29 || 𝙬𝙖𝙨𝙩𝙚𝙙 𝙩𝙞𝙢𝙚𝙨 ☾
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Louisa PoV
„So, heute werden wir die Teams einteilen für den Weihnachtsmarkt-"
Noch bevor Mrs. Chee ihren Satz zu Ende gesprochen hatte, stöhnten alle gleichzeitig und schauten genervt auf ihre Handys oder auf die Uhr. Offensichtlich hatte niemand Lust auf dieses Projekt. Mrs. Chee bemerkte es sofort und seufzte tief, als sie die Kreide in ihre Hand nahm.
„Muss das wirklich sein? Das ist doch Teil unserer Freizeit..."
Jimin stellte die Frage, während er sich bequem in seinem Stuhl zurücklehnte, und seine Miene war von einer Mischung aus Überdruss und Gelassenheit geprägt. Mrs. Chee sah ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an und nickte knapp.
„Ja, Jimin, es muss sein. Vorausgesetzt, ihr wollt nicht auf einen Bauernhof für eure Klassenfahrt, sondern nach Japan."
Ich konnte mir ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Am liebsten würde ich einfach zu Hause bleiben, in meinem Zimmer, mit den Vorhängen zugezogen und nichts tun. Kein Urlaub, keine Klassenfahrt, kein unnötiger Trubel.
„In meinem Zimmer, da will ich sein", dachte ich bei mir selbst.
Allein und ungestört. Kein Menschen, der mir auf die Nerven geht.
Mein Blick wanderte, wie von selbst, zu Hoseok. Er saß nur ein paar Tische entfernt, und dummerweise sah er im selben Moment zu mir. Unsere Blicke trafen sich, und ich spürte, wie meine Kehle sich verengte. Ohne nachzudenken, schenkte er mir ein kleines Lächeln, doch ich konnte es nicht erwidern. Es fühlte sich einfach falsch an. Ich drehte meinen Kopf sofort weg und starrte auf meinen Tisch, als wollte ich in den alten Notizen auf meinem Blatt Zuflucht suchen.
Ich wollte nicht sagen, dass ich mich wie ein Loser fühlte, aber... was sollte ich sonst denken? Ich hatte jetzt wirklich niemanden mehr. Ja, ich hatte keine Freunde. Kein einziges echtes Gesicht, das mich verstand. Kein Lachen, keine Gespräche.
„Wer braucht das schon?" versuchte ich mich selbst zu beruhigen. „Mir geht es auch so besser. Allein."
Aber tief in mir wusste ich es besser. Ich brauchte niemanden? Das war nur eine Lüge, die ich mir selbst erzählte, um nicht zuzugeben, wie sehr ich verletzt wurde.
Erst als ich wieder meinen Namen hörte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
„Louisa und Taehyung. Ihr werdet Plätzchen bei der Kinderklinik verkaufen."
Ich konnte mir ein lautstarkes Augenrollen nicht verkneifen. Wirklich jetzt? Muss das sein? Plätzchen verkaufen? Bei der Kinderklinik? Das war ja noch das geringste Übel. Aber allein die Vorstellung, mit Taehyung zusammenarbeiten zu müssen, machte mich wahnsinnig.
„Kann ich nicht mit jemand anderem in ein Team?" fragte ich, in der Hoffnung, dass die Lehrerin vielleicht ein wenig Nachsicht mit mir hatte. Aber Mrs. Chee ließ sich nicht beirren. Sie senkte die Augenbrauen und verschränkte die Arme.
„Wenn sich hier noch jemand beschwert, drehe ich durch. Es ist eure Klassenfahrt, für die ihr das Geld verdient, Herr Gott! Ist das denn wirklich so schrecklich?"
Keiner der anderen wagte es, sich zu äußern. Alle nickten synchron, jeder hatte sein eigenes Ding im Kopf. Aber ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. Wieso musste es ausgerechnet Taehyung sein?
„Ich könnte in der Zeit, in der ich da stehe und Plätzchen verkaufe, auch etwas mit meinem Freund machen. Sinnvolle Sachen", meinte Hoseok dann mit einem verschmitzten Grinsen, und für einen Moment glaubte ich, dass Mrs. Chee gleich explodieren würde. Sie warf die Kreide auf ihren Tisch und klatschte mit den Händen zusammen.
„Okay, Pause! Gören..." flüsterte sie, aber es war zu spät. Die ganze Klasse hatte es gehört. Niemand kümmerte sich um ihre Schimpftirade. Es war wie immer – niemand wollte sich die Mühe machen, sich an die Regeln zu halten.
Ich war immer noch sauer, dass ich ausgerechnet mit Taehyung in einem Team war. Ich wollte einfach nicht in seiner Nähe sein. Diese ständige Unsicherheit, diese Blicke, die ich nicht richtig deuten konnte – es war mir zu viel.
Ich war gerade dabei, mein Zeug in meinen Rucksack zu packen, als ich plötzlich Jimin hinter mir hörte.
„Hey, Lou. Ich wollte fragen-"
„Jimin, jetzt nicht", antwortete ich schroff, ohne ihn anzusehen. Aber er ließ sich nicht abwimmeln.
„Ich möchte doch nur fragen- hey, warte!"
Ich fühlte, wie er mich sanft am Handgelenk festhielt, aber es war genug, um meine Reaktion auszulösen. Der Schmerz durchzuckte mich, und ich zischte leise auf. Es war nicht viel, aber dieser kleine Druck an meinem Handgelenk reichte aus, um mich zu erinnern, wie verletzlich ich mich fühlte, wie dünn das Eis war, auf dem ich stand.
„Oh, tut mir leid", sagte Jimin, überrascht von meiner schmerzhaften Reaktion. Ich spürte seine Unsicherheit, aber in mir brodelte der Ärger weiter.
„Sollte es auch. Idiot..." flüsterte ich, und der bittere Geschmack dieser Worte brannte auf meiner Zunge.
Ich schnappte mir meinen Rucksack, ohne ihm noch einmal einen Blick zu schenken, und drehte mich ruckartig um, um aus dem Raum zu fliehen. Ich wollte einfach nur weg, mich von dieser ganzen Situation distanzieren und endlich wieder alleine sein.
