
𝗞𝗔𝗣𝗜𝗧𝗘𝗟 𝟭𝟯 - 𝗔𝗟𝗟𝗘 𝗟𝗜𝗘𝗕𝗘𝗡 𝗫𝗔𝗡𝗗𝗘𝗥
„Ich hatte schon Angst, dir wäre etwas zugestoßen", sagte Xander, als Olivia und ich am Montagmorgen in seinen Wagen stiegen. Sofort stieg mir wieder der widerliche vertraute Geruch von Apfel in die Nase und ich wünschte, ich würde wieder in Audens Camaro sitzen. Als ich mich auf die Rückbank niederließ und gerade den Anschnallgurt in die Hand nehmen wollte, sah ich, wie er mir im Rückspiegel einen Blick zuwarf, der wohl Sorge ausdrücken sollte. Aber ich konnte ebenfalls eine gewisse Verärgerung darin erkennen, da ich ihm nicht abgesagt hatte und er am Samstag wohl vor verschlossener Tür stand. Ein Schauer durchfuhr mich und ich schnallte mich schnell an.
„Nein, mir geht's gut." Ich spürte seinen Blick noch weitere Sekunden auf mir und war erleichtert, als er sich dann endlich wieder dem Autofahren widmete, da ich ihm nämlich wirklich keine Entschuldigung liefern wollte, die er sowieso nicht verdiente.
Als wir endlich parkten und ich die Tür öffnete, kam es mir so vor, als könnte ich endlich wieder atmen. Ich schulterte meine Tasche, als mich plötzlich jemand am Arm packte. „Wo warst du am Samstag?", raunte Xander mir ins Ohr.
Sofort zuckte ich zusammen. Ich wandte mich aus seiner Berührung und strich meine Jacke glatt. „Nicht zu Hause."
Seine dunklen Augen blickten auf mich herab. Sofort fühlte ich mich noch kleiner als ich sowieso schon war. „Ich weiß, Cassie." Ich hasste es, wie er meinen Namen aussprach. Am liebsten hätte ich ihm diesen aus dem Mund genommen. „Ich habe eine halbe Stunde vor der Tür gewartet und alle angerufen, nur um dann von Olivia zu erfahren, dass du in San Francisco bist. Was zur Hölle wolltest du in San Francisco? Und mit wem warst du überhaupt da?" Ich wusste was er meinte, ohne dass er es aussprechen musste: Du hast doch sowieso keine Freunde. Und ganz so falsch lag er damit nicht.
Er wurde immer wütender und ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen. Sein fordernder Ton verschlug mir die Sprache. Ich hatte viel zu große Angst, eine falsche Antwort zu geben. Xander hatte mich noch nie geschlagen oder mir gedroht, doch sein dunkler Blick ließ Angst in mir aufsteigen, dass er dazu doch in der Lage war.
„Das ist deine Mathenote, Cassie, nicht meine. Ich wollte dir wirklich helfen, aber wenn du meine Hilfe nicht willst", er zuckte mit den Schultern. „Dann musst du eben durchfallen."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als Matt Washington nach ihm rief. „Ich komme", gab Xander mit einem falschen Lächeln zurück, das Übelkeit in mir aufstiegen ließ. Bevor er seinen Freunden hinterher lief, warf er mir noch einen Blick zu und verschwand.
Allein und mit klopfendem Herzen blieb ich an seinem Auto stehen. Zitternd lehnte ich mich dagegen und kämpfe gegen den Drang, zu weinen. Wäre ich doch nur in San Francisco geblieben.
*
Wie erwartet, lief meine Matheklausur nicht gerade blendend, aber ich war mir sicher, dass ich trotzdem bestanden hatte. Und ehrlich gesagt reichte mir das vollkommen. Da ich jetzt keine Nachhilfe mehr hatte, würde ich nun auf mich alleine gestellt sein, aber das machte mir nichts. Ich würde mich da schon alleine durchkämpfen.
