
𝗞𝗔𝗣𝗜𝗧𝗘𝗟 𝟮𝟳 - 𝗞Ü𝗦𝗦𝗘 𝗔𝗟𝗦 𝗦𝗖𝗛𝗡𝗨𝗟𝗟𝗘𝗥𝗘𝗥𝗦𝗔𝗧𝗭
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, saß Auden bereits aufrecht am Kopfteil des Bettes gelehnt und war mit seinem Handy beschäftigt. Auf seiner Stirn hatte sich eine Sorgenfalte gebildet. „Was ist los?", fragte ich und setzte mich auf.
Auden sah von seinem Handy auf und lächelte mich an. „Guten Morgen. Es ist nichts, keine Sorge." Gerne hätte ich ihm geglaubt, aber irgendwas sagte mir, dass es etwas gab, das er mir nicht erzählen wollte. „Du kennst mich, Auden, aber du vergisst immer wieder, dass ich dich auch kenne."
Sein Lächeln verrutschte. Seufzend fuhr er sich durch die Haare. „Okay, ich hatte eigentlich ein nettes Restaurant ausgesucht, aber das hat seit gestern Betriebsferien." Er klang sichtlich enttäuscht.
„Ist doch nicht schlimm. Dann gehen wir halt woanders hin", antwortete ich schulterzuckend.
Auden nickte zwar, schien aber trotzdem niedergeschlagen zu sein. Spielerisch knuffte ich ihm in den Arm und lächelte ihn an. „Jetzt mach dir doch deswegen keinen Kopf. Das wird uns sicher nicht den Tag vermiesen." Ich hoffte, ihn so etwas aufmuntern zu können, denn einen niedergeschlagenen Auden sah ich nur ungern. Zum Glück schlich sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Du hast recht. Es gibt noch genug anderes zu sehen." Er robbte zum Bettrand und streckte sich, bevor er aufstand. „Dann würde ich mal sagen, machen wir uns fertig und beginnen mit der Tour."
„Gute Idee", stimmte ich zu. „Du kannst dich schonmal fertig machen. Ich muss noch kurz meinen Eltern schreiben."
Auden warf mir einen kurzen Blick zu und schlenderte dann ins Badezimmer, während ich mein Handy nahm und sah, dass gestern noch Nachrichten eingegangen waren. Die erste war von Mom in der stand, dass sie froh sei, dass wir gut angekommen waren und mir morgen einen schönen Tag wünschte. Ich bedankte mich bei ihr und las die zweite Nachricht, die von Dad war. Es schrieb lediglich ein In Ordnung zurück und später noch Habt einen schönen Tag. Da seine zweite Nachricht etwas später geschrieben wurde, konnte ich mir gut vorstellen, dass Mom ihm gesagt hatte, dass er sowas schreiben sollte. Bei ihm bedankte ich mich ebenfalls und legte mein Handy wieder zur Seite. Ich stand auf und holte mir neue Klamotten aus dem Rucksack, während ich die von gestern dort verstaute.
Die Badezimmertür wurde aufgerissen und ich hob den Kopf, weil ich dachte, Auden war bereits fertig. Stattdessen stand er nur mit einem Handtuch um die Hüften im Raum und sah mich an. „Sorry, ich habe meine Klamotten vergessen", sagte er und suchte sich schnell etwas zum Anziehen.
Mit hochrotem Kopf tat ich so, als würde ich etwas in meiner Tasche suchen und hoffte, Auden sah meine Gesichtsfarbe nicht. Trotzdem spinnigste ich möglichst unauffällig zu ihm rüber. Zwar wusste ich schon, dass er Narben auf den Armen hatte, aber erst jetzt sah ich, dass er welche auf beiden hatte. Einige heller als andere. Trotzdem schreckte mich das nicht ab. Diesen Anblick war ich gewohnt, schließlich sah mein Arm nicht anders aus. Trotzdem war es nicht das, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Bisher hatte ich Auden immer nur in langer schwarzer Kleidung gesehen und jetzt stand er da mit nicht mehr als einem weißen Handtuch bekleidet. Plötzlich wurde mir warm und ich wandte meinen Blick endgültig ab. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie gut er eigentlich aussah.
Als er endlich alles zusammenfand, ging er zurück ins Badezimmer, blieb jedoch noch kurz davor stehen. „Ich bin gleich fertig, dann kannst du sofort rein."
„Gut", antwortete ich, meinen Blick immer noch in der Tasche versenkt.
„Ist alles okay?" Ich hörte, wie er einen Schritt näher kam.