Jimin PoV
Mit einem leichten Stirnrunzeln beobachtete ich, wie Louisa das Klassenzimmer in ihrem schwarzen, langen Hoodie verließ. Ihr Gang war schneller als gewöhnlich, fast hektisch, und sie vermied es, sich noch einmal umzudrehen. Sie schien sich von allem und jedem abzukapseln.
Schon seit Wochen verhielt sie sich so – immer zurückgezogen, immer distanziert. Es war, als ob sie sich bewusst von allem und jedem entfernte. Nicht einmal mehr mit ihren Freundinnen war sie wirklich zusammen. Früher waren sie ständig miteinander, lachten und redeten ohne Ende. Aber jetzt? Nichts.
Normalerweise wäre ich der Letzte, der sich in die Angelegenheiten anderer einmischen würde. Es gibt immer diese Leute, die sich in alles einmischen und dabei nichts verstehen. Aber bei Louisa war es anders. Sie war nie wirklich die Lauteste, aber sie hatte immer diese warme Art an sich, die einen sofort in ihren Bann zog. Doch jetzt war sie wie eine leere Hülle – immer still, immer in sich gekehrt.
Ich wusste nicht, warum es mich so beschäftigte, aber irgendwie konnte ich nicht aufhören, an sie zu denken. Was war mit ihr passiert? Warum war sie plötzlich so... verschlossen?
„Was ist mit dir, Louisa?" murmelte ich leise vor mich hin, als ich ihr nachsah.
Es frustrierte mich, dass ich keine Ahnung hatte, was in ihrem Kopf vorging. Früher hätte ich nie gedacht, dass ich mir Sorgen um sie machen würde. Aber jetzt, da ich sie so oft alleine und isoliert sah, konnte ich nicht anders, als mich zu fragen, was hinter diesem undurchdringlichen Vorhang aus Stille und Distanz steckte.
War es etwas, das ich hätte bemerken müssen? Etwas, das ich hätte verhindern können?
Warum schottete sie sich ab? Und warum schien niemand sonst etwas zu bemerken?
Ich starrte noch lange in die Richtung, in die sie gegangen war, mit einem Gefühl von Unsicherheit und Sorge, das sich in mir festsetzte.
•••
Louisa PoV
Es war mittlerweile Donnerstagmittag, und Taehyung und ich hatten endlich die Kinderklinik erreicht, um unseren Stand aufzubauen. Zumindest er hatte alles im Griff, während ich nur neben ihm stand und wenig tat, außer mich schlecht zu fühlen.
„Willst du vielleicht auch mal was helfen oder stehst du da nur sinnlos rum?", fragte Taehyung, während er die Stühle aufstellte. Ich blickte auf die leeren, starren Stühle, fühlte aber nichts außer den drückenden Schmerz in meinem Magen.
„Sorry, mir geht's nicht so gut...", murmelte ich, meine Arme fest um meinen Bauch gelegt, als versuche ich, mich selbst zu stützen. Der Schmerz war unerträglich, und ich wusste nicht, was genau mit mir los war, aber es war schlimmer als sonst.
Taehyung starrte mich skeptisch an. „Dann iss was. Du hast heute schon wieder kein Frühstück mitgenommen..."
Schon wieder wollte er mit dieser endlosen Diskussion anfangen, und ich konnte es einfach nicht mehr hören. Ich hatte es satt, ständig darauf angesprochen zu werden.
In einem schnellen Reflex riss ich ihm den Stuhl aus der Hand, den er gerade aufstellen wollte. „Lieber arbeite ich anstatt darüber zu reden", sagte ich schroff, um das Thema abzuwürgen.
Taehyung seufzte genervt, aber ich war froh, dass er mich nicht weiter damit quälte. Ich wollte einfach nur, dass er aufhörte, sich um mich zu kümmern. Als er schließlich nach dem Stuhl griff, der mir wieder abgenommen wurde, starrte ich ihn mit einem skeptischen Blick an.
„Gib schon her! Dann arbeite ich halt...", sagte ich, als ich ihm wieder den Stuhl entreißen wollte.
Doch Taehyung ließ nicht locker und zog den Stuhl erneut weg. „Nein, ich mache es. Ist schon gut."
Ich warf ihm einen ‚dein Ernst?' Blick zu. Was sollte das? Warum konnte er nicht einfach akzeptieren, dass ich es machen wollte?
„Tja, Pech. Jetzt will ich es machen", antwortete ich, griff wieder nach dem Stuhl, aber Taehyung blieb hartnäckig.
„Louisa, jetzt lass schon los. Ich mach es einfach."
„Nein, du Sturkopf! Gib jetzt her!", rief ich und zog weiterhin an dem Stuhl, ohne ihn loszulassen. Der Schmerz in meinem Magen war immer noch da, doch in diesem Moment konnte ich es nicht zulassen, dass er mich weiterhin wie ein hilfloses Kind behandelte.
„Ich? Stur? Sagt die Richtige... Woah!"
Plötzlich verlor Taehyung das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Ohne dass ich etwas tun konnte, landete er direkt auf mir. Der Aufprall war unangenehm, doch zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig mit seinen Händen abstützen, sodass er nicht mit seinem ganzen Gewicht auf mir landete.
Mein Herz schlug schneller, und ich spürte für einen Moment, wie sich die Luft um uns herum veränderte. Taehyung starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, genauso überrascht wie ich.
„Super, ist es das, was du erreichen wolltest?" Meine Stimme war scharf und voll von Frustration, als ich Taehyung anstarrte. Die Wut in mir brodelte, als ich versuchte, mich von ihm zu befreien. Aber statt dass er sich bewegte, fing Taehyung einfach an zu lachen.
„Was? Wieso lachst du jetzt so bescheuert?" Ich konnte es nicht fassen. Es war, als würde er sich über meine Wut amüsieren, und das brachte mich zum Überkochen.
„Nichts, es ist nur süß, wie du dich über jede Kleinigkeit aufregst."
„Huh? S-Süß? Halt die Klappe!" Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, und ich versuchte, ihn von mir zu schubsen. Aber er blieb einfach da, bewegte sich keinen Zentimeter, als ob meine Wut ihn gar nicht interessierte.
„Yah! Hast du was genommen? Geh runter von mir! Und hör auf, so dumme Sachen zu sagen, wenn du sie eh nicht so meinst." Ich ballte die Fäuste, die Haut über meinen Handflächen zog sich schmerzhaft zusammen, als ich versuchte, mich zu beherrschen. Warum musste er mich so provozieren?
