Warum sollte er das nicht wollen?"
„Ich... ähm... keine Ahnung, aber..."
„Geh zu ihm, Cassie. Er wird sich freuen", antwortet Henry sanft. „Auden freut sich immer, wenn er dich sieht." Sein Lächeln ermutigte mich schließlich doch, an die Zimmertür meines Freundes zu klopfen. Schon lustig, dass ich noch nie so nervös war, ihm gegenüberzutreten, obwohl wir mittlerweile so vertraut waren wie keine anderen Personen.
Ich wollte gerade wieder weggehen, als sich die Tür öffnete und Auden vor mir stand. Seine dunklen Locken hingen ihm im in die Stirn und er lächelte mich müde an. „Hey."
Erst als ich wieder seine Stimme hörte, fiel die ganze Befangenheit von mir ab und ich stürzte ich förmlich auf ihn. Ich sprang ihm in die Arme, sodass Auden fast umgefallen wäre, wenn er sich nicht im letzten Moment noch hätte halten können. „Nicht so stürmisch", hörte ich ihn lachend in meine Haare murmeln.
Doch ich ließ ihn nicht los. „Ich habe dich vermisst." Ich drückte ihn noch fester, ehe ich ihn wieder losließ und ihm ins Gesicht sah.
„Tut mir Leid. Ich habe dich auch vermisst, Cass." Wie sehr ich es liebte, wenn er meinen Spitznamen aussprach. Auden strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und beugte sich für einen Kuss nach unten.
„Ich dachte, du wolltest mich nicht sehen", sagte ich und trat einen Schritt zur Seite, um in sein Zimmer zu gelangen und blieb stehen. Es sah nicht mehr wie sein Zimmer aus. Überall lagen irgendwelche Dinge und Klamotten auf dem Boden verstreut. Kurz gesagt,es herrschte Chaos.
Mein Freund schloss seine Zimmertür und stellte sich vor mich. „Ich weiß, ich hätte aufräumen sollen." In seinem Gesicht spiegelte sich Beschämung wider, sodass er mir nicht einmal in die Augen gucken wollte.
Ich griff nach seinen Händen. „Ist schon okay. Wir können zusammen aufräumen, wenn du möchtest."
Mein Freund erwiderte meinen Blick. Ich konnte seine Emotionen nicht genau erkennen, doch schließlich nickte er. „Wenn es dir nichts ausmacht. Ich habe es irgendwie noch nicht geschafft."
Ich versuchte nicht daran zu denken, dass er die ganze Woche wahrscheinlich nicht sein Zimmer verlassen und nur rumgelegen hatte. Ihm jetzt einen Vortrag zu halten würden ihn nur noch schlechter fühlen lassen und das wollte ich nicht. Es war ja nicht so, als wollte er nicht aufräumen und was wäre ich für eine schlechte Freundin, wenn ich ihm nicht helfen würde, wieder auf die Beine zu kommen?
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