„JA! Ähm..." Ich räusperte mich. „Ja, alles okay. Ich... ich suche nur mein Ladekabel." Wenn er mir jetzt auch noch helfen wollte, würde ich im Erdboden versinken. Er sollte einfach wieder zurück ins Badezimmer gehen und sich etwas anziehen.
„Ach so. Naja, falls du es nicht findest, kannst du meins nehmen. Das ist im vordersten Fach meiner Taschen." Ohne auf eine weitere Antwort zu warten ging er wieder ins Badezimmer, wobei ich ihn aber lachen hörte, als er die Tür schloss. Natürlich war ihm aufgefallen, wie peinlich mir das war. Frustriert schlug ich beide Hände vor mein Gesicht. Am liebsten hätte ich mich vor ihm versteckt, aber jetzt konnte ich es auch nicht mehr rückgängig machen. Jetzt musste ich einfach so tun, als wäre nichts passiert und hoffen, dass er es nicht mehr erwähnte.
Als er zehn Minuten später aus dem Badezimmer kam, lief ich herein und beeilte mich. Da ich nicht duschen musste, brauchte ich nur halb so lang und war somit nach 15 Minuten fertig. Ich atmete noch einmal tief durch und trat dann ins Zimmer. Mit einem wissenden Grinsen sah Auden mich an. „Hast du dein Ladekabel gefunden?"
„Idiot", murmelte ich mit roten Wangen und legte meine Sachen zur Seite.
Auden lachte laut und steckte sein Handy und sein Portemonnaie ein. „Du musst dich dafür nicht schämen, Cassie. Das ist eine ganz natürliche Reaktion, die ich auf Frauen habe."
„Ja, sicher. Halt den Mund und lass uns endlich losfahren", erwiderte ich augenverdrehend und ging auf die Tür zu.
Im Hotel frühstückten wir schnell etwas und machten uns dann auch schon in die Innenstadt auf. Portland war groß und es gab viel zu sehen. Es war ganz anders als San Francisco, aber deswegen nicht weniger schön. Auden parkte sein Auto auf einen Parkplatz und wir liefen ein bisschen durch die Stadt und kamen an neuen Geschäften und Restaurants vorbei, aber auch an älteren Gebäuden, die so aussahen, als wären sie fast eine Ewigkeit schon hier. Wir folgten der Straße weiter und kamen irgendwann an einen großen Platz. „Das ist der Pioneer Square", sagte Auden zu mir.
„Wenn unsere Stadt auch so einen Platz hätte, müssten wir uns vielleicht nicht immer auf der Brücke treffen", erwiderte ich und ließ meinen Blick über den Platz wandern. Er war wirklich riesig und sehr bunt. Viele Menschen saßen auf den Treppen und redeten miteinander, während andere die schönen Blumen auf dem Platz bestaunten.
„Apropos Brücke", begann Auden und stellte sich mit einem Grinsen vor mich. „Ich habe dir ja einen schönen Platz versprochen und den würde ich dir jetzt gerne zeigen."
„Wirklich, Auden? Schon wieder eine Brücke? Du hast echt 'ne komische Obsession mit diesen Dingern", erwiderte ich.
Er verdrehte die Augen. „Es geht nicht um die Brücke, Cassie. Aber das wirst du sehen, wenn wir da sind." Auden bat mir seinen Arm an, als wäre ich eine Prinzessin. Skeptisch musterte ich erst den Arm und dann ihn. „Okay, dann nicht. Ich wollte nur nett sein." Er nahm den Arm wieder runter und wir gingen zurück zum Auto.
„Und du bist wirklich sicher, dass du weißt, wohin du fahren musst?", fragte ich und betrachtete die Bäume um uns herum. Inzwischen hatten wir das Zentrum verlassen und waren anscheinend in einem Wald gelandet.
„Ja. Laut meinem Handy müssten wir jeden Moment da sein."
„Na dann." Überzeugt war ich immer noch nicht, aber ich wollte keine schlechte Laune verbreiten, also sagte ich nichts mehr.
Wir bogen auf einen Parkplatz. Als ich ausstieg fiel mir ein Schild mit der Aufschrift Multnomah Falls ins Auge und in meinem Kopf begann es zu rattern. Irgendwo hatte ich davon schon mal gehört, aber ich konnte mich nicht erinnern wo oder wer davon gesprochen hatte.
„Bereit, das Schönste zu sehen, was du je gesehen hast? Also abgesehen von mir natürlich." Auden sah mich begeistert an und ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln. Bisher war ich nicht gerade mal halb so aufgeregt wie er, aber ich bemühte mich, das nicht zu zeigen.
