38 || 𝙧𝙞𝙙𝙞𝙘𝙪𝙡𝙤𝙪𝙨 ☽
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Louisas PoV
„Mamaaa!"
Die helle Stimme meines Sohnes drang durch die Luft, als er aus der Schultür stürmte. Sein kleiner Rucksack schaukelte auf seinem Rücken, und das breite Grinsen auf seinem Gesicht ließ mich automatisch lächeln. Ich kniete mich hin, um ihn in Empfang zu nehmen, und öffnete meine Arme.
„Jinho, mein Schatz. Wie war die Schule?" fragte ich sanft, während ich ihn fest an mich drückte. Sein kleiner Körper schmiegte sich an meinen, und ich konnte den vertrauten Duft seines Shampoos riechen.
„U-uhm... gut", murmelte er gegen meine Brust, die Worte leise und schüchtern, wie immer, wenn er überfordert war.
Ich strich ihm durchs weiche, dunkle Haar und betrachtete sein Gesicht. „Das freut mich. Und wo sind deine Freunde?"
Doch noch bevor ich meinen Satz beenden konnte, nahm er eilig meine Hand. Seine kleine Faust zog sanft an meinen Fingern, als wolle er mich aus einer Gefahr retten, die nur er sehen konnte.
„Schon weg! Können wir bitte nach Hause gehen? Bitteee?" Seine großen, runden Augen funkelten unter seinen langen Wimpern hervor, und seine Stimme klang fast flehend.
Ich hielt inne, musterte ihn kurz und schmunzelte. Wahrscheinlich war er einfach müde. Ein Mittagsschlaf und ein Film würden ihm gut tun. „Natürlich, mein Schatz. Lass uns gehen."
Wir verließen das Schulgelände Hand in Hand, seine kleinen Schritte hüpften neben meinen her. Als wir an der Ampel standen und darauf warteten, dass das grüne Licht aufleuchtete, rief plötzlich eine fremde Stimme hinter uns:
„Hey! Hey, Sie da!"
Verwirrt drehte ich mich um. Eine Frau stürmte auf uns zu, ihr Gesicht vorwurfsvoll verzogen. Sie trug eine übergroße Handtasche und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Neben ihr stand ein Junge, etwa in Jinhos Alter, der mit vollem Mund Schokolade kaute.
„Meinen Sie mich?" fragte ich verwundert, wobei ich instinktiv Jinhos Hand fester hielt.
„Selbstverständlich! Wen sonst?" bellte sie, bevor sie mit einem Finger auf meinen Sohn zeigte. „Ihr Sohn hat meinem Sohn sein Spielzeugauto gestohlen!"
Jinho zog sich sofort hinter mich zurück, sein Griff an meiner Hand verstärkte sich. Ich spürte, wie sein kleiner Körper vor Anspannung zitterte.
„Entschuldigen Sie? Mein Sohn klaut nicht", entgegnete ich ruhig, doch innerlich brodelte ich bereits.
„Doch, er hat es gestohlen! Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen", mischte sich ihr Sohn ein, während er sich ein weiteres Stück Schokolade in den Mund schob.
„Sehen Sie? Mein Sohn lügt nicht!" rief die Frau triumphierend, als hätte sie gerade einen Gerichtsfall gewonnen.
Ich seufzte genervt und verschränkte die Arme. „Vielleicht sollte Ihr Sohn weniger Schokolade essen, bevor er anfängt, Dinge zu sehen, die nicht passiert sind. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Jinho niemals jemanden bestehlen würde. Schönen Tag noch."
Ich wollte gerade mit Jinho weitergehen, als ihre schrille Stimme mich erneut aufhielt.
„Ich bin die Vorsitzende des Elternrats!" Ihre Worte waren wie ein Dolchstoß, voller Überheblichkeit. „Eine junge Mutter wie Sie hat bestimmt einiges zu verbergen. Und wir wollen doch nicht, dass Ihr Sohn deswegen von der Schule fliegt, oder?"
Ich blieb stehen, meine Finger verkrampften sich um den Träger meiner Tasche. Ich atmete tief durch. Langsam sah ich zu Jinho hinunter, der mich mit großen Augen ansah.