Doch plötzlich hörte Taehyung auf zu grinsen. Ein ernstes, fast schon besorgtes Gefühl trat in seinen Augen. Es war, als hätte er die ganze Situation plötzlich aus einer anderen Perspektive gesehen, und sein Blick traf mich mit einer Intensität, die ich nicht ertragen konnte. Er sah nicht mehr wie der Taehyung aus, der mich immer wieder verletzt hatte. Es war, als würde er mir etwas sagen wollen, etwas, das er sich lange zurückgehalten hatte.
„Wer sagt, dass ich es nicht so meine? Nur weil wir nichts mehr miteinander haben können, kann ich die Sachen, die du machst, nicht mehr süß finden oder was?"
Seine Worte hingen in der Luft, und für einen Moment war alles still. Die Welt um uns herum schien sich zu verlangsamen. Meine Brust zog sich zusammen, als ob er mir einen Schlag versetzt hätte. Es traf mich, härter als alles, was er je zu mir gesagt hatte. Taehyung, der Junge, der so viel von mir verlangt hatte, der mich verletzt hatte – er konnte nicht einfach so tun, als ob nichts mehr zwischen uns war. Und doch hatte er in irgendeiner Weise immer noch eine Bedeutung für mich.
Ich wollte ihm antworten, doch plötzlich drückte er nachdrücklich nach meinen Wangen und zog sie zusammen.
„Ich kann dir jetzt also nicht mehr sagen, dass ich deine Bäckchen total knuffig finde, hm?"
Seine Stimme klang leicht verspielt, aber der Blick in seinen Augen war ernst. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als sich meine Wangen unter seinen Händen zusammenzogen, und ich versuchte, mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Doch anstatt mich zu wehren, fuhr ein unwillkürlicher Gedanke durch meinen Kopf: Wieso musste er mich immer so durcheinander bringen?
„Hör auf zu lügen, ich bin fett."
Die Worte kamen heraus, bevor ich sie stoppen konnte. Sie klangen kalt und leer, und als ich sie selbst aussprach, spürte ich die Welle der Selbstabwertung, die sie mit sich brachten. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, der mir einen Kloß im Hals hinterließ. Taehyung starrte mich an, seine Augen weiteten sich vor Schock, als ob er nicht gewusst hatte, dass diese Worte aus mir herauskommen würden.
„Was redest du da?"
Sein Ton war verwirrt, aber bevor ich weiter darauf antworten konnte, hörte ich plötzlich eine kleine Stimme aus der Nähe.
„Wann hat der Stand geöffnet?"
Ich drehte mich ruckartig zur Seite und sah ein kleines Mädchen vor uns stehen, das einen Teddy fest in ihren Armen hielt. Ihr Gesicht war von Krankheit gezeichnet, ihre Haut schien fast zu blass und ihre Augen wirkten müde und voller Sorge. Der Schmerz, den ich in ihrem Blick sah, ließ mich innehalten. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Das kleine Mädchen wirkte so zerbrechlich, als ob jeder Moment sie aus der Welt reißen könnte.
Ohne nachzudenken, schob ich Taehyung von mir und trat einen Schritt zurück, um dem Mädchen zu antworten.
„In einer Stunde. Komm doch einfach später wieder, okay?" Die Worte kamen schnell und ohne Nachdenken über die Konsequenzen. Aber der Gedanke, dass sie zu uns kommen würde, ohne dass sie sich Plätzchen leisten konnte, brach mir fast das Herz.
„Schon gut, ich hab leider kein Geld, und mein großer Bruder kommt erst später", sagte sie mit einer Stimme, die von Traurigkeit und Akzeptanz durchzogen war. Diese Worte trafen mich hart, als ob mir jemand ein Messer in die Seite rammte.
Es tat mir so leid, dass ein kleines Mädchen, das mit einer Krankheit kämpfte, sich etwas so Einfaches wie Plätzchen nicht leisten konnte. Ihre Unschuld und ihr Lächeln schienen fast unverständlich im Kontrast zu ihrer Situation.
„Oh! Das ist kein Problem. Ich geb dir später ein paar Plätzchen umsonst, okay?" Die Worte fielen von meinen Lippen, ohne zu überlegen. Aber als ich sie sprach, wusste ich, dass sie richtig waren. Ich konnte es einfach nicht zulassen, dass sie ohne ein kleines Stück Freude von uns wegging.
Das Mädchen strahlte mich an, als hätte ich ihr den größten Wunsch erfüllt. „Dankeschön, hübsches Mädchen! Ich komm dann später wieder, ich freu mich schon!" Sie hüpfte, der Teddy fest an ihre Brust gedrückt, fröhlich davon. Und während ich ihr nachsah, spürte ich den Kloß in meinem Hals.
Armes Kind. Warum konnte sie nicht einfach in Frieden leben? Warum mussten Kinder solche Lasten tragen?
Ich drehte mich zu Taehyung, der immer noch auf dem Boden lag und mich ansah. Er hatte alles gehört, und seine Augen waren jetzt nicht mehr so verspielt wie zuvor. Etwas in seinem Blick war jetzt ernst, fast nachdenklich. Ich wusste nicht, was in ihm vorging, aber ich konnte fühlen, wie er meine Emotionen in diesem Moment teilte.
„Worauf wartest du?" sagte ich scharf, versuchte, meine Emotionen unter Kontrolle zu bringen. „Lass uns diesen Stand aufbauen und Kinder glücklich machen."
Es fühlte sich fast leer an, diese Worte auszusprechen, aber irgendwie wusste ich, dass es das Einzige war, was wir tun konnten. Wenn ich schon nicht glücklich sein konnte, dann konnte ich wenigstens versuchen, anderen etwas Freude zu bringen. Vielleicht war das der einzige Weg, wie ich mich ablenken konnte.
„Lass uns das hier durchziehen. Für sie", fügte ich hinzu, und deutete in die Richtung, in die das Mädchen verschwunden war. Denn irgendwo tief in mir wusste ich, dass es noch Menschen gab, die trotz allem Hoffnung und Freude verdienten. Und das war der einzige Grund, warum ich weitermachte.
•••
Taehyung PoV
„Hier, bitteschön", sagte ich sanft und reichte dem kleinen Mädchen mit dem gebrochenen Arm ein frisch gebackenes Plätzchen. Ihr Gesicht strahlte auf, als sie es annahm, und sie schenkte mir ein bezauberndes Lächeln.