„Ob es deinen Anblick übertreffen kann, wage ich stark zu bezweifeln", gab ich sarkastisch zurück.
„Glaub mir, das, was du gleich sehen wirst, schafft es tatsächlich." Er klang so überzeugt wie noch nie.
„Na schön, dann zeig mir mal den schönsten Ort", sagte ich und Audens Augen begannen zu strahlen. Mit eifrigem Schritt ging er voran und ich folgte ihm.
*
Als wir nach einer Wanderung endlich an einer Brücke ankamen war ich so erleichtert, dass ich mich gerne kurz hingesetzt hätte, aber der Blick, der mir geboten war, ließ mich all die Erschöpfung vergessen.
Ich fand keine Worte, welche die Schönheit dieses Ortes auch nur ansatzweise beschreiben könnten. Wir standen mitten auf der Brücke und stützten uns auf dem Geländer ab. Auf einer Seite konnte man den langen Wasserfall sehen, der in einem Strahl von ganz oben nach unten verlief. Oben war der Rest des Waldes zu sehen, durch den wir eben gewandert waren. Wenn man den Blick direkt auf dem Fluss hatte, wirkte es fast, als würde man gegen eine Erd- oder Steinwand schauen, die auch grün geschmückt war. Unter der Brücke kam das Wasser des Wasserfalls zusammen und bildete eine kleine Quelle, die in einem kleineren Wasserfalls in einem größeren Becken floss, welches man auf der anderen Seite der Brücke sehen konnte und dort sogar fortfuhr.
„Gefällt es dir?", fragte Auden belustigt.
Ich war noch immer sprachlos und schüttelte den Kopf, als ich mich zu ihm drehte. „Es ist der Wahnsinn!" Wieder wandte ich meinen Blick dem Wasserfall zu. „Es ist einfach wunderschön."
„Genau wie du", erwiderte er.
Ich sah ihn an. Auden lächelte. Aber nicht mit seinem typisch charmanten Lächeln wie sonst. Diesmal schien es ehrlicher und irgendwie intimer. Als würde er nur mich so ansehen. In meinem Magen regte sich etwas, genauso wie gestern, als ich ihm erzählte, dass ich ihm vertraute. „Sag doch sowas nicht", murmelte ich. Zu einer lauteren Antwort fehlte mir die Kraft.
„Wieso nicht? Es ist die Wahrheit und ich wollte nur, dass du es weißt." Er trat einen Schritt auf mich zu. Ich blieb stehen und spürte wie mein Herz plötzlich schneller schlug.
„Ich fand dich schon von Anfang an schön, aber ich habe es dir nie gesagt." Mit seinen strahlenden blauen Augen sah er mich an. Er betrachtete mich, obwohl um und herum der schönste Wasserfall war, den es vielleicht je gegeben hatte.
„Auden..." flüsterte ich, doch meine Worte blieben mir im Hals stecken. Plötzlich fühlte ich mich wie benebelt und konnte nur noch an eine Sache denken. Ich trat noch näher an ihn, sodass weniger als ein Schritt uns trennte und stellte mich langsam auf Zehnspitzen. Gespannt wartete Auden und bewegt sich nicht. Ich sah in seine Augen, schloss meine und legte meine Lippen auf seine.
Es war nur ein kurzer Kuss, doch selbst in den wenigen Sekunden, die er dauerte, explodierten meine Gefühle in mir. Als ich mich von ihm löste, öffnete ich atemlos meine Augen und sah wieder in seine. Er schien genauso überrascht zu sein wie ich. Ich lächelte ihn schüchtern an und Auden erwiderte es mit einem breiten Grinsen, das bis zu seinen Augen reichte. Sanft umfasste er mein Gesicht mit seinen Händen, bückte sich zu mir und küsste mich.
Ich schaltete meinen Verstand aus und gab mich dem Kuss hin. Audens Lippen waren so weich und warm und plötzlich fragte ich mich, warum ich ihn nicht schon früher geküsst hatte. Meine Beine wurden wackeliger, je inniger der Kuss wurde, sodass ich mich an Audens Armen festhielt, um nicht auf den Boden zu sacken. Ich wusste nicht, was in meinem Inneren passierte, aber ich wusste, dass ich am liebsten weitergemacht hätte. Doch irgendwann lösten wir uns voneinander und blickten uns in die Augen. Noch nie hatte ich Audens Augen so strahlen sehen. Mein Herz schlug immer noch so schnell, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Ich nahm nur noch sein wunderschönes Gesicht wahr, bis wir ein Räuspern hinter uns hörten.
