
„Schmollst du gerade?"
Lucy und Susan kamen lächelnd auf sie zu. „Wir haben-", wollte Susan sagen, unterbrach sich aber, als sie vor Mirijam stand und musterte sie. „Was?", fragte Mirijam. „Du siehst...anders aus", sagte Susan nachdenklich. „Also, nein, eigentlich siehst du genauso aus, wie vorher, aber deine Haltung und deine Ausstrahlung ist anders", führte sie weiter aus. Mirijam zog eine Augenbraue nach oben. „Ausstrahlung?"
Susan zuckte mit den Schultern. „Hör zu", sagte Mirijam. „Es gibt da ein kleines... Problem....um welches ich mich kümmern muss. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird", sagte Mirijam. „Vielleicht macht ihr einfach irgendwas anderes und wartet auf mich?" „Wir könnten am Fluss warten! Dann kannst du einfach kommen, wenn du kannst!", sagte Lucy. Mirijam nickte lächelnd. „Wenn ich fragen darf, was für ein Problem gibt es denn?", fragte Susan. „Ihre Majestät muss sich um eine Angelegenheit aus ihrer Vergangenheit kümmern", schritt Agrios ein. Susan schaute verwirrt zwischen Mirijam und dem Zentauren hin und her. „Ja, genau!", sagte Mirijam erleichtert. Sie hatte Susan und Lucy die ganze Sache noch nicht erklären wollen, aber eine Ausrede wäre ihr vermutlich auch nicht eingefallen. „Na ja, dann warten wir beim Fluss auf dich", sagte Susan. „Bis nachher!", sagte Mirijam, als die beiden Mädchen am Zelt vorbei gingen. Dann drehte sie sich zu Agrios um, welcher schon in die Knie gegangen war, um Mirijam aufsteigen zu lassen. „Danke", sagte sie. Agrios schenkte ihr ein kleines Lächeln.
Auch diesmal war der Ritt wie magisch. Der Wind ließ ihr Kleid wieder flattern und fuhr durch ihre Haare. Fast hätte sie gejubelt, weil sie sich so glücklich fühlte. Aber auch diesmal waren sie schnell an ihren Ziel angekommen. Sie waren wieder auf der Wiese. Agrios blieb vor einer kleinen Anhöhe stehen, die ganz abrupt endete, sodass es aussah, wie ein Miniatur Felsvorsprung. Mirijam stieg ab. „Kannst du dich überhaupt verwandeln?", fragte Agrios mit erhobenen Augenbrauen. Mirijam schenkte ihm wieder einen Todesblick. Sie holte die Kette aus der Tasche, die sie im Laternendickicht ausgegraben hatte. Als sie sie anlegte, verspürte sie eine seltsame Vorfreude. Allerdings auch eine scharfe Angst. Dann dachte sie an einen silbernen Vogel und auf einmal war sie viel kleiner, silbern, und hatte einen Schnabel und Flügel statt Arme.
Agrios musterte ihre Vogelgestalt. „Ziemlich viel silber", stellte er fest. Mirijam hätte jetzt aufgestöhnt, wäre sie noch ein Mensch gewesen. Da sie aber keiner mehr war, war es ein halbes Krächzen vermischt mit einem seltsamen Laut, den sie nirgendwo zuordnen konnte. Agrios riss sich zusammen, um nicht zu kichern. Die nächste halbe Stunde war ziemlich langwierig. Erst sollte Mirijam sich auf die kleine Anhöhe, den Miniatur Felsvorsprung stellen und erst Mal von dort runterspringen, da das ja wohl kaum zu viel war. Allerdings war es für Mirijam jetzt höher, weil sie viel kleiner war. Dementsprechend traute sie sich nicht, die kleine Anhöhe hinunterzuspringen. Agrios war mehr als genervt. Als sie beide es schließlich fast aufgegeben hatten, passierte etwas, was Agrios mehr als stutzig machte. Auf einmal ließ Vogelmirijam ein Krächzen hören, dass sich nach einem ängstlichen Kreischen anhörte. Ehe er sich versah war sie losgeflogen. Sie war schneller als ein gewöhnlicher Vogel. Schnell galoppierte er ihr hinterher. Als er sie fand, saß sie auf einem Ast, auf einem Baum. „Ist alles in Ordnung?", fragte er.
