𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓
↬𝖪𝖺𝗉𝗂𝗍𝖾𝗅 𝟧↫
↬𝖬𝖺𝗂 𝟣𝟣𝟪𝟤↫
Joachim hasste sein Leben. Es folgten immer die gleichen Aufgaben. Nie gab es Freizeit oder Abwechslung.
Der Junge war keine 10 Jahre alt, und trotzdem war er der festen Überzeugung, dass er bereits genug für sein ganzes Leben gearbeitet hatte. Und eigentlich hatte er recht, denn Heinrich II., Englands rechtmäßiger König von Gottes Gnaden und Beschützer des Reiches, hatte nur einen einzigen Pagen, während seine Frau einst fast 15 Jungen angestellt hatte.
Somit hatte Joachim rund um die Uhr zu tun, denn der König war ein vielbeschäftigter Mann.
„Telles", erklang in diesem Moment die Stimme des Königs.
Joachim wusste eigentlich nicht, wer Telles genau war, aber der König nannte ihn so, und damit musste Joachim wohl leben, ob es ihm passte oder nicht. Der Junge überlegte nicht lange, sondern kam sofort in das Zimmer des Königs gestürmt und verbeugte sich.
„Eure Majestät hat gerufen?", fragte er, so wie er immer fragte, wenn Heinrich II. ihn in sein Zimmer befahl.
„Am Tisch liegt eine Nachricht für Longchamp, bring diese zu ihm!", befahl der König, ohne von seinem Schreibtisch aufzublicken. Heinrich verfasste all seine Briefe selbst. Vermutlich war es Misstrauen oder Paranoia, welche den König verfolgten. Denn der Monarch hatte viele Feinde.
Neuerdings kamen die Gegner sogar aus seiner eigenen Familie. Feinde vom eigenen Fleisch und Blut.
Joachim wusste nicht genau, warum sich seine Söhne gegen ihn verschworen hatten. Zwar war seine Majestät nicht die Freundlichkeit in Person, aber der Junge fand, dass er fair und gerecht handelte. Noch weniger verstand der Page aber, wieso Eleonore von Aquitanien bei diesem Aufstand mitmachte. Sie war doch die Königin, sollte sie nicht zu ihrem König halten? Joachim selbst konnte sich an seine Eltern zwar in keinster Weise erinnern, aber er war sich sicher, dass er es auf keinen Fall auch nur in Erwägung gezogen hätte, sich offen gegen sie zu stellen. Vielleicht waren königliche Sprösslinge aber auch einfach anders gestrickt.
Genauso schnell, wie er hereingekommen war, verließ Joachim das Zimmer des Königs, mit der Botschaft in der Hand.
Als Joachim vor dem Zimmer des Kanzlers ankam, nahm er sich kurz Zeit, um die Wärme des nahen Ofens zu genießen und vor allem, um zu verschnaufen.
Schließlich klopfte er, und als er daraufhin keine Antwort bekam, ging er einfach so hinein. Im Nachhinein wünschte der Junge sich, dies nicht getan zu haben. Denn, anders als gedacht, fand Joachim den Kanzler nicht an seinem Schreibtisch, sondern in seinem großen Himmelbett vor, im Beisein eines jungen Mädchens, welches keine 20 Jahre alt war.
Auch wenn sie von Bettdecken umgeben waren, bemerkte Joachim, dass sie nackt waren, denn ihre Kleidung lag überall am Boden verstreut.
„Was soll das?", wurde er von einem äußerst wütenden Kanzler aus seinen Gedanken gerissen.
Der Junge wusste nicht recht, was er antworten sollte. „Verzeiht Mylord, aber der König hat eine Nachricht für Euch."
„Was will Seine Majestät denn jetzt in aller Frühe von mir? Die Sonne ist doch gerade erst aufgegangen."
„Der König ist immer früh auf den Beinen, Mylord", erklärte Joachim. Er wusste genauestens darüber Bescheid, denn wenn der König früh morgens etwas brauchte, war es Joachim, welcher ihm das Gewünschte bringen musste.
„Ich nehme einmal an, dass seine Majestät wieder über seine Kinder berichtet", seufzte der Kanzler.
„Ich weiß es nicht, Mylord. Der König erzählt mir nichts von solchen Dingen."
„Gewiss doch, warum sollte er auch?", der Kanzler setzte sich auf, „Verschwinde!", richtete er sich an die junge Frau, welche sogleich ihre Sachen zusammenpackte und leise hinausging.
„Richte seiner Majestät aus, dass ich seine Botschaft in Kürze lesen werde, und dann wird er sogleich eine Antwort erhalten."
Joachim nickte und machte sich daran, ebenfalls zu verschwinden.
***
Sobald er zurück auf den Hof trat, hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Der Junge fuhr herum, dann lachte er kurz auf.
Ben, ein Bursche von zehn Jahren, mit kurzgeschnittenem braunem Haar und stets dreckigen Kleidern – er war außerdem Joachims bester Freund – lungerte wie üblich auf den Stufen herum, welche zur schlosseigenen Kirche führten.