„Jinho, könntest du bitte deinen Rucksack ausräumen?" sagte ich ruhig und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Damit wir dieser... netten Dame beweisen können, dass du kein Dieb bist."
Jinho nickte schüchtern und öffnete mit seinen kleinen Händen den Reißverschluss seines Rucksacks. Währenddessen stopfte der Sohn der Frau in aller Seelenruhe einen weiteren Lolli in den Mund. Ich biss die Zähne zusammen und wartete.
Plötzlich rief die Frau: „Aha! Da ist es ja!"
Ich starrte ungläubig auf das kleine rote Spielzeugauto, das Jinho tatsächlich aus seinem Rucksack zog. Mein Herz setzte für einen Moment aus.
„Jinho... was macht das da drin?" fragte ich leise und versuchte, meine Fassung zu wahren.
„Ich weiß es nicht, Mama! Wirklich!" Jinhos Stimme brach, seine Augen füllten sich mit Tränen.
Die Frau schnaubte verächtlich. „Natürlich wissen Sie es nicht. Was soll man auch erwarten von einem Kind ohne Vater?"
Die Worte schlugen wie ein Peitschenhieb zu. Mein Blut kochte.
„Entschuldigen Sie mal?!" fauchte ich, meine Stimme zitterte vor Wut. „Wie können Sie es wagen, so über meinen Sohn zu sprechen?"
„Ich sage nur die Wahrheit", antwortete sie gleichgültig, zuckte mit den Schultern und zog ihren Sohn mit sich. „Komm, Theodor. Unsere Pflicht ist erledigt."
Ich sah ihr nach, wie sie stolz davonmarschierte, und schüttelte den Kopf.
„Mama, ich hab nichts geklaut! Ehrlich! Ich hab's nicht getan!" Jinhos kleine Hände zogen an meinem Ärmel, und als ich zu ihm herunterblickte, trafen mich seine großen, unschuldigen Augen wie ein Schlag.
Diese Augen...
Sie erinnerten mich an Taehyung. An die Aufrichtigkeit, die immer in seinem Blick lag.
„Ich glaube dir, Jinho", sagte ich schließlich und hob ihn auf meine Arme. Er klammerte sich an meinen Hals, sein Atem zitterte leicht. Ich stupste sanft mit meiner Nase gegen seine.
„Du würdest so etwas nie tun. Ist doch egal, was diese Frau sagt. Jetzt gehen wir nach Hause und schauen einen Film, okay? Vielleicht mit ein bisschen Eis?"
Sein Gesicht hellte sich sofort auf. „Eis UND einen Film?"
Ich lächelte. „Aber natürlich. Alles, was du willst, mein Schatz."
Sein Lachen hallte durch die Straße, und in diesem Moment war alles andere vergessen.
•••
Mittlerweile lagen Jinho und ich zusammen auf der Couch. Die weiche Decke war bis zu seinen Schultern hochgezogen, und sein Kopf ruhte auf meinem Arm, während er mit großen Augen „Drachenzähmen leicht gemacht" ansah. Es war sein Lieblingsfilm, und jedes Mal, wenn Ohnezahn etwas Lustiges machte, brach er in sein glockenhelles, unbeschwertes Lachen aus. Ich liebte diese Momente. Sein Lachen war wie ein Sonnenstrahl an einem bewölkten Tag – warm, rein und voller Leben.
Ich streichelte ihm sanft über die weichen Haare, während ich halb auf den Bildschirm, halb auf sein Gesicht blickte. Alles war perfekt, bis er plötzlich fragte:
„Mama... wo ist eigentlich mein Papa?"
Die Frage traf mich wie ein Schlag. Ich spürte, wie mein Herz einen Moment lang aussetzte, bevor es mit einem dumpfen Schmerz weiterschlug. Jinho hatte mich das noch nie gefragt. Ich wusste, dass der Tag irgendwann kommen würde, aber ich hatte gehofft, noch mehr Zeit zu haben.
Mein Blick wanderte zu seinem Gesicht. Er sah mich mit großen, unschuldigen Augen an, seine Stirn leicht in Falten gelegt, als würde er wirklich verstehen wollen, warum sein Papa nicht hier war. Ich schluckte schwer und zwang mich zu einem Lächeln.
