»𝐂𝐡𝐚𝐩𝐭𝐞𝐫 𝟗«
Grace Lodge
»Cole«, flüstere ich mit einer zittrigen Stimme. Mein Herz pocht wie verrückt. Ihn wieder zu sehen ist so unglaublich surreal. Cole, Zacs jüngerer Bruder. Der auch wie ein Bruder für mich war.
Erschrocken dreht er sich um, immer noch steht er nervös da, mit dem Handy an seinem Ohr.
In diesem Moment überflutet mich das schlechte Gewissen, wie konnte ich ihn nur gehen lassen?
Auf einem Schlag fühle ich mich wieder an jenem Tag zurückversetzt.
Er sieht abgemagert aus, sein Gesicht wirkt viel schmaler als zuvor. Die klaren Augen sind durch tiefe Augenringe unterlegt. Selbst die Haare, haben an Glanz verloren. Zu gerne würde ich ihn jetzt wieder in den Arm nehmen und ihm somit vermitteln, dass ich für ihn da bin.
Doch ich unterdrücke dieses Bedürfnis, denn es scheint so, als würde ich ihm nichts mehr bedeuten. Als hätte er mich nie zur Familie gezählt. Ich kann ihm keinesfalls etwas vorwerfen, er hat jedes Recht mich zu hassen.
Nach dem Tod seines Bruders ging Cole von hier fort, allein.
Denn er hatte niemanden mehr, Cole und Zac verloren ihre ganze Familie, vor Jahren, durch einen tragischen Unfall.
Es gab da nur noch Zac, der auf ihn aufpasste, doch nun ging er auch. Ich habe alles getan, um ihn zu finden. Ich wollte ihm helfen, aber er wendete sich von mir ab und ich habe keinen großen Aufwand gemacht ihn bei mir zu behalten.
Ich weiß nicht, wie er mit seinen siebzehn Jahren über die Runden gekommen ist. Offensichtlich ist er auf die falsche Bahn geraten. Ihn so zu sehen, versetzt mir ein Stich ins Herz. Ich hätte ihn finden müssen, ich hätte ihn an den Arm nehmen sollen und ihm klar machen sollen, dass ich für ihn da bin. Statt in meiner eigenen Trauer zu versinken und mich selbst zu verlieren.
Er lässt das Handy sinken und betrachtet mich weiterhin stur. Mittlerweile ist sein Blick von einer Leere umfasst. Ein Schauer durch jagt über meinen Rücken, Tränen fließen hemmungslos mein Gesicht hinunter.
Von dem schüchternen, lieben Jungen ist nichts mehr geblieben, er ist wie ausgewechselt.
Doch trotzdem sehe ich noch die Ähnlichkeit zwischen ihm und Zac. Sie haben... hatten die gleichen Gesichtszüge, die schmalen Lippen, hohe Wangenknochen. Er trägt das gleiche Blut wie er. Selbst seine Augen, selbst die sind zum Verwechseln ähnlich, aber es ist nicht Zac, es ist sein jüngerer Bruder.
»Grace«, sagt er betont, während er eine Augenbraue anhebt.
»Wie geht es dir?«, frage ich unsicher, als würde diese Frage die Situation irgendwie retten. Als würden wir dadurch die Tatsache vergessen, dass er mich hier festhält, dass er mich vermutlich verletzt hat.
Aber was trieb ihn dazu an, wer brachte ihn dazu. Denn er hätte von sich aus sowas niemals gemacht.
»Als würde dich das irgendwie interessieren«, antwortet er, ohne eine Miene zu verziehen. Auf einmal ist er ganz überzeugt von sich, entweder kann er die Nervosität gut verstecken oder er fürchtet sich tatsächlich nicht mehr.
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, wie konnte er jetzt so abwertend zu mir sein?
»Natürlich interessiert es mich, wie könnte es mich nicht interessieren«, entgegne ich aufgebracht.
Zum ersten Mal schaut er mir direkt in die Augen und ich erkenne in diesem Moment die Verzweiflung in ihnen.
»Cole glaub mir ich habe dich gesucht, aber ich war zu schwach, zu schwach, um dir zu helfen, zu schwach, um für dich da zu sein. Es tut mir unfassbar leid«, erkläre ich.
Ich senke den Blick auf den alten Holzboden, das Büro ist schon hochbejahrt mein Opa besitzt diese Buchhandlung schon seitdem ich denken kann. Die weißen Wände, die von Bilderrahmen beschmückt sind, erdrücken mich förmlich, zu gerne würde ich hier verschwinden.
»Ich glaube dir kein Wort. Du hast was mit dem Tod von Zac zu tun, da bin ich mir ganz sicher«, ruft er gereizt und kommt mit zügigen Schritten auf mich zu.
Unerwartet packt er mich am Hals, erschrocken versuche ich nach Luft zu schnappen. Instinktiv umklammere ich seine kühle Hand mit meiner, um den Griff zu lockern, doch sie wird umso stärker. Der schlanke Junge, vor mir, sieht aus als wäre er vom Teufel besessen.
Die Pupillen sind ganz groß vor Wut während Tränen unkontrolliert hinunterfließen, noch nie hatte ich jemanden so aggressiv und sogleich so verletzt gesehen.
»Cole ich hätte niemals Zac etwas antun können, dazu wäre ich nicht fähig«, versuche ich zu sprechen. Doch die Worte kommen nur leise über meine Lippen.
Die Wut hat die überhand auf seine Handlung, weshalb er den Griff verstärkt. Das Atmen wird immer schwieriger, mein Körper fühlt sich unglaublich schwer an. Ich habe kaum Kraft, wenn er noch weiter so festdrückt, dann werde ich ersticken.
Ein lautes Klingeln ist meine Rettung, was seine Miene in Panik versetzt. Er lockert sein Griff etwas nach und ich kann endlich wieder ein wenig atmen. Nervös schaut er um sich, bis er das vibrierende Handy auf dem Tisch entdeckt.
»Verdammt«, brüllt er aufgebracht, dabei lässt er von mir ab und geht auf das Handy zu, was ununterbrochen am Klingeln ist.
Ich falle nieder, jede Zelle meines Körpers tut weh, ein starkes Husten überkommt mich. Ich kann mich kaum noch beruhigen, mein Hals schmerzt sehr.
»Ja«, entgegnet Cole sauer, wobei er angespannt hin und her läuft. Er scheint sich vor dieser Person, mit dem er telefoniert, zu fürchten. Vielleicht hatte, diese Person auch die Ideen in Coles Kopf gesetzt, dass ich mit dem Tod von Zac was zu tun haben könnte. Aber wie hätte ich überhaupt damit was zu tun haben können, der Grund für sein Tod war doch ein Autounfall.
»Ich hätte sie nicht umgebracht!«, höre ich plötzlich Cole brüllen. Seine dunkele Stimme holt mich wieder in die Realität.
Ich habe es in seinen Augen gesehen, er war bereit mich zu töten. Offensichtlich schüchtert ihn diese Person wirklich ein, weshalb er seine wahren Gefühle verstecken muss.
Verärgert bleibt er auf der Stelle stehen und hört wie gebannt, der Person auf der anderen Leitung zu.
»Was jetzt schon?«, fragt er entsetzt und merkt dann, dass die Person schon längst aufgelegt hat.
Er dreht sich zu mir um, daraufhin blicken seine Augen in meine, wieder sehe ich die Verzweiflung in seinen Augen aufkommen.
»Wieso gehst du davon aus, dass dein Bruder durch einen Mord starb statt durch ein Autounfall?«, frage ich mit einer leiseren Stimme.
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