20. Kapitel
Ich sehe wie sie hart schluckt, wie sie meine Lippen starr mit ihrem Blick fixiert, wie sie angestrengt ihre Beine zusammen presst. Ihr fällt es ebenso schwer sich zurückzuhalten, sich zu beherrschen und die Kontrolle zu bewahren. Sich nicht von den Gefühlen leiten zu lassen ist für sie genauso schwer wie für mich. Ehe sie auch nur etwas erwidern oder gar reagieren kann, wende ich zischend den Blick ab. Ich fahre mir mit zittrigen Fingern durchs Haar, welches widerspenstig in meine Stirn fällt und umklammere dann das Lenkrad wie ein Ertrinkender seinen Rettungsring. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen schalte ich das Radio an, lasse Chester Benningtons Stimme durch die Lautsprecher dröhnen, unterbinde somit jegliche Gespräche. Dadurch kann ich sie nicht zu Wort kommen lassen und bekomme dadurch einen klaren Kopf. Hoffe ich zumindest und starte den Motor, brettere die Straßen entlang.
Neben mir zappelt sie unruhig in ihrem Sitz hin und her, scheint etwas auf den Lippen zu haben. Scheint etwas loswerden zu wollen. Doch die laute Musik hindert sie daran oder vielleicht auch etwas anderes. Ihre Präsenz macht mich ganz kirre, ich spüre sie mit jeder Faser meines Körpers. Wie soll ich dieses Wochenende nur aushalten? Wie konnte ich ihr diesen Vorschlag nur machen? Was hat mich da bloß getrieben? Ihre Ausstrahlung, ihre gesamte Erscheinung sind für mich pures Gift, bringen mich um den Verstand. Wie soll ich sie denn nicht anfassen können, wenn sie so auf mich wirkt? Mich so an meine Grenzen bringt?
Ich habe viele junge Frauen um mich bei der Arbeit, viele hübsche und nett wirkende Frauen, denen man bestimmt nicht widerstehen könnte, doch ich interessiere mich nicht für sie. Habe es nie, da ich Rebecca habe. Etwas für sie empfinde und sie vor einiger Zeit geliebt habe. Doch es hat sich unser Verhältnis stark, drastisch verändert und meine Gefühle für sie wurden immer weniger. Dann ist Nora in mich herein gerannt und es hat sich erneut etwas verändert. Würde ich Rebecca aufrichtig lieben, würde ich mich nicht so stark zu Nora hingezogen fühlen. Ich würde ihre Nähe niemals zulassen. So einer bin ich nicht, bin nie dafür gewesen. Doch in diesem Moment betrüge ich Rebecca, dass ich sie nicht mehr liebe spielt da keine Rolle. Noch sind wir zusammen und ich kann sie nicht sich selbst überlassen. Sie weiß bereits dass es nicht mehr so ist wie am Anfang. Spürt es und nachdem ich mich trennen wollte, hat sie ihre Bestätigung bekommen. Sie weiß, dass es nie mehr so wird wie früher. Wie am Anfang. Sie spürt selbst, dass diese Beziehung nur noch eine Farce ist in der Hoffnung, dass sich irgendetwas ändert. Doch das wird es nicht.
,,Worüber denkst du nach?", reißt mich plötzlich ihre Stimme aus meinen Gedanken und ich nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie sie die Musik ein wenig leiser dreht. Ich behalte meinen Blick auf die Straße gerichtet, vermeide somit, dass sie mich ablenken könnte. Tief hole ich Luft, sammle meine wirren Gedanken zusammen und antworte: ,,Darüber wie wohl meine Mutter versucht gerade das Mittagessen zuzubereiten, wie sie meinen Vater, den armen Kerl, durch die Küche hin und her scheucht, wie eine niedrige Küchenhilfe, obwohl er vielleicht nur seine Zeitung lesen will. Mein Bruder wird gerade rein gekommen sein, denn er wohnt nur zwei Straßen weiter in einer schäbigen Einraumwohnung, die einem Schweinestall gleich kommt und wird sich in diesem Moment köstlich über unsere Eltern amüsieren. Nutzlos wird er am Rande stehen, faul das Geschehene beobachten und am Ende wird er ebenfalls gegen seinen Willen von meiner Mutter eingespannt und muss wohl oder übel die gleichen Arbeiten wie unser Vater errichten", lache ich leise, habe mir zwar nicht darüber den Kopf zerbrochen, doch genauso wird es gerade zu Hause ablaufen.