„Weißt du, Jinho," begann ich langsam, während ich seine kleinen Hände nahm und sie sanft in meinen hielt, „dein Papa ist ein Superheld."
Seine Augen weiteten sich, und ein erstauntes „Echt?!" entkam seinen Lippen.
Ich nickte und sprach weiter, während ich das Grinsen auf meinem Gesicht hielt, obwohl mein Inneres sich wie ein Knoten zusammenzog. „Ja, wirklich. Dein Papa hat sehr viel zu tun. Er muss die Welt retten, aber er hat mir versprochen, dass er zurückkommt, sobald er seine Mission erfüllt hat. Und wenn er zurückkommt, wird er dich ganz fest knuddeln."
Ein Lachen platzte aus Jinho heraus, und er warf seine kleinen Arme um meinen Hals. „Ich will auch ein Superheld sein wie Papa!"
Ich lachte leise und drückte ihn an mich. „Das bist du doch schon. Mein kleiner Held."
Nachdem er sich wieder zurückgelehnt hatte, sah er mich erneut an, diesmal mit einem neugierigen Funkeln in den Augen. „Ist Papa cool?"
Ich tat so, als würde ich nachdenken, legte einen Finger ans Kinn und zog eine Grimasse. „Hmm... joah, er ist cool. Aber weißt du was?"
„Was?" fragte er aufgeregt.
„Mama ist trotzdem cooler", sagte ich mit einem verschmitzten Lächeln und stupste mit meiner Nase gegen seine.
Jinho lachte laut und kicherte. „Mama ist auch die Beste!"
Doch dann wurde er wieder ernst, seine Stirn legte sich in Falten, und er stellte die nächste Frage: „Und wie sieht Papa aus?"
Diesmal hielt ich kurz inne und betrachtete ihn. Seine großen, dunklen Augen musterten mich neugierig, während er sich näher an mich heranzog. Schließlich lächelte ich und sagte: „Weißt du, wenn du wissen willst, wie dein Papa aussieht, dann schau einfach in den Spiegel."
„In den Spiegel?" wiederholte er und legte den Kopf schief.
„Ja", sagte ich sanft. „Dein Papa sieht genauso aus wie du. Ihr beide könntet Zwillinge sein."
Jinho grinste breit und streckte sich, als wollte er sich größer machen. „Papa sieht also auch so hübsch aus wie ich?"
„Oh ja", sagte ich mit einem leisen Lachen und drückte ihn an mich. „Ihr beide seid wunderschön."
Er wirkte für einen Moment nachdenklich, bevor er mit leiser Stimme murmelte: „Mh, ich hoffe, Papa hat die Welt schnell gerettet."
Ich hielt inne, mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wusste, dass sein Vater im Moment keine Welt retten konnte – nicht einmal sich selbst. Aber ich durfte Jinho nicht die Hoffnung nehmen. Also zog ich ihn noch enger an mich und küsste seine Stirn.
„Das hoffe ich auch, mein Schatz", flüsterte ich.
Er kuschelte sich an mich, seine kleinen Hände klammerten sich an mein Shirt, während seine Augen langsam schwerer wurden. Ich strich ihm durchs Haar und sah zu, wie er immer tiefer in den Schlaf glitt.
In meinem Kopf schwor ich mir, alles zu tun, um Taehyung wieder auf die Beine zu helfen. Es war mir egal, ob er mich hasste. Jinho verdiente einen Vater, der ihn kannte, der sich um ihn kümmerte, der da war.
Ich wusste, dass es ein steiniger Weg sein würde. Aber ich war bereit, alles zu riskieren, damit mein kleiner Junge eines Tages seinen Vater kennenlernen konnte. Denn nichts war mir wichtiger, als dass Jinho glücklich war – und wusste, dass er geliebt wurde.
Flashback
„Raus hier!" brüllte mein Vermieter und stieß mich mit Schwung aus der Tür. Meine wenigen Habseligkeiten flogen hinterher, und der kühle Nachtwind schnitt sofort durch meine dünne Kleidung.
„Bitte!" flehte ich mit zitternder Stimme, während ich mich zu ihm umdrehte. Tränen schossen mir in die Augen, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. „Ich bezahle die Miete nächste Woche! Ich verspreche es!"