Wie so oft war er in Begleitung von Alfred de Lacey, seinem älteren und überaus selbstgefälligen Vetter. Trotzdem beschloss Joachim, dass er es sich ruhig leisten könnte, dass er sich für einen kurzen Moment zu ihnen gesellte.
Gesagt, getan. Während er von Ben zu Begrüßung umarmt wurde, schenkte Alfred ihm nur ein einfaches Nicken. Joachim ließ sich von diesem aber nicht beirren, sondern ließ sich neben Ben auf die steinigen Treppen fallen und begann – wie üblich – mit ihm über die neuesten Ereignisse zu reden.
Der Junge hielt inne, als er in diesem Moment die junge Frau, welche er im Zimmer des Kanzlers gesehen hatte, über den Hof gehen sah. Er stieß Ben mit seinem Ellbogen an und zeigte unauffällig auf die zugegebenermaßen überaus hübsche Dame.
„Die hier war im Zimmer des Kanzlers", flüsterte Joachim.
Alfred, welcher dies gehört hatte, beugte sich hinunter und folgte dem Blick des Jungen.
„Was wollte sie denn da?", fragte er neugierig.
„Wieso?", kam es nun von Ben, „Gefällt sie dir etwa?"
Sein Vetter gab ihm daraufhin einen Klaps gegen den Oberarm, aber Joachim konnte sich sein Schmunzeln nicht verkneifen. „Sie waren beide in seinem Bett", flüsterte Joachim, „Und ihre Kleider haben am Boden gelegen."
Während Ben dies nur mit einem Kopfschütteln kommentierte, kam ein Lachen von Alfreds Seite, „Dass sollten wir auf jedem Fall dem König erzählen!"
***
Natürlich erzählte Joachim nichts dem König. Er wusste auch nicht, warum das den König interessieren sollte, weswegen er schwieg und sich stumm die vielen Klagen des Königs anhörte.
Über Frankreich, über seine widerspenstige Frau, über seine selbstgefälligen Söhne, über die Franzosen und so weiter. Heinrich II. klagte oft.
Natürlich nicht im Beisein seiner Berater, Freunde oder sogar seiner Familie – nein – Joachim war der Einzige, welcher dies hörte. Und das nur, weil er es schaffte, so mit der Umgebung zu verschmelzen, dass der König seine Anwesenheit oftmals vergas. So auch heute.
Nach einiger Zeit wusste Joachim aber, dass etwas nicht stimmen konnte. Der König schien anders zu sein, irgendwie verändert. Joachim war sich nicht sicher, ob er sich nach seinem Wohlergehen erkunden sollte. Eigentlich wäre es einfach freundlich und höflich, aber immerhin war mit Heinrich II. nicht zu spaßen und er konnte sehr vieles sehr schnell als Beleidigung auffassen. Jedoch beschloss der Junge, es zu riskieren.
„Fühlt Ihr Euch unwohl, Eure Majestät?", fragte Joachim leise und er spürte, wie Hitze in seine Wangen kam. Was hatte er gerade getan? Das war immerhin der König? Er hätte das nicht tun sollen. Der Junge wünschte sich nichts sehnlicher, als die letzten Sekunden ungeschehen zu machen.
Aber anders als erwartet lächelte der König leicht. „Telles, eigentlich sollte ich mich ziemlich wohl fühlen, aber dem ist nicht so."
Joachim sagte nichts. Er wusste nicht so recht, worauf der König hinauswollte.
„Ich habe gerade eben von Spionen erfahren, wo sich meine Frau und meine Töchter befinden", fuhr Heinrich II. erklärend fort, „Und eigentlich sollte ich meine Truppen dorthin schicken. Der Krieg währe endlich gewonnen. Die Kämpfe wären vorbei."
„Warum tut Ihr das dann nicht?", fragte Joachim leise. Erst viel später kam ihm der Gedanke, dass man so nicht mit einem König redete, aber Heinrich schien es egal zu sein.
„Weil ich das nicht kann. Meine Kinder und meine Frau halten mich vielleicht für ein herzloses Monster, aber ich will sie nicht verlieren. Was, wenn etwas schief geht. Was, wenn Eleonore Widerstand leistet. Was, wenn eine meiner Töchter stirbt?"
Joachim wusste nicht so recht, was er daraufhin antworten sollte. „Ich weiß es nicht, Eure Majestät", sagte er deshalb leise.
Der König nickte nur. „Geh los und sage, dass ich jetzt gerne zu Mittag essen will!" Nun sprach Heinrich II. wieder mit der Stimme des Königs, so, als hätte die Unterhaltung niemals stattgefunden.
Joachim nickte nur und machte sich daran, eilig dem Befehl Folge zu leisten. Er war sich aber sicher, dass er dies nicht Ben und schon gar nicht Alfred erzählen würde.
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