Das ich eigentlich an meine zerbrochene Beziehung gedacht habe und diese für Nora aufgeben würde, endlich den Schritt wagen würde, enthalte ich ihr vor. Ich möchte das Wochenende nicht vermießen. Möchte die Zeit eigentlich mit ihr genießen. Soweit es uns gestattet ist. Anfassen werde ich sie nicht. Demnach ist es an sich nichts Verbotenes. Doch allein der Gedanke an ihre vollen Lippen auf meiner Haut, ihrer warmen Hände auf meinem Körper lässt mich scharf die Luft einziehen, was sie erstaunt aufblicken lässt. Ich tue so als würde ich husten und folge dem weiteren Straßenverlauf.
,,Ähm...das klingt als wäre deine Familie ein ziemlich chaotischer Haufen", räuspert sie sich. ,,Das sind wir auch, aber eine normale Familie wäre ja ziemlich langweilig. Mit meinem Bruder hat man immer etwas zu lachen, meine Mutter würde ich für kein Gold dieser Welt eintauschen wollen, obwohl ich sie öfter mal auf den Mond schießen würde und mein Vater ist mein bester Freund, auch wenn er kaum spricht." ,,Manchmal braucht es eben nicht immer große Worte", meint sie leise, knetet ihre Finger in ihrem Schoß, schaut ein wenig betrübt drein. ,,Das sagt mein Vater auch immer", wende ich mich zum ersten Mal während der Fahrt ihr zu, sehe sie direkt an. Ihr Blick wirkt traurig und ich möchte sie nach ihrem Befinden fragen, mich erkundigen ob es ihr gut geht, doch da hat sie bereits den Kopf weggedreht und richtet ihren Blick auf die Straße.
,,Alles in Ordnung?", frage ich sie dann doch, möchte diese unangenehme Stille überbrücken. ,,Ja", antwortet sie viel zu schnell, lapidar und endgültig. Ich spüre, dass sie jetzt nicht darüber, über was auch immer, sprechen möchte und belasse es dabei. Nickend sage ich: ,,Ok, wir sind gleich da. Höchstens noch zehn Minuten." ,,Ok", ist alles was ich von ihr zu hören bekomme und so verläuft der Rest der Fahrt still. Ich fahre in den Ort rein, fahre zu dem Haus meiner Eltern und parke vorerst vor ihrer Einfahrt. Als ich mich abschnalle begegne ich ihrem Blick und sehe, dass sie mich anlächelt. Versöhnlich, schüchtern. Die Nervosität sieht man ihr an. Ihre Unterlippe bebt leicht, an ihrem Hals pocht eine Ader heftig. Unbewusst fahre ich ihr mit meinem Daumen über die Unterlippe und will sie dazu bringen sich zu beruhigen, doch es scheint uns beiden nicht gut zu tun. Mein ganzer Körper beginnt zu glühen und ich spüre wie sie sich anspannt. Wie sie sich kaum zurück halten kann. Hastig lasse ich von ihr ab, reiße meine Türe auf und hole tief Luft. Atme die kühle Luft ein, die mir entgegen weht. Im Vorgarten kann ich meine Eltern bereits stehen sehen und sehe, wie meine Mutter neugierig über die Hecke starrt, wie mein Vater die Arme hinter dem Rücken verschränkt und wie die Aufmerksamkeit meines Bruders voll und ganz auf Nora gerichtet ist...
Vielen lieben Dank für das tolle Cover Melanie_FC❤ damit hast du mich vollkommen überrascht. Ich habe mich sehr darüber gefreut 💕
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