Er verschränkte die Arme und schnaubte verächtlich. „Ja, ja, das erzählst du mir seit drei Monaten. Weißt du was? Such dir ein anderes Dach über dem Kopf. Aber nicht mehr hier."
Mit einem lauten Knall schlug die Tür vor meiner Nase zu. Für einen Moment stand ich wie erstarrt da, die eisige Kälte kroch in meine Glieder. Mein Blick fiel auf den Haufen Habseligkeiten, die verstreut vor mir auf dem Bürgersteig lagen – das war alles, was ich besaß.
Ein schwerer Seufzer entfuhr mir, während ich mich langsam hinkniete, um meine Sachen zusammenzusammeln. Meine Hände zitterten, nicht nur vor der Kälte, sondern auch vor der Panik, die in mir aufstieg.
Ich hob die graue Nike-Jacke auf, die ich von Taehyung mitgenommen hatte. Sie war viel zu groß, aber sie roch noch immer ein wenig nach ihm. Ohne zu zögern zog ich sie mir über, doch als ich versuchte, sie zu schließen, ließ mein großer Bauch den Reißverschluss keinen Millimeter nach oben gleiten. Ein bitteres Lächeln huschte über mein Gesicht.
„Na toll", murmelte ich leise, meine Finger glitten über den gewölbten Bauch, der immer schwerer und größer wurde. „Nicht mal diese Jacke passt noch."
Ich wusste nicht einmal, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen erwartete. Ich hatte es mir nicht leisten können, einen Arzt aufzusuchen. Alles Geld, das ich durch meine Gelegenheitsjobs verdiente, ging für das Nötigste drauf – und selbst das reichte oft nicht aus.
Ich biss mir auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten. Mein Magen knurrte vor Hunger, aber der Gedanke an Essen war ein ferner Traum. Heute ging es nicht darum, satt zu werden. Es ging nur darum, irgendwo Schutz zu finden.
„Wo sollen wir jetzt bloß hin, mh?" flüsterte ich, während ich meinen Bauch mit der Hand streichelte. Die Berührung war beruhigend – nicht nur für mein Baby, sondern auch für mich.
Daegu schien noch dunkler und kälter als sonst, während ich ziellos durch die Straßen lief. Der Wind fegte durch die leeren Gassen, und ich zog die Jacke enger um mich, auch wenn sie nicht mehr richtig schließen wollte.
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ein Ort, an den ich gehen konnte. Aber allein die Vorstellung, dorthin zurückzukehren, ließ mein Herz schwer werden. Es war ein Ort voller Erinnerungen – schmerzhafte, bittersüße Erinnerungen, die ich so lange verdrängt hatte.
Ich blieb mitten auf dem Gehweg stehen und schloss kurz die Augen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen in der kalten Nachtluft.
„Ich tue das für dich, Baby", flüsterte ich leise und strich erneut über meinen Bauch. „Nur für dich."
Mit diesem Gedanken zwang ich meine Beine, sich zu bewegen. Ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte. Für mein Baby würde ich alles tun – selbst wenn es bedeutete, dorthin zurückzukehren, wo mein Schmerz begann.
•••
„Louisa?"
Die Stimme meines Vaters war voller Überraschung, als er mich vor seiner Tür stehen sah. Sein Gesicht wirkte für einen Moment wie versteinert, bevor er mich von oben bis unten musterte.
„Dad", antwortete ich knapp.
Sein Blick blieb an meinem Bauch hängen, der trotz der Jacke deutlich zu erkennen war. Seine Augen weiteten sich, und er sog scharf die Luft ein.
„Du bist... schwanger?" fragte er schließlich, als hätte er nicht glauben können, was er da sah.
Ich nickte langsam, hielt seinen Blick und sprach ruhig, obwohl mir die Situation alles andere als angenehm war. „Ja. Und ich brauche einen Ort, wo ich bleiben kann. Zumindest vorübergehend."
Er runzelte die Stirn, sein Gesichtsausdruck wechselte zwischen Verwirrung, Skepsis und einer Spur von Verärgerung. „Was ist mit deiner Mutter? Und wer ist überhaupt der Vater dieses Kindes?"
Die Fragen trafen mich wie kleine Nadeln, und für einen Moment fühlte ich, wie mir die Hitze in den Kopf schoss. Doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Ich war müde, hungrig und wollte diese Diskussion kein Stück länger hinauszögern.
