
„Aber wo ist Der vierte?"
Waren sie doch zu Anfang hintereinander gelaufen, so gingen sie jetzt nebeneinander. Ganz links kam Peter, dann Susan, dann Lucy, dann Mirijam und dann die Bieber. Es war ein beinahe magischer Moment. Mirijam wusste, dass alle die Faune, Leoparden und Zentauren im Lager wussten, dass sie gerade ihre neuen Könige sahen. Und sie hatte das Gefühl, dass sie auch wussten, wer sie war. Sie fühlte sich sehr unsicher, weil jeder sie anstarrte, aber sie wusste, wie sie damit umzugehen hatte. Susan wusste das nicht und schaute unsicher um sich. „Warum starren die denn alle so?", flüsterte sie. „Vielleicht denken sie, dass du komisch aussiehst!", flüsterte Lucy kichernd. Susan war jetzt noch unsicherer. Peter dagegen konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Tu so, als wüsstest du genau, was du tust", flüsterte Mirijam. „Du musst lächeln!" Susan schaute sie verwirrt an. „Auch wenn du nicht weißt, was du tust, lächle und alle werden denken, du weißt was du tust!"
Auch Frau Bieber zupfte nervös an ihrem Fell herum. Herr Bieber nahm ihre Hand und flüsterte:„Lass das! Hör auf damit! Du siehst wundervoll aus, Liebes!" Frau Bieber senkte den Blick und lächelte ihm zu. Die Faune, Zentauren und anderen Lebewesen an denen sie vorbei gingen, schlossen sich ihnen an, sodass es bald so aussah, als ob sie eine große Prozession wären. Sie liefen so lange weiter, bis sie auf einem Platz ankamen, hinter dem ein großes rotes Zelt stand. Jeder von ihnen wusste, dass es Aslans Zelt war. Links davor stand ein Zentaur mit langem dunklen Haar. Die Kinder und die Bieber blieben stehen. Der Zentaur sah sie abwartend an. Keiner von den Pevensies wusste, was sie tun sollten, bis Peter sein Schwert zog und es wie einen Pass vor sich hob. „Wir sind gekommen, um Aslan zu sehen!", sagte er. Mirijam unterdrückte sich ein Lächeln. Peter wurde immer mehr zu einem König, auch wenn er es vielleicht nicht wusste. Der Zentaur schaute zum Zelteingang. Für einen Moment war es still. Dann raschelte es. Hinter den Kindern und den Biebern verbeugten sich die Narnianen. Die Pevensies drehten sich verwirrt um. Als sie wieder nach vorne blickten, sahen sie eine braune Pfote zwischen den Falten des Zelteingangs hervorschauen. Mirijam war die erste, die auf die Knie ging. Sie traute sich nicht aufzuschauen. Aus dem Zelt trat nun ein Löwe. Peter, Susan und Lucy fürchteten sich so sehr, wie man sich fürchten kann, wenn man gleichzeitig froh ist und sie freuten sich so sehr, wie man sich freuen kann, wenn man gleichzeitig Angst hat. Auch sie knieten schnell vor dem wahren König Narnias nieder. Mit angehaltenem Atem warteten die Kinder auf eine Reaktion des Löwen. „Willkommen Peter, Adamssohn", sagte der Löwe mit einer sanften, tiefen Stimme, die einem sofort die Frucht nahm. Peter schaute auf, in das Gesicht des Löwen, welches ihm freundlich zulächelte. „Willkommen Susan und Lucy, Evastöchter", sagte er und schaute zu Peters Schwestern. Auch diese hoben ehrfürchtig den Kopf. „Willkommen, Mirijam", sagte der Löwe und Mirijam hob fragend den Kopf. Er lächelte ihr zu und sofort durchströmte sie ein Gefühl von Gelassenheit und Geborgenheit. Er war ihr für nichts böse! „Und auch ihr seid Willkommen, Bieber. Ich danke euch."
Die Bieber lächelten aufgeregt. „Aber wo ist der Vierte?" Das Lächeln wurde allen aus dem Gesicht gewischt. „Deswegen sind wir hier", sagte Peter ernst und stand auf. Auch die anderen erhoben sich. „Wir hatten unterwegs ein paar Schwierigkeiten", sagte Susan. „Unser Bruder ist ein Gefangener der Weißen Hexe", sagte Peter wieder. „Ein Gefangener?", fragte Aslan ruhig. „Wie konnte das geschehen?" Keiner traute sich zu antworten. Dann sagte der Bieber:„Er...hat sie verraten!"