So froh er war, dass sie geflogen war, genauso verwirrt war er. Mirijam antwortete nicht, sondern ließ sich von dem Baum herabgleiten. Agrios hielt seinen Arm hin, sodass sie darauf landen konnte. „Da war", keuchte sie, „ein kleines, schwarzes Ding!" Agrios schaute sie immer noch verwirrt an. „Diese kleinen, schrecklichen Monster!", fuhr Mirijam fort. Agrios wusste immer noch nicht, was sie damit meinte. Mirijam stöhnte auf. „Ich will es nicht aussprechen! Es sind kleine, schwarze, achtbeinige Lebewesen-"
„Ach eine Spinne!", sagte Agrios lachend. „Du hast Angst vor Spinnen?" Mirijam plusterte sich auf, ohne es zu wissen. Das war ihre Vogelart, zu zeigen, dass sie empört war. „Seit ich in einer Höhle mit zehntausend Spinnen gesessen bin, die alle größer als mein Kopf waren!", verteidigte sie sich. Agrios' Lachen verstummte sofort. „Soetwas gibt es?", fragte er erschrocken. Eigentlich wollte Mirijam nicken, aber es sah einfach nur lächerlich aus. „Und wegen dieser Spinne bist du weggeflogen?", fragte Agrios, als er begann, zurück, zu der kleinen Anhöhe zu laufen. „Ja", sagte Mirijam. „Und war es schlimm?", fragte Agrios. „Na ja, während ich geflogen bin, ist mir aufgefallen, dass es gar nicht die Höhe ist, vor der ich Angst habe. Aber was es dann ist, weiß ich immer noch nicht ganz", antwortete Mirijam ehrlich. „Dann solltest du nochmal fliegen, damit du das rausfindest, nicht wahr?", meinte Agrios. Sie waren bei dem Hügel im Boden angekommen. Mirijam schaute ihn unsicher an. „Na los, ich will auch noch Abendessen!", sagte Agrios ungeduldig. Mirijam breitete unsicher ihre Flügel aus. Die ersten Schläge waren sehr unsicher und wackelig, aber dann wurden sie eleganter und sicherer. „Geht doch", murmelte Agrios. Mirijam freute sich so sehr, dass sie keine Angst vor dem Fliegen hatte, dass sie in die Höhe schoss. Ehe sie es sich versah war sie über den Wolken und schaute auf das Lager herunter. Als sie wieder nach unten flog, hätte sie aufgejauchzt, allerdings kam ein freudiges Krächzen aus ihrem Mund. Sie kreiste über dem Lager, flog Loopings und kostete ihre Flügel komplett aus. Sie schoss in die Höhe, wechselte in den Sturzflug und riss sich kurz vor dem Boden wieder nach oben. Irgendwann begann sie zu überlegen, vor was sie denn eigentlich solche Angst gehabt hatte. Vor der Höhe an sich nicht. Dann fiel es ihr auf. Sie hatte die ganze Zeit Angst vor dem Herunterfallen gehabt. Auf dem Baum hatte die Chance bestanden, dass sie herunterfiel oder der Ast abbrach. Auf dem steinernen Brückenbogen oder dem vereisten Wasserfall war dasselbe der Fall gewesen. Jetzt hatte sie Flügel und konnte selbst kontrollieren, wohin sie flog. Deswegen hatte sie keine Angst. Stolz flog sie auf die Wiese zu. Sie hatte vor, eine galante Landung auf der Spitze der kleinen Anhöhe zu vollführen, als perfekte Abrundung für diesen perfekten Flug. Und es schien auch perfekt zu Funktionieren.