„Können wir das bitte wann anders besprechen?" sagte ich und verschränkte die Arme um meinen Körper. Meine Stimme zitterte vor der Kälte, die immer mehr in meine Knochen kroch. „Ich erfriere hier draußen fast."
Einen Moment lang sah er mich an, als wolle er mir widersprechen. Dann nickte er schließlich langsam, fast widerwillig.
„Natürlich", murmelte er und machte einen Schritt zur Seite. „Komm rein."
Dankbar betrat ich die Wohnung. Ein Schwall abgestandener Luft schlug mir entgegen, begleitet vom Anblick völligen Chaos. Überall lagen leere Bierdosen, zerknüllte Pizzakartons und schmutzige Kleidung. Der Tisch war mit irgendwelchen Papieren bedeckt, und der Fernseher lief stumm im Hintergrund.
Ich konnte nicht anders, als den Raum abschätzig zu mustern. Er sah alles andere als einladend oder gar kinderfreundlich aus. Doch es war ein Dach über dem Kopf. Und mehr konnte ich mir in diesem Moment nicht wünschen.
Mein Vater beobachtete mich, bevor er leise sagte: „Es ist nicht viel... aber es sollte für eine Weile reichen."
Ich nickte langsam, meine Hand ruhte unbewusst auf meinem Bauch. „Das hoffe ich jedenfalls", murmelte ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihm.
Ich war hier, und das war vorerst genug.
Flashback Ende
„Weißt du, vielleicht ist diese ganze Sache hier doch gar nicht mal so schlecht."
Taehyung lehnte sich in seinem Stuhl zurück, seine Arme lässig verschränkt, während er mich mit einem schiefen Grinsen ansah. Er saß mir gegenüber an meinem Schreibtisch, seine Aura wie immer eine Mischung aus Arroganz und unterschwelliger Herausforderung.
Ich hob eine Augenbraue, überrascht von seiner plötzlichen Aussage. „Ach ja? Woher der plötzliche Sinneswandel?"
Er zuckte mit den Schultern, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Ich hab nachgedacht. Da du mir ja sowieso noch was schuldest, schreibst du mich einfach in drei Monaten als geheilt aus. Dann kann ich endlich hier raus."
Die Dreistigkeit seiner Worte ließ mich unwillkürlich schmunzeln. Seine Naivität, die Sache so einfach zu sehen, war fast schon amüsant. „Nein."
Er blinzelte, offensichtlich irritiert. „Was heißt hier nein?"
Ich legte den Kopf leicht schief, meine Stimme ruhig, aber bestimmt. „Nein. Erstens, das ist illegal. Und zweitens, du bist nicht ohne Grund hier. Mein Gewissen könnte nicht damit leben, dich da draußen frei herumlaufen zu lassen, während du weiter Frauen manipulierst und benutzt, nur um deine eigene Befriedigung zu finden."
Taehyungs Gesichtsausdruck wechselte von Verärgerung zu blanker Genervtheit. „Ach komm schon, Louisa. Dein Gewissen konnte doch auch damit klarkommen, dass du damals einfach abgehauen bist, ohne ein Wort zu sagen."
Seine Worte trafen mich, aber ich ließ mir nichts anmerken. „Ich hatte meine Gründe."
„Welche Gründe? Schuldgefühle, weil du mich betrogen hast? Das ich nicht lache."
Seine spöttischen Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht, aber ich ließ ihn nicht gewinnen. Stattdessen stand ich abrupt auf, lief um den Schreibtisch herum und stellte mich direkt vor ihn.
„Schlag mich."
Seine Stirn runzelte sich, und er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. „Was?"
„Du hast mich schon verstanden", sagte ich ruhig, aber bestimmt. „Schlag mich ins Gesicht. Los."
Taehyung blieb reglos, seine Augen verengten sich misstrauisch. „Du bist nicht ernst, oder?"
Ich seufzte tief, verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich meine es todernst. Du verspürst offensichtlich einen gewaltigen Hass gegen mich. Wenn Gewalt der einzige Weg ist, wie du ihn loswerden kannst, dann bitte. Schlag zu."