Hinter ihnen brachen die Narnianen in Gemurmel aus. „Dann hat er uns alle verraten!", rief der Zentaur vorne wütend. „Sei still, Oreius!", sagte Aslan zu ihm. „Es gibt sicher eine Erklärung dafür." Mirijam holte gerade Luft, um zu sprechen, aber da kam Peter ihr zuvor. „Eigentlich ist es meine Schuld", sagte er. Mirijam schaute ihn überrascht an. „Ich war zu hart zu ihm." Susan legte ihrem Bruder eine Hand auf die Schulter. „Das waren wir alle", nahm sie ihm Last von den Schultern. Mirijam fühlte sich auch schuldig, obwohl Susan sie eigentlich gar nicht gemeint hatte. „Er ist unser Bruder!", sagte Lucy verzweifelt zu Aslan. Er musste ihm doch helfen. Er musste einfach!
„Ich weiß, meine Kleine", sagte Aslan sanft. „Aber es macht den Verrat leider umso schlimmer. Die Folgen sind schwerwiegender, als ihr denkt."
Dann wies er ein paar Dryaden an, Susan, Mirijam und Lucy zu ihrem Zelt zu bringen. Mirijam warf einen unsicheren Blick in Richtung Aslan, aber dieser drehte sich um und ging in sein Zelt zurück. Die Mädchen gingen mit den Dryaden zu einer Stelle am Rand des Lagers. Ihm gegenüber stand noch ein Zelt. „Wir lassen euch nun allein, Eure Majestäten. Ihr könnt bis zum Essen tun, was euch beliebt. Auf Wiedersehen!" Dann waren sie aus dem Zelt gehuscht. In dem Zelt standen drei sofaähnliche Gebilde, auf denen sie wohl schlafen würden. Neben jedem Bett stand eine Kiste. Auf die eine ganz rechts waren die Buchstaben S.P. eingeritzt. Auf der in der Mitte stand L.P. und auf der links stand M.
Mirijam ging langsam darauf zu. Auch Susan ging zu ihrer Kiste und öffnete sie. „Aber das ist ja wunderschön!", rief sie. „Sind die wirklich für mich?" Mirijam schaute zu ihr. In der Kiste lagen viele Kleider. „Naja, es steht dein Name drauf", meinte sie lächelnd. Lucy sprang auf ihre Kiste zu und öffnete sie. Ihre Augen glänzten. „Das ist wirklich wunderschön!", stimmte sie Susan zu. „Mach doch Mal deine auf!", drängte sie Mirijam aufgeregt. Mirijam ging zu ihrer Kiste, ein wenig schneller als vorher. Sie nahm den Deckel und hob ihn hoch. Auch in ihrer Kiste lagen viele Kleider, die auch wirklich wunderschön waren, aber etwas anderes bekam ihre volle Aufmerksamkeit. „Oh!", sagte sie leise. Sie griff nach dem kleinen Kästchen aus dunklem Holz. In den Deckel waren Ornamente, Blumen und Blätter geschnitzt, an die Seite ein Muster aus fliegenden Vögeln. Susan kam neben sie. „Was ist das?", fragte sie. Mirijam kamen fast die Tränen, aber dennoch lächelte sie. „Mein Bruder hat es mir geschenkt, zu meinem letzten Geburtstag in Narnia", antwortete Mirijam. Ihre Stimme zitterte. Susan legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. „Was ist denn drin?", fragte Lucy. „Willst du es aufmachen?", fragte Mirijam lächelnd. Lucy nickte aufgeregt. Mirijam übergab das Kästchen an das kleine Mädchen, welches es ehrfürchtig entgegen nahm. Sie hob ganz langsam den Deckel. Als sie sah, was sich daraus befand, blieb ihr fast der Atem weg. „Das ist wunderschön!", flüsterte sie. Susan drehte den Kopf, um auch in das Kästchen sehen zu können. Auch sie starrte fasziniert auf den Inhalt. Mirijam lächelte traurig.
Lucy gab das Kästchen wieder Mirijam. In dem Kästchen war der Boden mit einem Kissen gepolstert. Auf dem Kissen lag eine silberne Halskette, mit kleinen, funkelnden Diamanten. Daneben lag ein passendes Armband und daneben waren zwei Diamantohrringe. „Was ist das?", fragte Susan. „Naja, Schmuck würde ich sagen", antwortete Mirijam. „Aber es ist kein normaler Schmuck, oder?" „Nein, es ist narnianischer Schmuck!", lachte Mirijam. „Aber selbst für narnianischen Schmuck ist das doch viel zu edel, oder?", hakte Susan weiter nach. „Es wurde von Zwergen gemacht, deswegen sieht es vielleicht so fein gearbeitet aus. Diese Zwerge sind wirklich geschickt in sowas, wisst ihr?"
„Ich glaube, wir können dich nicht dazu überreden, sie zu tragen?", fragte Lucy. „Nein, nicht jetzt", antwortete Mirijam lächelnd.