„Danke, Junge, der aussieht wie ein Prinz!" Sie klang so aufrichtig und unschuldig, dass ich automatisch errötete und ein kleines Lächeln nicht zurückhalten konnte.
„Aish, sag sowas nicht. Du bist hier die Prinzessin, nicht ich", antwortete ich, wobei ich mich ein Stück über den Stand beugte, um ihr sanft über den Kopf zu streicheln. Ihre Haare fühlten sich weich an, und für einen Moment vergaß ich alles um mich herum. Dieses kleine Mädchen hatte einfach so viel Freude, trotz allem, was sie durchmachte.
Gerade als ich zurück in den Stand blickte, kamen plötzlich ein paar weitere Kinder angelaufen. Ein kleines Mädchen hielt ein Buch in der Hand und hüpfte voller Energie auf uns zu.
„TaeTae! Liest du uns bitte was vor?" Ihre Stimme war voller Vorfreude, als sie das Buch „Die Eiskönigin" in die Luft hielt.
Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. „Klar! Kommt her", antwortete ich und hob zwei der Kinder auf meinen Schoß, eines auf dem linken und das andere auf dem rechten Schenkel. Ihre kleinen Körper schienen sofort zu entspannen, als sie sich an mich lehnten.
Louisa nahm ebenfalls ein kleines Kind auf ihren Schoß, einen kleinen Jungen, der noch einen Schnuller im Mund hatte. Sie schien genauso gut mit den Kindern umgehen zu können wie ich. Sie lächelte ihn an und fragte: „Und, wie alt bist du?" Der Junge hob zwei Finger in die Luft, und sie antwortete erstaunt: „2 schon? Wow!"
Die Szene war einfach so liebevoll. Kinder, die in unserer Nähe waren, die sich geborgen fühlten, die uns vertrauten. Es war fast wie eine kleine Familie, in der ich den Kindern zuhören konnte, wie sie voller Unschuld fragten und einfach nur glücklich sein wollten.
„Tae, bist du mein Retter?" fragte das kleine Mädchen auf meinem Schoß, und ich zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Retter?" Wiederholte ich, ohne ganz zu verstehen, was sie meinte.
„Ja, rettest du mich vor meinem Krebs?" Ihre Augen waren groß und voller Hoffnung, und ich konnte in ihrem Blick eine Mischung aus Unschuld und Angst erkennen. Der Blick, den sie mir zuwarf, brach mir das Herz.
In diesem Moment erstarb das Lächeln in meinem Gesicht, und ich war mir unsicher, wie ich auf eine solche Frage reagieren sollte. Ich wusste nicht, wie ich dieser kleinen Seele helfen konnte. Aber ich wusste, dass ich nicht zulassen konnte, dass sie sich in diesem Moment allein fühlte.
Ich warf einen kurzen, besorgten Blick zu Louisa hinüber, bevor ich mich wieder dem Mädchen zuwandte und mir ein beruhigendes Lächeln aufsetzte. „Uhm... warum fangen wir nicht einfach an, euch etwas vorzulesen? Das wolltet ihr doch, stimmts?"
Die Mädchen schauten mich mit glänzenden Augen an und lehnten sich an mich, um es sich gemütlich zu machen. Das „Yayy!" der beiden Mädchen erfüllte die Luft, und ich konnte nicht anders, als erleichtert aufzuatmen. Ich musste stark bleiben, für sie und für mich. Auch wenn ihr Wunsch nach Rettung mich schmerzte, wusste ich, dass ich für diesen Moment der Held für sie sein konnte, indem ich ihnen etwas ablenkte.
Ich begann, die Geschichte zu lesen, meine Stimme war ruhig und sanft, um die Kinder zu beruhigen und ihre Herzen ein wenig zu erwärmen. Der kleine Junge auf Louisa's Schoß strahlte ebenfalls, als er meine Erzählung hörte, und die Atmosphäre wurde etwas leichter.
Louisa schien auch betroffen zu sein von den Worten des Mädchens, aber sie versteckte ihre Emotionen gut. Während ich las, sah ich sie gelegentlich an, und ich wusste, dass auch sie sich wünschte, den Kindern irgendwie zu helfen. Sie fuhr fort, die Plätzchen zu verkaufen, aber ich konnte sehen, wie ihr Herz für diese Kinder schlug, genauso wie meins.
Es war fast wie eine stillschweigende Übereinkunft zwischen uns, diese Kinder zu unterstützen, in welcher Form auch immer wir es konnten. Auch wenn unsere eigenen Herzen von der Dunkelheit des Lebens gezeichnet waren, konnten wir zumindest diesen Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Ich las weiter, meine Stimme sacht und einladend, während ich versuchte, die Emotionen von all dem Schmerz in mir zu verbergen. Aber tief im Inneren wusste ich, dass dieser Moment mit den Kindern der einzige war, der noch wirklich zählte. Und dass ich alles tun würde, um diesen kleinen Seelen zumindest ein wenig Trost zu spenden.
•••
Louisa PoV
Es war schon spät, und der Stand war fast vollständig abgebaut. Der Himmel war dunkel, die Straßen erleuchtet von den wenigen Lichtern, die noch brannten, und die meisten Stände um uns herum waren längst geschlossen. Nur Taehyung und ich standen noch da, die letzten Reste des Events aufräumend. Die Kinder waren längst nach Hause gegangen, und der laute Trubel hatte sich in einen stillen, fast melancholischen Frieden verwandelt.
Die meiste Zeit herrschte Stille zwischen uns, abgesehen von dem leisen Klirren von Tassen und dem Rascheln von Pappbechern, die wir noch in die Tüten steckten. Doch dann durchbrach Taehyung plötzlich die Ruhe.
„Sie ist noch so klein", sagte er leise, fast nachdenklich. „Als sie auf meinem Schoß saß, hab ich sie fast gar nicht gespürt, weil sie so zierlich war. Wie kann so ein kleines Mädchen schon gegen so etwas Schreckliches wie Krebs kämpfen müssen? Das ist furchtbar."
Seine Stimme war tief und melancholisch, und ich konnte den Schmerz in seinen Worten hören. Er dachte an das kleine Mädchen zurück, das mit großen, hoffnungsvollen Augen auf ihm gesessen hatte, während wir die Geschichten vorgelesen hatten. Die Worte, die das Mädchen gesagt hatte, dröhnten immer noch in meinem Kopf. „Rettest du mich vor meinem Krebs?"
