4. 🌻
Der Fahrtwind streicht mir um die Nase und ich genieße das Gefühl.
Meine Haare werden in ihrem Zopf nach hinten geweht und der Wind zerrt an meiner Kleidung.
Hach, das macht viel mehr Spaß, als laufen.
Ich trete weiter kräftig in die Pedale.
Hoffentlich macht der Supermarkt nicht gerade in diesem Augenblick zu.
Wie soll ich sonst bis morgen überleben?
Ich biege um die nächste Ecke.
Der Geruch von gebratenem Fleisch weht mir durch ein Fenster zu und prompt meldet sich mein Magen grummelnd zu Wort, dass er jetzt auch gerne so etwas zum Verdauen hätte.
Tja, lieber Magen, dazu muss ich es erst einmal rechtzeitig zum Supermarkt schaffen. Da vorne, noch um diese Ecke, und dann bin ich da.
Bitte, lieber Gott im Himmel, ob es dich nun gibt, oder nicht, lass den Supermarkt noch offen haben, damit ich nicht bei irgendeinem meiner Nachbarn um Essen betteln muss.
Vor meinem Auge spielt sich schon das Bild ab, wie ich Dion anflehe, mir etwas zu Essen zu geben.
Okay, so dramatisch wird es hoffentlich doch nicht sein.
Mit trockenem Brot, Essiggurken, Butter, Marmelade und einer Scheibe Käse lässt sich bestimmt auch noch ein wunderschönes Mal zubereiten.
Oder auch nicht.
Der Supermarkt kommt in mein Blickfeld, als ich um die Ecke biege, und ich atme erleichtert auf, als ich die Lichter sehe, die noch durch die großen Fenster und die Schiebetüren nach außen strahlen.
Er hat noch offen.
Eigentlich eine riesige Energieverschwendung, den ganzen Laden mit Licht zu durchfluten, wenn von draußen genug Licht kommen würde.
Aber gut, ist ja nicht mein Problem, ich muss die Stromrechnung schließlich nicht begleichen.
Mir reicht meine eigene.
Ich trete in die Pedale und hoffe, dass nicht gerade jetzt ein Mitarbeiter aus dem Supermarkt herauskommt und Feierabend macht.
So schnell habe ich noch nie mein Fahrrad abgestellt, abgeschlossen – sicher ist schließlich sicher – und mir einen der roten Plastikkörbe, die vor dem Eingang fein säuberlich aufgestapelt sind, geschnappt.
Normalerweise verrichtet ich das alles mit Ruhe und Gelassenheit, schließlich habe ich da immer alle Zeit der Welt.
Aber heute eben nicht.
Die Körbe sind ein gutes Zeichen, denn wäre der Laden schon geschlossen, stünden die jetzt drinnen, nicht hier draußen.
Seit der Supermarkt die eingeführt hat, muss ich mich nicht mehr mit diesen sperrigen Einkaufswägen herumschlagen, die ich absolut nicht ausstehen kann, und die immer zu groß für meine Einkäufe sind.
Wie das immer aussieht, wenn ich an die Kasse muss, mit einem riesigen Wagen, in dem gerade einmal ein Brot, Käse, Wurst, Butter, Milch, Wasser, Obst und Gemüse – eher selten, aber manchmal schon – und hin und wieder auch mal Süßigkeiten, oder etwas anderes, das nicht zu meinem routinierten Einkauf gehört, liegt.
Zu viel, als dass ich es tragen könnte, aber zu wenig, als dass es in diesem riesigen Metallgestell nicht lächerlich aussehen würde.
Die automatischen Glastüren öffnen sich vor mir und kühle Luft strömt mir entgegen.
In diesen Supermärkten ist es immer zu kalt, oder zu warm, aber nie richtig.
Im Winter drehen sie die Heizung so auf, dass man fast schwitzt, und im Sommer friert man fast schon, bei Außentemperaturen von über dreißig Grad.
„Entschuldigen Sie!", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken über Klimaanlagen und Heizungen.
Verwirrt sehe ich mich um, kann aber niemanden ausmachen, der das gesagt haben könnte.
Die Kasse neben mir ist nicht besetzt und sonst erkenne ich auch niemanden in dem Gang, der sich vor mir öffnet.