Ich schloss die Augen, bereit, den Schmerz zu ertragen. Ich wusste, dass er wütend war, voller Zorn, den er nicht aussprechen konnte. Vielleicht war das der einzige Weg, ihm eine Art Erlösung zu geben.
Doch nichts geschah.
„Setz dich wieder hin", sagte er plötzlich, seine Stimme ruhig, aber mit einem harten Unterton.
Ich öffnete die Augen, verwirrt. „Aber—"
„Louisa", unterbrach er mich scharf, sein Blick durchdringend. „Setz dich verdammt nochmal hin, bevor ich meine Meinung doch noch ändere."
Seine Worte hatten eine bedrohliche Schwere, aber sie trugen auch eine seltsame Entschlossenheit in sich. Widerwillig ging ich zurück zu meinem Platz und setzte mich, meine Augen noch immer auf ihn gerichtet.
Taehyung rieb sich die Schläfen und seufzte tief, als hätte ich ihn körperlich erschöpft. „Weißt du was? Zieh deinen komischen Therapieplan durch. Ich hab hier sowieso nichts anderes zu tun."
Seine plötzliche Zustimmung überraschte mich, aber innerlich war ich erleichtert. Es war ein kleiner Sieg, aber ein wichtiger.
„Danke", sagte ich leise, beinahe zu mir selbst. „Danke, dass du es mir zumindest ein bisschen einfacher machst."
Ein schwaches, fast unsichtbares Lächeln huschte über mein Gesicht, bevor ich den Stift in die Hand nahm und das Notizbuch aufschlug. „Gut, dann lass uns mit der ersten Übung beginnen."
Taehyung rollte genervt die Augen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und murmelte: „Mach, was du willst."
Es war ein Anfang – ein kleiner, aber immerhin ein Anfang.
Ich holte unter dem Tisch eine Glasflasche hervor und stellte sie in die Mitte. Taehyung starrte sie zunächst an, dann richtete sich sein Blick auf mich, seine Augen blitzten vor Verwunderung.
„Was soll das jetzt...?" fragte er, ein Anflug von Ungeduld in seiner Stimme.
„Wir spielen ein Spiel", antwortete ich ruhig.
Sein Blick verfinsterte sich. „Ich bin kein Kind mehr."
„Auf den, auf den die Flasche zeigt, stellt die andere Person eine Frage", erklärte ich, die Regeln des Spiels einfach und präzise.
Er dachte einen Moment nach, bevor er mit einem skeptischen Blick fragte: „Darf man alles fragen?"
Ich nickte. „Ja, alles."
Er schnaubte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ein wenig widerwillig, aber er griff schließlich nach der Flasche und drehte sie mit einer fast schon übertriebenen Langsamkeit. Die Flasche rollte über den Tisch und stoppte schließlich auf seiner Seite.
„Lass uns spielen", sagte er mit einem gequalten Seufzer.
Ich dachte kurz nach. In Situationen wie dieser, wo er sich fast zu verschließen drohte, war es vielleicht besser, ihm keine Fragen zu stellen, die ihn zu sehr unter Druck setzten. Also entschied ich mich für eine harmlose Frage.
„Wie geht es dir heute?"
Taehyung sah mich an, als hätte ich gerade etwas völlig Absurdes gefragt. „Was ist das denn bitte für eine bescheuerte Frage?"
Ein kurzer Blick von mir reichte, und er seufzte tief, als ob er sich innerlich zusammenreißen musste. „Scheiße", sagte er schließlich, und ich nickte, als wollte ich ihn ermutigen, mehr zu sagen.
„Warum geht es dir scheiße?", fragte ich nach, leise, aber entschlossen, weiter zu bohren.
Er sah mich an, als hätte er mich gerade erst bemerkt. „Ich bin in einer Klinik gefangen und meine Therapeutin ist die Person, die ich am meisten verachte. Sorry, dass ich daher nicht überaus happy bin."
Es war eine Antwort, die mir einen Einblick in seine Welt gab, aber gleichzeitig auch zeigte, wie sehr er sich in seiner Situation gefangen fühlte. Ich ließ das Thema erst einmal ruhen und drehte dann die Flasche ein zweites Mal.