Ich wollte etwas sagen, wollte ihm antworten, aber plötzlich überkam mich ein unerwarteter Würgereiz.
Taehyung PoV
Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen, als ich Louisa in der Mülltonne erbrechen sah. Ich hatte die Stille nicht erwartet und auch nicht, dass sie sich plötzlich übergeben würde. Der Anblick traf mich wie ein Schlag. In einer Sekunde war ich bei ihr, und alles andere verlor seine Bedeutung.
„Was zur—", stieß ich überrascht aus, als ich mich hastig zu ihr beugte. Mein Herz raste, und ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf. Louisa war immer so stark, aber jetzt war sie hier, am Boden, schwach und hilflos.
„Hey, hey, hey. Ganz ruhig...", sagte ich beruhigend, während ich vorsichtig ihre Haare nach hinten strich, damit sie sich nicht in den feuchten Strähnen verfing. Ihre Bewegungen waren schwach und gehetzt, ihre Atmung unregelmäßig. Sie spuckte immer wieder in die Mülltonne, und es war mir unangenehm, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich da sein musste. Der Geruch von Abfall – das konnte ich irgendwie ignorieren. Aber Louisa, die hier vor mir war, mit diesem Schmerz und Unwohlsein – das konnte ich nicht einfach hinnehmen.
Nach einer Weile hörte sie auf, und ihre Schultern sackten nach unten. Ihr Körper war noch immer von der Anstrengung erschöpft. Ich nahm vorsichtig ihre Arme, half ihr, sich aufzurichten, und dann merkte ich, wie instabil sie war. Ihre Beine zitterten unter ihr, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen könnte. „Geht's wieder?", fragte ich mit einer sanften, aber besorgten Stimme.
Sie schüttelte den Kopf, und ich sah, wie sie nach vorne kippte, fast auf den Boden gefallen wäre. In diesem Moment griff ich nach ihr, nahm sie vorsichtig in meine Arme und hob sie hoch, als ob sie nichts wog. Sie war so zerbrechlich in meinen Armen, und das fühlte sich irgendwie falsch an, sie so schwach und hilflos zu sehen. „Ich glaube, es ist besser, wenn du dich erstmal hinlegst. Du siehst echt nicht gut aus", sagte ich, während ich sie langsam und vorsichtig in das nächstgelegene Zimmer trug.
Ich legte sie behutsam auf das Bett, als wäre sie aus feinstem Porzellan, das jeden Moment zerbrechen könnte. Ihr Gesicht war leichenblass, und der Ausdruck in ihren Augen war alles andere als beruhigend. Sie schloss die Augen, aber ich konnte sehen, dass sie noch bei Bewusstsein war. Ich spürte, wie sich die Sorge in meinem Magen zusammenzog, als ich sie so hilflos liegen sah. Ich wollte ihr helfen, ihr sagen, dass alles gut werden würde, aber ich wusste nicht, wie.
„Ich geh mal einen Arzt holen, Ja?", schlug ich vor, als ich mich abwandte, um zur Tür zu gehen. Doch plötzlich hielt sie mich zurück. Ihre Hand umfasste mein Handgelenk mit einer festen, fast verzweifelten Geste. Ihre Augen waren immer noch geschlossen, aber ihre Stimme war ein leises Flüstern, das sich in mir festsetzte. „Nein. Kein Arzt, bitte...", bat sie, und ich konnte die Entschlossenheit in ihrer Stimme spüren, obwohl sie schwach klang.
Ich zögerte und drehte mich wieder zu ihr um. „Dann trink und iss wenigstens etwas. Ich glaube nämlich, dass dies der Grund ist, warum du grade beinahe umgekippt bist", sagte ich, während ich zu einem Glas Wasser griff, das auf dem Tisch stand. Doch sie öffnete langsam ihre Augen und starrte mich mit einem Blick an, der schwerer war als tausend Worte.
„Nein, ist es nicht", widersprach sie mir und schüttelte ihren Kopf, als wolle sie mich davon abhalten, weiter zu bohren. Ihre Stimme war ruhig, aber ich konnte den Widerstand darin spüren.
„Lüg mich nicht an", entgegnete ich ruhig. Ich wusste, dass etwas anderes hinter ihrer Schwäche steckte. Etwas, das sie nicht bereit war, mir zu sagen. Sie war nicht die erste Person, die mir das versuchte, aber ich kannte ihren Widerstand. Sie hatte immer ihre Mauern, und jetzt war sie mehr als nur verärgert, dass ich es versuchte, sie zu durchbrechen. „Louisa, du hast dich gerade übergeben und bist beinahe umgefallen. Natürlich mach ich mir Sorgen! Was denkst du eigentlich? Ich bin kein Monster, verdammt! Ja, ich hab Fehler gemacht, aber das heißt nicht, dass du mir jetzt scheißegal bist oder dass ich ein Unmensch bin!"
Meine Stimme war lauter geworden, aber ich hielt mich zurück. Sie war immer noch stur, ihr Blick starr und verschlossen. Doch ihre Antwort war kalt und bestimmt, was mir den Atem nahm. „Schön, aber jetzt hast du mich ja hierhergebracht, also kannst du gehen", sagte sie, ihre Stimme fast emotionslos, aber trotzdem schmerzhaft.
Es traf mich härter, als ich erwartet hatte. Ihre Worte waren wie Messerstiche, aber ich wusste, dass ich sie nicht zwingen konnte, mir zuzuhören. „Ist es das, was du willst? Soll ich wirklich gehen?", fragte ich leise, obwohl jeder Teil von mir versuchte, zu verstehen, warum sie so reagierte.
Sie nickte, stumm, ohne einen weiteren Blick zu werfen. Ihre Antwort war klar und verletzend, aber ich wusste, dass ich sie jetzt nicht einfach zwingen konnte, meine Nähe zu ertragen. „Okay", murmelte ich, als ich mich von ihr abwandte.
Bevor ich den Raum verließ, griff ich nach der Wasserflasche, die ich bei mir hatte, und stellte sie auf den Tisch neben ihr. „Hier, eine Wasserflasche. Tu mir einen Gefallen und trink etwas daraus. Es wird deinem Kreislauf gut tun", sagte ich und sah sie ein letztes Mal an, auch wenn sie mich nicht anschaute.