Agrios hatte Mirijam die ganze Zeit fasziniert schmunzelnd zugeschaut. Als sie auf ihn zugeflogen kam, wurde er nicht im geringsten nervös. Er wusste, dass sie vorhatte, auf der Anhöhe zu landen. Er schaute ihr ein wenig stolz entgegen. Sie bremste perfekt ab und glitt galant nach unten. Und fast wäre sie perfekt auf der Spitze der Anhöhe gelandet. Nur hatte sie sich um einen Centimeter verrechnet und sie verpasste die Spitze fast, überschlug sich einmal und purzelte im Gras umher. Agrios, der bis gerade eben von Staunen erfüllt gewesen war, musste aufpassen, nicht laut zu Lachen. Als Mirijam ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, saß sie fast auf dem Boden, und ihr Kopf war tiefer als sonst. „Schmollst du gerade?", fragte Agrios kichernd. Mirijam schaute ihn mit einem weiteren Todesblick an. „Komm schon, das war doch gut!", sagte Agrios aufmunternd, allerdings immer noch kichernd. Mirijam verwandelte sich zurück in ein Mädchen. „Ach halt doch die Klappe", sagte sie leise. „Darf ich jetzt vielleicht zu Lucy und Susan gehen?", fragte sie dann. „Ich nehme an, dass du das darfst", antwortete Agrios. Er riss sich sehr zusammen, um nicht zu lachen.
Mirijam nickte dem Zentauren noch zu, dann rannte sie über die Wiese, über den Hügel, durch das Lager, vorbei am Zelt und weiter dem Geräusch von fließendem Wasser nach.
Hinter ein paar Bäumen am Waldrand sah sie ein rotes Zelt zwischen den Bäumen stehen. Dahinter hing zwischen zwei Bäumen ein weißes Handtuch.
„Ja", hörte sie Lucy sagen. „Bevor du so langweilig wurdest!" „Ach wirklich?", fragte Susan. Es hörte sich so an, als ob sie grinste. Mirijam schon das Handtuch beiseite und sah, wie Susan sich zum Bach hinunterbeugte und Lucy nass spritze. Allerdings traf Lucys Gegenwehr Mirijam, die empört aufkreischte. Die beiden Mädchen drehten sich zu ihr um. „Mirijam!", rief Lucy. Dann kam Susan eine Idee. Sie kam auf Mirijam zu, packte sie bei der Hand und zog sie in Richtung Fluss. „Nein! Nein, Susan, bitte nicht!", schrie Mirijam lachend. „Susa-ah!"
Ihr Ausruf hatte sich in einen spitzen Schrei verwandelt, als sie um kalten Wasser gelandet war. Lucy und Susan lachten. „Na wartet!", murmelte Mirijam. Sie packte Susan und Lucy gleichzeitig bei den Händen und zog. Dann saßen die drei Mädchen alle lachend in dem Bach. Einige Zeit später standen sie auf und gingen kichernd aus dem Bach. Susan ging auf das Handtuch zu, das Mirijam zur Seite geschoben hatte und zog es von der Leine, die zwischen dem einen und dem anderen Ast gespannt war. Susan kreischte auf und machte einen Satz nach hinten. Hinter dem Handtuch hatte sich Maugrim versteckt.
Auch Mirijam und Lucy wichen entsetzt zum Bach zurück. „Bitte versucht nicht, wegzulaufen", meinte Maugrim. Ein zweiter Wolf kam hinter dem zweiten Handtuch hervor. „Wir sind müde und wir würden es vorziehen, euch schnell zu töten." Susans Augen huschten hektisch hin und her. Mirijam hatte sich vor Lucy geschoben. Dann entdeckte Susan ihr Horn, dass an einem Stuhl vor dem Zelt stand. Sie gab Mirijam zu verstehen, dass sie zum Baum rennen sollten. Dann schmiss sie das Laken auf den Wolf und rannte zu ihrem Horn. Dieser war natürlich verwirrt und verhedderte sich im Laken. Der andere Wolf, versuchte ihm zu helfen. Lucy und Mirijam rannten zu dem Baum, auf dem die Handtücher befestigt waren und kletterten in Windeseile hinauf. Auch Susan rannte zurück zum Baum, bevor die Wölfe sie schnappten. Erst als sie oben auf dem Baum saß, bließ sie. Mirijam hatte alle Mühe, sich hier oben zu halten. Sie konnte jetzt zwar fliegen, aber hier hatte sie wieder Angst vor dem Herunterfallen. Die Wölfe schnappten nach ihren Beinen. Die Mädchen kreischten. Wann würde die Hilfe da sein?
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