„Miss Williams." Irritiert drehte ich mich um und sah Auden, der im Türrahmen angelehnt stand. Ich ging auf ihn zu. „Dir ist aber schon klar, dass du das Schulgelände eigentlich nicht betreten darfst, oder?"
Er grinste. Wie immer. „Dessen bin ich mir bewusst, ja. Aber wie du auch weißt, ist mir das egal. Ich bin so oft hier, dass die Leute schon denken, ich gehöre hierhin."
Ich schüttelte den Kopf. „Du bist doch echt..."
„Unverbesserlich? Ja, da hast du vollkommen recht." Ihm verging das Grinsen. „Gab es Ärger?"
„Ja, aber ich werde es überleben. Hausarrest ist nicht das Ende der Welt." Denn genau das war das letzte, das Dad mir gestern hinterher gebrüllt hatte, ehe ich in mein Zimmer verschwunden war.
„Dann kann ich mir ein gemeinsames Mittagessen also abschminken?"
„Jap. Ich muss sofort nach der Schule nach Hause. Meine Eltern warten extra auf mich", erwiderte ich augenrollend. Sie fuhren nun morgens früher zur Arbeit, nur um auch früher wieder Zuhause zu sein und zu kontrollieren, ob ich mich an meinen Hausarrest hielt. Was für ein Schwachsinn.
Auden nickte, bis er das Gesicht verzog. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Hast du ein Stück Papier und einen Stift?"
„Nein", antwortete ich, meinen vollen Schulrucksack mit allen wichtigen Utensilien drin auf dem Rücken.
Amüsiert zog Auden beide Augenbrauen nach oben. „Okay. Zufälligerweise habe ich einen Stift in meiner Tasche. Papier brauche ich sowieso nicht. Gib mir mal deinen Arm." Er griff danach, doch ich zog ihn schnell wieder zurück. „Nein! Nimm lieber ein Stück Papier. Hier." Ich holte einen Papierschnipsel aus meiner Jackentasche und gab ihn Auden.
„Wieso machst du es uns eigentlich immer so schwer?" Er kritzelte etwas darauf und gab ihn mir wieder.
„Deine Handynummer?", fragte ich skeptisch.
„20 Punkte für Gryffindor", verkündete er fröhlich. Aus ihm sollte doch mal jemand schlau werden.
„Ruf mich an, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt." Mit einem letzten Zwinkern verließ er die Schule. Verwirrt sah ich ihm hinterher.
*
Als ich später am Nachmittag zu Hause an meinen Hausaufgaben saß, wurde ich plötzlich von meinen Eltern gerufen. Zuerst reagierte ich nicht, weil ich ehrlich gesagt keine Lust auf weiteren Ärger hatte, doch als ich meine Mom dieses Mal rufen hörte, wusste ich, dass ich es lieber nicht ignorieren sollte. Vielleicht war etwas passiert. Ich stand auf und ging mit langsamen Schritten nach unten. Mit jedem weiteren Schritt, stieg ein ungutes Gefühl in mir. Ich hoffte nur, dass niemand gestorben war.
Da ich niemanden in der Küche fand, ging ich ins Wohnzimmer und blieb sofort wie angewurzelt stehen, als ich Xander auf unserem Sofa sitzen sah.
„Da bist du ja endlich! Deine Mutter hat dich schon zwei Mal gerufen", tadelte Dad. Ich versuchte ein Augenrollen zurückzuhalten und atmete stattdessen nur tief ein und wieder aus. „Ich bin ja jetzt hier."
Dad wollte etwas darauf antworten, hielt sich aber zurück. „Gut. Wir haben etwas zu besprechen. Setz dich bitte." Mit seiner Hand deutete er auf den Sessel gegenüber von Xander. Widerwillig ließ ich mich darauf sinken. Meine Eltern setzten sich auf das Sofa und blickten mich beide mit enttäuschter Miene an. Ich fragte mich, ob sie im Bezug auf mich auch mal lächeln konnten.