Ich drehte mich um und verließ den Raum. Die Tür schloss sich hinter mir, aber mein Herz blieb bei ihr. Ich wusste, dass sie mich gerade nicht brauchte, aber ich konnte sie nicht einfach in dieser Verfassung allein lassen. Doch sie hatte sich entschieden, dass sie alleine sein wollte. Und das respektierte ich, auch wenn es mich innerlich zerbrach.
Louisa PoV
Ich saß auf dem Bett, meine Tränen liefen mir die Wangen hinab, aber ich ließ sie laufen. Es war das erste Mal, dass ich mich so richtig fallen ließ, seitdem Taehyung weg war. Ich hatte so lange die Fassade aufrechterhalten müssen, hatte versucht, stark zu bleiben, aber jetzt, wo er gegangen war, fiel all die Wut, die Enttäuschung, die ich so lange in mir getragen hatte, auf mich zurück.
Dieser Idiot. Erst verlässt er mich einfach, dann taucht er wieder auf und tut so, als wäre alles in Ordnung. Helfen, sich kümmern – was sollte das alles? Wenn er wirklich so ein guter Mensch war, warum hatte er mich dann einfach abserviert? Warum hatte er mir das alles angetan? Warum konnte er mir nicht einfach in Ruhe lassen?
Ich wusste, dass ich es ihm nicht verzeihen konnte. Und doch war ich so wütend auf mich selbst, dass ich immer noch auf seine Hilfe angewiesen war. Diese Nähe, die er mir jetzt wieder bot – sie verletzte mich mehr, als sie mir half. Es war, als ob er mir mit einer Hand die Hilfe gab und mit der anderen mein Herz weiter zerriss.
Und das mit der Periode. Das war eine Lüge. Ich konnte nicht einfach zugeben, dass es nicht nur der Kreislauf war. Es war das ständige Hungern, das ständige Gefühl der Leere in mir. Ich hatte schon so lange nicht mehr richtig gegessen, dass mein Körper mich jetzt im Stich ließ. Aber das durfte niemand wissen. Vor allem nicht Taehyung. Er konnte niemals erfahren, dass ich mich selbst so kaputt machte. Das durfte niemand wissen.
Ich wischte mir die Tränen ab und versuchte, mich zu beruhigen. Der Gedanke an den Arzt hatte mich noch weiter verängstigt. Wenn der Arzt kommen würde, würde er es vielleicht herausfinden. Er würde merken, dass ich nicht nur krank war, sondern dass ich mich selbst in diese Situation brachte. Die Dinge, die ich mir im Geheimen antat, die durfte einfach niemand erfahren.
Doch mitten in meinem emotionalen Zusammenbruch, als ich glaubte, allein zu sein, hörte ich plötzlich, wie sich die Tür öffnete. Ein Geräusch, das mich für einen Moment erstarren ließ. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder fürchten sollte. Wer war da?
Louisa PoV
„Taehyung, geh weg! Ich hab doch gesagt, dass du verschwinden sollst!" Meine Stimme war brüchig und heiser, gefüllt mit einem Schmerz, der so tief ging, dass es mir schwerfiel, auch nur ein weiteres Wort herauszubringen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, nicht mehr fühlen, wie er mich wieder und wieder verletzte – doch statt des vertrauten Geräusches von Schritten, die sich entfernten, hörte ich plötzlich eine andere Stimme, die mich ansprach.
„Louisa?"
Diese Stimme. Es war nicht Taehyung. Es war Jimin. Der Raum schien für einen Moment stillzustehen, und ich drehte mich in Zeitlupe um, den Blick auf den Türrahmen gerichtet, als wäre er ein Felsen in der Brandung. Und da stand er – Jimin. Er hatte das Zimmer betreten, ohne dass ich es bemerkt hatte, und nun stand er da, die Augen weit aufgerissen, als er mich erblickte.
Sein Blick war erschrocken, verwirrt, und als er mich so sah – Tränen, die über meine Wangen liefen, die Hände zitternd an meinen Seiten – wusste ich, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Doch in seinen Augen war auch eine tiefe Besorgnis, als hätte er plötzlich etwas entdeckt, von dem er nicht wusste, dass es existiert.
„Was zur Hölle? Was ist passiert? Wieso weinst du?" Seine Stimme klang jetzt etwas leiser, als er sich näherte, aber es war keine Aggression in seinen Worten, nur unendliche Besorgnis.
Ich konnte ihm nicht antworten. Die Worte, die sich in meinem Kopf sammelten, wollten einfach nicht herauskommen. Alles, was ich spürte, war der Kloß in meinem Hals, der die Worte erstickte, und der Druck auf meiner Brust, der mich fast erdrückte. Ohne nachzudenken stand ich auf und trat näher zu ihm, mein Blick verzerrt vor Schmerz, bevor ich meine Arme um seinen Hals legte und mich an ihn klammerte. Es war, als ob er der einzige sichere Hafen inmitten dieses Chaos war.
Ich spürte, wie er zögerte, als er meine Umarmung erwiderte, aber dann legte er seine Arme fest um meine Hüften. Seine Berührung war ruhig und tröstlich, aber nichts davon konnte die Wut und den Schmerz in mir lindern. „Es tut mir leid, dass du mich so abgefuckt sehen musst, aber mir geht es überhaupt nicht gut", schluchzte ich zwischen den Tränen hindurch. Es war wie ein Ventil, das aufsprang, aber es half mir nur kurzzeitig.
„Hey, ist schon gut." Jimin flüsterte es sanft, aber ich konnte sehen, dass seine Verwirrung größer wurde. Er hatte keine Ahnung, was wirklich in mir vorging, warum alles so zerbrochen war.
„Nein! Nein! Garnichts ist gut!" Der Ausbruch kam wie ein Donnerschlag. Ich löste mich von ihm, trat einen Schritt zurück und sah ihn mit tränenerfüllten Augen an. „Mein gesamtes Leben ist ein einziges Chaos, und alles fällt gerade auseinander! Ich will einfach nur rennen, weit weg von diesem Ort, von allem!" Die Worte waren wie ein Schrei, der aus mir herausbrach, als ob ich all das auf einmal loswerden musste.