Diesmal landete sie auf mir. Taehyung starrte auf den Flaschenhals, dann sah er mich an, seine Augen blitzten vor Neugier und etwas anderem, das ich nicht ganz deuten konnte.
„Hast du dir deine Brüste machen lassen?" fragte er, seine Augen auf meinen Ausschnitt gerichtet.
Erst starrte ich ihn nur an, verwirrt und etwas empört. Ich fühlte, wie sich ein unschönes Gefühl in mir breit machte.
„Von allen Sachen, die du mich fragen könntest, fragst du mich ausgerechnet das?" fragte ich, mehr aus Verwirrung als aus Ärger.
Er zuckte mit den Schultern, als ware es die einfachste Sache der Welt. „Ich hab dich oft genug gefickt und nackt gesehen, um zu wissen, dass deine Brüste groß sind, aber nicht so groß. Also dachte ich, frag ich einfach mal."
Ich schüttelte den Kopf und knöpfte mein Hemd schnell zu, den Blick verärgert, doch ich versuchte, ruhig zu bleiben. „Nein, ich kann dir versichern, dass ich keine Brustimplantate in mir trage", antwortete ich kühl, während ich ihm in die Augen sah.
Taehyung schien nicht vollkommen überzeugt, aber er gab es auf. Wir wussten beide, dass es für ihn nur eine oberflächliche Frage war, ohne viel Bedeutung. Doch es blieb ein unangenehmes Gefühl in der Luft hängen.
Die Flasche drehte sich wieder und landete dieses Mal erneut auf Taehyung.
„Warst du, bevor du hier reingekommen bist, glücklicher?" fragte ich, und wartete gespannt auf seine Antwort.
Fur einen Moment war er still, schaute irgendwo ins Leere, als ob er in Gedanken woanders war. Dann murmelte er, fast unhörbar: „Nicht wirklich. Leben ist allgemein einfach scheiße. Manchmal da... ach egal."
Ich konnte hören, wie er mitten im Satz stockte, und ich konnte förmlich spüren, wie er sich von mir abwandte.
„Manchmal was? Was ist manchmal, Taehyung?" fragte ich ruhig, aber mit einem Hauch von Dringlichkeit in meiner Stimme.
Er drehte seinen Kopf zur Seite, ein zynisches Lächeln auf den Lippen. „Yah, tu nicht so, als würde ich dir aus heiterem Himmel wieder alles anvertrauen. Ich sitze hier nur, weil ich es muss, kapiert?"
Die Kalte in seiner Stimme ließ mich aufhorchen, doch ich weigerte mich, aufzugeben. Ich stand auf, um ihm näher zu kommen, meine Stimme fest, aber nicht aggressiv. „Bei so einer Einstellung wird das nie was werden. Willst du denn selbst gar nicht gesund werden? Ist dir das so egal?"
Ich sah ihm direkt in die Augen, suchte nach einem Funken von etwas, das mehr war als Gleichgültigkeit, aber er starrte einfach nur zurück. Die Kälte in seinem Blick war fast erdrückend.
„Falls du es noch nicht gemerkt hast, mir ist ziemlich alles egal", murmelte er, als ob er sich selbst in seiner Verzweiflung vergraben wollte.
„Wenn du schon nicht an deine eigene Gesundheit denkst, dann denk wenigstens an Mina, deine Schwester. Ich bin mir sicher, sie macht sich unfassbare Sorgen um dich."
Ich beobachtete, wie Taehyung sich in seinem Stuhl verharrte, als ob meine Worte eine unbekannte Reaktion in ihm hervorriefen. Kurz hielt er inne, seine Arme verschränkten sich fester vor der Brust, als würde er sich selbst in diesem Moment irgendwie schützen wollen. Die Luft zwischen uns war schwer, und ich konnte sehen, wie sich in seinen Augen ein Funken regte – ein Widerstand, der, so stark er auch war, sich nicht gegen meine Worte stemmte. Die Spannung wuchs.
„Ich habe sie nie darum gebeten, sich um mich zu kümmern", antwortete Taehyung schließlich. Der Klang seiner Stimme war hart, aber ich hörte einen Unterton, der von etwas viel Tieferem zeugte – einer Verletzlichkeit, die er nicht einmal für sich selbst eingestehen wollte.