„Ich werde mich umziehen", meinte Susan auf einmal. Lucy nickte und machte sich daran, für sich ein Kleid herauszusuchen. Lucy entschied sich für ein hellblaues Kleid mit Stickereien. Susans Entscheidung viel auf ein dunkelgrünes Kleid mit einem Gürtel. Mirijam kramte lange in der Kiste und alles viel unordentlich durcheinander, worauf Susan sie auch ansprach, aber Mirijam zuckte nur mit den Schultern. Ihr war es ziemlich egal, ob die Kleider jetzt gefaltet in der Kiste lagen, oder ungefaltet. Ganz unten in der Kiste fand sie schließlich eines, das halbwegs in Ordnung aussah. Immerhin war das hier ein Lager für einen Krieg und kein Palast, in dem sie bezaubernd aussehend musste. Das Kleid war dunkelblau mit einem braunen Gürtel. Besondere Verzierungen gab es nicht.
„Wann und wo es hier wohl Essen gibt?", überlegte Mirijam. „Die Dryade meinte, wir könnten tun, was wir wollen, bis es Essen gibt. Aber wann gibt es Essen?" Susan zuckte mit den Schultern. „Wir fragen einfach jemanden. Kommt mit!", sagte sie. Lucy folgte ihr sofort zum Eingang des Zeltes, aber Mirijam sagte:„Ich muss noch etwas... erledigen. Treffen wir uns wieder hier?" Susan nickte etwas verwirrt. Was müsste Mirijam hier bitte erledigen? Die beiden Schwestern gingen also jemanden fragen, wann und wo es Essen gab und Mirijam machte sich auf die Suche nach Aslan. Als sie den Weg zum Hauptplatz gefunden hatte, wusste sie nicht Recht, was sie jetzt tun sollte. Durfte sie einfach so eintreten? „Er ist nicht da drin", sagte ein Faun auf einmal. Mirijam drehte sich zu ihm um und bekam gerade noch mit, wie ein anderer Faun ihm gegen das Bein schlug, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Weißt du, wo er dann ist?", fragte sie den Faun. Der Faun, der ihn getreten hatte, entspannte sich sichtlich. Anscheinend hatte er Angst gehabt, Mirijam wäre wütend geworden, weil sein Freund sie angesprochen hatte, aber er kannte Mirijam ja auch nicht. „Aslan ist vorhin auf den Hügel da gelaufen. Wenn ihr wollt, kann ich euch den Weg zeigen", sagte der Faun. „Das wäre sehr nett, vielen Dank!", sagte Mirijam.
Der Faun führte Mirijam über eine kleine Hügelkuppe. Als sie oben angelangte sah sie, dass es erst wieder hinabging, bevor sich eine weite Wiese erstreckte, die nur vom Wald und einer weit entfernten Gebirgskette eingegrenzt wurde. Auf der Wiese standen Aslan und ein Zentaur. Anscheinend redeten sie miteinander. „Darf ich da stören?", fragte Mirijam. „Bestimmt. Es wird nicht so wichtig sein, sonst hätten sie es im Zelt besprochen", erklärte der Faun. „Vielen Dank nochmal!", sagte Mirijam. Der Faun deutete eine Verbeugung an und lief den Hügel wieder hinunter. Mirijam sah ihm hinterher. Hatte sein Freund wirklich Angst vor ihr gehabt?
Sie schüttelte den Kopf und vertrieb so diesen Gedanken. Dann ging sie langsam den Hügel auf der anderen Seite hinunter und auf Aslan zu. Als sie auf ein paar Meter herangekommen war, drehte sich Aslan zu ihr um und auch der Zentaur musterte sie. Es war ein junger Zentaur, sein Gesicht sah so aus, als wäre er ein oder zwei Jahre älter als sie.
„Hallo Mirijam", sagte Aslan. „Hallo Aslan", sagte Mirijam. Sie war über die Stärke ihrer Stimme überrascht. Eigentlich fühlte sie sich sehr unsicher, aber ihre Stimme klang selbstsicherer als je zuvor. „Lass uns ein wenig spazieren gehen", sagte der Löwe. Mirijam lief zuerst hinter ihm weiter in die grüne Fläche hinein. Dann lief sie neben ihm. Mirijam schaute in den Himmel. Er war strahlend blau und nicht ein Wölkchen war zu sehen. Es war aber auch nicht zu warm. Die Berge am Horizont waren auch mit Gras bedeckt, wie sie jetzt sehen konnte. Es roch nach Gras und frischer Waldluft. Das Gras war weich und federnd. Sie schwiegen lange Zeit, aber es war ein gutes Schweigen. „Wie viel weißt du noch?", fragte Aslan. „Viel. Aber nicht alles", antwortete Mirijam. „Dann will ich es dir zeigen", sagte der Löwe und blieb stehen. Mirijam schaute ihn leicht fragend, aber abwartend an. Dann spürte sie Wind um ihr Gesicht blasen und sie wusste, dass es der Atem Aslans war. Und dann war sie an einem anderen Ort.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro