
𝗞𝗔𝗣𝗜𝗧𝗘𝗟 𝟮𝟲 - 𝗨𝗡𝗧𝗘𝗥𝗪𝗘𝗚𝗦 𝗠𝗜𝗧 𝗡𝗜𝗖𝗛𝗧-𝗝𝗘𝗦𝗦𝗜𝗖𝗔
Direkt, nachdem ich die Nachhilfestunde mit Xander überlebt hatte, lief ich nach oben und packte alles, was ich für die nächsten Tage brauchte in einen Rucksack. Auden hatte mir gestern eine Nachricht geschrieben in der stand, dass er sofort nach der Schule zu mir fahren und wir dann direkt nach Portland fahren würden.
Wie immer war meine Schwester dieses Mal auch wieder anwesend. Doch heute hatte sie keinen Laptop dabei, sondern ihr Mathebuch und sie setzte sich nicht gegenüber von uns, sondern sie nahm einen Stuhl und stelle diesen neben Xander, sodass sie ja auch neben ihm sitzen konnte. Wobei sie sich eigentlich auch auf seinen Schoß hätte setzten können, so nah wie sie ihm war. Inzwischen kam ich etwas besser mit den Blicken klar, die Olivia ihm zuwarf, aber ihr auch noch zuzusehen, wie sie sich an ihn ranschmiss, war mir ehrlich zu viel. Immer, wenn ich meine Aufgaben bearbeitete, half Xander ihr, obwohl ich wusste, dass sie eigentlich keine Hilfe brauchte und ich war mir ziemlich sicher, dass er das auch wusste. Aber meine Schwester spielte ein hilfloses Mädchen, das ohne ihren Matheprinzen die Aufgabe nicht schaffte und Xander liebte das. Eine Situation, in denen er zwei Mädchen helfen konnte musste ihm da doch wie ein Traum vorkommen.
Ich sagte ja, dass ich froh war, Xanders Aufmerksamkeit los zu sein, da er sich nun auf Olivia konzentrierte, aber auch, wenn wir keine besten Freundinnen waren, machte ich mir Sorgen um sie. Es war überdeutlich, dass sie Xander sehr mochte, aber seine Motive zweifelte ich an. Ich kannte sein wahres Wesen und wie er war, wenn er mit meiner Schwester umging. Das war nicht er. Xander Matthews war ein Heuchler, doch niemandem außer mir schein das aufzufallen. Alle anderen hatte er bereits geblendet.
Immer mal wieder ließ ich meinen Blick zu den beiden herüber wandern und bemerkte, dass ihm die Situation wirklich gefiel. Andauernd betatschte er meine Schwester auf irgendeine Art. Meistens strich er ihr über den Arm oder lehnte sich näher zu ihr rüber, was eigentlich überflüssig war. Genau das tat er bei mir auch immer und ich fragte mich, wie das wohl von außen aussehen musste. Wie mein starres Dasitzen und Xanders pseudo nettes Lächeln wirkten. Olivia hingegen wirkte wie das glücklichste Mädchen der Welt. Ihr gefielen seine Berührungen, also lehnte sie sich diesen noch mehr entgegen. Übelkeit stieg in mir auf, aber ich versuchte mich auf meine Aufgaben und die kommenden Tage zu konzentrieren. Wenn ich endlich in Portland war, konnte ich meinen Kopf abschalten und musste nicht mehr an das hier denken. Immer wieder redete ich mir ein, dass Olivia Xanders Berührungen zuließ, weil sie es wirklich wollte.
Am Abend riefen Mom und Dad mich nochmal nach unten. Ich befürchtete, dass sie mir jetzt mitteilen würden, dass sie mich doch nicht fahren ließen. Deshalb schlich ich langsam und mit gesenktem Kopf ins Wohnzimmer, wo die beiden auf dem Sofa saßen.
„Setz dich, bitte", bat Mom und ich setzte mich auf den Sessel gegenüber.
„Morgen ist der große Tag." So wie Mom es sagte, hätte man denken können, ich würde morgen heiraten. „Wir wollten dir nur noch einmal viel Spaß wünschen und dir sagen, dass du bitte auf dich aufpassen sollst." Sie lächelte mich an und ich erwiderte es vorsichtig. Da sie angefangen hat zu reden, würde als nächstes etwas von Dad kommen. Die Anspannung lag bereits in der Luft.