Dad ergriff das Wort. „Xander erzählte uns, du hättest ihm gesagt, dass du keine Nachhilfe mehr von ihm haben möchtest." Blitzschnell glitt mein Blick zu Xander. Er sah mich nur ausdruckslos an. „Wieso?", fragte Mom nun. „Er ist dir doch eine große Hilfe, oder nicht?"
Ich konnte ihr nicht antworten. Ich konnte es nicht glauben. Er hatte meine Eltern angelogen.
Ich öffnete meinen Mund um zu protestieren, als Xander sprach. „Sie meinte, sie würde alleine besser klarkommen." Meine Kinnlade fiel mir fast auf die Knie. Mom und Dad sahen ihn an. Er log, ohne mit der der Wimper zu zucken. Dazu packte er noch ein bisschen Enttäuschung in seine Stimme und fertig war die perfekte Lüge.
Meine Eltern wandten sich wieder mir zu. Mom sah enttäuscht aus, während Dad die Wut wie ins Gesicht geschrieben stand. Wieder blickte ich zu Xander, der immer noch diesen Gesichtsausdruck hatte. Ganz ehrlich, ich begann zu verstehen, warum meine Eltern ihm glaubten. Er hatte diese braunen Hundeaugen, die einen schwach machen können, mich aber nur noch in rage brachten.
„Cassandra?", fragte Dad und ich sah wieder zu ihm. „Du weißt doch, dass du deine Mathenote nicht alleine halten kannst und Xander hilft dir nun schon sehr lange. Warum lässt du ihn jetzt im Stich?" Wie bitte? Ich lasse ihn im Stich? Das sollte doch wohl ein Witz sein! „Ihr hattet am Samstag auch noch ein Treffen, aber du warst ja nicht da und hast noch nicht einmal abgesagt."
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. „Ich..."
„Du möchtest doch einen guten Schulabschluss, oder nicht? Du möchtest doch eine gute Zukunft haben, oder?" Dads Ton wurde immer harscher und ich spürte, wie meine Hände zu zittern begannen.
„Schon in Ordnung, Mr Williams", schaltete Xander sich nun mit falscher Freundlichkeit ein. „Wir können es ja nochmal versuchen, Cassie. Vielleicht wie immer, am Samstag?"
„Das ist wirklich sehr nett von dir, Xander", sagte Dad anerkennend und sah mich daraufhin an, als wollte er sagen warum bist du nicht mehr wie er?
Wut trieb mir Tränen in die Augen. Es war einfach unfair. Verdammt nochmal unfair! „Aber Dad...", versuchte ich, doch er hob die Hand. „Sie nimmt dein Angebot natürlich gerne an, Xander. Vielen Dank und wir entschuldigen uns für diese Unannehmlichkeiten."
Xander setzte wieder sein Lächeln auf. „Das ist doch selbstverständlich, Mr Williams. Schon in Ordnung. Vielleicht ist Cassie momentan nur ein wenig verwirrt."
Was um alles in der Welt fällt ihm ein?! Was...? Wie...?
Ich spürte Moms Blick auf mir, doch ich nahm sie nicht richtig war. Ich war viel zu sehr auf Xander fixiert. Nein. Nein nein nein. Bitte lass das nur ein Albtraum sein.
„Ich finde auch, dass Cassandra sich bei dir entschuldigen sollte", hörte ich Dad sagen, doch ich reagierte nicht. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Würde ich jetzt nicht sofort aus diesem Raum rauskommen, würde ich vor meinen Eltern und Xander heulen und diese Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Also stand ich auf und lief nach oben in mein Zimmer. Hinter mir schlug ich die Tür zu. Mein Dad rief noch nach mir, aber ich ignorierte ihn.