Jimin starrte mich einfach nur an, die Stirn in tiefe Falten gezogen, und ich konnte sehen, wie er versuchte, zu verstehen, was in meinem Inneren vor sich ging. „Was redest du denn da? Ich verstehe gerade echt überhaupt nichts..." Seine Stimme war von Sorge durchzogen, aber auch von Verwirrung. Natürlich verstand er nicht. Wie sollte er auch? Niemand wusste, was in mir vorging, wie es sich anfühlte, in diesem Sturm der Gefühle gefangen zu sein.
„Jimin, du musst mir versprechen, dass du nichts von dem, was ich dir jetzt erzähle, irgendjemandem weitererzählen wirst, okay?" Ich konnte spüren, wie der Druck in meiner Brust wuchs, als ich ihm in die Augen sah. In diesen Augen lag eine Besorgnis, die mich fast ersticken ließ. Ich musste mit jemandem reden, doch gleichzeitig fürchtete ich mich vor den Konsequenzen. Ich wollte nicht, dass jemand, der mir noch etwas bedeutete, von dem erfahren würde, was in meinem Leben alles schiefgegangen war. Doch ich konnte nicht mehr schweigen.
Jimin starrte mich einen Moment lang an, als ob er versuchte, abzuwägen, was ich wirklich von ihm wollte. Doch dann nickte er. „Ich verspreche es", sagte er in einer ruhigen, aber bestimmten Stimme. Diese Worte waren wie ein Versprechen, das nicht nur Worte waren, sondern ein Versprechen, dass er für mich da sein würde, egal was es war.
Ich atmete tief ein und ließ mich wieder auf das Bett sinken, als ob mir die Energie aus dem Körper entwich. Jimin setzte sich vorsichtig neben mich, ohne mir Druck zu machen, ohne zu versuchen, sofort eine Lösung zu finden. Es war, als ob er wusste, dass ich gerade nur einen Moment brauchte, um zu atmen, um mich von der Flut der Gefühle zu erholen.
Es war so still zwischen uns, nur mein leises Schluchzen war zu hören. Doch irgendwie fühlte sich dieser Moment nicht mehr ganz so erdrückend an. Irgendwie war es ein kleines Stück leichter, als wüsste ich, dass ich nicht mehr ganz so allein war. Es war noch ein langer Weg, aber wenigstens war er an meiner Seite, und das hatte ich mir nie zu träumen gewagt.
Ich schaute zu ihm, und für den Bruchteil eines Moments konnte ich mich in seinen Augen verlieren. Jimin, der mich nicht verurteilte, der nicht fragte, warum oder wieso, sondern einfach nur da war. Und in dieser Stille wusste ich, dass ich nicht mehr schweigen musste.
•••
Louisa PoV
„Das ist echt...heftig." Der Satz war mehr ein Seufzen als ein richtiges Gespräch, doch in diesem Moment wusste Jimin, dass er es verstanden hatte. Ich konnte nur leise nicken, als ich einen Schluck aus der Wasserflasche nahm, die mir Taehyung dagelassen hatte. Mein Magen rebellierte ein wenig, aber der Durst war zu groß.
„Wem sagst du das..." Ich hörte, wie Jimin neben mir auf dem Krankenzimmerbett seufzte, die Last der Worte, die wir gerade austauschten, schien uns beide zu erdrücken.
„Deine Mutter ist eine fucking Hexe, no front an der Stelle." Jimin hatte es einfach ausgesprochen. Ohne Umschweife, ohne Rücksicht auf irgendwas. Es war keine Beleidigung, sondern eine klare Wahrheit, und das sagte er mir ohne ein Zögern.
Ich sah ihm in die Augen und seufzte dann schwer. „Schon okay. Du hast recht. Sie ist eine Hexe, eine Hexe, die im Feuer hätte verbrennen sollen." Meine Worte klangen härter, als ich sie meinte, doch in diesem Moment wollte ich einfach nicht mehr zurückhalten. Ich musste es einfach rauslassen.
Jimin wusste jetzt alles. Alles über die Sache mit Taehyung, die Verwirrung, die ich in mir getragen hatte, und auch über das Ding mit Namjoon. Ich hatte ihm alles erzählt, was in mir schwelte. Aber noch etwas hatte ich ihm nicht gesagt – und das würde ich auch nicht tun. Die düsteren Gedanken, die mich quälten, das Nicht-Essen, das ständige Gefühl der Leere – das war etwas, das er nicht wissen durfte. Und das Selbstverletzen... das war der Punkt, an dem ich niemals wollte, dass jemand zu nah kam.
„Was rede ich hier überhaupt? Ich klinge schon genau so skrupellos wie meine Mutter. Gott, ich bin genauso ein schlechter Mensch wie sie. Ich hab versucht..." Der Gedanke an all das, was ich getan hatte, brach wieder in mir auf. Doch Jimin ließ es nicht zu, dass ich mich weiter in diesem Strudel der Selbstverurteilung verlor.
„Hey, hey, hey. Sag sowas nicht, okay? Du bist nicht wie deine Mutter. Du bist ein liebevoller und netter Mensch und das mit der Hausverbrennung war nur eine Kurzschlusshandlung, die du getan hast, um Taehyung zurückzubekommen."
Jimin legte seine Hand auf meine, und obwohl es nur eine kleine Geste war, spürte ich sofort die Wärme und das Mitgefühl, das von ihm ausging. Ich runzelte meine Stirn, als ich seine Worte hörte. „Bist du nicht angewidert? Dass ich etwas mit meinem Stiefbruder hatte? Wieso hasst du mich nicht für all das, was ich getan habe?"
Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen. Ich hatte das Gefühl, ich sollte verurteilt werden, dass es falsch war, was passiert war. Doch Jimin, der immer so schroff und hart wirkte, überraschte mich einmal mehr mit seiner Haltung.
„Warum sollte ich angewidert sein? Taehyung und du seid nicht Blutsverwandt, also was spricht dagegen, dass ihr etwas hattet? Solange ihr es beide wolltet, ist es legitim. Ich verurteile euch dafür nicht."
Die Worte kamen aus Jimin so selbstverständlich, als ob es nichts Außergewöhnliches war. Vielleicht war es das auch nicht. Und dann begriff ich, dass er nicht der Mensch war, den ich mir immer ausgemalt hatte. Er war nicht nur der verrückte Junkie, sondern ein Mensch, der in der Lage war, Verständnis und Freundschaft zu geben.