Obst und Gemüse strahlen hier einem entgegen, so angeleuchtet, dass es appetitlich wirkt und geradewegs dazu veranlassen will, seine gesamte Ernährung umzukrempeln und nur noch gesund zu essen.
Man macht sich also diesen guten Vorsatz und packt sich reichlich Gemüse und Obst in den Korb, um dann kurz vor der Kasse fröhlich angestrahlt und in Verlockung gebracht zu werden von Tonnenweise Süßigkeiten, Chips, Schokoriegel, Gummibärchen und was der Markt sonst noch hergibt.
Das fiese ist, dass die Schlange hier manchmal so lang ist, dass man genau in diesem Gang anhalten und stehen bleiben muss.
Und dabei grinst dann der Schokoriegel, als würde er keinen Karies verursachen, und die Chips lächeln, als wären sie nicht total fettig und ungesund. Die Gummibärchen versprechen, ganz artig in ihrer Packung zu bleiben, und die Bonbons erinnern dich an deine fröhlichen Kindertage, in denen dir Karies und ungesunde Ernährung noch vollkommen egal waren.
Und dann stehst du an der Kasse, mit einem Korb voller Gemüse und Obst, und einem Arm voller bunter Süßigkeitenpackungen.
Ich will gar nicht wissen, wie schlimm das für kleine Kinder sein muss, in diesem Gang zu stehen, und all das zu sehen, es aber sich nicht kaufen zu dürfen.
Ich schüttele den Kopf.
Süßigkeiten.
Das bringt mich nachher doch nur wieder in Versuchung.
Also sollte ich lieber nicht darüber nachdenken.
Ich mache einen Schritt in den Gang, und lasse meinen Blick über das Obst streifen. Gemüse kann ich nicht wirklich ausstehen, das muss man immer erst kochen, bevor es schmeckt.
Also Obst.
Schließlich möchte ich mich wenigstens ansatzweise so fühlen, als würde ich mich gesund ernähren.
Mein Blick bleibt an einem einzelnen Schälchen mit gemischten Beeren hängen.
Hmm, wieso nicht?
„Entschuldigen Sie bitte!", ertönt wieder die Stimme, als ich gerade nach dem Beeren-schälchen greifen will.
Dieses Mal kann ich die Stimme besser zuordnen.
Sie gehört definitiv einem Mann.
Aber wo soll der sein? Hier ist weit und breit niemand zu sehen.
„Hallo?", rufe ich in den Laden hinein.
Plötzlich wird mir richtig bewusst, dass ich hier ganz alleine im Laden bin, wenn man die Mitarbeiter nicht mitgezählt.
Sonst ist es nie so verlassen hier.
Fast schon gruselig.
Und vor allem ist es das, wenn man eine fremde Männerstimme von irgendwoher hört.
Ich stelle meinen Korb ab.
Also, ich bilde mir diese Stimme ja nicht ein, irgendwo hier muss sich jemand verstecken und mir einen Streich spielen.
„Ja, hier! Hier drüben! Hören Sie mich? Hallo? Ich bräuchte Hilfe!", ertönt wieder die Stimme.
Am Tonfall erkenn ich dieses Mal, dass das vermutlich kein Scherz ist, sondern tatsächlich jemand Hilfe benötigt.
Wieso sagt dieser jemand das denn nicht gleich?
Dann hätte ich hier nicht weiter über Gummibärchen und Obst nachgedacht.
Aber wo ist der Typ?
'Hier drüben' ist nicht gerade eine genaue Angabe.
„Wo sind Sie?", rufe ich wieder in den verlassenen Laden und stelle mich auf die Zehenspitzen, um über die Regale sehen zu können.
Ich sehe niemanden, nicht einmal mehr ein bisschen von einer Person.
Da sind nur jede Menge Regale, in denen jede Menge Nahrungsmittel angeboten werden.
Wenn das ein Scherz ist, bringe ich den Verantwortlichen dafür wirklich um.
Ich wollte nur noch schnell hierher flitzen, und mir ein bisschen was zum Essen holen, und stattdessen suche ich jetzt nach verschollenen, körperlosen Stimmen?
Super.
So habe ich mir meinen Abend sicher nicht vorgestellt.
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