„Zum einen das, was deine Mutter gerade gesagt hat und anderen möchten wir dich daran erinnern, dein Handy eingeschaltet zu lassen und dich zu melden. Auch, wenn es Probleme gibt. Wir sind zwar weit weg, aber wir werden trotzdem unser bestes tun, um dir zu helfen." Seine Stimme klang sachlich wie immer, doch ich kannte ihn mittlerweile 17 Jahre und wusste, dass da ein kaum erkennbarer Unterton Sorge mitschwang. Aber es war nicht die Art von Sorge, die er zeigte, wenn ich eine schlechte Note geschrieben hatte. Es war die Art von Sorge, die ein Vater hatte, wenn seine Tochter für ein Wochenende wegfuhr und er Angst hatte, dass ihr etwas zustoßen könnte. Ich musste ein Lächeln unterdrücken. Ich hatte nicht gedacht, dass ich ihm doch so wichtig war.
Dad räusperte sich. „Jedenfalls wollten wir dir auch noch etwas mit auf den Weg geben." Er griff hinter sich und überreichte mir ein Bündel Scheine. Ich nahm es entgegen und schaute überrascht zwischen Mom und Dad hin und her.
„Dann kannst du dir in Portland etwas schönes kaufen und du kannst Jessica und ihre Tante mal zu Essen einladen", warf Mom ein.
Ich setzte ein Lächeln auf. „Ja, das ist eine gute Idee." Die Lüge schmeckte immer bitterer auf meiner Zunge. „Dann gehe ich mal ins Bett, damit ich morgen ausgeschlafen bin." Ich stand auf, blieb aber noch kurz im Türrahmen und drehte mich zu meinen Eltern um.
„Danke. Gute Nacht." Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte ich mich wieder um und rannte nach oben in mein Zimmer.
*
„Bereit?", fragte Auden mich grinsend am nächsten Tag, als er vor der Tür stand.
„Bereiter geht gar nicht." Wir gingen zu seinem Auto und ich stellte meine Tasche in den Kofferraum zu seiner. Wir setzten uns rein und der vertraute Geruch von Minze und Rauch drang sofort in meine Nase. Ich schnallte mich an und wartete darauf, dass Auden endlich losfuhr. Stattdessen lächelte er mich an.
„Habe ich was im Gesicht?", fragte ich und wusch mir mit der Hand quer durchs Gesicht.
„Nein. Da ist alles an der richtigen Stelle. Freust du dich?"
Ich nahm meine Hand weg und tat so, als müsste ich überlegen. „Naja, wird schon schief gehen, nicht wahr?"
„Absolut. Mit mir hast du das größte Glückslos gezogen, das es überhaupt gibt, Cassie." Manchmal fragte ich mich, ob er solche Äußerungen wie diese wirklich ernst meinte, oder ob sie nur Witze waren. Seinen Sarkasmus konnte man nicht immer so genau heraushören. Und doch konnte ich nicht leugnen, dass er recht hatte.
„Ja, schon klar. Wir sollten langsam los, sonst verspätet sich unsere Ankunft immer weiter."
„Du hast recht", bestätigte Auden. „Und wir wollen ja nicht, dass Tante Lydia sich um ihre Nichte Jessica und deren Freundin Cassie sorgt."
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Tante Lydia mag keine Verspätungen."
„Und Jessica mag Tante Lydia nicht."
„Und Tante Lydia ist plötzlich verreist."
„Und Nichte Jessica und ihre Freundin Cassie müssen sich somit eine andere Unterkunft suchen."
„Aber gut, dass Nichte Jessica bereits ein Doppelzimmer in einem sehr guten Hotel gebucht hat. Als hätte sie es gewusst."
Auden stieß einen Lacher aus, als er den Motor startete. „Und dann outete sich Nichte Jessica plötzlich als Neffe Auden."
Gespielt geschockt schlug ich eine Hand vor den Mund. „Oh nein! Wie konnte das nur passieren?"
Mit einem schiefen Grinsen sah Auden mich kurz an und dann wieder die Straße. „Deswegen kommen wir sicher in die Hölle."
„Aber dafür hatten wir ein paar schöne Tage."
„Die werden wir haben, verlass dich auf mich. Ich hab mir die schönsten Plätze ausgesucht, die Portland zu bieten hat." Und daran zweifelte ich kein bisschen.