Wir drehten uns um. Eine junge Frau, wahrscheinlich Mitte 20, streckte uns lächelnd ein Foto entgegen. „Ihr saht eben so süß aus, da musste ich einfach ein Bild machen." Auden nahm es an und wir betrachteten es. Auf dem Bild waren wir beide zu sehen, wie wir uns küssten und hinter uns war der Multnomah Falls zu sehen. Schon ohne uns war dieses Bild wunderschön, aber mit uns beiden zusammen war es einfach nur perfekt. Ich lächelte die Frau an, die sichtlich stolz auf ihr Bild war. „Vielen Dank."
„Gerne. Ich konnte einfach nicht widerstehen", erwiderte sie ein bisschen beschämt.
„Umso besser. Sie haben wirklich Talent", bewunderte Auden.
Sie wurde ein wenig rot im Gesicht. „Danke. Dann wünsche ich euch noch viel Glück." Die Frau drehte sich mit einem vielsagenden Grinsen um und ging davon. Ich fragte mich, ob sie vielleicht wusste, dass dies eben unser erster Kuss war und sie uns deswegen Glück wünschte.
Ich sah ihr hinterher, als Auden mich anstupste. „Das hänge ich mir in mein Zimmer."
„Was?" Ich drehte mich zu ihm. „Vielleicht will ich ja dieses Bild."
„Ich würde es dir wirklich gerne überlassen, liebste Cassie, aber ich fürchte, dass ich sonst den Beweis verlieren würde, der zeigt, wie sehr du mich wirklich magst", sagte er neckend. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. „Ah, du wirst ja schon rot." Auden grinste blöd und ich boxte ihn gegen den Arm. „Halt den Mund."
„Würdest du mir dabei helfen? Ich glaube, alleine schaffe ich das nicht." Ich wusste genau, was er vorhatte, aber darauf würde ich nicht einsteigen. „Schade aber auch. Vielleicht sollten wir später in die Stadt fahren und dir einen Schnuller kaufen."
Audens Grinsen gefror und ich begann zu lachen. „Endlich habe ich es geschafft, einen Konter zu finden, die dich sprachlos macht." Auden hatte wirklich immer einen Spruch auf der Zunge, aber dieses Mal blieb er stumm und sah mich verdattert an.
„Der nächste Supermarkt hat bestimmt einen passenden Schnuller für dich. Obwohl ich bezweifle, dass es welche in schwarz gibt", fügte ich hinzu.
Auden nahm mich in seine Arme und ich quiekte überrascht auf. „Ob du es glaubst oder nicht, als Kind hatte ich wirklich einen schwarzen Schnuller", sagte er und legte mir eine Hand leicht in den Nacken. Zu meinem Nachteil begann ich zu kichern und mich zu krümmen, was Auden das Signal gab, leicht mit seinen Fingern darüber zu streichen. Eigentlich war ich kein kitzeliger Mensch, aber diese Stelle war leider eine von wenigen, die mich schwach machten. Und Auden hatte eine davon gerade gefunden.
„Ah, Cassie Williams ist da also kitzelig", sprach er neckend in mein Ohr und schien meine Reaktion sichtlich zu genießen.
„N... Nein, bin... bin ich... nicht. Bitte... hör auf... ich kann nicht...", stieß ich zwischen meinem Lachen hervor. Ich kicherte genauso dämlich wie ein Mädchen, das versuchte mit einem Jungen zu flirten.
Mit einem Lachen hörte Auden endlich auf und ich atmete erleichtert auf. Ich wandte mich aus seiner Umarmung und brachte genug Abstand zwischen uns, sodass er keine Chance mehr hatte, mich nochmal zu erwischen.
Doch er versuchte es nicht noch einmal. Stattdessen lächelte er mich an. „Was ist?", fragte ich unsicher.
„Ich mag dein Lachen."
„Okay, jetzt reicht's aber damit", ermahnte ich ihn, spürte aber, dass ich rot wurde. Verdammt, was war los mit mir?
„Ich habe auf einen weiteren Kuss gehofft", erwiderte er und lächelte schief. Ich verdrehte die Augen. „Hätte ich das mal gelassen."
„Oh nein, ich bin froh, dass du es getan hast, Cassie." Auden legte einen Arm um mich und zog mich weiter. Spätestens als ich seinen Arm um mich hatte wurde mir klar, dass ich mehr für ihn empfand, als eine Freundin vielleicht sollte.
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