„Und was das Hassen angeht... ich hasse dich dafür, dass du nicht schon früher etwas gesagt hast. Ich bin mir sicher, dass weder Jin noch Hoseok noch sonst jemand dich dafür verurteilt hätte – für gar nichts. Ich bin mir sicher, sie würden dich genauso sehr verstehen wie ich es grade tue. Es ist nicht gut, so viel in sich reinzufressen und alles alleine auszumachen."
Ich warf einen Blick auf Jimin, seine Worte drangen langsam in mein Bewusstsein. Wie konnte er so sicher sein? Aber er hatte recht. Ich hatte nie wirklich versucht, mich jemandem zu öffnen, nie wirklich um Hilfe gebeten. Und in diesem Moment wusste ich, dass ich nie wirklich allein war.
„Ich weiß, ich hab mich nur so ausgenutzt gefühlt von jedem. Von Jennie, von Jisoo, von Namjoon-" Doch bevor ich weiter sprechen konnte, wurde ich wieder von Jimin unterbrochen.
„Ja, aber wir sind keine von diesen Leuten. Wir sind deine wahren Freunde, die dich niemals ausnutzen würden. Das ist eine Sache, bei der du dir sicher sein kannst. Wir haben dich sogar alle schon vermisst."
Er stupste mich leicht an und ich war überrascht. Der Moment fühlte sich plötzlich viel leichter an. Diese einfache, vertraute Geste – es war alles, was ich in diesem Moment gebraucht hatte.
„Im Ernst?" Ich schaute Jimin an, als ob ich in einem Traum wäre.
„Natürlich! Was denkst du denn? Denkst du, unsere kleine LouLou fehlt uns nicht oder was?"
Ich konnte nicht anders, als leise zu lachen, als er mich mit diesem Spitznamen ansah. LouLou? Wo kam der nur her?
„Was machst du hier eigentlich? Ich meine, man kommt ja nicht zum Spaß in ein Kinderkrankenhaus."
Ich versuchte, die Situation ein wenig aufzulockern, doch als ich Jimin anblickte, sah ich, wie sich seine Miene schlagartig veränderte. Der Spaß in seinen Augen verschwand, und er wirkte plötzlich ernst. Es war, als ob die Luft im Raum schwerer wurde, und ich konnte nicht anders, als zu spüren, dass er mir etwas sagen wollte, aber nicht wusste, wie er es ansprechen sollte.
„Ich hab das noch nie jemandem erzählt, aber..." Jimin fing an zu sprechen, und ich richtete mich sofort etwas auf, spürte, wie die Luft im Raum sich veränderte. Ich hatte ihm meine Geschichte erzählt, nun war es an der Zeit, auch ihm zuzuhören.
„Meine kleine Schwester liegt hier. Sie hat Leukämie im Endstadium. Meine Eltern haben die Hoffnung an sie schon aufgegeben, aber ich nicht." Diese Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich starrte ihn an, schockiert und überwältigt. Es war, als ob der Boden unter mir kurz ins Wanken geriet.
Das Bild von Jimin, der sonst immer so stark und voller Energie wirkte, bekam auf einmal eine neue Tiefe. Er war kein unantastbarer Freund, der immer nur Spaß und Lachen verbreitete. Auch er trug seine eigenen Lasten, Wunden, von denen ich nie geahnt hatte.
„Sie ist stark, sie schafft das. Daran glaube ich." Er sprach mit solcher Überzeugung, dass ich fast glaubte, er hätte uns die Hoffnung in eine kleine, leuchtende Flamme verwandeln können. Doch ich erkannte die Tränen, die in seinen Augen glänzten. Es war schwer zu ertragen, zu wissen, wie tief dieser Schmerz in ihm saß.
In diesem Moment konnte ich nicht anders. Ich legte meine Arme um ihn, drückte ihn fest an mich. Es war das einzige, was ich tun konnte, um ihn zu stützen.
„Nimmst du deswegen immer die Drogen? Um dich abzulenken?" Die Frage kam fast unwillkürlich über meine Lippen, als ich ihn in meinen Armen hielt und seinen Rücken streichelte. Jimin nickte, und das war alles, was ich brauchte, um zu wissen, dass er sich nicht zu verbergen versuchte, aber trotzdem in dieser Dunkelheit gefangen war.
„Ja, woher..." Er stockte, als er bemerkte, dass ich ihn verstanden hatte. „Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn man unbedingt etwas verdrängen möchte." Ich drückte ihn noch fester, als wollte ich ihm mit dieser Umarmung die Stärke geben, die er brauchte.
„Ich hab so Angst um sie. Ich liebe Chloe über alles und ich will einfach nicht glauben, dass sie bald wahrscheinlich stirbt. Ich würde innerlich zerbrechen, wenn ich die Hoffnung aufgeben würde." Jimin sprach die Worte aus, die ich ihm so nicht zugetraut hätte. In diesem Moment war er so verletzlich, so menschlich, dass ich spürte, wie tief der Schmerz in ihm lag.
„Dann gib die Hoffnung nicht auf, egal was deine Eltern sagen. Ich bin mir sicher, dass deine Schwester das glücklichste Mädchen ist, wenn sie weiß, dass wenigstens einer da draußen an sie glaubt." Ich wusste nicht, ob meine Worte ihm wirklich halfen, aber ich hoffte es.
Er schluchzte und löste sich nach einer Weile von mir. Mit dem Ärmel seines Hoodies wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Es war so eine intime Geste, und für einen Moment fragte ich mich, wie viel von diesem Schmerz er wohl immer wieder in sich hineinfrass.
„Danke, das war wirklich gut, mal einfach alles rauszulassen." Ein schwaches Lächeln tauchte auf seinem Gesicht, und ich konnte nicht anders, als ihm genauso ein Lächeln zurückzugeben.
„Wenn irgendwas ist, kannst du immer zu mir kommen, ja?" Ich sah ihm in die Augen, ernst und voller Mitgefühl. Jimin nickte sofort, ohne zu zögern.
„Ja, das gleiche kannst du auch bei mir tun. Friss nichts in dich rein, okay?" Er streichelte mein Haar, und die Geste war so sanft, dass sie tief in mir nachklang.
„Mach ich." Ich versuchte zu lächeln, obwohl meine Gedanken immer noch bei dem Gespräch mit Taehyung und all den anderen Dingen, die mich quälten, waren. Doch jetzt hatte ich zumindest jemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. Und das fühlte sich zum ersten Mal nach langer Zeit ein kleines bisschen leichter an.
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