*
Wir waren einige Stunden unterwegs und brauchten länger als gedacht. Wie es schien, hatten nicht nur wir die Idee, für ein Wochenende wegzufahren. Deshalb war ich mehr als froh, als wir endlich unseren Zimmerschlüssel in der Hand hielten und die Tür zu unserem Hotelzimmer öffnen konnten. Wie jedes normale Hotelzimmer war es schlicht eingerichtet: ein kleines Badezimmer mit Toilette, Waschbecken und Dusche, ein kleiner Tisch mit Stühlen an der Seite, einen recht großen Fernseher an der Wand, ein Schrank für unsere Sachen und schließlich noch das Doppelbett mit jeweils einer kleinen Kommode an jeder Seite. Ich blieb stehen und betrachtete alles.
„Nur mal so als kleine Erinnerung, du hast um ein Doppelzimmer gebeten", sagte Auden eindringlich und musterte mich von der Seite.
Ich bemühte mich, ruhig und cool zu bleiben, auch wenn ich in Wirklichkeit irgendwie nervös war. Mit einem lässigen Lächeln drehte ich mich zu ihm. „Ich weiß. Aber danke, dass du mich nochmal daran erinnert hast."
Audens Lippen verzogen sich zu einem vorsichtigen Lächeln. Meine Bitte um ein Doppelzimmer schien ihn wohl noch unsicherer zu machen, als erwartet. Um eine eventuell peinliche Stille zwischen uns zu vermeiden, ergriff ich sofort wieder das Wort. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne die rechte Seite nehmen."
Auden atmete erleichtert auf. „Natürlich nicht. Puh, ich dachte schon, jetzt würde ich Bekanntschaft mit deinem starken rechten Haken machen."
Ich kicherte. „Nein, bisher standest du nur kurz davor, aber nicht wegen sowas. Keine Sorge, ich habe gesagt, das geht in Ordnung." Ich sah ihm direkt in die blauen Augen und schluckte, bevor ich die nächsten Worte aussprach. „Ich vertraue dir, Auden." Meine Stimme war mehr ein Flüstern, aber so ehrlich, wie es mir mit ihm stand, war ich noch nie.
Auden erwiderte meinen Blick und zum ersten Mal erkannte ich mehr, als nur sein typisches Auden-Lächeln. Es hatte etwas Tieferes in sich, das ich nicht deuten konnte. „Dass du das sagt, bedeutet mir viel, Cassie."
Plötzlich sah ich Auden in einem ganz anderen Licht. Ich sah nicht mehr den nervigen und sarkastischen Auden Rivers, der immer ein Grinsen auf den Lippen hatte. Plötzlich sah ich einen Jungen, mit strahlenden blauen Augen, die mich anlächelten und schwarze Locken, die ihm in die Stirn fielen. Aber vor allem sah ich einen Menschen, der mich nie enttäuschen oder mir wehtun würde. Jemandem, dem ich vertrauen und auf dem ich zählen konnte.
Ich wandte meinen Blick ab und räusperte mich, um der Situation ein wenig die Peinlichkeit zu entziehen. „Okay... dann gehe ich mal duschen." Ich stellte meine Tasche neben meine Seite des Bettes, nahm alles raus, was ich brauchte und verschwand im Badezimmer.
Nachdem ich mich geduscht und die Zähne geputzt hatte, ging ich zurück ins Zimmer. Auden lag bereits auf seiner Seite des Bettes und schien schon eingeschlafen zu sein. Leise tippelte ich auf meine Seite zu und legte meine Sachen auf den Rucksack. Morgen würde ich das alles ordentlich verstauen, aber heute ich war ich zu müde dafür. Ich schlug die Bettdecke auf und legte ich ins Bett. Danach griff ich nach meinem Handy, das ich auf die Kommode gelegt hatte und schrieb sowohl Mom als auch Dad, dass wir mittlerweile angekommen waren und jetzt auch ins Bett gingen, weil wir sehr müde waren. Dann sperrte ich es wieder und legte mich hin. Ich war mir deutlich bewusst, dass Auden neben mir lag und das nicht nur, weil ich seine gleichmäßig Atemzüge hörte. Doch im Gegensatz zu letztem Mal, machte es mir diesmal wirklich nicht aus.
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