Ich konnte nicht zulassen, dass er sich weiterhin hinter dieser Mauer verbarg, also ließ ich nicht locker.
„Aber trotzdem tut sie es. Also sei dankbar darüber, Taehyung. Nicht viele hier drin haben noch das Glück, Unterstützung von ihrer Familie zu bekommen", sagte ich, meine Stimme ruhig, doch bestimmt.
Taehyung warf mir einen Blick zu, aber er sagte nichts. Stattdessen senkte er den Kopf, und ich spürte, wie er kämpfte. Vielleicht war es ein Moment der Erkenntnis oder ein Flackern von Reue, das sich in ihm regte – ein Funken, den er noch nicht zuzulassen bereit war. Doch es verflog schnell und wurde von einer anderen, weniger greifbaren Wut verdrängt.
Er riss sich wieder zusammen, und die kalte Maske war schnell zurück. „Ganz ehrlich... du musst jetzt überhaupt nicht anfangen, mir hier Schuldgefühle einreden zu wollen. Die Nummer kannst du direkt mal abhacken, das funktioniert bei mir nicht."
Ich hörte den Trotz in seinen Worten, aber da war auch ein bitterer Hauch von Resignation. Es war, als würde er in seinem inneren Kampf ein weiteres Stück von sich selbst aufgeben, ohne es zu merken. Ich schüttelte den Kopf, enttäuscht, aber nicht bereit aufzugeben.
„Wieso schubst du mich immer von dir weg, Taehyung? Wieso?" fragte ich, meine Stimme leiser, als ich wirklich wollte. „Wenn meine einzige Intention ist, dir zu helfen, warum machst du es mir dann so schwer? Ich will doch nichts anderes als das Beste für dich. Doch du verstehst es nie und denkst immer, ich sei dein Feind."
Ich sah, wie sich die Muskeln in seinem Kiefer anspannten. Für einen Moment schien er zu überlegen, meine Worte in seine Gedanken zu lassen, aber dann war der Moment auch schon wieder vorbei. Die Mauer, die er so hartnäckig aufrechterhielt, war noch immer da.
„Ich sage dir was, solange du nicht in der Lage bist, zuzuhören und etwas anzunehmen, wird das hier niemals klappen", fuhr ich fort, fester werdend, weil ich wusste, dass er es hören musste. „Da kannst du zu noch so vielen Therapeuten gehen, sie werden dir alle nicht helfen können, wenn du dich weiterhin so sperrst. Deine eigene Einstellung ist das größte Hindernis, das du dir selbst in den Weg stellst."
Es war das erste Mal, dass ich meine Frustration so direkt ausdrückte. In Taehyung wühlte es, er reagierte aber nicht sofort. Stattdessen saß er da, sein Blick starrte ins Leere, und ich konnte sehen, wie er innerlich mit seinen eigenen Dämonen kämpfte. Die Stille dehnte sich wie ein schwerer Nebel aus, und ich wusste, dass ich jetzt nicht einfach aufhören konnte. Ich musste es ihm sagen, egal, wie unangenehm es war.
Ich seufzte und stand schließlich auf, das Gefühl von Enttäuschung und zugleich ein wenig Erschöpfung in meinen Knochen. „Ich denke, das ist genug für heute", sagte ich, meine Stimme nun ruhiger, aber immer noch fest. „Morgen ist die nächste Sitzung. Ich hoffe, diese wird dann besser laufen."
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich zur Tür, das Gefühl von Unvollständigkeit in mir. Ich wusste, dass es nicht einfach sein würde, und vielleicht würde es ewig dauern, bis er wirklich etwas von dem verstand, was ich ihm versuchte zu vermitteln. Aber ich hatte keine andere Wahl, als weiterzumachen. Denn auch wenn Taehyung es noch nicht wusste, er brauchte diese Hilfe – ob er es nun wollte oder nicht. Und ich würde nicht aufhören, ihm zu zeigen, dass er nicht allein war.
Ich verließ das Büro, und obwohl der Tag noch lange nicht zu Ende war, fühlte ich mich, als ob ich gegen Windmühlen gekämpft hatte. Doch irgendwo tief in mir wusste ich, dass dies der einzige Weg war, um irgendwann wirklich einen Unterschied zu machen.
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Jinho:
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