Ich ließ mich auf den Boden vor meinem Bett fallen und ließ den Tränen freien Lauf. Völlig aufgelöst zog ich meine Knie an die Brust und schlang meine Arme um sie. Es war mir egal, ob ich diesmal laut schluchzte oder nicht. Sollten sie es doch auch mal hören. Aber das taten sie nicht. Das taten sie nie.
Als ich mich irgendwann wieder beruhigt hatte, hob ich meinen Blick und wusste sofort, was mir helfen konnte. Ich stand auf und ging auf meinen Schreibtisch zu, als ich hörte, wie ein Zettel auf meiner Tasche fiel. Ich hob ihn auf und seufzte. Audens Zettel hatte ich komplett vergessen. Einen kurzen Moment starrte ich darauf und überlegte tatsächlich, ihn anzurufen, doch schnell besann ich mich wieder. Warum sollte ich das tun? Es war ja nicht so, als wären wir Freunde. Oder? Anderseits war mein eigentlicher Plan nicht wirklich besser.
Ohne weiter nachzudenken, hatte ich seine Nummer bereits gewählt. Nach kurzem Klingeln ging er ran. „Hallo?" Sobald er sprach, bereute ich meine Entscheidung, ihn angerufen zu haben. „Hallo? Ist jemand da?"
Ich wollte wieder auflegen, als er meinen Namen sagte. „Cassie?" Shit. „Bist du das? Was ist passiert?" Seine Tonlage veränderte sich und er klang plötzlich angespannt.
„N-Nichts", antwortete ich. Aus irgendeinem Grund wurde ich plötzlich nervös. „Ich weiß auch nicht, warum ich angerufen habe." Ich wusste ehrlich nicht, warum ich das getan hatte, aber nun war es zu spät.
Kurz herrschte Stille am anderen Ende der Leitung und ich dachte zuerst, die Verbindung wäre abgebrochen, aber die war noch stabil. „Okay", meldete Auden sich schließlich. Wieder Stille. „Ich wusste ja, dass du anrufen würdest, aber ich dachte nicht, dass es sofort sein würde." Er sagte das so selbstüberzeugt wie immer, sodass es mich zum Lachen brachte.
„Wie schön, dich lachen zu hören. Aber du weißt ja mittlerweile, welchen Effekt ich auf Frauen habe."
Ich lachte auf. „Ja, klar. Du bist unwiderstehlich", sagte ich, sodass man meinen Sarkasmus nicht überhören konnte.
„Endlich siehst du es ein."
„Idiot." Grinsend schüttelte ich meinen Kopf.
„Also, wie geht's dir?"
Das Grinsen verging mir und ich erinnerte mich wieder an Xander und meine Eltern. Wie konnte er es wagen, meine Eltern anzulügen? Nicht ich wollte mit der Nachhilfe aufhören, sondern er! Das hat er mir heute Morgen noch gesagt und jetzt das?! Warum musste er damit unbedingt zu meinen Eltern gehen? Hätte er mir das nicht direkt sagen können? Und dann ließ Dad mich nicht einmal ausreden. Meine eigenen Eltern glaubten Xander - einem Fremden - mehr als ihrer eigenen Tochter!
„Bist du noch dran?"
„Äh ja. Ja, ich bin noch dran." Ich setzte mich auf mein Bett und umklammerte mein Handy, als wäre es ein Anker. „Lass uns doch über etwas anderes reden", schlug ich vor und hoffte, er würde mitziehen. Was er natürlich tat. „Ja, okay. Worüber möchtest du denn reden?"
Ich überlegte kurz. „Hm... wie wär's, wenn du mir ein bisschen von deinem Leben in San Francisco erzählst? JJ hat mir schon einiges berichtet und es würde mich interessieren, ob das alles wahr ist oder ob es nur ausgedachte Geschichten sind."
„Oh, Cassie, glaub mir. Das ist alles wahr", erwiderte er verschwörerisch und begann zu erzählen.
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